"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - IWF-Berichte

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Griechenland hat am 4. April dieses Jahres die letzten Tranchen des IWF-Kredits zurückbezahlt, und zwar zwei Jahre vor der Fälligkeit und mehr oder weniger unmittelbar nach den Einbrüchen in Wirtschaft und Staatshaushalt wegen der Pandemie.
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10:34 min, 24 MB, mp3
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Upload vom 30.08.2022 / 12:24

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 30.08.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Griechenland hat am 4. April dieses Jahres die letzten Tranchen des IWF-Kredits zurückbezahlt, und zwar zwei Jahre vor der Fälligkeit und mehr oder weniger unmittelbar nach den Einbrüchen in Wirtschaft und Staatshaushalt wegen der Pandemie. Ich gehe davon aus, dass diese Rückzahlung vor allem dank den EU-Krediten, namentlich aus dem Wiederaufbauplan möglich wurde; aber immerhin. Der Länderbericht des IWF zu Griechenland vom Juni spricht davon, dass das Land die Pandemie gut überstanden habe und einigermaßen anständige Wachstumsaussichten zeige, die zwar vom Ukraine-Krieg beschädigt, aber nicht im Kern zerstört worden seien. Der Mindestlohn wurde um 7.5% angehoben, und die Regierung stellt Subventionen oder Ausgleichszahlungen für die explodierenden Energierechnungen in Aussicht. Dagegen steht das Bankensystem offenbar immer noch auf schwachen Füßen mit anhaltend hohen Anteilen an nicht bedienten Krediten. Vor allem aber habe ich in diesem Länderbericht diesmal nichts gelesen über Fortschritte beim Aufbau eines flächendeckenden Katasters oder Grundbuches mit den dazugehörigen Ämtern. Beim letzten Bericht, den ich konsultiert hatte, war noch gestanden, dass von den vorgesehenen zirka 100 Stellen etwa ein Fünftel operativ seien.

An anderen Orten lese ich, dass es Griechenland einfach nicht gelingt, Investitionen in Sektoren mit echten Zukunftsaussichten ins Land zu holen. Aus diesem Grund bleibt die Abwanderung der qualifizierten Fachkräfte anhaltend hoch.

Der IWF-Länderbericht zu Deutschland, der am 18 Juli veröffentlicht wurde, nennt die Aus­wir­kungen des Ukraine-Kriegs beziehungsweise der Reduktion der Gaslieferungen aus Russland mit den damit einhergehenden höheren Energiepreisen, einer schwächeren Nachfrage und sinkenden Vertrauens neben härteren Finanzbedingungen als wichtigste Faktoren, welche das anziehende Wirtschaftswachstum gebremst haben. Dieses habe sich nach der Pandemie wieder flott angelassen, nicht zuletzt wegen des verbesserten Zugangs zu Halbleitern und der Lockerung der pandemie­bedingten Einschränkungen. Im Jahr 2021 habe das Wirtschaftswachstum 2.9% betragen; für 2022 rechnet der IWF mit 1.2 Prozent und für das nächste Jahr mit noch 0.8 Prozent. Bei der Inflation geht der IWF von 7.7% für das Jahr 2022 aus und von 4.8% im nächsten Jahr. Wenn der Krieg in der Ukraine weiter anhalte und dazu noch ein Wiederanstieg der Covid-19-Ansteckungen komme, gekoppelt mit weiteren Inflationsängsten, könne es wegen der notwendigen Zentralbank-Interventionen zu einer massiven Verschlechterung des Finanzumfelds und zu Korrekturen auf den Wertschriftenmärkten kommen. Je nach Entwicklung könne mittelfristig der Ausstieg aus dem CO2 gefährdet sein, abgesehen von der Überalterung und den Mängeln bei den Infrastrukturen und bei der Digitalisierung. Immerhin sei der Finanzsektor vom Krieg bisher kaum beeinträchtigt worden mit einem gesunden Bankensystem. Die Steuerpolitik sei in Ordnung und die Wiedereinführung der Schuldenbremse im nächsten Jahr wünschenswert, sofern die Faktoren Covid und Energie nichts anderes aufdrängen.

Grundsätzlich begrüßt der IWF die ambitiösen Pläne der Regierung zum Ausstieg aus dem CO2 und für die Modernisierung von Transportinfrastrukturen und der Digitalisierung. Weitere Investitionen in das Wachstumspotential sollen durch den weiteren Ausbau der Energiesicherheit, der Digitalisierung, die Stärkung der Innovation, des Arbeitskräfteangebots und der Ausbildung sowie der sozialen Sicherheit vorgenommen werden. Auch die Schaffung neuer Wirtschafts­per­spek­tiven für Frauen und Migranten sei wichtig, ebenso wie öffentliche Investitionen in grüne Technologien. Die traditionellen Widerstände gegen öffentliche Investitionsprojekte sollten möglichst schnell abgebaut werden.

Ja, das ist so der Sound der multilateralen Finanzinstitutionen, von denen ich nicht einmal weiß, ob ihre Aufgabe letztlich darin besteht, das globale Finanzsystem zu stabilisieren oder vielleicht sogar die Staaten im zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts insgesamt zu finanzieren. An die Geld­schöp­fung aus dem Nichts haben wir uns mittlerweile gewöhnt, zuerst an den Kapitalmärkten, in den letzten zehn Jahren dann durch die Zentralbanken und die multilateralen Institutionen. Solche Créations sind selbstverständlich viel effizientere Instrumente der Integration auf EU-Ebene oder zur Bekämpfung struktureller Rückständigkeiten innerhalb der EU, aber auch außerhalb, als dies etwa der Volkswille ist, der purlautere demokratische Trieb, dem die Völker Europas spätestens seit den Germanen verpflichtet sind, auch wenn die Geschichte dies zweitausend Jahre lang kaschiert hat. Nein, diesen Volkswillen gibt es selbstverständlich nicht, es gab ihn nie und wird ihn nie geben; was es dagegen sehr wohl gibt, das sind demokratische Prozesse, im Idealfall sogar noch transparent, im Rahmen derer die Entscheidungsfindung stattfinden kann. Aber wir beobachten seit Langem und in letzter Zeit vermehrt, dass die politische Befindlichkeit der Bevölkerung relativ einfach manipulierbar ist durch die Aktivierung von Ebenen unterhalb der kollektiven Vernunft, durch die Bespielung des sogenannten gesunden Menschenverstandes und anderer Problemzonen, in erster Linie auf der Klaviatur der Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung der eigenen Befindlichkeit, und damit im Einklang mit dem Einsatz von massiven Geldmitteln zur Beein­flus­sung der öffentlichen Meinung. Wenn sich die internationalen Finanzagenturen als stärkere und diesem gesunden Menschenverstand sozusagen übergeordnete Kraft bei der Staatsführung etablieren, dann wird der Furor der Rechtsnationalist:innen gegen diese Zentralmächte etwas klarer verständlich, und auch unsereiner, der nach wie vor an die kollektive Vernunft glaubt und glauben muss, steht solchen Häusern des künstlichen Geldes kritisch gegenüber, versteht sich. Aber für den überfälligen Einigungsprozess in Europa ist es in dieser historischen Phase zweifellos ein Vorteil. Vielleicht lassen sich auf dieser Ebene sogar die Vorbereitungshandlungen für die dringend notwendige Süd-Erweiterung der Europäischen Union auf die Nordküste Afrikas vornehmen. Bei der Bevölkerung scheint diese Einsicht noch nicht angekommen zu sein, was auch nicht ver­wun­dert, solange Nationalist:innen und Rassist:innen aller Länder politische Erfolge erzielen mit ihrer nationalistischen und rassistischen Propaganda. Manchmal wünscht man sich fast die Zeiten zurück, als es noch ausreichte, dass die Kapitalist:innen aller Länder ihre Interessen mit einigen faulen Wirtschaftstheorien und dem ganzen Argumentarium der Vollbeschäftigung in der breiten Bevölkerung verteidigten.

Wie auch immer: Falls es wirklich so wäre, dass die internationalen Finanzinstitute, und zwar die öffentlichen, nicht die privaten wie zum Beispiel die Großbanken, die auch schon größer waren, oder Vermögensverwalter wie Blackrock oder Vanguard, sondern eben die multilateralen Organisationen, Weltbank, IWF und in Europa die EZB, falls diese Finanzinstitute also mehr oder weniger nach Gutdünken, was wie immer konkret heißt: nach Notwendigkeit, nämlich nach der Notwendigkeit der jeweiligen politischen Vorgaben und des tatsächlichen Bedarfs, falls also diese Finanzinstitute tatsächlich die Entwicklungsrichtung von Ländern und Kontinenten mitbestimmen und in absehbarer Zukunft sogar überhaupt bestimmen können, dann treten wir doch in eine neue Epoche der Geschichte ein. Falls es wirklich so ist. Beispielländer, an denen so etwas durchexerziert werden kann, sind Polen und Ungarn, vor allem, wenn der Ukraine-Krieg mal abgeschlossen ist; und selbstverständlich sind Länder mit dringendem Interventionsbedarf nach wie vor Griechenland und, je nach dem Grad der nationalistischen Verrücktheit von Georgina Meloni, auch Italien, das vermutlich im Herbst in die Hände der Brüdergesellschaft fallen wird.

Allerdings braucht man weder zu hoffen noch überhaupt anzunehmen, dass Frau Meloni sich durch irgendwelche besonders unkluge Maßnahmen vom Finanztopf der europäischen Institutionen abnabeln wird. Was dann die Hypothese der Vorgabe von Richtlinien durch die öffentlichen internationalen Finanzinstitute eben bestätigen täte, und zwar schneller als in Griechenland; der entsprechende Test findet bereits im Frühjahr 2023 statt. Viel Vergnügen dabei wünsche ich den Italiener:innen. Die ich allerdings auch bedaure; ein alter Kollege, der früher einmal die Kommunisten gewählt hat und dann die verschiedenen Nachfolgeparteien und Alternativen, bis er bei den letzten Wahlen auf die Cinque Stelle zurückgegriffen hat, befindet sich im Moment am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Der vorausgesagte Wahlsieg der Post-Neofaschist:innen ist mehr oder weniger der definitive K.o-Schlag, nachdem man sich schon mit dem Erzkapitalisten und Finanzmanager Mario Draghi abfinden musste als geringeres Übel als die eigene, in der Zwischenzeit vollkommen verrottete Kaste angeblich linker, aber auf jeden Fall immer sozialdemokratischer Politikerinnen und Politiker. Man hat es nicht leicht in Italien.

Daneben entnehme ich einem Bericht des EU-Informationskanals Euractiv, dass die 1200 nach Börsenkapitalisierung größten europäischen Unternehmen im 1. Quartal dieses Jahres ihre Dividendenausschüttung um fast 30% erhöht hätten. Dies ist selbstverständlich den massiv gestiegenen Gewinnen im letzten Jahr zu verdanken, wobei sie 2021 bereits um einen Viertel höher lagen als im Pandemiejahr 2020; damals verzeichnete man einen Einbruch um ebenfalls fast 30%. Fazit: Die Gewinne beziehungsweise der auszuschüttende Teil davon lagen im Jahr 2021 um einen Viertel über dem Niveau von 2019, vor der Pandemie. Auch auf diese Art kann man die Inflation bekämpfen oder mindestens für die Aktionär:innen etwas ausgleichen. Nach Sektoren betraf der Anstieg in den Niederlanden, in Belgien, Spanien, Italien und Schweden vor allem den Finanz- beziehungsweise Bankensektor; für Deutschland meldet der Artikel eine Verdreifachung der Dividendenausschüttung bei Mercedes-Benz und BMW. Hier hätten markant höhere Fahrzeugpreise und eine Verschiebung des Verkaufsmix in Richtung von Automobilen mit höheren Margen den Rückgang bei der Anzahl verkaufter Fahrzeuge mehr als wettgemacht.

Achja, und bevor ich es vergesse: Der serbische Clown Vucic hat ebenfalls wieder irgendetwas gesagt zu irgendeinem Thema. Ich glaube, es war im Zusammenhang mit kosovarischen oder serbischen oder vielleicht auch bulgarischen Autonummern. Wahrscheinlich hat er anschließend noch einmal irgend etwas gesagt. Und nochmals, und nochmals. Und dann stellte die designierte Premierministerin Ana Brnabic noch die Bildung einer Regierung im nächsten Monat in Aussicht. Voilà.

Kommentare
30.08.2022 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 30.8.. Vielen Dank !