SPANIENS LINKE ZWEI JAHRE NACH DEN MADRIDER ATTENTATEN - Radio Chapapote

ID 11776
 
So heterogen Spaniens Linke auch sein mag - der Antiamerikanismus zieht sich durch alle Strömungen. Auch zwei Jahre nach den blutigen Attentaten vom 11. März hat sich daran nichts geändert. Beitrag mit vielen O-Tönen. Kritik, Kommentare und Vorschläge bitte an: RadioChapapote@yahoo.es
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101:25:43 h, 13 MB, mp3
mp3, 0 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.03.2006 / 12:52

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Zwischen Ceuta und La Jonquera
Entstehung

AutorInnen: Johannes Mahn
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 06.03.2006
keine Linzenz
Skript
Zwei Jahre ist es nun her, dass al-Qaida am 11. März in voll besetzten Madrider S-Bahnen 14 Bomben ablegte. 10 von ihnen explodierten und rissen 191 Menschen in den Tod. Knapp 2000 Frauen, Männer und Kinder wurden verletzt, viele davon schwer.

Das grausame Attentat hatte unmittelbare innenpolitische Auswirkungen, denn drei Tage später fanden in Spanien Parlamentswahlen statt. Wie so viele hatte die rechtskonservative Regierung Aznar anfangs die baskische Terrorgruppe ETA für die Anschläge verantwortlich gemacht. Doch auch als bereits sehr viel dafür sprach, dass al-Qaida hinter den Bomben stand, hielt die Regierung stur an der ETA-These fest.

Die wenigen Tage bis zur Wahl waren geprägt von Massendemonstrationen in ganz Spanien, insbesondere aber in Madrid. Waren diese Demonstrationen am 12. März noch von der Regierung als ein staatstragendes Zeichen gegen den Terror gedacht, so fanden sie am 13. März spontan statt. Kurzfristig per SMS einberufen versammelten sich große Menschenmengen, die sich der Linken zugehörig fühlten, vor der Zentrale der Regierungspartei, um ihrer Trauer über die Anschläge Luft zu verschaffen - aber auch ihrer Wut über die offensichtliche Manipulation der Öffentlichkeit. Und über die Teilnahme spanischer Truppen am Krieg im Irak, als dessen offensichtliches Ergebnis die Attentate gewertet wurden.
In der Nacht vom 13. auf den 14. März schien Madrid einer Revolte nahe. In einem Akt zivilen Ungehorsams zogen Tausende durch die Straßen und forderten die Wahrheit sowie einen Abzug der spanischen Truppen.

Am 14. März trat dann ein, was noch vor den Anschlägen unmöglich schien.
Die Regierung Aznar verlor ihre Mehrheit und der sozialdemokratische PSOE bildete unter José Luis Rodríguez Zapatero eine Minderheitsregierung. Innerhalb kürzester Zeit zog die neue Regierung die spanischen Truppen aus dem Irak zurück - so wie sie es bereits im Wahlkampf vor dem 11. März versprochen hatte.

Innenpolitisch hatten die Attentate also, so zynisch dies auch klingen mag, als Katalysator gewirkt und gleich einem Akt politischer Hygiene die Regierung Aznar aus dem Amt gefegt.

Jedoch muss sich insbesondere die Linke den Vorwurf gefallen lassen, die außenpolitische Bedeutung der Attentate nicht erkannt zu haben und so weiterzumachen wie bisher.
So weiterzumachen wie bisher - das bedeutet, nur ja nicht sein Weltbild zu hinterfragen, dieses Weltbild, das der spanischen Linken feste Gewissheit ist, und in dem es eigentlich nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse gibt. Die Guten, das sind die unterdrückten Völker, insbesondere die Iraker und die Palästinenser. Die Bösen, das sind die Unterdrücker, speziell Israel und die USA.
Diese Tendenz zeichnete sich bereits kurz nach den Attentaten ab. Anlässlich des ersten Jahrestags des Kriegsbeginns im Irak fand in Madrid am 20. März eine Kundgebung gegen den Krieg statt. Der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago bezeichnete Madrid dabei als moralische Hauptstadt Europas:

"Hoy por hoy, Madrid es la capital moral de Europa."

Der Schock saß noch tief, der Schrecken der zwei Wochen zurückliegenden, blutigen Tat vor der eigenen Haustür war den Teilnehmenden noch von den Gesichtern abzulesen. Und so wurde beteuert, die Attentate hätten mit dem - selbstverständlich legitimen - Widerstand des irakischen sowie des palästinensischen und des tschetschenischen Volkes nichts zu tun. Ganz im Gegenteil, sie würden nur Bush nutzen. Madrid und Bagdad seien vereint im gleichen Schmerz, in der gleichen Zurückweisung des Terrors. Ganz so, als hätte die Bush-Administration die Bomben in die Züge bringen lassen.

"Reiteramos nuestro apoyo a las legítimas aspiraciones de los pueblos iraquí, palestino y checheno, así como su derecho internacionalmente reconocido a resistir una ocupación que es ilegal y que se mantiene por la fuerza de la violencia. Rechazamos en su nombre y en el nuestro cualquier vinculación entre estas aspiraciones y los atentados terroristas de Madrid, totalmente execrables no solo por el dolor que han causado entre nuestros ciudadanos sino porque denigran la lucha de estos pueblos y alientan y justifican la estrategia de agresión de la administración de Bush. Bagdad y Madrid están unido en un mismo dolor, en un mismo rechazo al terror."

Anschließend sang der katalanische Liedermacher Lluís Llach sein berühmtes Lied "L'Èstaca". Es ist ein Lied gegen die Franco-Diktatur und handelt vom Pfahl, an den wir alle festgebunden sind, der jedoch bereits angefault ist und fallen wird, wenn wir nur kräftig genug daran ziehen.

Eingeleitet hatte Llach sein Lied mit den Worten: "In Europa sagt man, in Madrid hat der Fall der Falken begonnen (...) Nur zur Hilfe ein altes Lied. Es heißt L'Èstaca." Galt es früher, gegen Franco anzukämpfen, so waren es nun also die Falken, sprich die US-Regierung von der man sich befreien wollte. Aber zog man da letztendlich nicht am selben Strang wie die Attentäter? Machte man nicht gemeinsame Sache mit al-Qaida?

Sehen wir uns den Argumentationsgang also noch einmal genauer an:

1.) Der Krieg gegen den Irak ist ein Krieg blutiger Imperialisten. Von Saddam Hussein ist grundsätzlich nicht die Rede. Das irakische Volk, das stets als ein homogenes Ganzes gesehen wird, wird von den westlichen Besatzern unterdrückt und hat das Recht auf Widerstand. Als Grundvoraussetzung geht hierbei auch der in der spanischen Linken tief verwurzelte Antiamerikanismus mit ein, der allerdings ganz andere Ursachen hat als der Antiamerikanismus der deutschen Linken. Auf jeden Fall jedoch ist die Verteilung von Gut und Böse klar.

2.) Die spanische Regierung nimmt am Krieg gegen den Irak Teil und stellt sich somit auf Seiten der Bösen. Jedoch erwiesenermaßen gegen den Willen einer großen Mehrheit der spanischen Bevölkerung.

3.) Die Attentate in Madrid. Dass dies eine böse Handlung ist, ist offensichtlich, da das Blutbad vor der eigenen Haustüre stattfindet. Und, Achtung, jetzt kommt der Kunstgriff. Ein Zusammenhang mit dem so genannten Widerstand der Unterdrückten im Irak wird per definitionem ausgeschlossen. In Bagdad verursachen US-Amerikaner ein Blutbad. In Madrid wird auch ein Blutbad verursacht. Also sind beide Städte im gleichen Schmerz vereint sowie, das wird suggeriert, Opfer desselben Täters. Und statt sich mit Israelis zu solidarisieren, was eigentlich sehr naheliegend wäre, da auch in israelischen Städten häufig Fahrgäste öffentlicher Verkehrsmittel wahllos durch Bomben ermordet werden, solidarisiert man sich lieber mit den Palästinensern.

Zugegeben, die eben gehörten Tonbeispiele stammen aus der Zeit unmittelbar nach den Anschlägen. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen. Doch ein differenzierteres Denken und Argumentieren hat immer noch nicht Einzug gehalten. Ganz im Gegenteil, die Antikriegsbewegung solidarisiert sich in nach wie vor unkritischer Weise mit dem so genannten irakischen Widerstand. Und das obwohl sich Verbindungen zwischen den Anschlägen von Madrid und dem so genannten irakischen Widerstands heute nicht mehr von der Hand weisen lassen. So freute sich etwa die Irakische Patriotische Allianz auf ihrer Homepage, schon mehrere Staaten zum Truppenabzug aus dem Irak bewegt zu haben - unter anderem auch Spanien. Zusammenhänge mit den Madrider Attentaten? I wo! Distanzierungen von Seiten der Linken? Fehlanzeige!

Dieses Jahr wird zum dritten Jahrestag des Kriegsbeginns ein großes Solidariätskonzert für den Irak veranstaltet werden. Dabei sollte inzwischen eigentlich allen klar sein, dass es DEN Irak nicht gibt. Mit welcher der vielen politischen und religiösen Strömungen im Irak sich das Konzert solidarisiert, ist nicht klar. Auch ob man sich einen demokratischen Irak mit einer emanzipierten Gesellschaft wünscht oder einen fundamentalistischen, religiösen Staat, bleibt offen. Gefordert wird lediglich ein Ende der Besatzung. Und linke Bands mit antiamerikanischen Liedern gibt es ja wie Sand am Meer.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich möchte weder den Irakkrieg gutheißen, noch die Bush-Regierung oder die spanische Teilnahme am Irakkrieg. Keinesfalls möchte ich Tote gegeneinander aufrechnen. Und Patentlösungen habe ich schon gar nicht zu bieten.
Ich wende mich lediglich gegen das festgefahrene, unkritische Schwarz-Weiß-Denken in überkommenen Kategorien, bei dem das Ergebnis bereits vor Beginn der Analyse feststeht. Und mich stören so weit verbreitete Vorurteile wie der Antiamerikanismus und der so genannte Antizionismus, der in der spanischen Linken ebenfalls tief verwurzelt ist. Aber das wäre einen eigenen Beitrag wert.



Kommentare
10.06.2006 / 20:44 RDL, Radio Dreyeckland, Freiburg
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