"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Ein Theater

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Da haben wir wieder einmal neben der offensichtlichen und bestimmenden unmenschlichen auch die menschliche Seite des Krieges. In diesem Fall handelt es sich allerdings nicht um das Absurde für das Individuum, das komplementär ist zum menschlichen Leiden und entsteht aus dem Bruch der Widersprüche, die den Alltag im Frieden bestimmen; vielmehr sind dem Chef der Wagner-Söldnertruppe Prigoschin einfach die Sicherungen durchgebrannt angesichts der Unfä­higkeit der russischen Heeresführung in Sachen Kriegshandwerk.
Audio
11:31 min, 26 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.06.2023 / 12:42

Dateizugriffe: 64

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 27.06.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Da haben wir wieder einmal neben der offensichtlichen und bestimmenden unmenschlichen auch die menschliche Seite des Krieges. In diesem Fall handelt es sich allerdings nicht um das Absurde für das Individuum, das komplementär ist zum menschlichen Leiden und entsteht aus dem Bruch der Widersprüche, die den Alltag im Frieden bestimmen; vielmehr sind dem Chef der Wagner-Söldnertruppe Prigoschin einfach die Sicherungen durchgebrannt angesichts der Unfä­higkeit der russischen Heeresführung in Sachen Kriegshandwerk.
Stellen wir uns mal vor, dass der damalige Blackwater-Chef Eric Prince seine Söldnertruppe gegen die US-Army hätte losgelassen, um gegen die Politik von Donald Rumsfeld im Irak oder später unter Barack Obama gegen die Politik von Robert Gates in Afghanistan zu protestieren – so etwas ist einfach komisch, vor allem im Zeitalter der elektronischen Kriegsführung und vor dem Hintergrund der nach wie vor beste­henden Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen. Da es in diesem Zusammenhang sonst nur wenig zu lachen gibt, sollte man die Gelegenheit benutzen und sich mal so richtig ausschütten. Im Nato-Hauptquartier jeden­falls werden sicher literweise Notfalltropfen ausgeschenkt, um die sich am Boden wälzenden Generäle wiederzubeleben. Es kommt noch dazu, dass es sich bei Prigoschin um so etwas wie um Putins früheren Koch handelt – na gut, Eric Prince ist ja auch der Bruder von Trumps damaliger Bildungsministerin Betsy De Vos. Und Blackwater ist auch nicht mehr, was es einmal war; heute heißt die US-amerikanische Söldnertruppe, die auf allen Kontinenten im Auftrag der Regierung aktiv ist, Academi und ist Teil der Constellis, wie man im schlauen Buch des Fähnleins Fiesel­schweif nachlesen kann, deren Aufsichtsrat von Typen bevölkert wird, die so aussehen, als wären sie soeben beim Casting für einen drittklassigen Kriegsfilm durchgefallen, ich nenne in erster Linie Darryle Conway, den Chief Growth Officer, wobei Wachstum im Zusammenhang mit Constellis nur die Steigerung der kriegerischen Aktivitäten bis hin zum Weltkrieg meinen kann, und Jim Noe, den President Global Support Operations, sie beide aussehen, als hätte man sie unmittelbar nach der Geburt in einem Militärspital in die Kopfformpresse gegeben mit ihren länglichen, kürbisförmigen Schädeln. Für das Zwischenmenschliche ist selbstverständlich eine Frau zuständig, nämlich Michelle Smith als Vice President, und die Finanzen werden von einem Jim-Carey-Verschnitt besorgt, von Darin Cabral. Wenn man übrigens bei Jim Noe um eine Schicht tiefer schürft, erfährt man, dass er zwei Jahre lang für das Außenministerium Ausbildungskurse für beziehungsweise gegen chemischen und biologischen Terrorismus leitete, in Manila Kurse für Antiterrorismus und dass er für das Außenministerium ein Trainingsprogramm für Massenver­nichtungswaffen entwickelt hat. Ja Eia Papaya, ich weiß gar nicht, ob Jewgeni Prigoschin ebenfalls Experten für chemischen und biologischen Terrorismus und Massenvernichtungswaffen in seinen Reihen zählt – vermutlich ist die Wagner-Außendienstabteilung von Wladimir Putin nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu diesem Constellis-Sturmwind, über den es allerdings den Medien niemals beifällt, auch nur ein Wörtchen zu verlieren, wenn sie über die Gräueltaten der Wagner-Truppen auf der ganzen Welt berichten. Selbstverständlich sind das nicht in erster Linie die Medien, sondern die real existierenden Kräfte dahinter. Am letzten Freitag hat der französische Präsident Macron wieder die Einmischung privater russischer Milizen in die Afrikanischen Innereien beziehungsweise Innen­politik getadelt. Selbstverständlich sprechen diese Leute, wenn sie ihre eigenen Interessen meinen, die im Falle Frankreichs meterdick an der Oberfläche liegen, von Gräueltaten der Gegenseite. Gräuel­taten übrigens, die ich weder leugnen noch banalisieren möchte, die ich aber in unzu­gäng­li­chen Gegenden der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo einfach zum Vornherein als Normalität von allen betroffenen Seiten unterstelle, wodurch es eben zu einer Lüge wird, wenn der französische Präsident dergleichen tut, als wären allein die Wagner-Truppen zu so etwas fähig und dafür zuständig.

Das wollte ich eigentlich schon lange einmal sagen, und jetzt ist der Moment gekommen, da Jewgeni Prigoschin definitiv dem Ukraine-Krieg die Dimension des Operetten-haften beigemischt hat, eine Dimension übrigens, die im Grundsatz dieser Spezialoperation von Anfang an beigemischt war, unabhängig von den Toten und Verletzten, welche ein Krieg einfach immer mit sich bringt. Was diese Pirouhette für den Kriegsverlauf bedeutet, wo die russischen Truppen stehen, wie die ukrainische Frühjahresoffensive verläuft, dazu kann ich mich dann wieder nicht äußern.
In Südthüringen beziehungsweise in Sonneberg wird man noch nicht von zentralafrikanischen Verhältnissen sprechen nach der Wahl des AfD-Kandidaten Sesselmann zum Landrat. Die Allianz für Deutschland ist bekanntlich nicht schwarz, sondern braun. Nun unterliegt aber dieser Wahl die Tatsache, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung in diesem schönen, von Naturkatastrophen bis auf gelegentliche Überschwemmungen weitgehend verschonten Landkreis nicht nur für den Kandidaten Sesselmann, sondern vor allem für seine Partei mit der ihr zugehörigen Operetten-Ideologie ausgesprochen hat. In zehn Jahren feiern wir den hundertsten Jahrestag der Macht­er­grei­fung der Nationalsozialisten in Deutschland mit allem, was dazu gehört, von der Vollbeschäftigung durch Kriegswirtschaft mit noch vollerer Beschäftigung durch den Krieg selber bis zu jener Maschine, welche 6 Millionen Jüdinnen und Juden aufgrund der Rassenideologie und der Rassengesetze umgebracht hat. Ich würde Euch in Deutschland und spezifisch in Thüringen vorschlagen, diesen hundertsten Jahrestag nicht durch die Einbettung der gleichen Rassenideologie in den politischen Prozess zu begehen. Dazu braucht es aber offensichtlich einige Anstrengungen, um in der Bevölkerung die entsprechenden Tatsachen wieder in Erinnerung zu rufen. Vor hundert Jahren war Thüringen ein Hort übelster Reaktionäre und Rassisten, das braucht man jetzt nicht neu aufzulegen. Im Gegenteil: Die Kräfte der Vernunft müssen sich neu formieren und diesen ver­stock­ten Geistern der Vergangenheit entgegen treten. Es darf dabei keine Ausreden geben wie den Verweis auf die Schwächen der Politik auf allen Ebenen, auch wenn man solche Schwächen immer kritisieren und wenn möglich beheben soll. Aber hier geht es um etwas anderes. Die Vernunft muss die grundsätzlich menschenfeindliche Haltung der Nationalist:innen klarlegen. Sie muss die Verheerungen von Propaganda und Populismus aufzeigen. Vor allem muss die Vernunft darauf pochen, dass alles, was das moderne Leben in den modernen Gesellschaften derart reich und komfortabel macht, das alleinige und einzige Ergebnis vernünftiger Arbeit ist, egal, ob in der Wissenschaft, in der Organisation der Produktion oder im Umgang der Bevölkerungen miteinander. Jede:r AfD-Wähler:in, welche ein Mobiltelefon in Händen hält, hat einen praktischen Beleg der eigenen Dummheit in Händen. Die Mobiltelefonie beruht auf internationaler Kooperation, auf Arbeitsteilung, auf der Gleichheit der Menschen. Deutschtum und Deutschtümelei haben keinen Platz auf dieser Welt, ebenso wenig wie alle anderen nationalistischen Kretinismen.

Die Vernunft stellt in der Regel vernünftige Fragen. Zum Beispiel weshalb es in South Dakota die Möglichkeit gibt, sein Vermögen vollkommen ohne Besteuerung in einem Trust zu verstecken, ohne jede Pflicht zur Offenlegung und so weiter, während die Vereinigten Staaten von Amerika von allen anderen Ländern auf dem Globus verlangen, Steuerinformationen über ihre Staatsangehörigen und vermutlich auch über andere herauszurücken. Das hat für Südthüringen vermutlich keine direkte Bedeutung, aber die Möglichkeiten zur internationalen Kapital- und Steuerflucht sind grundsätzlich für alle Länder von Interesse, weil sie mit diesen Möglichkeiten zum Beispiel Staatseinnahmen verlieren oder im umgekehrten Fall erzielen. In der neutralen Schweiz wissen wir, wovon hier die Rede ist; in South Dakota zuckt man heute aber nur noch bedauernd die Schultern, wenn von der Schweiz die Rede ist. Das war einmal; heute ist es eben South Dakota, abgesehen von anderen Bundesstaaten wie vor allem den Heimatstaat des aktuellen US-Präsidenten, Delaware, der schon seit geraumer Zeit als Steueroase gilt. Die Regelung der internationalen Kapitalflüsse ist von zentraler Bedeutung für die Einrichtung der modernen Gesellschaften, und das heißt konkret für die Einrichtung von Gesellschaften, welche nicht einfach auf der Produktion von Überfluss und Überschuss beruhen, sondern welche restlos allen Menschen in den jeweiligen Ländern und auf der ganzen Welt jenes gehobene Maß an Gütern, Dienstleistungen und Wohlstand garantieren, das seit einigen Jahren problemlos möglich und realistisch ist. Weshalb raufen sich die Menschen in der dumm-reaktionären Ecke die Haare über mögliche Übervorteilungen, weshalb schwätzen sie die ganze Zeit von irgendwelchen Privilegien, welche andere haben ihnen gegenüber, wo doch die Zeit der Privilegien angesichts der schieren Menge an Gütern als solche vorbei ist? Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit verfügen wir über die Möglichkeit, die Bedürfnisse praktisch aller Menschen zu befriedigen, und zwar mit Angeboten von sehr guter Qualität und erst noch mit zunehmend weniger Umweltbelastung, und was macht diese Ansammlung von Dummköpfen? Sie erregt sich gegen die Bundesregierung und läuft ein paar nationalistischen Idioten hinterher, welche ausdrücklich oder klammheimlich eine Ideologie aus dem letzten Jahrtausend anpreisen. Eine Ideologie, für welche es nicht mal mehr eine Lebensgrundlage gibt. Deutschland braucht längst keinen Raum im Osten mehr, Deutschland stirbt aus, wenn es dem Land nicht gelingt, sich vermittels von Einwanderung zu verjüngen. Aber das nur als Beispiel.

Vernunft, meine Damen und Herren, wissenschaftliches Denken bei gleichzeitiger Verherrlichung jener menschlichen Tugenden, welche den Menschen erst zum Menschen machen, namentlich Dinge wie Mitgefühl oder Liebe oder was auch immer, das ist die Losung, welche eine moderne politische Bewegung zuoberst auf ihre Fahnen schreiben muss. Dabei versteht es sich von selber, dass in einer hoch komplexen Gesellschaft die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Interessengruppen ein konstituierendes Element dieser Gesellschaft ist und sein muss. Bloß sollten sich diese Interessengruppen davor hüten, für die Verteidigung oder die Stärkung ihrer Interessen auf die Dummheit als solche und in jeder ihrer Unterformen zurückzugreifen. Unglücklicherweise erleben wir dies im politischen Prozess immer wieder, in Deutschland im Moment in der Debatte um die Modernisierung der Heizungen. Was für ein Drama! Am Wochenende war ich mit einem Kollegen unterwegs, der gerne in den Bergen herum kraxelt. Seine Rede ist im Wesentlichen nur noch eine von veränderten Wanderbedingungen im Hochgebirge. Wegen des Rückgangs der Gletscher und der Schneedecken und wegen des Auftauens von Permafrost in den oberen Regionen mit steigender Steinschlaggefahr müssen ganze Wege neu gelegt werden. Nur als Beispiel. Was tut man dagegen, also gegen die Klimaerwärmung? Am besten baut man weiterhin Ölheizungen in die Häuser ein und fördert den Absatz von Verbrennermotoren. Dann geht es einfach noch etwas rascher mit der Beschädigung der Umwelt. – Das ist doch alles Quatsch. Haltet euch einfach an die Vernunft, welche durchaus Lösungen aufzeigt, wie man den Verbrauch fossiler Energien und insgesamt den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren kann, so dass die Klimaziele erreichbar werden. Klimaziele, welche nicht die Gruppe Wagner formuliert hat, sondern die Konferenz aller Staatsoberhäupter auf der ganzen Welt.