"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Inflation in Japan

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Jetzt fallen die Großhandelspreise plötzlich wieder, in Deutschland im April um 0.5%, im Mai um 2.6% und im Juni um 2,9% gegenüber dem Vorjahr. Das wird auch die Konsumentenpreisinflation schrumpfen lassen. Hauptgrund für den Rückgang seien sinkende Energiepreise. Auf der anderen Seite der Welt, in Japan, stand der Konsumentenpreisindex im letzten Jahr bei 107.8%, wenn man das Jahr 2010 als 100% annimmt.
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12:54 min, 30 MB, mp3
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Upload vom 20.07.2023 / 11:44

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 20.07.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Jetzt fallen die Großhandelspreise plötzlich wieder, in Deutschland im April um 0.5%, im Mai um 2.6% und im Juni um 2,9% gegenüber dem Vorjahr. Das wird auch die Konsumentenpreisinflation schrumpfen lassen. Hauptgrund für den Rückgang seien sinkende Energiepreise. Auf der anderen Seite der Welt, in Japan, stand der Konsumentenpreisindex im letzten Jahr bei 107.8%, wenn man das Jahr 2010 als 100% annimmt.
Heißt: In den letzten 13 Jahren sind dort die Preise insgesamt um 7.8% gestiegen. Im Jahr 1992 waren es 99.3% gewesen. Heißt: Zwischen 1992 und 2010 gab es in Japan eine Inflation von insgesamt 0.1%.

Die gleiche Kurve zeigt für Deutschland andere Werte. Wenn man erneut das Jahr 2010 als 100% annimmt, so stand der Index im letzten Jahr bei 124.5% im Vergleich zu den 107.8% in Japan. Im Jahr 1992 hatte er bei 73.8% notiert, in Japan eben bei 99.3%. Und für die USA, deren Wirtschaft nicht 1990 und 1991 den Kraftakt der Übernahme eines ganzen neuen Landes zu stemmen hatte, meldet die Weltbank, erneut bei 100% für das Jahr 2010, einen Stand von 134.2% im Jahr 2022 und 64.3% im Jahr 1992. Für Frankreich lauten die Zahlen, immer noch bei 100% für das Jahr 2010, 118.3% für das Jahr 2022 und 75.2% für das Jahr 1992, für Italien 121.8% im Jahr 2022 und 62.5% im Jahr 1999, für Norwegen 133.3% im Jahr 2022 und 66.8% im Jahr 1992. Das Vereinigte Königreich stand 2022 bei 133.7% im Vergleich zu den 100% aus dem Jahr 2010, für 1992 werden 68.7% ausgewiesen. Die Volksrepublik China stand im Jahr 1992 bei 44.5% des Konsumenten­preises von 2010 und im Jahr 2022 bei 131.9%, und in Indien weist die Statistik für das Jahr 2022 205.3% des Werts von 2010 aus und für das Jahr 1992 29.2%. In dieser Reihe hatte Indien also sowohl vor als auch nach dem Referenzjahr 2010 den stärksten Anstieg der Konsumentenpreise, während der Rest dieser Kohorte einigermassen im Rahmen blieb, mit der einen unerklärlichen Ausnahme von Japan. Nur die Schweiz wies mit 102.2% für das Jahr 2022 einen noch geringeren Preiszuwachs seit 2010 aus, der sich allerdings weitgehend mit der starken Währung erklärt; zuvor war die Teuerung zwar auch etwas geringer gewesen, der Index weist für 1992 83.4% aus, aber es gab immerhin noch so etwas wie Inflation, im Gegensatz zu Japan in dieser Phase. Und eben, was die Wechselkurse angeht, so kostete ein Euro im Jahr 2010 noch 1.36 Franken, während er 2022 minimal unter Parität notiert mit 99 Rappen, das heißt, die 25% Kaufkraftverlust des Euro in Deutschland, wie man dem Anstieg des Konsumentenpreisindexes auch sagen kann, werden in der Schweiz von einem Wertzuwachs der Währung gegenüber dem Euro ausgeglichen; aber, ahaber, was ist denn mit Japan los, dessen Währung sich im gleichen Zeitraum von 111 Yen pro Euro auf 140 Yen pro Euro abschwächte, was also zusammen mit der Inflation in Deutschland das Verhältnis zwischen den beiden Währungen beziehungsweise Ländern um 50% abgeschwächt haben müsste, während der Konsumentenpreisindex in Japan aber nur um knapp 8% gestiegen ist? – Aktuell kostet ein Euro übrigens über 150 Yen, das ist so viel, wie seit der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr, also damals natürlich im Wechselkurs zur Mark beziehungsweise zum US-Dollar.

Es ist ein Rätsel, das im Grunde genommen eine eigene ökonomische Realität begründet für das Reich hinter der Mitte. Ich habe keine Ahnung, weshalb das so gekommen ist, und es wäre mir auch nicht aufgefallen, wäre nicht ein Kollege kürzlich von einem längeren Japan-Aufenthalt zurück­ge­kom­men, der ihn übrigens unter anderem zu einem Hersteller von Gießkannen geführt hat, welche sich für 600 Euro pro Stück weltweit verkaufen und angeblich den sanftesten Wasserstrahl im ganzen Universum ausgießen,und zwar, merket auf, nur in einem einzelnen Strahl, also im genauen Gegenteil zum viel gescholtenen Giesskannenprinzip, das mir persönlich nicht als ein zu schel­tendes, sondern als ein wunderbares Prinzip erscheint und punktgenau den Regen nachahmt, den die Natur in einigen Weltgegenden schmerzlich vermisst, aber wie auch immer und unabhängig davon hat der Kollege also gesagt: Ich weiß nicht, was los ist, aber die Preise in Japan haben sich in den letzten zwanzig Jahren überhaupt nicht verändert. Und die Statistik der Weltbank belegt das, und damit belegt sie aber auch, dass dort das Verhältnis von Gesellschaft und Wirtschaft anders strukturiert ist als im Rest der Welt, obwohl die japanische Wirtschaft ebenso eng in den Welthandel eingebunden ist wie jede andere normale Volkswirtschaft, bloß eben, man weiß nicht so genau, wie. Man weiß, dass es Anfang der neunziger Jahren eine gewaltige Wirtschaftskrise gab, die vor allem im Finanzmarkt und an der Börse massive Abstürze auslöste. Damit hatte des Land zehn Jahre lang zu kämpfen, und dieser Kampf wurde wie auch heute wieder nicht zuletzt mit dem geldpolitischen Instrumentarium der Notenbank beziehungsweise des Staates geführt. Dabei geht es nicht ausschließlich um Finanzmärkte und Investitionen, sondern auch um die Erhaltung der Kaufkraft, welche im Wirtschaftsboom vor 1990 wegen der steigenden Preise gefährdet worden war; vielleicht ist man in Japan deshalb besonders allergisch auf Dinge wie die Inflation. Ich weiß es nicht, und in der Wirtschaftswissenschaft gibt man mir auf solche Fragen nie eine richtige Antwort.

Aber die Wirtschaftswissenschaften produzieren dafür andere interessante Erscheinungen, zum Beispiel den Wirtschaftsjournalisten Albert Steck, von dem ich hier auch schon gesprochen habe, wenn ich mich nicht täusche. Am Wochenende hat er etwas neues erfunden beziehungsweise er gibt vor, er hätte eine Studie von anderen Ökonomen gelesen, nämlich geht es darum, dass die Menschen in Europa zu wenig fruchtbar sind und immer weniger Kinder kriegen, was das aktuelle System der Rentenfinanzierung in Frage stellen. «Ökonomen schlagen deshalb vor, die Höhe der Altersrente an die Zahl der eigenen Kinder zu koppeln. In der AHV wird die Rendite der Kinder sozialisiert, während die Kinderkosten zum großen Teil privat zu tragen sind, begründet Wolfram Kägi vom Basler Beratungsbüro BSS das Konzept.» Mit anderen Worten: In Zukunft soll nur noch Altersrente kriegen, wer Kinder hat. Damit ist dieser famose Wirtschafts­journalist wieder in die untergegangen geglaubte Epoche zurückgekehrt, in welcher die Alters­si­cherung tatsächlich abhängig war von einer hohen Anzahl von Kindern und Kindeskindern. Nur am Rande: Ich selber wohne direkt gegenüber von einem Schulhaus, das aus allen Nähten platzt; in der Stadt Zürich wurde vor einem Monat der ungefähr siebte Schulhaus-Neubau in den letzten fünf Jahren bewilligt, weil nicht nur der Unterricht so viel komplexer geworden ist, dass tatsächlich mehr Raum und mehr Personal pro Kind aus dem Schülergut benötigt wird, sondern weil die schiere Anzahl an Kindern stark zugenommen hat; und schließlich ist die Bevölkerung der Schweiz innerhalb von kurzer Zeit von siebeneinhalb auf neun Millionen angewachsen, und die Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» prognostiziert eine weitere Zunahme auf 11 Millionen im Jahr 2070. Solche Zahlen kann man nicht mit der zunehmenden Lebenserwartung erklären, da müssen schon auch noch ein paar Kinder dabei sein, aber solche Überlegungen sind diesem Autor fremd, wenn er sich mal in ein Thema verbissen hat. Albert Steck ist, wen wundert's, Wirtschaftsjournalist bei der Neuen Zürcher Zeitung und hat, das wundert mindestens jemanden, nämlich mich, im letzten oder vorletzten Jahr eine Aus­zeich­nung der Ver­eini­gung Zürcher Wirtschaftsjournalisten erhalten. Er ist auch einer von jenen Stimmungs­machern, der immer wieder behauptet, bei den Schweizer Pensionskassen würden jedes Jahr 7 Milliarden Franken von den jungen arbeitstätigen Generationen zu den habgierigen Rentenbezüger:innen umverteilt. Dies bei Einnahmen dieser Pensionskassen aus Beiträgen und Kapitalerträgen von um die 60 Milliarden Franken pro Jahr bei Rentenleistungen von 30 Milliarden. – Aber dies am Rande.

Ein anderes Thema, das in Wirtschaftskreisen vor allem in Europa im Moment heiß diskutiert wird, ist der Vorsprung der chinesischen Hersteller von Elektroautomobilen gegenüber der Konkurrenz in den USA und vor allem in Europa. Hier liegt tatsächlich Sprengstoff, vor allem für eine Wirtschaft wie die deutsche, die immer noch auf der Automobilität aufbaut. Wenn hier die Umstellung auf den Elektroantrieb nicht rechtzeitig geschafft wird und uns am Schluss die Chinesererin sogar im Heimatmarkt mit unschlagbar günstigen Modellen das Wasser abgräbt, haben Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durchaus Anlass zur Sorge, einmal abgesehen davon, dass es mehr als diesen Grund gibt, Auswege aus der Konzentration aufs Automobil zu suchen, aber wie auch immer. Umso mehr raubt einem das bayrische Regierungsduo Söder und Aiwanger fast den Atem, wenn es ums Verrecken sämtliche Anstrengungen zum Schutz der Umwelt sabotiert und erst noch meint, damit die Wahlen im Herbst zu gewinnen. Man kann das eigentlich nicht anders lesen als Selbst­mord­pro­pa­ganda für BMW und Audi, auch wenn offiziell nicht die Rede vom Ver­bren­ner­mo­tor ist, sondern von der Umstellung auf Wärmepumpen; aber selbstverständlich wird über diese Wärme­pum­pen-Rhetorik auch der ganze Murks mit der Elektromobilität abgewatscht. Was ist denn das?
Immerhin haben die Automobilfabrikanten noch ein paar Jahre Zeit, bis die neue Gesetzgebung der Europäischen Union in Kraft tritt. Wenn sie diese Zeit dazu verwenden, absolut vernagelte Landesregierungen zu unterstützen, anstatt mit Vollgas in die Elektromobilität zu investieren, dann sinkt nicht nur der kollektive Intelligenzquotient im Freistaat Bayern auf unterirdische Niveaus, sondern bald auch das Bruttosozialprodukt. Soviel steht fest.

Davon abgesehen stellen wir mit einer gewissen Konsternation fest, dass im Moment das Bewusst­sein für Klimaschädigung durch persönliches Verhalten wieder auf einen Stand von unter dem gesunken ist, was im Jahr 2010 100% waren. Wahrscheinlich entlädt sich so etwas wie eine Überdosis an Klimascham, man kneift einfach die Augen so fest wie möglich zu, dann verschwindet das Phänomen hoffentlich von selber. Geflogen wird jedenfalls wieder, dass es eine Art hat, und gelogen wird ebenfalls in dieser Industrie, dass es eine Art hat, in erster Linie mit den Aussichten auf umweltneutralen Flugzeugtreibstoff. Aber auch so harmlose Dinge wie die Kreuzfahrtindustrie brummen wieder auf den Weltmeeren herum; soweit sie ihre Giftstoffe nicht mehr direkt hinten aus dem Auspuff rausblasen, tun sie es über die Methoden des Herausfilterns, mit dem sie halt jetzt im Meer landen statt in der Luft darüber, ganz abgesehen davon, dass ich nichts gelesen habe von einem massiven Umrüsten der Antriebe weg vom giftigen Schweröl. Das macht die Dinge nicht viel besser. Insgesamt sind die kollektiven Reaktionen auf die unterdessen wirklich allen bekannten Tatsachen von CO2, Klimaerwärmung und so weiter nur mit Massenpsychologie zu erklären. Parallel dazu verschieben sich die politischen Kräfte nach rechts, dass es ebenfalls eine Art hat, wenn auch am sozialdemokratischen Prinzip einer halbwegs breiten Verteilung der notwendigen Almosen auch von rechts nicht gerüttelt wird, was übrigens nicht grundsätzlich etwas Neues ist, auch wenn sich die Rhetorik rechter Parteien oft gegen den Sozialstaat richtet; in der Praxis wagt dann aber kaum jemand, an dessen Grundfesten zu rütteln, man versucht, sie einfach etwas fremdenfeindlicher zu gestalten, als sie in der Regel ohnehin schon sind. Oh Zeiten, oh Sitten, aber auch diese werden sich wieder ändern, mit etwas Schwein schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug nach den Ferien. In diesem Sinne nehmen wir die Landtagswahl in Bayern tatsächlich als einen echten Gradmesser für die Reife der Arbeiterinnenklasse.

Kommentare
21.07.2023 / 17:58 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 21.7.. Vielen Dank !