„Herr Kittel tat all das, während seine Kolleg_innen damit beschäftigt waren, die sogenannten Sonderzüge zu fahren.“ Zum Widerstand eines Reichsbahners im Nationalsozialismus

ID 121410
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Die Ausstellung „Wer war Fritz Kittel? Ein Reichsbahnarbeiter entscheidet sich – zwei Familien 1933-2022“ beleuchtet, der Titel sagt es, die Kontakte zweier Familien: die von Fritz Kittel, der in der NS-Zeit bei der Reichsbahn arbeitete und die der Schriftstellerin Esther Dischereit, deren Mutter und Schwester als Jüdinnen verfolgt wurden und durch den Schutz Fritz Kittels die NS-Zeit überlebten. Im Interview mit Radio Corax spricht Esther Dischereit über ihre Recherchen zu Fritz Kittel, die Bedeutung seines Handelns, das Spannungsfeld des Erinnerns an Widerstand in der heutigen deutschen Gesellschaft und die Bedeutung des öffentlichen Sprechens über Familiengeschichte.

Die Ausstellung ist noch bis 30. April 2023 im Deutschen Technikmuseum in Berlin zu sehen. Weitere Stationen sind ab 4. Mai das SMAC Archäologisches Museum Chemnitz und ab 16. August das Jüdische Museum in Frankfurt am Main.

Das Interview kann in drei Teilen gespielt werden, siehe Dateien.
Audio
40:03 min, 37 MB, mp3
mp3, 127 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.04.2023 / 22:17

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: CX - Corax - Geschichte/Gesellschaft - Dialektik
Entstehung

AutorInnen: Tagesaktuelle Redaktion
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 10.04.2023
Folgende Teile stehen als Podcast nicht zur Verfügung
Teil 1/3
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15:45 min, 14 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.04.2023 / 22:28
Teil 2/3
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10:37 min, 9966 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.04.2023 / 22:30
Teil 3/3
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13:38 min, 12 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.04.2023 / 22:30
CC BY-NC-SA
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Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Sollte das Interview in einzelnen Teilen gespielt werden (siehe Dateien) hier Informationen zu den Fragen, falls sie in Moderationen paraphrasiert werden sollen:
* Teil 1 beginnt mit Frage, wer Fritz Kittel eigentlich war

* Teil 2 beginnt mit Frage:
Erinnerungskultur und die Tradierung der NS-Zeit in Deutschland sind bis heute von verschiedenen Formen der Schuldabwehr geprägt. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele Deutsche sagen, bei ihren Vorfahren hätte es Widerstandshandlungen gegeben und diese Zahl sich bei weitem nicht deckt mit dem tatsächlich viel geringeren Anteil an Deutschen die Widerstand leisteten. Diese nachträgliche Verfälschung oder ein Rühmen mit der Hilfe für verfolgte jüdische Menschen findet sich bei Fritz Kittel nicht. Um ihn geht es in einer Ausstellung, die die Schriftstellerin Esther Dischereit erarbeitet hat. „Wer war Fritz Kittel“ ist der Titel des Projekts über das Radio Corax mit Esther Dischereit gesprochen hat. Fritz Kittel versteckte und schützte Dischereits Mutter und Schwester. Beide waren zeitgleich von zahlreichen Denunziationen betroffen. Auch diese Denunziationen könnten ein der Fokus der Betrachtung sein, stattdessen steht zentral im Titel der Name Fritz Kittels und damit der Name eines antifaschistisch handelnden Deutschen. Kittel arbeitete für die Reichsbahn, was einen weiteren zeitlichen Kontext eröffnet: die zentrale Rolle, die diese Bahn bei den Deportationen spielte und das jahrzehntelange Schweigen des Nachfolgeunternehmens Deutsche Bahn, das auch an der Erarbeitung der Ausstellung beteiligt war. Die Verantwortlichkeiten deutscher Unternehmen, eine heutige deutsche Gesellschaft, die sich lieber mit Opfern und Widerständlern identifizieren will – in diesem Spannungsfeld bewegt man sich, wenn man nun, wie Esther Dischereit, auf die Widerständigkeit Fritz Kittel blickt. Wir haben sie nach diesen Kontexten und Spannungsverhältnissen gefragt.

* Teil 3 beginnt mit Frage der Erweiterung des Blickfelds auf die Zeit vor 1933 und die antisemitischen Verhältnisse vor der NS-Zeit und der Geschichte des deutsch-jüdischen Verhältnisses, anhand eines Zitats aus einem Essay von Esther Dischereit, erschienen 2023 anlässlich des Jahrestages des Anschlags in Hanau ("Vor aller Augen: Pogrome und der untätige Staat"): Dort geht es an einer Stelle um das Pogrom in Konitz, polnisch Chojnice 1900: "Der Innenminister hatte Truppen in die Stadt beordert, um das Anzünden und Plündern jüdischer Wohnhäuser und die Zerstörung der Synagoge zu beenden. Danach verließen die Juden die Stadt. Es müssten diese Umstände gewesen sein, die meine jüdischen Großeltern damals dazu brachten, im toleranteren Berlin ihr Auskommen zu suchen."