"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Afrikanische Frauen

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In der letzten Wochenendausgabe des «Le Monde Afrique» wurde die fünfte von sechs afrikani­schen Frauen vorgestellt, die Geschichte geschrieben haben, und obwohl es mir eigentlich gegen den Strich geht, ein Thema zu beackern, das momentan von der ganzen Welt standardmäßig durchgenudelt wird auf der Suche nach dem Beweis, dass der innerste Motor des zirka zehntausend Jahre alten Patriarchats doch die Frau gewesen sei, was ich für ordentlich bekloppt halte; trotz diesen Bestrebungen also ist die «Le Monde Afrique»-Reihe doch lustig genug, um sie Euch, geschätzten Hörer:innen in Erfurt, vorzulegen.
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11:04 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.08.2022 / 13:20

Dateizugriffe: 98

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.08.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In der letzten Wochenendausgabe des «Le Monde Afrique» wurde die fünfte von sechs afrikani­schen Frauen vorgestellt, die Geschichte geschrieben haben, und obwohl es mir eigentlich gegen den Strich geht, ein Thema zu beackern, das momentan von der ganzen Welt standardmäßig durchgenudelt wird auf der Suche nach dem Beweis, dass der innerste Motor des zirka zehntausend Jahre alten Patriarchats doch die Frau gewesen sei, was ich für ordentlich bekloppt halte; trotz diesen Bestrebungen also ist die «Le Monde Afrique»-Reihe doch lustig genug, um sie Euch, geschätzten Hörer:innen in Erfurt, vorzulegen.
Den Anfang macht die «Kahena», eine Rittersfrau vom Ende des 7. Jahrhunderts, die sich an die Spitze des Widerstands gegen die Besetzung des Maghreb durch die Araber gesetzt hatte. Sie wird heute sowohl als Symbol des nationalen Widerstandes in Algerien als auch als Vorkämpferin des Feminismus gefeiert.Das schlaue Buch des Fähnleins Fieselschweif beschreibt sie als Berber-Königin oder -Priesterin, die nach einem ersten Sieg gegen die Araber etwa fünf Jahre lang an der Macht war und dann von den Moslems im zweiten Anlauf besiegt und getötet wurde. Die Quellenlage ist nicht besonders, der Großteil der Informationen stammt aus dem Lager der gegnerischen Araber, «Le Monde Afrique» weiß aber trotzdem, dass sie honigfarbige Haare besaß und grünblaue Augen. Alles, was es zur Idealisierung braucht, mit anderen Worten.

Bei der zweiten Protagonistin handelt es sich um Massaran Camara, geborene Keïta, eine der Anführerinnen des Frauenmarsches auf Grand Bassam in der Elfenbeinküste zu Weihnachten 1949; sie ist die Frau des Unabhängigkeitsaktivisten Lama Camara. Ziel der Protestaktion war die Freilassung von 10 leitenden Mitgliedern der Demokratischen Partei der Elfenbeinküste, die im Februar dieses Jahres ohne konkrete Vorwürfe verhaftet worden waren und seither kein ordentliches Verfahren erhalten hatten, die also ohne Anklage im Knast saßen. Die Frauen zogen zuerst zum Justizpalast und verlangten ein Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt; als dieser darauf nicht eintrat, beschlossen sie, sich am nächsten Tag direkt beim Gefängnis zu besammeln. Von anfäng­lich etwa 150 Frauen war die Menge unterdessen auf 2000 Menschen angewachsen. Die Ordnungs­kräfte versuchten die Straßen zu blockieren und setzten Tränengas und Wasserwerfer ein. Ange­sichts der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens folgten sie schließlich dem Aufruf des Präsidenten der Demokratischen Partei und nachmaligen ersten Präsidenten der unabhängigen Elfenbeinküste, Felix Houphouët-Boigny, und zogen sich zurück. Die Gefangenen wurden erst im März frei­ge­lassen. Trotz dem fehlenden direkten Erfolg ist der Marsch auf Grand Bassam zum Symbol der Unabhängigkeitsbewegung und vor allem für den Mut der Frauen der Elfenbeinküste geworden, den Kräften der Kolonialmacht Frankreich ohne Waffen entgegen zu treten. Noch bekannter als Massaran Camara war damals Marie Koré; im Gegensatz zu Massaran Camara, die heute weit über 100 Jahre alt und immer noch am Leben ist, starb sie bereits zehn Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung bei einem medizinischen Eingriff. Zu ihren Ehren wurde eine der ersten Banknoten mit ihrem Porträt geschmückt.

Als dritte Frau führt «Le Monde Afrique» die Senegalesin Annette Mbaye d'Erneville, die im Jahr 1952 als erste Frau eine Sendung auf dem Afrika-Sender der Radiodiffusion-Télévision Française bestritten hatte. Die heute 96-Jährige setzte sich in ihrem Beruf und auch außerhalb während ihrem ganzen Leben für die Frauenrechte und die Emanzipation ein. 1964 bis 1972 gab sie zusammen mit Kolleginnen ein Frauenmagazin heraus, das aber keinen besonderen Erfolg hatte. Eine Feministin sei sie nicht, hat sie mal gesagt. «Wir brauchen die Männer, und sei es nur, um Kinder zu machen. Später kann man sich ja wieder von ihnen trennen.»

Funmilayo Ransome-Kuti ist Nummer vier in der Reihe, eine Yoruba-Frau aus Nigeria, die im Jahr 1900 geboren ist, aber im Vergleich zu den Nummern zwei und drei schon früh starb mit 77 Jahren. Respektive sie wurde gestorben: Ihr Sohn war der bekannte Sänger Fela Kuti, der im Jahr 1970 nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten nach Nigeria die autonome Republik Kalakuta gegründet hatte. Im Februar 1971 ließ der damalige Präsident Obasanjo die Republik stürmen; dabei wurde Funmilayo aus dem Fenster geworfen.
Mit 14 Jahren hatte sie zu den ersten weiblichen Schülerinnen gehört, welche an die Abeokuta Grammar School der Universität Ibadan in Südnigeria zugelassen wurden. Anschließend studierte sie in England und wurde nach ihrer Rückkehr nach Nigeria Lehrerin. In den 1950-er Jahren stand sie an der Spitze der Frauenrechtsbewegung in Nigeria und übte verschiedene Funktionen in der Politik aus, neben dem Einsatz auf lokaler Ebene für die Interessen der im Einzelhandel tätigen Frauen, zum Beispiel gegen die Besteuerung; «Ohne Stimmrecht keine Steuern», lautete ihr Slogan.

Die Südafrikanerin Nokukanya Luthuli starb im Jahr 1996, kurz nach der Abschaffung der Apart­heid. Bekannt wurde sie vor allem durch den Marsch von 20'000 Frauen aller Rassen und Kon­fessionen gegen die Ein­schrän­kung der Bewegungsfreiheit der schwarzen Bevölkerung durch die weiße Regierung. Das war 1956. Sie führte diese Bewegung an und wurde anschließend unter Hausarrest gestellt; sie überlebte später verschiedene Anschläge weißer Extremisten und ihrer Handlanger. Ihre politische Aktivitäten hatte sie in den 1940-er Jahren begonnen als Mitglied der Daughters of Africa, die Frauenbildung und Unter­stützungs­aktivitäten für die Soldaten im Zweiten Weltkrieg durchführten. Zusammen mit ihrem Mann über­nahm sie immer wichtigere Aufgaben im African National Council. Gegen die zunehmend strikteren Rassengesetze flammten Akte des zivilen Ungehorsams auf. So verbrannte Nokukanyas Mann Albert im Jahr 1960 öffentlich seinen Pass und forderte andere Schwarze auf, es ihm nachzutun. Er war unterdessen zum Chef des ANC gewählt worden. Die Auseinandersetzungen wurden immer heftiger; in Sharpeville erschoss die südafrikanische Polizei in diesem Jahr 70 unbewaffnete schwarze Protestierende, was zu landes­wei­ten Protestaktionen, unter anderem in den Kirchen führte, was wiederum Repressionsmassnahmen auslöste. Auch Albert Luthuli wurde verhaftet. Er war in der Zwischenzeit international so bekannt als Antiapartheid-Aktivist, dass er ein Jahr später als erster Afrikaner den Friedensnobelpreis erhielt. Er starb 1967 bei einem Unfall. Nokukanya setzte die politische Arbeit fort, unter anderem orga­nisierte sie erfolgreich eine Wider­stands­bewegung gegen eine Zwangsumsiedlung ihres Quartiers. Als sie im Jahr 1996 starb, hielt Nelson Mandela die Grabrede und sagte unter anderem: «Mama Nokukhanya stand während allen Auseinandersetzungen an der Seite unseres ehemaligen Chefs Albert Luthuli. Sie war eine Führungsperson, die nicht das Scheinwerferlicht suchte, aber sie wird in der Geschichte lebendig bleiben als eine jener tausenden von Frauen, deren Widerstandskraft durch das Leid, das die Apartheid-Regierung über sie gebracht hat, nicht gebrochen wurde.»

Das Porträt der Frau Nummer sechs ist noch nicht publiziert worden. Dafür gibt es in der Zeitschrift «Jeune Afrique» eine ähnliche Reihe unter dem Titel «Ces grandes dames qui ont fait l'Afrique»; sie beginnt etwas früher mit einer Foto von Nofretete beziehungsweise Nefertiti, aber die zur Reihe gehörigen Porträts umfassen Anne Zihnga, jene Königin, die im 17. Jahrhundert über Ndongo und Matamba geherrscht hat, ungefähr das heutige Angola; sie gilt als renommierte Strategin und Diplomatin und hielt so während ihrer Regierung die kolonialen Ansprüche der Portugiesen in Schach. Oder Taytu Betul: Sie war die zweitletzte äthiopische Kaiserin, allerdings als Frau von Menelik II., aber sie hatte großen Einfluss und gilt als Kopf hinter dem Sieg der äthiopischen Armee über die Italiener in der Schlacht von Adua im Jahr 1896. Es war der erste Sieg eines afrikanischen Landes über eine europäische Kolonialarmee.

Im Kongo wurde am 4. Juli 1706 Kimpa Vita als Hexe, Ketzerin und Aufrührerin verbrannt; sie hatte sich gegen den zunehmenden Sklavenhandel engagiert, und zwar im Gewand der christlichen Religion, mehr oder weniger als Anführerin einer Sekte, der übrigens auch verschiedene Wunder­taten zugeschrieben wurden. Den weißen Missionaren warf sie vor, die Schwarzen als zweitklassige Menschen zu behandeln; dem stellte sie ihren eigenen Glauben gegenüber, nach dem Christus schwarz gewesen sei. Sie versuchte, den kongolesischen König zum Widerstand gegen die Portugiesen zu bewegen, landete aber letztlich auf dem Scheiterhaufen.

Radhia Haddad spielte eine wichtige Rolle im Unabhängigkeitskampf von Tunesien und setzte sich anschließend als Präsidentin des Nationalen Frauenverbands Tunesien für die Rechte der Frauen ein. Der Weg dorthin führte unter anderem über den moslemischen Frauenverband Tunesiens; im Jahr 1956 führte das Land nach der neu gewonnenen Unabhängigkeit weitgehende Frauenrechte ein, wie dies bisher noch in keinem arabischen Land der Fall gewesen war., unter anderem mit dem Wahlrecht, das es ihr unter anderem ermöglichte, von 1959 bis 1974 im tunesischen Parlament zu sitzen.

In Marokko schreibt die «Jeune Afrique» über Aïscha Ech-Chenna, welche die Bewegung «Frauen­solidarität» gegründet hat. Auslöser war die Begegnung mit verstoßenen jungen Frauen mit Kindern ohne Väter, die in miserablen Umständen vegetierten. Die Bewegung Frauensolidarität bot solchen Frauen eine Ausbildungsmöglichkeit in verschiedenen einfachen Berufen und kümmerte sich während der Schulung um die Kinder. Für ihr Engagement erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Und dann sind da noch die Mino, die Amazonen im ehemaligen Königreich Dahomey, eine Truppe von Kriegerinnen mit einem blauen Krokodil als Symbol. Sie bildeten vom 18. Jahrhundert an eine Elitetruppe des Königs, zuerst unter König Gezo. Allerdings vermochten sie dann gegen die technisch überlegenen Truppen des General Dodd nichts auszurichten, der 1892 für die Franzosen Dahomey eroberte. Immerhin bezeichnete Dodd die Schlacht gegen die Mino als die blutigste seiner gesamten Karriere.

Soviel zu diesen auffälligen Figuren, die vermutlich eine eher zufällige Auswahl darstellen und neben der Auseinandersetzung im Rahmen von Kolonialisierung und Dekolonialisierung vor allem aus hoch entwickelten Staaten stammen, während im Herzen des afrikanischen Kontinentes nichts dokumentiert ist von Frauenfragen, aber auch nicht von Männerherrschaft; es gibt einfach keine Unterlagen dazu.

Kommentare
30.08.2022 / 14:36 John, Radio F.R.E.I., Erfurt
Auszug verwendet im kleinen feinen großen FRN-Quiz 2022
Danke. Hier geht's zum Beitrag: https://www.freie-radios.net/117215