"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Katarrh Katarrh

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In einem gebe ich dem ehemaligen FIFA-Generalsekretär Sepp Blatter recht: Der Fußball hat sich in den letzten zwanzig Jahren etabliert als eine Sprache, die alle verstehen, auf allen Kontinenten und tatsächlich unabhängig von Glaube und Hautfarbe. Auch auf dem Fußballplatz werden verschiedene üble Befälle des Denkens eliminiert, insbesondere eben im Zusammenhang mit Rasse und Religion.
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11:38 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 23.11.2022 / 23:05

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 23.11.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In einem gebe ich dem ehemaligen FIFA-Generalsekretär Sepp Blatter recht: Der Fußball hat sich in den letzten zwanzig Jahren etabliert als eine Sprache, die alle verstehen, auf allen Kontinenten und tatsächlich unabhängig von Glaube und Hautfarbe. Auch auf dem Fußballplatz werden verschiedene üble Befälle des Denkens eliminiert, insbesondere eben im Zusammenhang mit Rasse und Religion.
Es gibt nach wie vor gewisse Widerstandsnester, bekannt sind die Fanclubs in Italien, möglicherweise auch in Sachsen, da kenne ich mich weniger aus. Aber die weltbesten Fußballspieler sind nun mal nicht alle rein arisch oder italienisch, und sowieso setzt sich am Schluss eine Mischung aus guten Fußballer:innen und dem besten System durch. Und weil dies so ist, waren auch Anlässe wie die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika vor zwölf Jahren echte Meilensteine in der Entwicklung des globalen Verständnisses, am ehesten wohl für die Afrikaner:innen und unter ihnen die Südafrikaner:innen selber; in Sachen Korruption hat es ihnen nichts genutzt, aber sie tragen jetzt doch irgendwo im Kopf das Bewusstsein mit sich herum, dies auch zu können, nämlich Fußball spielen und einen solchen Anlass organisieren. Auf dieser Ebene besitzt der Fußball echt ein verbindendes Element, und dieses ist es auch, welches es der FIFA erlaubt, derart massiv Kohle zu machen auf allen möglichen Ebenen.

Das Duodezfürstentum Katarrh versucht seit einiger Zeit, das globale und völkerverbindende Element des Fußballs für seine Eigenreklame zu nutzen. Kohle besitzt Katarrh in rauen Mengen und setzt sie auch großzügig ein für diese Sorte der indirekten PR, nicht erst seit der Investition von 200 Milliarden Dollar in Fußballstadien, sondern schon zuvor mit dem Erwerb verschiedener Vereine des europäischen Klubfußballs, was die entsprechenden Buchhaltungen völlig aus der Bahn geworfen hat, wie man bei Barcelona und Real Madrid sieht. Der Fußball ist für Katarrh ungefähr das, was die Raumfahrt für andere Präpotenzen wie Elon Musk und Jeff Bezos ist beziehungsweise war; ich gehe davon aus, dass diese beiden Lotterie-Billionäre nach dem Medienhype um ihre exzentrischen Exkurse in die Thermosphäre das Interesse am Thema wieder verloren haben, abgesehen davon, dass offenbar auch die wirtschaftliche beziehungsweise börsentechnische Entwicklung ihrer Unternehmen solche Späßchen im Moment in den Hintergrund treten lässt.

Davon abgesehen verfügt Fußball PR-technisch über eine deutlich größere Tiefe in der Reichweite, im Gegensatz zu den Spektakeln von Musk und Bezos, welche eben schon für Reichweite, aber mit der Reichweite auch vor allem für Kopfschütteln sorgen. Fußball sieht da ganz anders aus. Das hat sich zum Beispiel der türkische Erdopampel zunutze gemacht, als er den deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil für die türkische Propaganda kaufte. So etwas zieht, auch wenn es ebenfalls mit Kopfschütteln begleitet wird. Ich bin versucht zu sagen, dass Mesut Özil halt nun als Propagandaschwengel in der Glocke des Erdopimpels bimmelt, und ich bitte für diesen Scherz ohne Niveau auch gleich um Verzeihung.

Sprechen wir von etwas anderem. Am Sonntag lief ein Ultimatum der wichtigsten Kakao produzierenden Länder Ghana und Elfenbeinküste an die Abnehmer:innen, also vor allem an die internationale Schokoladenindustrie aus, ihre Preiskonditionen anzunehmen. Im Moment bezahlt man an den Warenterminbörsen knapp 2400 Dollar, das sind 200 Dollar weniger als die Forderung aus dem Jahr 2019 von 2600 Dollar. Damals wollten die Produzent:innen noch zusätzlich 400 Dollar pro Tonne haben, die direkt an die Bauern weitergegeben worden wären. Ich weiß nicht, wie die aktuellen Verhandlungen ausgehen; ich weiß nur, dass rund um den Kakaoanbau verschiedene Probleme hängig sind, zum Beispiel weil es zuviele Kleinproduzenten gibt, nämlich in Ghana und in der Elfenbeinküste insgesamt 2 Millionen Stück, weil diese auch in Naturschutzgebiete vor­dringen, aber auch wegen des häufigen Einsatzes von Kindern für die Erntearbeit; im Jahr 2013 sollen von den in der Anbauregion lebenden 6 Millionen Kindern rund 2.2 Millionen bei der Kakao­gewinnung eingesetzt worden sein. Im Jahr 2010 gab es eine Vereinbarung mit den produ­zier­enden Ländern, wonach die Kinderarbeit bis im Jahr 2020 um 70 Prozent reduziert werden sollte; drei Jahre später, also eben 2013, hatte ihre Anzahl stattdessen um 20 Prozent zugenommen. Wie der Stand heute ist, weiß ich nicht. Es würde mich überraschen, wenn das vereinbarte Ziel erreicht worden wäre.
Dafür beginnen am Mittwoch in Nairobi die Friedensgespräche zur Beruhigung der Lage im Ost­kongo, im Norden von Goma, wo die M23-Rebellen wieder in alter Blüte gegen die Regie­rungs­trup­pen kämpfen. Der Kongo beschuldigt Ruanda, diese Rebellentruppe zu unterstützen, was Ruanda vehement bestreitet; es geht im Osten des Kongos aus wirtschaftlicher Sicht vor allem um Bodenschätze, auf welche auch Kenya ein Auge geworfen hat, das darauf hofft, diese Bodenschätze in Zusammenarbeit mit der Regierung Thisekedi auszubeuten. Dementsprechend stationiert Kenya auch 600 Militärpersonen im Rahmen der Friedenstruppen der Afrikanischen Organisation in Goma; ob sie allerdings direkt in die Auseinandersetzungen eingreifen, ist noch nicht klar. Was die Finanzierung angeht, nennt die Zeitung Le Monde die Equity Group, das größte Finanzunternehmen Ostafrikas, welches im Kongo die ProCrédit Bank und die Banque commerciale du Congo gekauft hat und damit zum größten Anbieter von Finanzdienstleistungen im Kongo geworden ist. Die staatliche Kenya Commercial Bank übernahm im letzten August 85% der Aktien der Trust Merchant Bank, die besonders im Bergbausektor in der Provinz Katanga im Kongo aktiv ist.

Sodann ist die soundsovielte Klimakonferenz in Ägypten zu Ende gegangen. Ich bin versucht, dieser Meldung einen ähnlichen Stellenwert beizumessen wie jener, dass der serbische Präsident Vucic wieder irgendetwas zu irgendeinem Thema gesagt hat. Dabei ist es ja nicht so, dass überhaupt nichts geschieht, man braucht sich bloß die Werbespots der deutschen Automobil­hersteller anzuschauen, welche mit ihren Elektrofahrzeugen prahlen und damit zwar davon ablenken, wie viele Autos mit Verbrennungsmotoren sie nach wie vor produzieren und verkaufen, aber eben trotzdem unterdessen absolut fahrtüchtige Vehikel im Angebot haben, die nicht mal mehr unglaublich viel teurer sind als die anderen. Nur als Beispiel. Wenn ein, wie auch immer gearteter und aus welchen Quellen auch immer gespiesener Wille vorhanden ist, dann gelingt auch der Umbau der Industrie zu einer, mindestens weniger CO2 ausstoßenden Industrie. Vielleicht geht dies zulasten von anderen Komponenten, die man dann auch noch identifizieren und kritisieren wird, was weiß ich, Batterien oder so, aber immerhin, es geht. Es geht im Prinzip auf die gleiche Art und Weise, wie sich Musk und Bezos und Konsorten in den Weltraum schießen lassen oder wie Katarrh eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtet. Unterdessen sind wir ja richtig gespannt darauf, wann Katarrh dem internationalen Skiverband ein Angebot zur Durchführung der Winter-Olympiade vorlegen wird und hier vor allem darauf, wie sie die Abfahrtsstrecken für Frauen und Männer anlegen werden, denn da müssen doch Höhendifferenzen von bis zu 1000 Metern hergestellt werden; mit seinen 103 Metern über Meer ist der Tuwayyir al Hamir da noch nicht so richtig wettbewerbsfähig. Aber mit ein paar weiteren hundert Milliarden kann das geschafft werden, sogar mit schönem Granit aus, sagen wir mal einem Steinbruch in Papua-Neuguinea, damit wir auch hier der Welt zeigen, dass man mit Geld wirklich die überflüssigsten Dinge anstellen kann.

Bloß für die notwendigsten scheint nicht genügend Geld vorhanden zu sein, zum Beispiel für minimale Erhöhungen der Sozialhilfe in Deutschland oder gar für ein voll ausgebautes Bürger:innen-Geld. In Katarrh ist übrigens ein Bürger:innen-Geld mehr oder weniger eine Realität; nämlich haben alle auf die eine oder andere Art eine Beschäftigung oder auf jeden Fall genügend Geld zur Verfügung, bloß die tatsächlich arbeitenden Klassen im Land erhalten keines, weil sie nämlich keine Bürger:innen sind und auch keine Aussicht darauf haben, es je zu werden. Katarrh ist ein Bilderbuchmodell für die europäischen Rechtsextremisten. Besonders lustig sieht die Bevölkerungspyramide aus. In den Altersklassen zwischen 25 und 45 Jahren gibt es dort riesigen Ausschläge bei der männlichen Wohnbevölkerung mit gut 1.2 Millionen Personen in diesem Land, wo die Menschen mit Bürgerrecht gerade mal 300'000 ausmachen. Nun sind das ja nicht alles Arbeitssklaven, die in fauligen Erdlöchern gehalten werden und nur mit hartem Brot und Salzwasser ernährt werden; solche Existenzen sind in der Regel zu faul zum arbeiten, will sagen: zu schwach. Sie haben bloß keine Rechte und werden bei Nichtverwendung umstandslos abgeschoben. Aber das kennen wir in der Schweiz natürlich sehr genau; hier gab es bis in die 1960-er Jahre ein sogenanntes Saisonnier-Statut, welches die Arbeitsmigrant:innen, vor allem aus Italien, in genau dem selben Rechtslosigkeits-Status hielt wie jetzt die Wanderarbeiter:innen in Katarrh.
Wie auch immer: Katarrh wie auch Bezos und Musk und viele andere mehr zeigen auf ein­drück­liche Art und Weise, dass Geld in Hülle und Fülle vorhanden wäre, um die Lebensbedingungen für einen gewaltigen Teil der Menschheit sehr angenehm und frei von Schikanen einzurichten. Sogar, wenn sie dafür noch ein bisschen etwas arbeiten müssten! In letzter Zeit hat sich der Charakter der Arbeit sowieso weitgehend verändert. Da können wir völlig neue Diskussionen lostreten. Lustiger­weise entstehen auch immer wieder neue Arbeitsplätze, und zwar nicht nur in den bekannten Sek­toren, sondern auch aus den völlig neuen Verfahren, die aus der immer verrückteren Digitalisierung entstehen. Mindestens zu Beginn solcher technologischer Revolutionen ereignet sich nämlich keines­wegs der prognostizierte Wegfall von gewaltigen Brocken der Arbeit beziehungsweise der Stellen in Industrie und Dienstleistungen, sondern das Gegenteil. Das war schon so bei der Einführung der Informatik, und jetzt, eben im Rahmen der kompletten Digitalisierung, sieht es wieder genau so aus. Gleichzeitig ist der Wert der Waren auf den Nullpunkt gesunken, weil alles vollautomatisiert produziert werden kann; und so erklärt sich denn wohl die Geburt jenes Kapital- und Gelduniversums, aus welchem Typen wie Jeff Bezos und Elon Musk ihr Vermögen schöpfen, während die Erdölmagnat:innen und ihre entsprechenden Fürstentümer den Reichtum auf der Grundlage der nach wie vor real existierenden und nicht automatisierten Energieträger errichten, das geht natürlich auch, und die beiden Bereiche vertragen sich offenbar ganz ausgezeichnet.
Irgendwie, vielleicht ähnlich wie in der Klimafrage, wird die Welt einen Weg finden, um den tatsächlichen Reichtum an Waren und Optionen mit der Zeit etwas gerechter zu verteilen. Mindestens in den entwickelten Ländern ist man mit dem Mittel des sozialdemokratischen Staates schon recht weit gekommen auf diesem Weg. Umso verwirrender sind Nachrichten wie jene von Unicef Frankreich, wonach 21% der Kinder in Frankreich unterhalb der Armutsgrenze leben würden. Ich erlaube mir, diese Nachricht als Propaganda abzutun. Sie erinnert mich an einen Bericht eines Soziologieprofessors, der vor über zehn Jahren behauptete, dass ein sechstel der Schweizer Bevölkerung von Armut gefährdet sei. Das ist Nonsense. Die Wahrheit ist, dass sicher ein Fünftel nicht nur der Kinder, sondern auch der Erwachsenen in Frankreich mehr Geld gut gebrauchen könnten, und damit meine ich nicht für den Erwerb von Luxusgütern, sondern zur Verbesserung von eben sehr suboptimalen Lebensbedingungen. Warum man so etwas nicht an die Hand nimmt, wo man doch eben gerade den sozialdemokratischen Staat als entsprechendes Instrument zur Hand hat, das bleibt mir verborgen.

Kommentare
25.11.2022 / 17:59 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 25.11.. Vielen Dank !