"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Treibhausgase

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Letzte Woche hat sich herausgestellt, dass irgendeine Organisation, deren Geschäftsmodell im Kompensieren von CO2-Ausstößen besteht, anders gesagt im Handel mit CO2-Zertifikaten, die Menge der kompensierten Gase falsch berechnet hat....
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12:41 min, 23 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.03.2023 / 13:26

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Klassifizierung

tipo: Kommentar
lingua: deutsch
settore/i di redazione:
serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

autrici/autori: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
data di produzione: 07.03.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es handelt sich um die in der Schweiz domizilierte Firma South Pole, die als größter Anbieter von Klimaschutzprojekten gilt. Falsch, ja, und zum allgemeinen Erstaunen beziehungsweise eben nicht hat sie nicht mehr kompensiert als verrechnet, sondern selbst­ver­ständ­lich weniger. Statt der angekündigten und mit Gewissheit auch in Zertifikatsform gegossenen 40 Millionen Tonnen bei einem Projekt in Zimbabwe waren es nur 20 Millionen Tonnen. Die Geschäftsführung zeigte sich zerknirscht und entschuldigte sich; von der Annullierung der Weißwäscherzertifikate war nicht die Rede. Aber was sage ich da, letzte Woche hätte es sich herausgestellt: Genau dies wusste man von Anfang an, man wusste es seit der Gründung der ersten mir bekannten Kompensations- und Zertifikats­handels­firma myclimate, dass dieses Angebot zwar ausgesprochen marktagil ist und den Heroldinnen der freien Marktwirtschaft ideal ins Konzept passt, dass es aber an der tatsächlichen Umwelt­ver­schmut­zung und Klima­er­wär­mung keinen Deut ändert. Das stimmt wiederum nicht: Es ändert einen Deut insofern, als die Men­schen in den entwickelten Ländern dank diesen Zertifikaten einerseits nicht schuldbewusst, sondern völlig frei von Schuldgefühlen fliegen, autofahren, ölheizen und ander­wei­tig klimaerwärmen kön­nen, zum zweiten ändert es einen Deut für all jene Firmen, welche zum einen ihre Reduktions­vor­gaben über Bord werfen, weil sie angeblich im globalen Süden kom­pen­sieren, und weil sie zum anderen einen großen Klamauk anstellen können mit der Behauptung, sie seien klimaneutral. Ein schönes Beispiel: Der weltweit größte Zementproduzent und CO2-Ausstößer Holcim, der seine Zertifikate ebenfalls bei South Pole bezieht. Vielleicht hat Holcim diese Firma sogar selber gegründet. All dies muss sich gar nicht herausstellen, das wusste man von Beginn weg, und dass irgendwelche investigative Journalistinnennetzwerke das nun auch noch bestätigen, ist im Grunde genommen überflüssig; anderseits bin ich diesen Journalistinnennetz­werken doch dankbar dafür und sage: Wofür ist unabhängiger und kritischer Journalismus denn sonst da.

Trotzdem ist das Problem weniger das Schmierentheater mit der Kompensation, sondern präzise, dass man es von Anfang weiß und wusste – und dass der Betrug, man darf ihn vorsätzlich nennen, weder einen Fäkaltsunami in der Öffentlichkeit auslöst noch die betrügerische Zertifikatsfirma in einer Art und Weise beschädigt, die sich nicht mit einer lauwarmen Entschuldigung reparieren ließe noch zu so etwas wie Einsicht oder gar Einkehr führt, wie das früher die Missionarinnen von der Kanzel forderten. Stattdessen schreitet die Öffentlichkeit zu folgendem Prozedere: Man flammt das Thema in ein paar heftigen Debatten ab, nimmt entschieden die Position der geschundenen Umwelt ein und wendet sich unverrichteter Dinge anderen Themen zu, welche man dann mit dem gleichen Fervor abfackelt. Anschließend besteigt man das Flugzeug und fliegt in Urlaub nach Thailand, Laos und Kambodscha.

Die Öffentlichkeit – es besteht nach wie vor der nicht belegte Verdacht, dass es sich hierbei um die tat­säch­liche Substanz der Demokratien handelt, also um die Mehrheit der verzehrenden und ver­zehrten Menschen in unseren Ländern, Leute, die oft aus Überzeugung den Müll trennen und kei­nes­wegs etwa die Armut und Unterentwicklung in den armen und unterentwickelten Ländern unter­stützen und zwei Mal pro Woche auch Fair-Trade-Produkte einkaufen. Bloß zum ent­schlos­se­nen Vorgehen gegen die Klimaerwärmung können sie sich nicht entschließen. Vielleicht übersteigt so etwas aber die Möglichkeiten der Demokratie als System. Es sind so viele Interessens- und Rhe­to­rik­kräfte aktiv in einer durchschnittlichen parlamentarischen Demokratie, dass das zielgerichtete Handeln nur in Ausnahmesituationen möglich ist; wir hatten eine solche Lage in der Pandemie, und wir haben gesehen, dass es möglich ist, so wie wir auch gesehen haben, was alles nicht richtig funktioniert. Aber insgesamt scheinen sich die verschiedenartigen Interessen und Kräfte im poli­ti­schen demokratischen Prozess so zu neutralisieren, dass immer der Status quo herauskommt, was allerdings eine Tautologie ist, denn der Status quo ist gerade der Ausdruck der unterschiedlichen Interessen und Kräfte bzw. ihrer jeweiligen Stärke im jeweiligen Moment. Das Kreuz für die Demokratie ist es vor allem, dass die schiere Anzahl dieser Kräfte und Interessen unterdessen so hoch ist, dass es richtig schwer fällt, sie nur schon anständig in einem Überblick darzustellen. Wieviel Einfluss haben zum Beispiel die Energieerzeuger:innen auf die Umweltpolitik? Die Bauernvereinigungen? Die unterschiedlichen Kräfte innerhalb der Bauernvereinigungen? Immerhin bei der Automobilindustrie scheint die Lage klar zu sein: Hier wird einerseits grüngewaschen, dass es einem normalen Grünschnabel ganz gelb wird vor den Augen, anderseits laufen gewaltige Bemü­hungen und Investitionen zur Moderni­sierung im Bereich Elektroantrieb und Elektrozapfstellen und so weiter, und drittens verfügt die Automobilindustrie im Verkehrsministerium nach dem Schand­fleck Andi Scheuer neu über einen offenbar noch bescheuerteren Trottel, dessen Sabotageversuche der Modernisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene zu allem Unglück hin auch immer wieder bekannt werden. Was ist das? Eventuell muss man das nicht allzu persönlich verstehen, sondern so, dass dieses ganze deutsche Verkehrsministerium durchwachsen ist mit einem Beamtinnenapparat, welcher direkt von der Erdöllobby und der Vereinigung deutscher Verbrennungs­motoren­her­stel­le­rin­nen bezahlt wird, vielleicht ist es das. Trotzdem wäre es ein Wunsch allererster Ordnung bezie­hungs­weise Dring­lich­keit, dass Kanzler Kohl, 'tschulegumm: Scholz natürlich, nicht das Verteidi­gungs-, sondern das Verkehrsministerium neu besetzt mit einer Figur, welche alle Staats­sekre­tä­rin­nen rauswirft und das übrige Personal desgleichen und von Grund auf neu ansetzt, zum Beispiel mit in Griechenland rekrutiertem Personal. Und was ereignet sich stattdessen? Scholz stellt sich hinter diesen Wissing beziehungsweise sein Veto gegen das Verbot von Verbrennungsmotoren in der EU ab 2035. Begründung: Das gehe nur, wenn bis dahin synthetische Treibstoffe im Handel seien. Mit diesem künstlichen Benzin wären die Verbrenner weiterhin erlaubt. Nun hat sich auch noch der tschechische Verkehrsminister Martin Kupka dem deutschen Kollegen angeschlossen. Um sym­bo­lisch klarzumachen, welche Achse hier welche Räder hält, beschlossen die beiden Volldeppen, sich im Communiqué für eine Beschleunigung der Modernisierung der Eisenbahnstrecke zwischen Pilsen und München einzusetzen. Kupka wünscht sich offenbar, dass VW bei Pilsen eine Batterie­fabrik baut, vermutlich um die Skodas damit auszurüsten. Aber VW produziert ja gar nicht in Bayern? Das muss noch geklärt werden, Martin Kupka!

Das Verkehrsministerium mit Griech:innen besetzen – das tönt jetzt wie ein Scherz auf Kosten der paar Dutzend Studentinnen, welche in Grie­chen­land gestorben sind, weil die Kupferdrähte des Zugsicherungssystems auf der Unfallstrecke leider selber nicht gesichert waren und deshalb im Rahmen der allgemeinen Verlotterung bereits vor sechs Jahren gestohlen worden waren. Seither war es weder der Syriza- noch der aktuellen Regierung noch der Troika oder dem Welternährungsfonds gelungen, das Zugüberwachungssystem wieder einzurichten. Ein mit dem griechischen Infrastrukturunternehmen Aktor und der französischen Alstom im Jahr 2014 abgeschlossener Vertrag zur Modernisierung der Strecke, finanziert selbstverständlich von der EU, harrt der Ausführung, das heißt konkret: Ein offenbar unerlässlicher Zusatzvertrag wurde im Jahr 2019 von der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigt, sodass die Arbeiten beginnen hätten können; die Regierung Mitsotakis bewilligte den Beginn der Arbeiten dann im Jahr 2021. Getan hat sich nichts, die Strecke wird weiterhin manuell gesteuert. Der Bahnhofvorstand, der vor Ort dafür zuständig war, verfügte über mehrjährige Berufserfahrung bei den griechischen Eisenbahnen, nämlich als Gepäckträger, bevor er im Zuge der Reorganisation oder Privatisierung entlassen wurde und als Laufjunge im Kulturministerium Unterschlupf fand. Von dort ging sein Weg dann zurück zu den reorganisierten griechischen Staats- oder Privatbahnen, mit großer Wahrscheinlichkeit, weil ein Neffe oder eine Tante dort gerade die entsprechende Stelle zu besetzen hatte. Geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, es gibt fast nichts Schlimmeres, als wenn man seine Vorurteile gegen einen Staat auf derart missliche Art und Weise bestätigt sieht. Nur etwas ist noch übler: Die Gewissheit, dass sich daran nichts ändern wird, weil eben die griechische Öffentlichkeit nicht bereit ist beziehungsweise keine Form gefunden hat, solche Änderungen vorzunehmen. Stattdessen wedeln griechische Politikerinnen und Investorinnen mit Plänen von einer Zukunftsstadt in Athen in der Luft herum, praktisch identisch mit jenen, die Donald Trump am Wochenende an irgendeiner republikanischen Wahlveranstaltung vorgestellt hat. It's a wonderful World indeed.

Ich wollte mich beim Welternährungsfonds, ach nein, beim Internationalen Währungsfonds natür­lich nach dem Stand der Einrichtung der Grundbuchämter erkundigen, stelle aber fest, dass der nächste Länderbericht zu Griechenland erst in etwa zwei Monaten angefertigt wird, und was ich erwarte, brauche ich Euch gar nicht mehr zu schildern. Dann suchte ich bei einem Rück­ver­si­cherer nach ein paar Angaben zu Griechenland beziehungsweise zu den Risiken, die dort versichert werden; aber auch hier stehen im Moment keine aktuellen Informationen zur Verfügung. Statt­des­sen fand ich die Zusammenfassung eines Berichts über die Entwicklung des Versicherungs­geschäfts mit Cyber­risiken in der Volksrepublik China. «Wir rechnen in diesem Sektor mit einem raschen Wachstum, vor allem dank Verbesserungen bei der Regulierung, einem zunehmenden Risiko­be­wuss­t­sein und der Ausdehnung der möglichen Gefährdungsbereiche im Cyberspace», schreibt die Swiss Re. Die Verbesserungen bei der Regulierung seien übrigens auf das Inkrafttreten des neuen, einheitlichen Zivilgesetzbuches in der Volksrepublik per 1. Januar 2021 zurückzuführen.Übrigens findet man eine deutsche Übersetzung dieses neuen Gesetzestextes auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für vergleichendes und internationales Privatrecht in Hamburg. – Im Jahr 2021 beliefen sich die Versicherungsprämien im Bereich persönliche Cyberversicherungen auf etwa 50 Millionen Euro, sollten aber bis 2025 auf gut 100 Millionen steigen, wobei je nachdem eine Steigerung auf bis zu 180 Millionen denkbar ist; es kommt auf weitere Entwicklungen bei der Regu­lierung an und auf die Entwicklung neuer Versicherungs­pro­dukte, die sich auf dem Markt durchsetzen können, oder aber auf eine größere Katastrophe, welche das Risikobewusstsein schärft. Im gleichen Zeitraum, also bis 2025, rechnet die Swiss Re für die Haustier-Versicherungen mit einer Zunahme des Prämienvolumens auf 200 Millionen Euro. Die durchschnittliche Chinesererin scheint also das Risiko für Haustiere höher zu gewichten als jenes für die persönlichen Daten. Das wiederum vermag angesichts des abschließend ausgebauten Überwachungsstaates in der Volks­re­publik, deren Kommunistische Partei die neueste Beleidigung des Begriffes Kommunismus ist nach verschiedenen anderen verheerenden Beleidigungen in der Vergangenheit, namentlich in Russland, nicht zu erstaunen.

Für die Rückversicherer ist selbstverständlich der Klimawandel einer der wichtigsten Risiko­fak­toren. Das bedeutet nicht, dass ihr Geschäft darunter leidet; sie müssen einfach die entsprechenden Eventualitäten versichern, und das tun sie gegen die entsprechenden Prämien. Unabhängig davon steht fest, dass die Rückversicherer schon lange von der globalen Erwärmung sprechen und die Folgen davon abschätzen. Ganz im Gegensatz dazu verhält sich wie anfangs erwähnt die öffent­liche Meinung beziehungsweise die Öffentlichkeit. Es wird wieder geflogen, und die Automobilhersteller haben sich in die gleichen Verteidigungsstellungen zurückgezogen, in denen sie sich befanden, als sie sich mit Händen und Füßen gegen die Einführung von Elektromotoren wehrten. Diesmal mit Verbündeten aus der Tschechei, was für ein Vergnügen. Und beide Male handelt es sich um die gleichen Verteidigungsstellungen im Verkehrsministerium. Geschätzte Kolleginnen und Kollegen in Deutschland: Wenn ihr schon keine funktionsfähige Armee habt, wozu ich durchaus gratuliere, so könntet ihr wenigstens diese Widerstandsnester in der Regierung ausheben? Angefangen bei Olaf Scholz, dann weiter zum Fahrrad fahrenden Cem Özdemir und seinen Kumpaninnen?

Aber was ächze ich und stöhne – vermutlich hat die Öffentlichkeit nicht unrecht, wenn sie sich darum gar nicht erst kümmert und den Dingen ihren Lauf lässt. Hauptsache, das Eisenbahn-Sicherungssystem zwischen Pilsen und München funktioniert einwandfrei.