"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Geistes- und Naturwissenschaften

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Letzte Woche hat der Arbeitskreis kritischer Jurist:innen dafür gesorgt, dass der Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zum Thema «Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt» von der Berliner Humboldt-Universität abgesetzt wurde, weil dies ein transfeindlicher Vortrag sei.
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09:53 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.07.2022 / 15:15

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 05.07.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Letzte Woche hat der Arbeitskreis kritischer Jurist:innen dafür gesorgt, dass der Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht zum Thema «Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt» von der Berliner Humboldt-Universität abgesetzt wurde, weil dies ein transfeindlicher Vortrag sei.
Bisher war ich davon ausgegangen, dass die Enzykliken in verschiedenen gesellschaftspolitischen Bereichen in Hamburg verfasst werden, aber von der Sache her steht es selbstverständlich den Juristinnen, Physikerinnen und Linguistikerinnen auch auf der übrigen Welt offen, sich sachkundig zu Fragen der Biologie zu äußern, vor allem, wenn es sich um Grundsatzfragen handelt wie das biologische Geschlecht. Hier muss selbstverständlich das bornierte Sachwissen zurückstehen hinter den universellen Gleichstellungsfragen der Menschheit, wie sie sich in den juristischen, physikalischen und linguistischen Bereichen prominent manifestieren.

Blödsinn, ich meine sowohl die Juristinnen als auch meine Einleitung, aber die Juristinnen zwingen mich fast dazu. Es ist allzu offensichtlich, dass die Natur mindestens bei den Säugetieren, aber meines Wissens auch sonst in einer Mehrheit der Fälle, von den Spinnen bis hin zu den schwan­geren Seepferdchen, mit zwei Geschlechtern arbeitet. Wo soll da politischer Sprengstoff liegen? Ich denke, es wäre im höheren Interesse gerade jener Personen und Gruppierungen, die sich kritisch nicht mit der Justiz oder der Juristerei, sondern mit dem Gendern befassen, die Argumentation auf dieser Tatsache aufzubauen und nicht dagegen.

Es ist ja möglich, dass ich auch hierin irre, aber wenn ich das richtig verstanden habe, geht es beim Gendern um jenen Aspekt, der vor allem bei den Menschenwesen sich zwar auf die biologischen Grundlagen beruft, daraus dann aber soziale Verwerfungen schafft oder begründet. In erster Linie geht es um die systematische Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft, die stets mit der Biologie gerechtfertigt wurde. Die Biologie-Ideologie entwickelt sich im Lauf der Jahrhunderte weiter und produziert verschiedene Nebentriebe, welche zum Beispiel Charaktereigenschaften den Ge­schlech­tern zuordnen; Verhaltensformen werden als geschlechtstypisch dargestellt, Auftretensweisen, Kleider und so weiter, das Thema ist tatsächlich so umfassend, dass es auch Juristinnen, Physi­kerin­nen und Linguistinnen betrifft und natürlich auch mich in der neutralen Schweiz. Da ich kein Spezialist dafür bin, will ich mich nicht weiter auf die Äste hinaus lassen, aber ich meine zu wissen, worum es in etwa geht, und ich bin unter allen Titeln einverstanden damit, dass man gegen diese Sozialbiologie das ganze Instrumentarium der kritischen Kritik auffährt. Es nützt ja auch etwas und bringt durchaus nicht nur jene allergischen Reaktionen hervor, die wir in der entwickelten Welt bei allen Alphatierchen beobachten.

Das ändert nichts am erwähnten biologischen Prinzip der Natur, dass sie mit zwei unter­schied­lichen, meinetwegen gegensätzlichen und in jedem Fall komplementären Geschlechtern arbeitet, in erster Linie zum Zweck der Fortpflanzung. Der Mensch ist ja sowieso kein Natur-, sondern ein Kulturgut, und insofern brauchen sich auch kritisch akkulturierte Juristinnen darüber gar nicht aufzuregen. Zur menschlichen Kultur gehört offensichtlich auch die Möglichkeit, die biologischen Grenzen zu sprengen und sich als biologische:r Angehörige:r des einen Geschlechtes in das andere zu versetzen, sei es auf der emotionalen Ebene, auf jener des Selbstverständnisses oder auch mit dem Mittel von operativen Geschlechtsumwandlungen. Es gibt ebenso offensichtlich auch Menschen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können, das ist alles bestens in Ordnung, man braucht weder homosexuell, queer oder transgender zu sein, um das festzuhalten. Höchstens kann man noch ergänzen, dass mindestens auf der Ebene des Selbstverständnisses oder, wenn man den Begriff zwischendurch mal außerhalb des nationalistischen Kontextes verwenden darf, der ihn seit einem Vierteljahrhundert in Beschlag genommen hat, der Identität auch noch andere Problemfelder bestehen; diese sind mindestens in der Literatur und in der Geschichte in großer Zahl beschrieben. Das soll keineswegs die Gender-Frage in Frage stellen, aber ich bin trotzdem überzeugt davon, dass ein Teil der Energie, welche in den entsprechenden Aus­ein­ander­setzungen frei wird, aus Konflikten in einer tiefer liegenden Schicht der menschlichen Existenz stammt und nicht primär aus dem Dilemma der Biologie und ihrer Sozialisierung.
Ja, das gibt es nämlich auch noch. Wenn auch die Unterdrückung der Frau durch den Mann eine vieltausendjährige Konstante durch fast alle Kulturen hindurch ist, so gibt es auch die Unter­drüc­kung des Mannes durch den Mann, in einer nicht mehr ganz modernen Form zum Beispiel in der Form der Unterdrückung der arbeitenden Klassen, und es gibt sowieso alle möglichen Formen der Unterdrückung, Missbildung, Verhinderung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, welche nicht immer unter dem Gender-Exklusivrecht erfolgt. Soviel Einsicht muss auch der verbohrteste Genderer aufbringen.

Aber wie gesagt: Damit stelle ich nicht die Gender-Frage in Frage. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man die Gender-Debatte nicht stärkt, sondern schwächt, wenn man solche Dinge bestreitet. Das gleiche gilt auch für Juristinnen, welche die Grundlagen der Biologie als einer Natur- und nicht einer Geisteswissenschaft in Frage stellen. Sie haben zunächst sowieso ihr Recht auf die Selbstbezeichnung als «kritisch» verwirkt. Wer derart geist- und kenntnislos in fremden Revieren wildert, ist maximal ein Simplex Simplicissimus beziehungsweise eine Simplica Simplicissima. Es erstaunt mich dabei, dass die Humboldt-Universität nicht genug Humboldt in sich hat, um sich mit dieser geist- und kenntnislosen Gruppierung anzulegen. Aber das ist nicht mein Bier.

Im Gegensatz zur Frage, welche Auswirkungen eine drastische Reduktion des Energieangebotes auf Wirtschaft und Gesellschaft hätte. Tatsächlich ist man versucht zu fragen, weshalb Gospodin Wladimir Wladimirowitsch dem Westen nicht schon längst den Gashahn zugedreht hat; das wäre wohl die einzige logische Antwort auf die verhängten Wirtschaftssanktionen, zu denen mir übrigens noch einfällt, dass man sie offenbar in unendlicher Folge weiter verschärften kann, was mich auch wieder wundert. Irgendwann einmal ist der Nagel im Brett, das ist meine Meinung als Heimwerker, aber die Allianz der entwickelten Weststaaten sieht da immer neues Potenzial. So oder so: Wenn die Gaslieferungen aus Russland wegfallen, hat insonderheit die Industrie ein echtes Problem, und es wird aller Innovationskraft der aktuellen Kapitalismus-Version bedürfen, um dieses Problem zu beheben. Die Privathaushalte scheinen weniger kritisch dazustehen, was vielleicht eine Jahreszeit widerspiegelt, in der man eher mit Rekord-Hitzetemperaturen zu kämpfen hat als mit der Heizung, mit anderen Worten, das mag im Herbst und im Winter dann wieder ganz anders aussehen. Allerdings kann man einem plötzlichen Temperaturabfall in der eigenen Wohnung allein mit dem Mittel der Bekleidung schon ganz ordentlich begegnen, und an Kleidung herrscht im weltweiten Kapitalismus meines Wissens kein Mangel. Wenn es richtig kalt ist, braucht man sich auch nicht um die Kühlung zu sorgen. Aber die produzierende Industrie wird tatsächlich zur nicht produzierenden Industrie, wenn es an Strom und Gas fehlt. Ob da die vorübergehende Ausrichtung eines Grundeinkommens an die deshalb arbeitslosen Beschäftigten auch nur mittelfristig hilft, kann ich nicht sagen; immerhin hat die Erfahrung der Corona-Pandemie mindestens den Anschein erweckt, als könnte die aktuelle Kapitalismus-Version bereits recht einschneidende Einbrüche bei den produktiven Prozessen einigermaßen verkraften.

Allerdings beruhen solche Entwicklungen in extrem hohem Maße auf Vertrauen, zunächst einmal in die staatlichen Institutionen, auf der Finanzebene aber vor allem auf die Tragfähigkeit all der Finanzmittel und Kapitalflüsse, die sich in den letzten fünfzehn Jahren aufgebaut haben. Eigentlich müsste man ja für die Finanzierung solch unerwarteter Ausfälle in Industrie und Gesellschaft an die bestehenden Kapitalbestände ran, also namentlich an die riesigen Vermögen der entsprechenden Institutionen, was heute schon nicht mehr die Banken sind, sondern Vermögensverwalter wie Blackrock. Man kann davon ausgehen, dass der Ex-Blackrock-Angestellte Friedrich Merz diesen Anlagefonds ohne weiteres davon überzeugen wird, ein Drittel seines akkumulierten Kapitals für die Aufrechterhaltung des normalen Kapitalismus-Betriebes einzusetzen, selbstverständlich solidarisch mit den anderen Kapitalfonds. Und zwar auf rein freiwilliger Basis. Genau so sieht der aus, der Friedrich Merz, und so wird er sich wohl auch verhalten. Nein, zunächst muss man davon ausgehen, dass die Eliten in unseren Ländern die Staaten und Staatengemeinschaft unter Druck setzen werden, eine neue Runde an Leerpapieren zu drucken, damit sie ungeschoren auch aus dieser Krise kommen. Was heißt da ungeschoren: Sie werden schon wissen, wie sie auch aus dieser Versorgungskrise ihren Profit ziehen können. – Aber unabhängig von diesem obligatorischen «Die-Welt-ist-schlecht»-Geunke: Ich gehe doch davon aus, dass die Gespräche für einen solchen Fall laufen, sie laufen mit Sicherheit auf einer für uns unsichtbaren Ebene auch mit Russland, aber eben, die Vorbereitungen für eine, sagen wir mal: einjährige Produktionspause des aktuellen Kapitalismus sind in vollem Gange. Das heißt allerdings noch nicht, dass die entsprechenden Pläne dann auch funktionieren. Nein, mein Herr; es kommt der Moment, wo dieser Zauberkasten der Geld schöpfenden Zentralinstanzen versiegt und wo es im Finanzbereich ans Eingemachte gehen wird. Dann, in diesem Moment solltet Ihr, geschätzte Hörerinnen und Hörer, bereit sein dafür, den Angriff auf eure kleinen Einkommen und Ersparnisse abzuwehren und im Verbund mit den anderen Betroffenen auf dem ganzen Kontinent die Enteignung, nein, diesmal nicht der Fabriken, sondern der großen Kapitalbestände einzuleiten.
Zu diesem Zwecke bedarf es allerdings der entsprechenden politischen Mittel und Parteien. Wen würdet ihr denn im Moment für fähig halten, ein solches Programm aufzustellen? Und wenn ihr nirgendwo jemanden seht: Wärt ihr selber in der Lage, ein solches Programm und eine solche Partei neu zu gründen?
Das ist mal eine gute Frage.