Asylbezirksstelle Reutlingen - Bündnis gegen Abschiebungen fordert Rücktritt des Leiters

ID 12138
 
Gegen Abschiebungen um jeden Preis
Asylbezirksstelle Reutlingen - Bündnis gegen Abschiebungen fordert Rücktritt des Leiters Manfred Reuss wegen rechtswidrigen Maßnahmen. Interview mit Heide Kautt, Asylcafé Reutlingen
Audio
10:17 min, 4818 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 30.03.2006 / 16:42

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Tuefunk
Entstehung

AutorInnen: Andreas Linder
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 30.03.2006
keine Linzenz
Skript
Die Reutlinger Bezirksstelle für Asyl galt bei ihrer Gründung Anfang der 90er Jahre als Prototyp für die bürokratische Bewältigung von Asylanträgen und für schnelle Abschiebungen. Seit über zwüölf Jahren sorgt diese Behörde für die alltägliche Umsetzung der restriktiven Asylpolitik nach der Änderung des Asylrechts im Jahr 1993. Schnelle Asylentscheidungen mit einer sehr niedrigen Anerkennungsquote, Lagerunterbringung von Flüchtlingen und Abschiebungen bei Nacht und Nebel kennzeichnen den Aufgabenbereich dieser Behörde. Auf fundamentale Kritik ist die Asylbezirksstelle nur in den Anfangsjahren gestoßen, über die Jahre hinweg wurde die Praxis der Bezirksstelle von der Bevölkerung stillschweigend toleriert. Sie hat ja auch genau das gemacht, was bundesweit in der Asylpolitik gewollt war.

In mühsamer Einzelfallunterstützung haben die Aktiven des Reutlinger Asylcafés in all diesen Jahren versucht, einzelnen Flüchtlingen und Familien zu einem Bleiberecht in Deutschland zu verhelfen. Oft gelang das, häufig nützte aber auch das nichts. Jetzt ist einigen Aktiven der Kragen geplatzt. Sie sind an die Öffentlichkeit gegangen, weil die Praxis der Bezirksstelle offenbar immer restriktiver wird. Der seit sechs Jahren amtierende Bezirksstellenleiter Manfred Reuss gilt als Hardliner, der die eh schon restriktiven rechtlichen Strukturen bis zur Rechtsbeugung überspannt. Am vergangenen Donnerstag hat ein Bündnis gegen Abschiebungen einen offenen Brief an Reuss und an Innenminister Rech übergeben. Ich sprach mit Heide Kautt, Mitarbeiterin im Reutlinger Asylcafé, über diese Aktion und über ihre Forderungen an den Bezirksstellenleiter und den Innenminister.

Ihr fordert den Rücktritt des Leiters der Bezirksstelle für Asyl, Manfred Reuss. Warum?

Heide Kautt:
In der letzten Zeit haben sich verschiedene Vorfälle gehäuft, das ist auch in der Presse nachzulesen. Zum einen die Geschichte mit dem Mann aus Togo, Koffi Adamah, der fast abgeschoben worden wäre, was eindeutig rechtswidrig war. Das geht auf das Konto von Herrn Reuss. Da wurde auch schon was gemacht, auch von anwaltlicher Seite, und wir dachten dann, das kann nicht sein, dass da nur ein Anwalt dagegen protestiert oder anklagt, sondern das müssen auch wir tun als eine Öffentlichkeit, die aufmerksam ist und Interesse hat und das auch zeigen will. Es gab noch ein paar andere Fälle, zum Beispiel die Töchter Akasche, das sind zwei Töchter aus einer libanesischen Familie, die sollten eine Ausbildung machen und haben dafür auch eine Arbeitserlaubnis bekommen und da hat Reuss wieder eingegriffen und gesagt, nein, diese Arbeitserlaubnis muss zurück genommen werden, weil die nicht mithelfen bei der Passbeschaffung und dann darf man auch keine Arbeitserlaubnis haben. Auf juristischer Ebene wurde das angefochten und sie haben die Arbeitserlaubnis bekommen, aber auch da denken wir, das ist unglaublich, da muss man einfach ein Zeichen setzen und sagen, das geht nicht, das ist nicht menschenwürdig und so kann man die Leute nicht behandeln.

Ist es aber nicht so, dass der Leiter der Bezirksstelle gar nicht gegen die geltenden Gesetze verstoßen hat, sondern nur eben das, was legal möglich ist, auch entsprechend restriktiv ausgelegt hat und man ihm deswegen juristisch gar nicht beikommen kann? Oder seht ihr tatsächlich juristische Gründe, mit denen man ihn angreifen kann?

In dem Adamah-Fall ist es schon eindeutig so, dass es rechtswidrig war, wobei er die Verantwortung abgeschoben hat auf seinen Mitarbeiter XY und er hat sich da bei uns im Gespräch auch entschuldigt, bei Herrn Adamah selber nicht. Das ist juristisch angegangen worden und da ist man stecken geblieben. Er konnte sich da rauswinden. Das ist im Prinzip die einzige Sache, wo man ihm vorwerfen kann, rechtswidrig gehandelt zu haben. Und ansonsten ist es genau so, wie du gesagt hast, der bewegt sich im Rechtsrahmen, aber wir denken trotzdem, dass es eine Unverschämtheit ist. Das eine Gericht hat schon gesagt, ja, ihr bekommt diese Arbeitserlaubnis, und er muss jetzt da den Hardliner raushängen und sagen, ich hab jetzt noch eine juristische Möglichkeit, denen eins reinzusemmeln. Es geht um den Umfang und die Art und Weise, wie er mit Leuten verfährt, vielleicht auch im Glauben, dass es niemanden interessiert und niemand das mitbekommt. Und dann gibt es noch diese zweite Geschichte. Es werden gerade viele Familien abgeschoben, wo er sich juristisch auch völlig legal verhält, und wir aber auch denken, es ist unglaublich, was da passiert. Und wir suchen jetzt über ihn den Weg zum Innenministerium, da ist er der Übergeber des offenen Briefes.

Ihr habt in der letzten Woche einen offenen Brief an den Leiter der Asylbezirksstelle und den Landesinnenminister abgegeben. Wie ist diese Aktion verlaufen?

Ja, in dreifacher Ausführung. Wir haben uns da getroffen in Form eines Bündnisses. Wir haben einfach davor versucht, möglichst viele Menschen zusammen zu bekommen, die dasselbe Interesse haben. Ungefähr 50 Personen und Gruppen haben unterschrieben. Wir sind also da hin gelaufen, vor die Bezirksstelle, haben uns da aufgestellt und mit dem Megaphon den Brief verlesen. Es gab noch zwei drei Redebeiträge, von einem Betroffenen, ein junger Kosovo-Albaner, der das aus seiner Sicht beschrieben hat, und vom Bündnis gegen Abschiebehaft aus Rottenburg. Und dann wurden wir, was uns überrascht hat, eingeladen, zum Gespräch nach oben zu kommen gemeinsam mit der Presse. Der Herr Reuss wollte nicht runter kommen, aber hat uns nach oben gebeten und das haben wir dann auch gemacht und dann mit ihm diskutiert.

Wie ist das Gespräch verlaufen?

Ja, eigentlich so, wie man das erwarten kann. Herr Reuss hat den Brief entgegen genommen und auch gesagt, dass er ihn weiterleiten wird. Er hat aber auch gleich gesagt, dass er der falsche Adressat sei, dass ihm die Hände gebunden sind, dass er sich nur in einem schmalen Rechtskorridor bewegen kann, dass er der Ausführende ist und dass die Abschiebungen, die er durchführen muss, schon längst von anderer Stellen entschieden sind und so weiter.Wir haben versucht, ihm zu sagen, dass er doch einen Spielraum hat und diesen auch nutzt und haben ihm diese Beispiele vorgetragen und er hat dann schon gesagt, dass er da keinen Spass dran hat und er hat auch gesagt, er habe kein Herz aus Granit, so auf dieser Schiene ist er uns gekommen und hat aber in keinster Form, dass er die Spielräume, die er hat, nicht nutzt. Oder dass da Sachen gelaufen sind, die nicht in Ordnung sind. Lediglich beim Fall Adamah hat er sich entschuldigt, aber wie gesagt nur bei uns und nicht bei Koffi Adamah selbst. Der wollte eigentlich da sein, kam aber aus irgendwelchen Gründen nicht. Wir wissen nicht, warum. Das wäre noch interessant gewesen.

Das war Heide Kautt vom Bündnis gegen Abschiebungen aus Reutlingen. Das Bündnis wirft Manfred Reuss, dem Leiter der Bezirksstelle für Asyl vor, in mehreren Fällen rechtswidrig gehandelt zu haben und will dagegen juristisch vorgehen. Genauso wichtig wie der Blick auf eine möglicherweise rechtswidrige Praxis scheint mir aber der Blick auf das zu sein, was im Rahmen des Legalen in der Asylbezirksstelle alles möglich ist. Denn das legale Instrumentarium bietet den Asylbehörden alles, was sie für Einschüchterung, Ablehnung und Abschiebung von Asylsuchenden brauchen. Problematisch ist dabei nicht nur der Leiter der Bezirksstelle, sondern die Institution selbst, schließlich das Asylsystem in Deutschland, wie wir es mindestens seit Anfang der 90er Jahre haben. Es ist natürlich bedenklich, dass einem Bezirksstellenleiter die legalen Möglichkeiten des Inhumanen noch nicht ausreichen und anscheinend die Spielräume noch restriktiver bis an den Rand der Illegalität ausgespielt werden. Aber auch das ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Es trifft nicht nur die Maßgaben der Politik und die Verschärfungen der letzten paar Jahre unter Innenminister Schily, sondern auch die stillschweigende Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit. Die Asylfrage in Deutschland ist gelöst, dank der Abschottung Europas und einem funktionierenden Ablehnungs- und Abschiebesystem in Deutschland. Erstmals gab es im Jahr 2005 weniger als 10.000 Asylanträge. Zum Abschied von seinem Amt erhielt Otto Schily von den Mitarbeitern des Bundesamts für Migration ein schönes Geschenk: Erledigte Asylverfahren. Dazu sagte Bernd Mesovic von Pro Asyl: "Hohe Erledigungszahlen werden durch Druck auf die Außenstellen und deren Mitarbeiter sowie Planvorgaben erzeugt. Wettbewerb findet nicht in Bezug auf die qualifiziertesten Asylentscheidungen, sondern um höchstmögliche Erledigungszahlen statt." Allein im Jahr 2004 wurde fast 15.000 Flüchtlingen der vorher gewährte Flüchtlingsstatus durch Widerruf entzogen. Im selben Jahr wurden nur noch 2.067 Personen als Flüchtlinge anerkannt. Herr Reuss und seine Mitarbeiter tun also nur ihre Pflicht.

Kommentare
31.03.2006 / 14:28 kyra, radiokampagne.de Berlin
gesendet im zip
gesendet im zip am 31.03.