"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Lage der Medien

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An einer Konferenz zur Lage der Medien in der Europäischen Union im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz sagte die Vorsitzende des bulgarischen Rates für Elektronische Medien mit Namen Sonja Momtschilowa, dass sich die bulgarischen Medien im europäischen Vergleich qualitativ in der Spitzengruppe befänden.
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11:34 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.05.2023 / 14:20

Dateizugriffe: 76

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 03.05.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
An einer Konferenz zur Lage der Medien in der Europäischen Union im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz sagte die Vorsitzende des bulgarischen Rates für Elektronische Medien mit Namen Sonja Momtschilowa, dass sich die bulgarischen Medien im europäischen Vergleich qualitativ in der Spitzengruppe befänden.
Diese Meinung stimmt nicht ganz mit jener von 999 Promille der Europäerinnen und Europäer, von 99 Prozent der Bulgar:innen und auch mit der Einschätzung der Organisation Reporter ohne Grenzen überein, welche in Europa nur noch den griechischen Medien üblere Noten ausstellt. Die bulgarischen Medien seien komplett von wirtschaftlichen und politischen Interessen abhängig, einschließlich der Fernsehsender, die von ausländischen Gruppen kontrolliert werden. Man kann davon ausgehen, dass sowohl die vermutlich korrekte Einschätzung von Reporter ohne Grenzen als auch die tatsächlichen Verhältnisse in Bulgarien der Medienbeauftragten Momtschilowa bekannt sind, dass sie also, ohne unter dem Makeup rot zu werden, gerade heraus lügt. Weshalb denn?, und was kann man da machen? – Na, nichts, natürlich; es liegt an der bulgarischen Bevölkerung, Frau Momtschilowa und die vermutlich durchaus nicht geheimen Mächte, welche sie auf ihren Posten gesetzt haben, damit sie diese Lügen absondert, bei Gelegenheit mal abzuservieren. Dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz traue ich dagegen keine tiefenwirksamen Effekte bezüglich der Lage der Medien in Bulgarien zu. Auch nicht in Ungarn oder in Polen oder in Berlin, wo der Axel Springer Verlag über einen direkten Draht nicht nur ins Bundeskanzleramt, sondern auch nach Brüssel und nach Straßburg ins Europaparlament verfügt. Das sind die Umweltbedingungen, unter welchen sich Europa vorwärts bewegt, unter anderem im Sektor Medien. Ansonsten hat es die Europäische Union in den letzten zwanzig Jahren geschafft, Mechanismen und Strukturen auszubilden, welche denen in Washington recht genau entsprechen. Mir kommt in diesem Zusammenhang der Fall jenes griechischen Syriza-Abgeordneten im Europaparlament in den Sinn, dem vor ein paar Tagen eine Assistentin vorgeworfen hat, er habe sie vergewaltigt. Böser Abgeordneter, ich bin kategorisch gegen Vergewaltigungen, aber das Timing kurz vor den Wahlen in Griechenland hat mich stutzig gemacht. Der konkrete Fall liegt nämlich ein paar Jahre zurück, wie er sich genau zugetragen hat, weiß ich nicht, der Kandidat bestreitet jegliche Schuld, vor allem aber gibt mir zu denken, dass so etwas wie gesagt gerade vor den Wahlen bekannt wird in jenem Land, das von Reporter ohne Grenzen als das Land mit den übelsten Verhältnissen im Mediensektor klassiert wird. Kurz, ich glaube es nicht. Ich glaube dem konservativen Gesocks in der griechischen Regierung schon längstens kein Wort mehr, ob es sich nun um Eisenbahnunglücke oder um Spionagesoftware und Abhöraktionen oder um sonstige ausgesuchte Gesetzesverstösse handelt. Nur ist auch hier der Hinweis am Platz, dass eine neutrale Sicht der Dinge überhaupt nichts bringt und dass es an der griechischen Bevölkerung wäre, die Regierung Mitsotakis in die Wüste zu schicken. Der Erfolg dieses Unterfangens ist aber ungewiss, auch wenn die Lügen offen auf dem Tisch liegen; offenbar sind die Menschen nicht nur in Griechenland davon überzeugt, dass eine Regierung ohne weiteres ein paar Lügen auftischen kann, ohne dass sie deswegen eine schlechte Politik zu machen braucht. Schließlich hat man auch mit der Syriza-Regierung nicht nur gute Erfahrungen gemacht, auch wenn die zweifellos in erster Linie den Kopf hinhalten musste für die Schlampereien im ersten Jahrzehnt des EU-Beitritts.

Aber der erwähnte Fall mit dem Vergewaltigungsvorwurf ist nur das letzte Beispiel aus einer unterdessen endlosen Reihe von Vorwürfen, die zum Teil nur noch lächerlich sind. So musste eine konservative Spitzenpolitikerin einem medialen Sturm trotzen, weil sie auf Einladung irgendwo an der Kür einer Weinkönigin oder eines Brotbäckerkönigs teilgenommen hatte und die Reise dorthin und wohl auch die Hotelübernachtung nicht selber berappt hatte. So war das nicht gedacht mit den Transparenzregeln und anderweitigen Vorschriften gegen Korruption und Bestechung. Man kann an das Personal der europäischen Institutionen einfach nicht die gleichen Maßstäbe anlegen wie an die Mitglieder des Gemeinderates einer 300-köpfigen Kommune in der Oberpfalz, das ist es. Hatten wir es auf nationaler Ebene jeweils noch mit dem Problem zu tun, dass die politische Organisationsform letztlich nicht eine Demokratie, sondern das Schauspiel einer Demokratie ist, so existiert die demokratische Prämisse auf europäischer Ebene schon als solche nicht mehr. Die Europäische Union ist kein demokratischer Apparat, trotz Europawahlen und Papipapo; sie ist dafür viel zu groß. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben keine wirklich demokratische Organisationsform, mindestens auf der Ebene des Zentralstaates. Von einer gewissen Größe an ist Demokratie offenbar nicht mehr möglich, ganz abgesehen davon, dass sie auch im kleineren Format in der Regel an den Voraussetzungen scheitert, nämlich daran, dass in einer modernen Demokratie die Subjekte über die zu entscheidenden Anliegen auch souverän entscheiden können müssten, das heißt, im Bilde sein über die Gegenstände ihrer demokratischen Willensbildung, und das ist mehr oder weniger nirgends der Fall. Aber von einer gewissen Größe an sind auch nicht mehr die Individuen ausschlaggebend, auch wenn sie vollständig souverän bestimmen könnten, also eben im Besitze sämtlicher Informationen; die gesellschaftlichen Interessengruppen kommen dem individuellen Willen von der Struktur her in die Quere. Damit hat man sich abzufinden, beziehungsweise hier muss die Arbeit an den Institutionen auf höherer Ebene ansetzen. Ein erster Schritt dazu ist es ohne Zweifel, mit verschiedenen Augenwischereien Schluss zu machen, eben zum Beispiel mit der Forderung nach Heiligen als Kandidatinnen und Kandidaten in der Politik; stattdessen sollten die Interessengruppen so klar wie möglich identifiziert werden, was nicht bedeutet, dass man ihre Aktivitäten abwürgen muss oder sie geradewegs aufzulösen hat; dass sich gesellschaftliche Interessengruppen formieren, liegt in der Natur der Sache. Man muss dafür sorgen, dass sie auf die eine oder andere Weise nicht das notwendige oder meinetwegen natürliche Spiel der Kräfte verzerren; und selbstverständlich muss man auch dafür sorgen, dass die bis zur Bewusstlosigkeit zitierten Werte tatsächlich immer eine Grundlage von Handlungen und Entscheidungen bilden. Dazu kommt die Vektorfunktion in der Politik: Das aktuelle Kräftegleichgewicht ist nicht notwendigerweise jenes, das zukunftstauglich ist, somit muss auch dieses immer wieder neu ausgerichtet werden, und wenn neue Kräfte aufkommen, muss man einen Umgang damit finden.

Das tönt jetzt schon recht schwurblig, auch für mich selber, aber wenn man sich im Ernst an die Politik auf kontinentaler Ebene macht, dann muss man jene Grundsätze aufgeben, mit denen man auf nationaler oder kommunaler Ebene noch etwas anfangen kann. Ich bin leider kein Spezialist in solchen Sachen, wenn also jemand mal einen kohärenten Vorschlag dazu hat, soll er den doch mal irgendwo einspeisen. Eines weiß ich natürlich: Auch auf dieser Ebene ist so etwas wie Wahrheit eine wichtige Währung, sowohl individuell als auch für die Gemeinschaft der Subjekte, welche sich mindestens alle vier Jahre mal mit dem Wahlzettel äußert. Umso ärgerlicher sind Fälle wie diese Frau Momtschilowa oder die griechischen Konservativen, die Sozialdemokraten von der Pasok übrigens gleich hintendrein, deren politische Existenz darin besteht, Blödsinn in die Luft zu blasen.

Was haben wir sonst noch? Über die Auseinandersetzungen innerhalb Eurer Ampel-Regierung lasse ich mich unterdessen nur noch von der Heute-Show am Freitagabend informieren, dafür ist dieses Format wie geschaffen, vor allem, was den Verkehrsminister angeht, der sich bemüht, wie in einem Andi-Scheuer-Ähnlichkeitswettbewerb aufzutreten. Ansonsten finde ich mindestens im schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif abgesehen von den Angaben zum Lebenslauf keine weiteren Informationen zu dem Herrn, was darauf schließen lässt, dass das Bundestagsbüro auch diesen Eintrag regelmäßig freundlich glättet. Aber vermutlich ist das auch nicht so wichtig. Wir erwarten die Frühjahresoffensive der ukrainischen Streitkräfte, von denen wir nicht wissen, wie lange sie ohne Fremdenlegion gegen die Russen bestehen werden, wobei Fremdenlegion realistischerweise nichts anderes bedeuten kann als den Nato-Beitritt noch während den Kriegshandlungen, was die Lage dann doch noch einmal von Grund auf ändern würde; wir sehen im Sudan einen Krieg zwischen zwei Generälen, den sie mit Sicherheit jeweils im Interesse des Landes führen; aus dem Jemen habe ich in letzter Zeit nicht allzu viel gehört, was ebenso gut damit zusammenhängen kann, dass ich diesem Konflikt nicht die Aufmerksamkeit schenke, die ihm gebührt, wie damit, dass die chinesischen Vermittlungsbemühungen zwischen Saudiarabien und dem Iran auch hier gewisse befriedende Auswirkungen haben, nichts ist unmöglich. Die Demokraten in den Vereinigten Staaten schicken den alten Joe Biden noch einmal ins Präsidentschaftsrennen, weil sie befürchten, mit einem anderen Kandidaten gegen den Wrestling-Kampfbrüller zu verlieren, dessen Kandidatur allerdings noch an einigen juristischen Hindernissen scheitern könnte. In diesem Zusammenhang höre ich übrigens oft Kritik an Kamala Harris, nämlich dass es ihr nicht gelungen sei, in der bisherigen Amtszeit ein eigenes Profil zu entwickeln, was ich für ansehnlich bescheuert halte, also die Kritik, nicht die Amtsführung von Kamala Harris, die ist nämlich genau so, wie es das Protokoll vorschreibt. Sodann will der Kohle- und anderweitige Rohstoffkonzern Glencore, der seinen Sitz in der steuergünstigen Schweiz hat, den kanadischen Kohleproduzenten Teck erwerben; die Zeiten scheinen gerade sehr günstig zu sein für alles, was die Klimaerwärmung befeuert, auch in der Politik hat ein richtiger und wahrhaftiger Backlash eingesetzt, von dem sich übrigens mindestens in der Schweiz die Reaktionäre aller Sorten keine Nachhaltigkeit versprechen, nämlich haben sich alle Erdöl- und Benzinparteien, mit anderen Worten das, was man im politischen Spektrum bürgerlich nennt, zusammengeschlossen mit den Bauernverbänden und den Wirtschaftsverbänden zu einer großen politischen Allianz im Hinblick auf die nationalen Wahlen im Herbst, das ist ja auch wieder interessant. Und wenn wir gerade von der Schweiz sprechen, kann ich noch nachtragen, dass Esther Friedli, von der ich vor ein paar Wochen gesprochen habe, die Wahl tatsächlich geschafft hat, aber es war nicht in den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, sondern als St. Galler Vertreterin im Ständerat, damit dies auch noch richtiggestellt ist. Dafür meldet Le Monde aus Westlibyen eine Zunehmende Versteppung wegen fehlender staatlicher Behörden, welche die grünen Gebiete und die Wälder schützen. In Finnland gibt es eine rechtsgerichtete Regierung, nachdem sich die Wählerinnen und Wähler offenbar gesagt haben, dass auch hier kein wirklich markanter Unterschied besteht zwischen Links und Rechts, sodass man es jetzt mal wieder mit der anderen Seite des politischen Spektrums versucht; und tatsächlich, den Atomstrom, den konnte auch Sanna Marin so gut wie jeder rechte Politiker. – Man könnte sich tatsächlich ein paar graue Haare wachsen lassen, aber das nützt ja nichts, und vermutlich gibt es schon in einer Woche wieder ein paar positive Meldungen.