"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Nayib Bukele

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Im Jahr 2022 entfielen auf 100'000 Einwohner:innen von Costa Rica 12.6 Mordfälle. 656 Todes­opfer waren zu beklagen, 11.5% mehr als im Jahr zuvor. So viele gab es noch nie. In El Salvador dagegen, wo im Jahr 2015 mit 103 Mordopfern pro 100'000 Einwohner:innen der statistische Welt­rekord aufgestellt wurde, ging die Rate im Jahr 2022 zurück auf 7.8 pro 100'000, was den tiefsten Wert für Mittelamerika darstellt.
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10:52 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.04.2023 / 22:39

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.04.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Im Jahr 2022 entfielen auf 100'000 Einwohner:innen von Costa Rica 12.6 Mordfälle. 656 Todes­opfer waren zu beklagen, 11.5% mehr als im Jahr zuvor. So viele gab es noch nie. In El Salvador dagegen, wo im Jahr 2015 mit 103 Mordopfern pro 100'000 Einwohner:innen der statistische Welt­rekord aufgestellt wurde, ging die Rate im Jahr 2022 zurück auf 7.8 pro 100'000, was den tiefsten Wert für Mittelamerika darstellt.
Die Ursache dafür liegt in der extrem repressiven Politik des seit 2019 amtierenden Präsidenten Nayib Bukele, welcher der Kriminalität und dem Drogenhandel nicht nur den Kampf angesagt hat, sondern diesen auch mit der berühmten harten Hand durchzieht. Seit dem 27. März des vergangenen Jahres herrscht in El Salvador der Ausnahmezustand, und zwar wurde er vom Parlament beschlossen, nicht einfach vom Präsidenten verhängt. Direkter Anlass war ein Exzess an Tötungsdelikten gewesen mit 88 Morden an einem einzigen Wochenende. Seither hat das Parlament diesen Ausnahmezustand 10 Mal verlängert. Weil damit die zivilen Rechte der Bewoh­ner:innen, vor allem in der Strafuntersuchung, stark eingeschränkt werden, protestieren ver­schiedene internationale Organisationen diese Politik, was Nayib Bukele bisher nicht groß gestört hat. Er verfügt auch über einen anständigen Repressions­apparat mit 25'000 Polizeikräften neben den 40'000 Soldaten des Militärs bei einer Bevölkerung von 6 Millionen. Costa Rica verfügt im Ver­gleich dazu für eine Bevölkerung von 5 Millionen nur über 15'000 Polizist:innen und über gar kein Militärpersonal.

Im Übrigen gibt es beim radikalen Vorgehen gegen die Kriminalität mit Sicherheit unschuldige Opfer. Trotzdem kann man El Salvador bzw. Nayib Bukele nicht vergleichen mit dem früheren philippinischen Präsidenten Roberto Duterte, dessen Kampf gegen Drogen alle Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit fallen ließ, ganz abgesehen davon, dass Manila allein 2 Millionen Einwoh­ner:in­nen hat, während es in San Salvador 200'000 sind.

In Costa Rica befürchtet man, dass das Land vermehrt als Etappe im Drogenhandel zwischen Süd- und Nordamerika eingeschaltet werden könnte, nicht zuletzt, wenn andernorts Stützpunkte geschleift werden, eben zum Beispiel in El Salvador. Es gibt Stimmen, welche den Anstieg der Mordrate damit in Verbindung bringen. Vorderhand bleibt Costa Rica trotzdem ein vergleichsweise sicherer Ort, wovon auch der Tourismus profitiert; vor der Pandemie verbrachten dort über 3 Millionen Gäste längere oder kürzere Ferien. Letztes Jahr waren es wieder 2.3 Millionen, und bis im Jahr 2027 will man fast 4 Millionen Personen beherbergen und in diesem Sektor eine Wertschöpfung von 5 Milliarden Dollar erzielen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Ökotourismus; damit will Costa Rica daraus Profit schlagen, dass auf dem Staatsgebiet gut 6% der Biodiversität des gesamten Planeten vorhanden ist – was auch immer das heißen möge. Und um dem Drogenhandel mindestens zum Teil die Grundlage zu entziehen, plant man die Legalisierung von Marihuana. Und schließlich unternimmt das Land eine diplomatische Offensive, um von der grauen Liste der Staaten gestrichen zu werden, denen die Europäische Union mangelnde Zusammenarbeit in Steuersachen vorwirft. Nun gut, Costa Rica heißt nicht umsonst die Schweiz Mittelamerikas.

Nayib Bukele seinerseits war im September 2021 damit bekannt geworden, dass er in El Salvador als erstem Land der Welt Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel erklärte und auch umgehend ein paar Millionen Dollar des Staates in Bitcoin anlegte. Der Wert dieser Investition hat sich seither ungefähr halbiert, was der Handlungsfähigkeit des Präsidenten offenbar keinen Abbruch tat. Er hat angekündigt, dass er im nächsten Jahr erneut kandidieren wolle, obwohl laut Verfassung keine zweite Amtszeit erlaubt ist; aber so etwas lässt sich mit der Mehrheit im Parlament schnell ändern, ohne dass man deswegen lauter als nötig von Diktatur und solchen Dingen schreien muss, denn zwei Amtszeiten sind durchaus ein internationaler Standard. Ansonsten ist El Salvador mehr oder weniger ein normales mittelamerikanisches Land, mit Costa Rica insofern vergleichbar, als die meisten Einwohner:innen nicht indigen sind, im Gegensatz zum Beispiel zu Guatemala, während die Wirtschaft vor sich hin dümpelt wie in den anderen Ländern, die keine nennenswerten Bodenschätze und keine industrielle Spezialisierung aufweisen und zu schönen Teilen von den Remissen der im Ausland lebenden und arbeitenden Bürger:innen lebt, bei einem Brutto­inland­pro­dukt von unter 10'000 Dollar pro Kopf, während es in Costa Rica doch bei 20'000 Dollar pro Kopf liegt. Insofern ist es tatsächlich Nayib Bukele, welcher den Unterschied zu machen scheint und sich mindestens in Sachen Drogenhandel und Kriminalität im Moment durchgesetzt hat. Aus den Nachbarländern in Mittelamerika hört man in dieser Beziehung kaum Nachrichten von entschlos­senem Durchgreifen; Mexiko ist sogar das irrwitzige Beispiel eines Staates, der zum Teil von der Drogenmafia durchsetzt ist und zu anderen Teilen wirtschaftlich prosperiert als Billiglohn-Zulie­ferer für den großen Nachbar im Norden, der im Übrigen auch einen schönen Teil seiner Drogen aus Mexiko bezieht, soweit er seine Opioide nicht gleich selber herstellt. Dieser Drogenfluss produziert tatsächlich in ganz Mittelamerika so etwas wie einen permanenten wirtschaftlichen Durchzug, aber eben in unterschiedlichen Ausformungen und Stärkegraden.

Wovon man in dieser Region übrigens dringend abraten sollte, das ist die Suche nach irgend­wel­chen politischen und ideologischen Strukturen. Vor Jahren konnten sich die Hoffnungen der inter­nationalen Linken an die Regierungen in Nicaragua und je nachdem auch in Havanna klammern, aber die Epoche der lateinamerikanischen Linken ist vorbei. Man kann die Regierungen nur nach ihrer Effizienz beurteilen und danach, ob sie zum Wohl der Mehrheit der Bevölkerung arbeiten oder dagegen, was in einigen Ländern schon deshalb nicht so einfach ist, weil die Interessen der Bevöl­ke­rungsmehrheit nicht eindeutig definierbar sind, wenn man mal von Essen, Wohnung und Moral absieht; das ist aber auch in Lateinamerika zunehmend ein Standard, für den keine Klassenkämpfe mehr geführt werden müssen. Rassenkämpfe gibt es nach wie vor in gewissen Ländern, andere Länder sind zu Handlungsfeldern der US-amerikanischen Evangelikalen geworden, Nicaragua hat einen eigenen regionalen Esoterikerkult eingeführt, unter dessen Flagge sogar die katholische Kirche bekämpft wird, und das will nun wirklich etwas heißen. Obwohl dieser Kurs sowohl antikatholisch als auch antiimperialistisch ist, führt er absehbar nicht in eine von der Vernunft erleuchtete Zukunft, sondern in eine irgendwie grün giftig strahlende. Was nichts daran ändert, dass das zentrale Motiv in Mittelamerika das Streben nach Nordamerika ist, sei es im Zusammenhang mit den illegalen wirtschaftlichen Titeln des Drogenhandels oder rein physisch im Rahmen der Völkerwanderung in den Norden, welche von der Mauer zu den Vereinigten Staaten nur notdürftig gebremst wird. Im größeren Zusammenhang gesprochen handelt es sich um das Streben nach Wohlstand, um den Pursuit of Happiness, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten jedem Menschen auf Erden als unveräußerbares Recht zugeordnet wird. Auf der begriff­li­chen Ebene ist somit ziemlich alles klar, bloß wie man in der Praxis damit umgeht, vor allem in den Ländern auf der Transitstrecke, dafür gibt es noch kein Patentrezept. Mit umso größerer Auf­merk­sam­keit verfolgen nicht nur die umliegenden Staaten, was der Präsident El Salvadors mit der radikalen Bekämpfung der Kriminalität und der Einführung des Bitcoins als offizielle Währung im Land für Effekte produzieren wird.

Aber wenden wir unseren Blick zur Abwechslung wieder mal nach Turkmenistan, wo letzte Woche wieder einmal eine Auktion turkmenischer Exportwaren für Käufer:innen aus dem Ausland statt­fand. Der Erlös betrug gut 4 Millionen US-Dollar für 24 Transaktionen. Interessent:innen aus Pakistan, Afghanistan und Usbekistan erwarben dabei Flüssiggas vom Konzern Türkmengaz sowie Bitumen vom Konzern Türmkennebit. Zudem kauften Geschäftsleute aus China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Irland und Usbekistan Lakritzwurzeln, Baumwollgarne und Glaswaren gegen Devisen. In Manat bezahlten türkische Unternehmen Baumwollgarn, und zwar im Umfang von 252'000 Manat, also etwa 60'000 Euro. In der Vorwoche hatte eine entsprechende Auktion über 22 Millionen US-Dollar eingebracht. Unter der Rubrik Politik berichtet die turkmenische Nachrich­ten­agentur TDH von einem Telefongespräch zwischen Präsident Berdimuhammedow mit dem iranischen Präsidenten Raisi, ohne aber dessen Inhalt zu spezifizieren. Im Sport verlieh Präsident Berimuhammedow verschiedene Auszeichnungen an erfolgreiche Athlet:innen, namentlich die Vertreter:innen an den Jugend-Weltmeisterschaften im Gewichtheben in Durres, Albanien, vom 25. März bis am 1. April, die Medaillengewinner:innen an den offenen Asien-Schwimmmeisterschaften in Bangkok, das turkmenische Nationalteam in Taekwondo, das an den ersten zentralasiatischen Taekwondo-Meisterschaften im usbekischen Taschkent teilgenommen hatte, die Judokas, welche an den Junioren-Europameisterschaften in Sarajewo Medaillen gewonnen hatten, dann die Gewinner des internationalen Sambo-Turniers in Moskau, die Teilnehmenden am internationalen Jugend­tur­nier für Rhythmische Gymnastik in Tbilissi in Georgien, die Gewinner der Junioren-Asien- und Ozeanien-Meisterschaften in Eishockey in Ulan Baator, die Gewinner des regionalen Qualifika­tions­turniers für West- und Zentralasien im Tennis in Isa Town in Bahrain, respektive des inter­nationalen Tennis-Jugendturniers in Colombo in der Demokratischen Sozialistischen Republik von Sri Lanka, und zum Schluss die Vertreter am internationalen Karate-Do-Wettbewerb der Jugendliga in Fujairah in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Die nennenswerten kulturellen Ereignisse liegen dagegen etwas zurück, namentlich das Konzert zu Ehren des internationalen Frauentags, das in Turkmenistan Konzert zu Ehren der glorreichen Töchter des Heimatlandes genannt wird, am 7. März sowie die Kulturtage der islamischen Republik Iran, die am 12. Februar eröffnet wurden.

Soviel im Nachhinein zum Ostergeschehen im Jahr 2023.