"Welchen Eindruck bekommt da der Bürger?"

ID 119059
 
AnhörenDownload
Ein Abschiedsgruß für den scheidenden Frank Plasberg

Kein Zweifel, mit Frank Plasberg ist nun ein Schwergewicht der Meinungsbildung aus der medialen Öffentlichkeit abgetreten, einer, der sich schon intellektuell fühlt, wenn er "eine Binse" sagt. Sein Sendungstitel verrät eigentlich schon alles wesentliche über den Anspruch der Show: "Hart aber fair", hart rivalisierend mit "Jetzt red' I" aus Bayern. Das klingt nicht nur nach Wutbürgerei, das tendiert auch wirklich dahin. Wenn Plasberg das Wort "wir" im Munde führte, konnte man sicher sein, daß die Deutschen gemeint sind. Das Moderationspult als Stammtisch. Ganz nach dem unnachahmlichen Motto der Show, "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft".

Dauer: 8 Minuten

_
Audio
07:53 min, 5551 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 02.12.2022 / 23:53

Dateizugriffe: 927

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Redaktion Sachzwang FM
Radio: Querfunk, Karlsruhe im www
Produktionsdatum: 15.11.2022
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wo der Plasberg den Most holt

Die Zeiten, als der Westdeutsche Rundfunk unter Konservativen als "Rotfunk" verschrien war, sind wahrscheinlich längst vorbei. Nicht nur hat die ungute Konkurrenz privater Bespaßungs- und Hirnerweichungsangebote den öffentlich-rechtlichen Bildungsanspruch nachhaltig beschädigt, der Journalismus überhaupt – ja das Konzept kritischer Öffentlichkeit an sich – ist in einer tiefen Krise, nach über 30 Jahre Privatsendern und einem Vierteljahrhundert Internet. Und dann wundern sich die Restbestände medialer Öffentlichkeit, warum gefühlte Wahrheiten, populistische Hetze und rechte Stimmungsmache seit Jahren im Aufwind sind und die Welt so aussieht, wie sie aussieht.

Nun kann man sich mit Fug und Recht fragen, welchen intellektuellen Mehrwert es haben soll, sich Talkshows im Fernsehen anzuschauen. Das politische Spektrum der dort vertretenen Streiter, Meinungen und Ansichten ist nicht besonders interessant, sondern limitiert auf linksliberal bis rechtsliberal. Nationalkonservative und rechtsradikale Protagonisten hält man – nach einer bemerkenswerten Eingemeindungskampagne imzuge der Anfangserfolge der Partei AfD – besser außen vor, wissend, daß deren unwiderstehliche Affekt- und Korrumpierungsangebote dem gemeinen Bürger plausibler erscheinen als Denkangebote von Linksradikalen, die aber gleichwohl draußen bleiben müssen – aus einem abstrakten Symmetriegebot vermutlich. Dementsprechend dünn und wenig kontrovers sind zumeist die dort inszenierten Kontroversen. Warum also sollte man mit sowas seine Zeit verplempern? Nun, der kritische Geist ist gut beraten, sich nicht nur nachrichten-, informations-, faktenmäßig auf dem Laufenden zu halten – sondern auch für das zu interessieren, was in der öffentlichen Debatte für plausibel oder auch nur diskutabel gehalten wird. Ideologische Verschiebungen dessen, was gedacht und gesagt wird, sind nicht weniger zur Kenntnis zu nehmen als wirtschaftlich-politische Folgen dessen, was getan wird.
Und ein nicht unwesentlicher Aspekt dessen, was öffentliche Meinung genannt werden darf, sind wohl die Einlassungen derer, die in politische Talkshows eingeladen werden und sich dort ausbreiten. Talkshows von ModeratorInnen, deren unwichtige Vornamen genauso wichtig zu sein scheinen wie ihre Nachnamen, als Bestandteil eines Markenlogos nämlich. Und so heißen die notorischen Namen der Talk-Gastgeber wie ihre Shows auch: Maischberger, Maybrit Illner oder Markus Lanz. Man kann und will das ja gar nicht alles gucken, es käme höchstens einem allabendlichen Zerstreuungsbedürfnis entgegen. Und so kapriziert man sich auf die wirklichen Koryphäen der Talk- und Moderationskunst, auf solche, denen geradewegs ein meinungsbildender Stellenwert zugestanden wird, als wäre es Staatsfernsehen. Und da ist vor allem der sonntägliche Komplex Christiansen / Jauch / Will zu nennen, und die nun scheidende, montägliche Dauerwurst Plasberg. Sein Sendungstitel sagt eigentlich schon alles wesentliche über den Anspruch der Show: "Hart aber fair", hart rivalisierend mit "Jetzt red' I" aus Bayern. Das klingt nicht nur nach Wutbürgerei, das tendiert auch wirklich dahin.
Über Jahre konnte man zusehen, wem er das Wort abschneidet und wem nicht. Wen er geduldig ausreden läßt und wen nicht. Wem er nämlich mit der Verve dessen, der das Volk hinter sich weiß, in die Parade fährt und ("Entschuldigung!") ins Wort fällt – weltfremde Intellektuelle – und wem seine ungeteilte Aufmerksamkeit und Fairneß gilt – "hart arbeitenden" Leistungsträgern, Managern und Entscheidern.

Vom praktischen Sachverstande

Geradezu obsessiv nahm er beispielsweise immer und immer wieder "das Lastenfahrrad" oder die "fünftausend Helme" aufs Korn, als Chiffre für weltfremde Spinner und Weltverbesserer, als Beleg dafür, wie kleinkariert, realitätsfern und bürgerfern "die Politik" sei, das Moderationspult als Stammtisch. Ganz nach dem unnachahmlichen Motto der Show, "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft". So als wären "die Politiker" spleenige Fadenzieher irgendeiner formal-abstrakten Mathematik, die noch nicht im echten Leben angekommen seien und erst von Frank Plasberg einen Lehrgang erteilt bekommen müßten. Ein "hart arbeitender" Mann aus der sogenannten Realwirtschaft (Landwirt, Manager, Transportarbeiter, alleinerziehende Putzkraft) ist sofort einer von uns, ein Büro-Sachbearbeiter, Wissenschaftler oder Politiker aber jemand, der erst noch "auf Wirklichkeit treffen" muß, ganz hart aber fair, mit der Hilfe des Populisten natürlich. Der kaum verhüllte Argwohn, das Vorführen von Parasiten, die erst auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden müssen, bedient ein antisemitisches Weltbild, das sich – wenn auch nicht offen – einer ungebrochenen Kontinuität erfreut. "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft."
Wer auf einer vielbefahrenen Landstraße (wie z.B. der B252) zig Kilometer durch Natur und Dörfer reist, um einen weiten Umweg über Autobahnen zu vermeiden, dem werden hin und wieder selbstbemalte Bettlaken und Schilder auffallen wie "Umgehungsstraße jetzt!" oder eben, bezeichnenderweise, "Die Politiker müßten hier wohnen!" Derart freimütig sich bekennendes Urteilsunvermögen schaffte es schon vor social-media-Zeiten nie und nimmer in die Medien, vielleicht mit Ausnahme der Bild-Zeitung. Oder eben "hart aber fair" mit Plasberg. Wenn er das Wort "wir" im Munde führte, konnte man sicher sein, daß die Deutschen gemeint sind. Unvergessen der Moment, als sich imzuge der Diskussion um die klobigen Geländelimousinen und Zivilpanzer namens SUV "auf unseren Straßen" der Moderator dazu bekannte, auch ein solches Modell zu fahren, "und kein kleines".

Kein Zweifel, mit Frank Plasberg ist nun ein Schwergewicht der Meinungsbildung aus der medialen Öffentlichkeit abgetreten, einer, der sich schon intellektuell fühlt, wenn er "eine Binse" sagt. War es nicht der stramme Volkstribun, der mit seinem verklemmten Habitus und Habichtsgesicht das Wort "Faktencheck" in den deutschen Sprachgebrauch einbrachte? Man weiß es schon nicht mehr, ist schon so lange her.
Zum Schluß, zum Abschied wird noch einmal geplasbergt, was das Zeug hält. Ein Phrasen-Bingo, hart aber unfair:

"steht Spitz auf Knopf" ... "auf Kante genäht" ... "in den Senkel gestellt" ... Plasberg weiß, "wo der Bartel den Most holt" ... "nicht mit der Gießkanne" ... "mit der Bazooka" ... "unsere Politiker" ... "Welchen Eindruck bekommt der Bürger, wenn" ... "Die Einschläge kommen näher" ... "Die Kuh ist vom Eis" ... "Elefant steht im Raum" ... "Und ja," ... "Da bin ich ganz bei Ihnen" ... "Wahr ist aber auch," ... "Wie fühlt sich das an?" ... "Was macht das mit uns?"

Man möchte ihm das Buch "Erwachsenensprache" in die Hand drücken.

Kommentare
05.12.2022 / 18:02 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 5.12.. Vielen Dank !
 
05.12.2022 / 18:49 coloRadio, coloRadio, Dresden
gesendet im Montagsmagazin
Es war ein Fest!
 
06.12.2022 / 19:04 Valentina & Dave, Radio Dreyeckland, Freiburg
Gelaufen in Focus Kultur bei Radio Dreyeckland am 6.12.22
vielen Dank!