"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Verschiedenes zum Jahresbeginn

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In der Schweiz gehen Regierungswechsel etwas weniger spektakulär vonstatten als in anderen Ländern. Wenn sich eine Ministerin zurückzieht, wird ihre Nachfolgerin gewählt, in der Regel aus einem Zweier- oder Dreiervorschlag, welchen die entsprechende Partei dem Parlament unterbreitet.
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10:21 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.01.2023 / 14:39

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.01.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In der Schweiz gehen Regierungswechsel etwas weniger spektakulär vonstatten als in anderen Ländern. Wenn sich eine Ministerin zurückzieht, wird ihre Nachfolgerin gewählt, in der Regel aus einem Zweier- oder Dreiervorschlag, welchen die entsprechende Partei dem Parlament unterbreitet. Im Dezember war es wieder mal soweit; die sozialdemokratische Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte ihre Demission eingereicht, weil ihr Mann, der Schriftsteller Lukas Hartmann, schwer erkrankt war und sie ihre Prioritäten neu ordnen wollte. Gleichzeitig hatte auch der Rechtsnationalist Ulrich Maurer von der rechtsnationalistischen Schweizer Volkspartei seinen Rücktritt angekündigt, da er sein Verfallsdatum nahen spürte. Als Nachfolgerinnen gewählt wurden für Simonetta Sommaruga die Jurassierin Baume-Schneider und für Maurer der ehemalige Parteipräsident Albert Rösti, jawoll, Rösti wie das Schweizer Kartoffel-Nationalgericht. Anschließend wurden die Departemente zum Teil neu zugeteilt; Baume-Schneider erhielt das Justiz- und Polizeidepartement, und Albert Rösti übernahm das Departement für Umwelt, Verkehr und Energie von Simonetta Sommaruga und ist nun unter anderem zuständig für die Umsetzung aller Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz beziehungsweise der Erderwärmung. Amtsantritt 1. Januar 2023.

Am 1. Januar 2023 war es in Basel knapp 20 Grad warm. Albert Rösti war vor seiner Wahl in den Bundesrat Präsident von Swissoil gewesen, dem Dachverband der Schweizer Brennstoffhändler, und zwar bis im Mai letzten Jahres, als er zur Vereinigung der Schweizer Automobil-Importeure «Auto Schweiz» wechselte. Er ist also ein Spezialist in Sachen CO2-Ausstoß aus fossilen Brennstoffen. Man kann sich seinen Tatendrang in Sachen Klimaschutz bildlich vorstellen. Zum Teil laufen noch Referenden und Initiativen gegen entsprechende Gesetzesvorhaben des Bundes, die er selber lanciert hatte beziehungsweise wo er im Referendums- oder Initiativkomitee sitzt und die er jetzt als Departementsvorsteher bekämpfen sollte. Verkehrsminister ist er auch noch;wer mag, kann ihn mit dem FDP-Minister Wissing in Deutschland vergleichen, dessen Tatendrang zur Verbesserung des öffentlichen Verkehrs unterdessen ebenfalls legendär ist. Man würde gerne sagen, er sei noch schlechter als sein Vorgänger, aber den Doktor Andreas Scheuer diesbezüglich zu unterbieten, wird in diesem Jahrhundert kein Mensch mehr schaffen. Scheuers Versäumnisse fallen allen Betroffenen jeden Tag immer schwerer auf die Füße. Wissings Verdienst ist es bloß, dass er nichts unternimmt, um dagegen anzukämpfen. Das ist auch nicht schlecht, aber es reicht nicht für die Spitzenposition.

Also sind wir nicht gespannt auf die absehbaren Leistungen von Ölbert Rösti im Kampf nicht gegen, sondern für die Klimaerwärmung, sondern wir sind gespannt, ob sich diese Wahl im Herbst auszahlen wird. Auch in der Schweiz ist 2023 ein Wahljahr, und man müsste meinen, dass der Fall Rösti eine Steilvorlage für die Grünen und die Roten ist. Bisher hat man noch nichts gehört, aber es ist auch noch früh, abgesehen davon, dass man den Gewählten im neuen Amt immer auch die Möglichkeit offen lassen muss, dass sie ihre Meinungen um 180 Grad wenden. In der Politik ist so etwas möglich, auch bei Figuren, die nicht geradeaus Trump heißen. Aber besonders wahrscheinlich ist es nicht.

Auch die andere bürgerliche Partei, die FDP, welche in der Schweiz ungefähr der CDU entspricht, verfügt seit einiger Zeit über einen klassischen Rechtsaußen als Präsidenten. Thierry Burkhart zeichnet sich durch verschiedene kreative Vorstöße aus, unter anderem durch die Abschaffung von Strafen für das Rechtsüberholen auf Autobahnen. Er setzt sich ein für den allgemeinen Ausbau dieser Autobahnen auf sechs Spuren und ist entsprechend Zentralpräsident des schweizerischen Nutzfahrzeugverbandes ASTAG, der bis zu seiner Wahl von einem SVP-ler geführt wurde. Es gibt innerhalb der FDP wie überall verschiedene Richtungen; im Moment hat sich die rechtskonser­vative Tendenz mit krass klimafeindlichen Tendenzen durchgesetzt, sodass diese Partei eigentlich auch für die meisten Parteimitglieder schlicht nicht mehr wählbar ist. Man wird sehen, wie die Sensibilitäten der eingeborenen Stimmbevölkerung im Herbst aussehen werden. Im Moment hat man grad den Eindruck, dass diese Bevölkerung von den permanenten Bestätigungen der schlimmsten Prognosen derart kirre geschossen worden ist, dass sie sich darum gar nicht mehr kümmern mag und sich am besten vertreten fühlt von den Vollidioten, welche die ganze Lage überhaupt zu verantworten haben. Wie gesagt: Man wird es sehen.

In Lützenrath räumt Robert Habeck gerade das Lager der Besetzerinnen ab, die gegen die Fort­setzung des Braunkohle-Abbaus protestiert haben. Irgendetwas wird gemunkelt von vorteilhaften Verträgen, die man mit der Elektrizitätsgesellschaft RWE abgeschlossen habe, die einen Teil ihrer Kraftwerke mit dieser Kohle befeuert. Mag sein. Jedenfalls wirkt es immer seltsam, wenn ausgerechnet grüne Minister:innen gegen Klimaschützer:innen vorgehen. Nicht, dass es nicht auch anderen Parteien passieren würde, dass sie in der Praxis gegen ihre Grundsätze verstoßen; die Sozialdemokratie hat darin reiche Erfahrung, aber auch Angela Merkel wurde, je länger ihre Amtszeit dauerte, desto öfter angepöbelt, weil sie keine reinrassige, also einseitige Wirtschafts­politik im Sinne der FDP-Grundsätze betrieb, sondern immer klarer eine eindeutig sozial­demo­kratische Politik des Ausgleichs, einschließlich gesetzlicher Mindestlöhne und solchen Karsumpels. Sie wurde auch wegen anderer Dinge angepöbelt, aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass ein Fall Lützenrath unter Angela Merkel anders angegangen worden wäre.

In Brasilien haben die Anhänger:innen des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro das Regierungs­viertel in der Hauptstadt Brasilia gestürmt, mehr oder weniger rechtzeitig zum zweiten Jahrestag des Sturms auf den Capitol Hill in Washington durch Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump. Hier wiederholt sich die Geschichte nicht als Farce einer Farce. Die Geistes­ver­wandt­schaft der beiden Präsident gewordenen Fernsehstars bestätigt sich bis ins letzte Detail. Übrigens kommt mir bei dieser Gelegenheit in Erinnerung, dass Donald Trump in seinem letzten Amtsjahr nicht nur das Malaria-Medikament Hydroxicholozin als Corona-Prävention in den Himmel lobte, sondern die von seiner Administration erworbenen Bestände, das heißt die zwei Millionen noch nicht verabreichten Dosen nach Brasilien abtransportieren ließ, als sich auch in der Regierung Trump nicht mehr bestreiten ließ, dass das Zeuchs untauglich war. In Brasilien aber nahm es der amtierende Präsident Bolsonaro mit dem Ausdruck größter Dankbarkeit an und verteilte das Malaria-Mittel großzügig an seine Bevölkerung, was diese mit einer vergleichbar hohen Zahl an Corona-Toten verdankte wie in den USA. Und wenn wir gerade davon sprechen, kommt mir auch noch in den Sinn, dass ein lautstarker Teil der Corona-Verschwörer:innen vor zwei Jahren ankündigten, dass binnen zweier Jahre alle Geimpften an den Folgen der Impfung sterben würden. Nicht, dass so etwas eine besondere Relevanz hätte, aber die Frage stellt sich doch, was solche Narren nun tun, wo sich die Prognose als felsenfest falsch erwiesen hat. Ich tippe mal auf großflächige Verdrängung. Man kann ja die eigene Narretei auch mit anderen Narrenstücken nähren.

Ebenfalls erwähnen möchte ich zu Jahresbeginn, dass mir von der MSN-Homepage schon wieder der bedauernswerte ehemalige Moderator von zweitklassigen TV-Sendungen Hans Meiser zuwinkt mit dem Versprechen des baldigen Börsencrashes und einer todsicheren Medizin dagegen, wie üblich aus dem GeVestor-Verlag oder aus sonst einem Erzeugnis aus dem Haus von Norman Rentrop. Diesen verbindet mit Jair Bolsonaro die evangelikale Bibeltreue; ob er sich dagegen ebenfalls mit Hydroxicholozin gegen Corona hat impfen lassen, entzieht sich meiner Kenntnis. Dass dagegen die Börsenbriefe seines GeVestor-Verlags und die permanent neu aufgelegten Szenarien von Wirtschafts-, Börsen- und Weltuntergang eine Quelle überirdischer Abzocke sind, darin sind sich die relevanten Medien und unter anderem Bezieher:innen dieser Börsenbriefe, die dafür tausend Euro und mehr pro Jahr gelöhnt haben, einig.

Sodann hat sich der britische Premierminister Sunak entschieden, lieber das Streikrecht einzu­schränken als die Finanzierung des Gesundheitswesens zu sichern. Vielleicht ist es doch gut, dass die Engländer:innen aus der EU ausgetreten sind, sonst könnten solche neuen Varianten der alten Thatcher-Viren noch auf den Kontinent herüber schwappen. Wer weiß, möglicherweise wäre Hyroxicholozin gegen diese bösartige Erkrankung wirksam? Ich bin auch hier gespannt, ob sich solche Steilvorlagen für die Labor-Party bei den Wahlen auszahlen werden. Der offizielle Termin ist zwar meines Wissens erst in zwei Jahren, aber wenn die Tories so weitermachen wie bisher, wird von ihnen nicht mehr viel übrig bleiben.

Kroatien hat den Euro eingeführt mit den üblichen Konsequenzen, nämlich einem markanten Anstieg der Preise; das kennen wir auch aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Italien, während es damals bei der Einführung in Deutschland gelungen ist, die Preise vorübergehend sogar zu senken und Deutschland zu einem Billiglohnland zu machen. Das ist über zwanzig Jahre her, die Dinge sind nicht mehr wie früher, und bekanntlich waren sie ja auch schon früher nicht so wie früher, mit diesem Paradox haben wir zu leben gelernt. Dagegen steigt die Spannung in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen der Währungsumstellung. Wirtschaftliche Integration gilt auf allen Stufen als förderlich für alle Beteiligten; die Einführung des Euro stellt zweifellos einen erstklassigen Integrationsschritt dar, und so müssten sich irgendwann mal positive Auswirkungen zeigen. Was Italien angeht, so ist man sich allerdings nach wie vor nicht einig, ob die währungspolitische Entmachtung des Landes nicht letztlich negative Effekte hatte; im Moment saugt die Regierung die Milliardenkredite aus den EU-Hilfsfonds ab, aber im Bereich der strukturellen Entwicklung der Wirtschaft lassen sich keine eindeutig positiven Aussagen machen. Selbstverständlich sind verschiedene Sektoren und die Universitäten nach wie vor auf Augenhöhe mit dem Rest des entwickelten Europas; was aber die Fortschritte in der Tiefe des Landes angeht, so bleibt Skepsis angebracht. Kroatien hat im Vergleich mit Italien Rückstände, das bedeutet ein größeres Aufholpotenzial; insofern ist für die nächste Zukunft durchaus Optimismus am Platz.