"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Banken, Inflation und Vertrauen

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Wir retten also wieder mal eine Bank. «Retten» ist zwar nicht das richtige Wort, vielmehr wird die Credit Suisse für 3 Milliarden Franken an ihre lokale Konkurrentin verscherbelt, auf den ersten Blick ungefähr zur Hälfte des aktuellen Marktwerts; der Buchwert beläuft sich auf das Fünf­zehn­fache, also 45 Milliarden Franken. Ein gutes Geschäft für die UBS, wie es auf den ersten Blick aussieht; dazu kommen noch 6 bis 9 Milliarden an Ausfallgarantien des Schweizer Staates sowie eine Liquiditätslinie von zwei Mal 100 Milliarden Franken der Schweizerischen Nationalbank.
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11:46 min, 27 MB, mp3
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Upload vom 22.03.2023 / 11:02

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.03.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Wir retten also wieder mal eine Bank. «Retten» ist zwar nicht das richtige Wort, vielmehr wird die Credit Suisse für 3 Milliarden Franken an ihre lokale Konkurrentin verscherbelt, auf den ersten Blick ungefähr zur Hälfte des aktuellen Marktwerts; der Buchwert beläuft sich auf das Fünf­zehn­fache, also 45 Milliarden Franken. Ein gutes Geschäft für die UBS, wie es auf den ersten Blick aussieht; dazu kommen noch 6 bis 9 Milliarden an Ausfallgarantien des Schweizer Staates sowie eine Liquiditätslinie von zwei Mal 100 Milliarden Franken der Schweizerischen Nationalbank.
Das sollte zunächst reichen, um die Geschäfte normal weiterzuführen und die Befürchtungen der Bör­sen, der Finanzmärkte und der Kund:innen zu beruhigen. Allerdings lässt sich nicht genau sagen, wie die Übernahme in der Praxis aussieht, daran wird im Moment intensiv gearbeitet. Mit Sicher­heit werden Doppelspurigkeiten bei der Infrastruktur beseitigt, was zu Entlassungen führt; die Aufmerksamkeit gilt aber der strategi­schen Ausrichtung, also der Frage, was die UBS mit den Geschäftsbereichen der Credit Suisse anfangen will. Die CS hat andere Schwerpunkte als die UBS, genannt wird vor allem das Investment Banking, das in den letzten Jahren regelmäßig für Schlag­zeilen gesorgt hat. Näheres weiß man nicht, und es wird auch einen Moment dauern, bis die Pläne bekannt werden. Vielleicht wird unter dem Namen Credit Suisse eine eigenständige Bankabteilung aufgestellt, die zum Beispiel den Inlandmarkt bedient oder aber wie eine Privatbank auftritt. Vielleicht will die UBS aber mit dieser Marke überhaupt nichts mehr zu tun haben, das würde ebenfalls einleuchten.

Was ist da los beziehungsweise was war da los, spätestens seit dem letzten Herbst? Man spricht von einem massiven Vertrauensverlust der Märkte, wobei den Verwerfungen in den Vereinigten Staaten mit dem Kollaps der Silicon Valley Bank und der Signature Bank der angeschlagenen CS den Rest gegeben haben sollen. In dieser Variante ist das Bankmanagement mit seiner Reihe von Fehlern in den letzten Jahren Schuld an der Pleite. Daneben zirkulieren unweigerlich Gerüchte, wonach die Konkurrenz auf den internationalen Finanzmärkten eifrig an der Demontage der Bank mitgewerkelt hat – auch nicht völlig auszuschließen. Aber es tut letztlich nicht viel zur Sache.

Eine neutrale Sicht zum gesamten Banken-, Geld- und Kapitalsektor muss man sich in diesen Tagen zusam­men­kratzen aus verschiedenen Töpfen auf dem Herd der internationalen Meinungs­macherei. Ein theoretischer Ansatz ist mir nicht bekannt. Wir wissen, dass die wichtigen Zentralbanken, vor allem das US-amerikanische FED und die Europäische Zentralbank, gut zehn Jahre lang die Geldmärkte geflutet haben mit Billiggeld, ohne dass dies eine spürbare Inflation ausgelöst hat. Dies ist der Kern des echten Wirtschaftswunders der letzten zehn Jahre. Wie üblich erlaube ich mir den Querverweis auf die Realwirtschaft, welche spätestens in dieser Epoche die vollständige Automatisierung abgeschlossen hat und unterdessen sogar Produktionsmittel zu minimalen Kosten herstellt, nicht nur Konsumgüter; im Moment befindet sich die Realwirtschaft in der zweiten oder dritten Phase der Informatisierung mit dem Einsatz von Chips auch in den hintersten und letzten Bereichen.

Wir wissen, dass die Zentralbanken seit einem Jahr ihre Leitzinsen wieder angehoben haben auf ein Niveau, das vor der Finanzkrise im Jahr 2008 üblich war. Der Anlass war die steigende Inflation, und die Begründung für die folgenden Zinserhöhungen kann man sich aussuchen aus hauptsächlich zwei Varianten; die eine, in der Regel von Clans und Clubs mit asozialen politischen Absichten ins Feld geführt, lautet, dass die Kaufkraft zu groß geworden sei, nament­lich durch die einigermaßen anständigen staatlichen Zahlungen während der Pandemie; die andere liegt auf der Hand mit den explodierenden Energiepreisen nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine, welche Preis­er­höhungen in Serie losgetreten haben. Dabei handelt es sich zum Teil auch um einen Nachholbedarf aus den letzten zehn Jahren, als verschiedene Händlerinnen und Produ­zen­tin­nen darauf ver­zich­te­ten, ihre Produkte zu verteuern, weil sie negative Reaktionen bei den Abneh­me­r:innen befürchteten; diese Art von Hemmungen entfiel jetzt zur Gänze dank dem Verweis eben auf die Energiepreise. Diese bildeten trotzdem die Hauptursache, und was das für Folgen hat, ist in der Formel Kapitalmasse gleich Energiepreis im Quadrat ziemlich ungenau festgehalten.
Die Inflation ist jedenfalls eine Realität und in ihrer Folge die Anhebung der Leitzinsen an breiter Front. Dies entwertete ganze Anlageklassen von Wertpapieren, die für ein Umfeld der Tiefzins­politik konstruiert worden waren. Zahlen kann ich dazu nicht liefern, aber dass so etwas bei den Banken und auf den Börsen ein Spannungsfeld aufbaut, ist klar. Es geht um Vertrauen. Im Moment lautet der Schlüsselbegriff offenbar Psychologie, was auch eine Qualifikation für diese spezifische Sphäre der Ökonomie darstellt. Nennen wir das Ding beim Namen: Es handelt sich um eine, sagen wir mal: substantiierte Form von Glauben. Das ist übrigens nicht mal besonders neu für das Geldwesen, aber in dieser Form kennen wir die Glaubenskrisen noch nicht, und darum handelt es sich. Möglicherweise sind das hier nur Vorboten einer weiteren Entwicklung, nämlich einer Spal­tung des Glaubens; mindestens versuchen sich einige Teile des Kapitals und der Kapitalist:innen darin, ein zusätzliches Geld-, Kapital- und Währungssystem zu schaffen, das nicht mehr von den Zentralbanken abhängig ist; am beliebtesten sind dabei Kryptowährungen. Ob ein solches Schisma zustande kommt, ist schwer abzuschätzen. Wir leben in Zeiten, in welchen ziemlich verrückte Ideen Realität werden oder bereits geworden sind. Die Kryptowährungen haben bisher nur einen beschränkten Anteil am gesamten Kapitalmarkt erobert, aber das kann sich ändern. Vor zwei Jahren schossen ihre Kurse so richtig in die Höhe, Bitcoin zum Beispiel von 8000 Euro im September 2020 auf 54'000 Euro im Frühjahr 2021 und 60'000 Euro Ende 2021; worauf wieder die Entzauberung einsetzte. Im Moment steht der Kurs wieder bei 24'000 Euro. Lustig ist dabei vor allem, dass die libertären Kapitalisten, die im Windschatten von Donald Trump gesegelt waren, zum Beispiel Peter Thiel, um einen der prominentesten Köpfe zu nennen, nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank unisono nach einer staatlichen Rettung ihrer Banken-Lieblings­kinder schreien. Thiel hatte noch im April letzten Jahres an einer Bitcoin-Konferenz einen Regimewechsel im Währungsbereich gefordert; das internationale Währungssystem müsse aus den Händen der Federal Reserve befreit werden. Jetzt sagt er nichts mehr, beziehungsweise jetzt schreien seine Kollegen nach Hilfe wie der Craft-Ventures-Investor David Sacks, der allerdings mit einem Vermögen von 200 Millionen Dollar nur ein kleiner Fisch im Teich der reichen Säcke ist.

Es zeigt sich aber auch, wie beschränkt diese Optik im Moment noch ist. Thiel, Elon Musk, Cha­math Palihapitiya und Konsorten geben in strikt libertärer Tradition keinen Scheiß auf die zentralen Funktionen der Währung, der Zentralbank und des Staates für die Gesamtgesell­schaft. Und das ist nun mal sogar für die Betreiber:innen des Kapitalismus Ausgabe 2023 unerlässlich. Die Mecha­nis­men von Wertschöpfung und Konsum, wo die genuinen Bedürfnisse im Währungsbereich ent­ste­hen, lassen sich ohne die gesellschaftliche Dimension nicht aufrecht erhalten. Dies gilt auch für die aktuellen Vertrauensstörungen im Bankensystem: Es geht nicht nur um Inflation und Leitzinsen, es geht nach wie vor auch darum, was in der Realwirtschaft von sich geht, ganz abgesehen von den Ereignissen in der übrigen realen Welt, zum Beispiel eben in der Form von Kriegen.

Daneben verändert sich der Bankensektor sowieso laufend. Eine Zeitlang wurden immer neue In­ves­titionsvehikel geschaffen, um den Zaster der frei laufenden Kundschaft mit immer neuen Pro­dukte- und Renditeversprechen einzufangen; in den letzten Monaten und Jahren schien es ein Mode­trend zu werden, dass man immer neue Unter­neh­mens­vehikel schafft, welche eine neue, tech­no­logieaffine und viel­leicht auch sonst nicht besonders an Traditionen hängende Klientel anspre­chen, welche die bestehenden Marken für abgestanden und abgeschmackt halten. Ein Grund dafür dürfte neben dem Spiel mit einem neuen Renommee auch die Umgehung der bestehenden Regu­lie­rungen sein, indem man die neuen Vehikel je nach Marktlage ausrichten und dimen­sio­nieren kann, sodass sie regulatorische Schlupflöcher ausnützen können. Schlupflöcher übrigens, von denen ich erneut nichts verstehe, sonst würde ich nämlich nicht hier sitzen und einen Kommentar sprechen, sondern ich würde mich mit der Gewinnoptimierung eben mithilfe besagter Schlupflöcher bemühen und mich dafür fürstlich bezahlen lassen. Die Regulierungen wurden bekanntlich nach der Finanz­krise im Jahr 2008 verschärft und dann teilweise wieder gelockert. Sowieso handelt es sich hier um ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel von Regulierungsbehörde und innovativen Finanzfach­kräften, das zentral zum ganzen Banken-Glaubensgebäude gehört; das unterscheidet dieses Glaubenssystem doch recht stark von den konventionellen Religionen, und zwar insgesamt darin, dass hier die Moral weitgehend fehlt. Das ist allerdings auch wieder etwas seltsam, weil man gleichzeitig so stark auf Psychologie und Vertrauen setzt. Aber man hat diese Leit- und Steuerungs­elemente eben nicht jederzeit im Griff.

Sprechen wir von etwas anderem. Ich erhalte regelmässig Nachrichten des grünen Europa­parla­men­tariers Daniel Freund, der sich unter anderem verdienstvollerweise für die Fragen der Rechtsstaat­lichkeit, vor allem in Polen und Ungarn einsetzt. Daneben beschäftigt er sich mit der Korrup­tions­bekämpfung beziehungsweise mit dem Einfluss von Lobbyist:innen auf das Parlament und mit verschiedenen Vergünstigungen oder kleinen Geschenken an Funktionär:innen aus Parlament und Kommission, letzthin zum Beispiel mit Gratisflügen an Bord der Qatar Airways, welche sich der Generaldirektor der Verkehrsabteilung der Europäischen Kommission Henrik Hololei selber genehmigt hatte im Rahmen der Verhandlungen über ein Luftfahrtabkommen 2016 bis 2021. Darüber wurde auch auf politico berichtet. Nun – so gut und notwendig diese Berichterstattung auch ist, so seltsam mutet sie mich an, wenn ich die Verhältnisse anschaue. Ich nehme an, dass Henrik Hololei diese Flüge nicht zu Urlaubszwecken unternahm, sondern eben im Rahmen der erwähnten Verhandlungen. Da erscheint es mir als geringes Vergehen, dass er die Kosten für diese Reise nicht an die EU-Kasse verrechnete, sondern sie von den Qatari übernehmen liess. In völliger Unkenntnis dieses Luftfahrtabkommens nehme ich an, dass es um weitgehend technische Verhandlungen ging. Es ist möglich, dass Herr Hololei First Class geflogen ist, während das EU-Spesenreglement nur einen Flug in der Business Class vorgesehen hätte; es ist auch denkbar, dass Herr Hololei anstelle von zwei Gläsern Champagner eine ganze Flasche vorgesetzt erhielt, was sicherlich der Stimmungsmache im positiven Sinne diente. Aber wenn ich mir vor dem Hintergrund der täglich stattfindenden Schmierereien auf allen Ebenen und bei Geschäften, die in Dutzende von Milliarden gehen, jetzt echt auch noch Gedanken machen muss über diese Art von Dienst­ge­schen­ken, dann wird das unproduktiv. Die EU betreibt Geschäfte im Umfang von mehreren hundert Milliarden Euro pro Jahr, und die sind nach menschlichem Ermessen nur dann ohne Spuren­ele­mente von Korruption und Salbung zu betreiben, wenn in Brüssel lauter Heilige im Parlament und Selige in der Verwaltung sitzen. Das kann ich von einem solchen Organismus nicht verlangen. Anders gesagt: Wenn ich auch noch in solchen Miniaturdimensionen Skandal schreien muss, dann frage ich mich bald, ob die Korruptionsbekämpfung nicht das größere Problem ist als die Korruption selber. Die Fiktion der heiligen Parlamentarierin und des heiligen Verwaltungsbeamten, welche in einem Meer von Milliardendeals mit einem Gehalt von 3000 Euro brutto im Monat solche Deals behandeln sollen, ist eine schlechte, unrealistische Fiktion. Die Korruptions­bekämp­fung sollte sich auf die wirklich relevanten Fälle konzentrieren und nicht auf solche Verstöße, sozusagen im Bereich der Portokasse.

Kommentare
23.03.2023 / 17:59 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 23.03.. Vielen Dank !