"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die spanischen und andere Rechtsbewegungen

ID 123488
  Extern gespeichert!
AnhörenDownload
Die sozialistische und Arbeiterpartei Spaniens konnte bei den Wahlen vom letzten Wochenende ihren Stimmenanteil um 3.7 Prozentpunkte steigern und kann somit nicht als richtig saftige Wahlverliererin gefeiert werden, obwohl sie natürlich von der Volkspartei überholt wurde, die nach 20.8% Stimmenanteilen bei den Wahlen 2019 jetzt auf 33.0% kam.
Audio
12:38 min, 29 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 25.07.2023 / 22:30

Dateizugriffe: 69

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 25.07.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die sozialistische und Arbeiterpartei Spaniens konnte bei den Wahlen vom letzten Wochenende ihren Stimmenanteil um 3.7 Prozentpunkte steigern und kann somit nicht als richtig saftige Wahlverliererin gefeiert werden, obwohl sie natürlich von der Volkspartei überholt wurde, die nach 20.8% Stimmenanteilen bei den Wahlen 2019 jetzt auf 33.0% kam.
Man würde sagen, dass das Ergebnis die politischen Verhältnisse in Spanien richtiggehend bestätigt hat, das Lager links und das Lager rechts der Mitte halten sich ungefähr die Waage. Besondere Aufmerksamkeit galt diesmal eher dem rechten Rand, auch wenn es sich bei diesem rechten Rand um eine Art von Aus­dif­fe­ren­zierung des Partido Popular handelt; die Partei Vox, welche sich den Zusatz «Populi» wohl erst dann auf die Fahne schreiben wird, wenn sie über 90 Prozent der Stimmen einheimst, hatte durch verschiedene Erfolge und durch die erstmalige Regierungsbeteiligung in einer Regionalregierung in Valencia von sich reden gemacht und auch von ihrem Wahlprogramm, welche die Vox Populi tatsächlich als politischen Arm des Opus Dei erkennen ließ. Alle Menschen, welche es nicht so mit den Geistern der Vergangenheit haben, sind erstaunt und erleichtert darüber, dass die Erzkonser­va­tiven über einen Drittel ihrer Sitze im Parlament verloren haben und mit 12.4% Stimmenanteil auch nur um einen Zehntelsprozentpunkt vor der Linkskoalition Sumar liegen. Die früher aus Unidos Podemos und anderen gebildete Gruppe büßte 3% an Stimmenanteilen ein und verlor 7 Sitze.

Auch bei den Wahlen in den Senat legte der PSOE zu von 28% auf 31.7%, wurde aber auch hier von der Volkspartei überholt, die sich gegenüber 2019 von 27% auf 34.7% steigerte. Hier legte die Vox um 5.6 Prozentpunkte zu auf 10.7%. Die Volkspartei verfügt im Senat über eine solide Mehrheit von 120 der 208 Sitze; in der Abgeordnetenkammer sind es nur 136 von 350 Sitzen, es reicht also nicht einmal zusammen mit den 33 Stimmen der Vox zur Mehrheit. Natürlich auch nicht für die Sozialist:innen, die zusammen mit den Sumar-Stimmen auf 153 kommen. Das verspricht ein sauberes Gerangel zu werden, vor allem, weil die Partei des im Ausland weilenden katalanischen Separatisten Puigdemont das Zünglein an der Waage spielen könnte. Die wichtigste Nachricht von diesem Wochenende ist aber die, dass Spanien seinen Weg mit zwischen bürgerlichem und sozialdemokratischem Lager wechselnden Mehrheiten unbeirrt weiter geht, und das ist in dieser Lage insbesondere deshalb erfreulich, weil die konservativ-rechtsnational geifernde Vox nicht zum Durchmarsch angesetzt hat, den man im Angesicht des Zeitgeistes, der von links nach rechts weht, doch befürchten musste. Es ist nicht alles Meloni respektive die Fratelli Bindella oder Urban Orban oder Kaczinsky oder Schwedendemokraten oder Wahre Finnen oder Le Pen oder Heribert Kickl, wobei ich mir ein erstauntes Glucksen über die Wiederbelebung der Freiheitlichen Partei Österreichs in ebendiesem Österreich nicht verklemmen kann: Haben die denn nie genug, diese Österreicherinnen? Sie wissen doch genau, was sie bekommen, wenn sie die Freiheitlichen wählen: vornherum jene verstockte, rassistische Ideologie, welche offenbar einen festen Bestandteil des kollektiven Bewusstseins in Österreich darstellt, und hintenrum beziehungsweise in der Praxis eine Bande von Kleinkriminellen, welche den Staat so gut ausnehmen, wie sie es können mit Filz und Korruption. Wobei Filz und Korruption selbstverständlich auch bei der Österreichischen Volks­partei und bei den Sozialdemokraten fest verwurzelt sind, aber immerhin nicht die ausschließliche politische Existenz ausmachen, im Gegensatz zur ÖVP. Das rassistische nationalistische Gekrächze bildet die Sichtblende für die Jungs aus der rechten Ecke.

Das würde man bei auch der Allianz für Deutschland nicht vorwerfen, natürlich vor allem deshalb, weil sie gar nirgends an die Staatstöpfe herangelassen wird, ich meine, so ein Landratsposten in Sonneberg ist ja noch nicht das Vorzeichen einer Regierungsbeteiligung in allen Bundesländern und auf der Ebene der Bundesrepublik. Und solange die Budgettöpfe ganz und gar außer Reichweite sind, kann man auch gut heulen vom Austritt aus der EU, was in der aktuellen Lage für Deutschland ungefähr gleichbedeutend wäre mit dem Austritt aus der Welt als solchen. Vielleicht ist es wieder einmal Zeit, sich ein paar harmlose Zahlen zu vergegenwärtigen, die vor allem das Geheul von der Benachteiligung der Deutschen im eigenen Land so richtig als Produkt einer nur sehr schwach entwickelten Künstlichen Intelligenz erscheinen lassen, oder im Stammtischvokabular: als großen Kesselbrunz.
Es geht euch nämlich gut, geschätzte Nachbarinnen und Nachbarn, sicher nicht allen gleich gut, aber grundsätzlich geht es schon mal nicht schlecht in eurem Land, und wo ihr den Wohlstand gerechter verteilen wollt, wohlan, nur zu, ich liefere euch gerne ein Adressbuch mit den Namen der Superreichen, Ihr könnt es aber auch selber nachschlagen in den einschlägigen Foren, Forbes und so. Eines aber ist sicher: Es sind nicht die Ausländer:innen, welche den Armen in eurem Lande die Butter vom Brot fressen. Davon habt ihr übrigens laut dem CIA Fact Book immer noch gut 15% aus Gründen, die nur ihr selber kennt – es gibt für Armut in eurem Land keine materiellen Grund­lagen mehr, sofern man nicht die statistischen Sachzwänge nimmt, welche mit der Armutsdefinition von 40% des Durchschnittslohns eine ewige Armutsquote von eben diesen ungefähr 15% erzeugt, unabhängig davon, ob diese Armen ganz gut leben und sich vielleicht auch einen Urlaub leisten können. Das ist sicher nicht bei allen der Fall, und die traurigen Umstände vieler Leute mit wenig Einkommen oder gar keinem sind wie gesagt umso skandalöser, als sie absolut überflüssig sind – weg damit, ein für alle Mal, sorgt dafür auch in der Politik, aber sicher nicht mit der Allianz für Deutschland. Trotzdem und insgesamt: Eine richtig saubere Grundlage für eine richtig saubere Armut habt ihr in Deutschland nicht, so wenig wie wir in der Schweiz, wo das CIA Factbook sogar auf einen Anteil von Menschen, die unter der Armutsgrenze leben an der Gesamtbevölkerung, auf 16% kommt, also ein Prozent mehr als bei euch – die Schweiz ist also ärmer als Deutschland. Das ist natürlich Quatsch. In Deutschland liegt der Durchschnittslohn übrigens bei 4100 Euro, per April 2022, und in der Schweiz der Medianlohn, was nicht genau dasselbe ist, bei knapp 7000 Franken.

Die Lebenserwartung bei der Geburt beträgt bei euch im Schnitt 81.72 Jahre, für Männer 79.37 Jahre, für Frauen 84.2 Jahre, was aber nach meinem und auch nach eurem Dafürhalten noch kein Grund ist, um einen Krieg zwischen den Geschlechtern anzuzetteln, obwohl man dies dringend tun müsste, wenn man die Logik der Rechtsnationalist:innen benutzen würde. Ihr trankt im Jahr 2019 pro Kopf 10.56 Liter reinen Alkohols, aufgeteilt in 5.57 Liter Alkohol in Bier, 3.02 Liter Alkohol in Wein und 1.97 Liter in Schnäpsen. Für Russland übrigens lauten diese Werte 7.29 Liter reinen Alkohols pro Kopf, davon 3.04 Liter in Bierform, 0.97 Liter in Weinform und 3.16 Liter in Schnapsform. Das hättet ihr nicht gedacht, was, dass ihr mehr säuft als die Russin und der Russe! – Geraucht wurde in Deutschland von 22% der Bevölkerung – in Russland von 27% –, unter­gewich­tige Kinder jünger als 5 Jahre gab es auf den gesamten Bestand an Unter-5-Jährigen gesehen 0.5%, und für Bildung und Aus­bildung gabt ihr 4.7% des Bruttoinlandproduktes aus; in der Schweiz waren es im Vergleich dazu 5.2% des BIP, wobei ich allerdings vermute, wenn ich mir die verschiedenen Berichte aus eurem Bildungswesen so anhöre, dass die Ausgaben in der Schweiz besser eingesetzt werden als in Deutschland. Das deutsche BIP betrug im Jahr 2021 zu offiziellen Wechselkursen 3.86 Billionen US-Dollar, das fünfthöchste der Welt, oder pro Kopf 53'200 Dollar. Exporten von 47.3% dieses BIP standen Importe von 39.7% gegenüber, in Zahlen: für 2 Billionen Dollar wurde exportiert, für 1.77 Billionen importiert. Das statistische Bundesamt gibt leicht andere Werte an, es führt eine Exportquote von 43.5%, eine Importquote von 37.7% und eine Außen­bei­trags­quote von 5.7% an. Nach Branchen ist die Automobilindustrie weiterhin am bedeutendsten mit einem Umsatz von 439 Milliarden Euro, gefolgt vom Maschinenbau mit 256 Milliarden, der chemisch-pharmazeutischen Industrie mit 198 Milliarden, der Nahrungsmittelindustrie mit 185 Milliarden und der Elektrotechnik mit 181 Milliarden.

Aus der EU austreten will die Allianz für Deutschland also, das heißt, die Beziehungen mit allen Handels­part­ner:innen wenn nicht gleich abbrechen, so doch reformieren; im Hintergrund steht wohl die Vorstellung einer total autarken Volkswirtschaft, welche keine Importe mehr braucht aus den feindlichen Nachbarländern, während aber die Exporte ins Feindesland weiterhin blühen sollen. Nun erstaunt diese Vorstellung bei den vernagelten Köpfen im rechten und rechtsextremen Bereich nicht weiter; aber die normalen unpolitischen Menschen wie ich kommen zum Schluss, dass die Allianz für Deutschland sich umbenennen sollte in die Partei des demokratischen Selbstmordes, PDS. Dieser Name ist meines Wissens frei und würde die Anhängerschaft im Osten des Landes sicher begeistern.
Der verbreitete politische Rechtsruck in Europa gibt einem zu denken, das ist klar. Man kann sich Erklärungen zusammen zimmern, die ungefähr zutreffen, wie jene, dass das eine logische Reaktion des Volkskörpers ist auf die vollendete – nein, nicht Industrialisierung, Globalisierung und Automatisierung, sondern auf die vollendete Sozialdemokratie, welche in der Sphäre der Politik halt dazu führt, dass sich die Parteien nur noch so unterscheiden wie Kohl- und Blaumeisen oder Nachtigallen und Lerchen. Wobei der Vergleich aus der Vogelwelt insofern nicht korrekt ist, als sich die Parteien in der vollendeten Sozialdemokratie nur noch durch ihren Gesang unterscheiden, und dort gibt es halt eben Liebhaber:innen von Gekrächze ebenso wie die Anhänger:innen von Sumpfdrosseln, von Elstern und von Sperlingen. Auf diese Art und Weise und wenn sowieso alle Abmachungen schon zum Vornherein und hinter den Kulissen getroffen sind, dann bleibt uns tatsächlich nur noch ein großes Pfeifkonzert.

Aber ganz richtig ist das nicht. Es macht doch noch einen Unterschied, ob sich die Menschen auf bestimmte Grundsätze einigen können, wie zum Beispiel den, dass der Wohlstand der Gesellschaften ebenso wie die Lösung der anstehenden Probleme nur mit dem Mittel der Wissenschaft zu erreichen ist, und Wissenschaft ist die Sphäre der Logik und der Objektivität. In diese Sphäre zählen auch die rationalen Überlegungen zum Menschengeschlecht, wie sie historisch schon in der Aufklärung formuliert wurden und letztlich zum Sturz der Feudalherrschaft führten, einmal abgesehen von den ökonomischen Grundlagen; sie sind formuliert in der Charta der Menschenrechte und eigentlich auch in allen Verfassungen der modernen Staaten. Wenn ich das so sage, kommt bei mir ein gewisses Unbehagen auf: Bei aller Hochachtung vor den Grundgesetzen hätte ich nicht gedacht, dass ich das Studium dieser Texte je einmal als fortschrittlich empfehlen müsste. Ich tue es denn auch nur mit Einschränkungen: Das reicht mir nicht. Um alle Menschen zu befreien, müssen wir sie in die Lage versetzen, ihre jeweils eigenen Potenziale zu entwickeln und freizusetzen. Wie dies erfolgen kann, und zwar eben für alle, unabhängig von Herkommen und Vermögen, das ist unterdessen längst bekannt. Dass die entsprechenden Einrichtungen nicht geschaffen werden, namentlich im Bildungssystem, aber auch bei den daran gekoppelten Elementen der ausserschulischen Betreuung, das ist genau der gleiche Skandal wie jener, dass es nach wie vor Menschen gibt, die zwar nicht in absoluter, aber doch in spürbarer Armut leben. Dies zu bekämpfen war früher mal das Hauptanliegen der Sozialist:innen und Sozialdemokraten. Das ist passé. Aber erst recht nicht angehen kann man dieses Problem mit Brennsprit-Köpfen wie jenen von der Allianz für Deutschland. Über die man allerdings nach meinem Geschmack denn doch wieder zuviel redet – wie auch ich hier schon wieder. Tut mir leid. Ich nehme alles zurück.