"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - BingBing

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Microsofts Bing.com antwortet auf die Frage: Was halten Sie von der deutschen Regierung? wie folgt: «Die deutsche Regierung ist ein Verfassungsorgan, das die Exekutivgewalt auf Bundesebene ausübt. Sie besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.» An diesem Teil der Antwort habe ich nichts auszusetzen, er sieht nicht einmal besonders künstlich oder intelligent aus. Der nächste Satz dagegen erstaunt mich stark:
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10:32 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 09.08.2023 / 16:37

Dateizugriffe: 61

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 09.08.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Microsofts Bing.com antwortet auf die Frage: Was halten Sie von der deutschen Regierung? wie folgt: «Die deutsche Regierung ist ein Verfassungsorgan, das die Exekutivgewalt auf Bundesebene ausübt. Sie besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.» An diesem Teil der Antwort habe ich nichts auszusetzen, er sieht nicht einmal besonders künstlich oder intelligent aus. Der nächste Satz dagegen erstaunt mich stark:
«Die aktuelle Bundeskanzlerin ist Annalena Baerbock von den Grünen.» Auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen der FDP und den Grünen folgt dann wieder eine Antwort, welche die Grenzen meiner Beobachtungsmöglichkeiten strikte einhält: Beide sind proeuropäisch und weltoffen, sie setzen sich für Bürger:innenrechte, Daten­schutz und Digitalisierung ein und sie wollen die Schuldenbremse einhalten und die Wirtschaft stärken. Ich will immerhin hoffen, dass die Stärkung der Wirtschaft bei der FDP anders aussieht als bei den Grünen, wenn man es vom Parteiprogramm und vom Verkehrsminister Wissing ableitet, sogar auf einen grundlegenden Widerspruch schließen. Bing meint dazu: «Die Grünen wollen die Wirtschaft klimaneutral und digital gestalten, mit einem Fokus auf soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Die FDP will die Wirtschaft liberalisieren und entbürokratisieren, mit einem Fokus auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Die Grünen fordern eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Reform der Einkommenssteuer und eine Vermögenssteuer. Die FDP lehnt eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Reform der Einkommenssteuer und eine Vermögenssteuer ab.» Und hier stieß ich an mein Gesprächslimit für heute. Und das reicht ja auch, denn wahrscheinlich brauchte es eine andere künstliche Intelligenz, welche die für mich passende Antwort formulieren würde auf die Frage, weshalb die aktuelle Regierung ein derart schlechtes Bild abgibt, dass sich die Bürger:innen in den Meinungsumfragen aus lauter Verzweiflung für die Allianz für Deutschland aussprechen. Das Problem ist zwar schon oft diskutiert worden beziehungsweise wird andauernd diskutiert, aber die Frage bleibt bestehen: Ist die FDP zum einen tatsächlich jene Idiotenpartei, welche die Politik der eigenen Regierung andauernd kritisiert und sabotiert in der Hoffnung, bei den nächsten Wahlen erneut mehr als 5% der Wähler:innenstimmen zu ergattern? Und die andere Frage lautet: Sind die Grünen tatsächlich von Grund auf unfähig, ihre Programmpositionen in praktische Politik um­zu­setzen?

Allerdings erinnere ich mich daran, noch bevor ich mich an eine Antwort mache, dass vor nicht allzu langer Zeit die Führungsspitze der Grünen zu den beliebtesten Personen im politischen Tiergarten der Bundesrepublik zählte, und das führt sofort zur Vermutung, dass die politische Konjunktur auch wieder ändern kann, dass also vielleicht nicht einmal der starke Mann in der Regierung, also Bundeskanzler Olaf Scholz, sondern die Regierungspartner:innen insgesamt sich berappeln und die idiotischen Streitereien beilegen, welche so offensichtlich weder der FDP noch der Opposition aus CDU und CSU, sondern nur den Populist:innen aus der Flacherde-Fraktion politische Zinsen einbringen. Ein paar herzhafte Grundsatzbeschlüsse, anständig kommuniziert in einer untereinander abgesprochenen Art, dürften schon reichen, um die Verzweiflung an der Politik im ganzen Land wieder zu beruhigen. Dies ist meine aktuelle Vermutung.

Keine Vermutungen dagegen gibt es in Bezug auf die Linkspartei. In der aktuellen Form ist ihr Zyklus abgelaufen. Ihre Wählerinnenbasis im Osten ist zu ansehnlichen Teilen zur Deutsch­land­al­lianz übergelaufen, in erster Linie wohl deshalb, weil die Bewirtschaftung des Frustrationsgefühls dort viel knackiger ausfällt als bei der Linkspartei, welche sich doch immerhin noch Mühe gegeben hat, ein paar Grundsätze der Moral weiter hochzuhalten. Das zweite Lager an potenziellen Wäh­ler­in­nen besteht aus den Rentner:innen und vermischt sich zum Teil mit dem ersten, und das dritte, die Arbeitnehmenden und Angestellten, orientieren sich wohl zunehmend dort, wo sie sich wirt­schaft­lich bessere Aussichten versprechen als bei der Linken. Die Forderung nach regelmäßigen Lohn­zu­wäch­sen und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich verblassen angesichts der Frage, was denn überhaupt noch produziert und in den internationalen Austausch gegeben werden kann. Dieser Punkt lässt sich nicht mit der Debatte über die Rechte der Betriebsräte abhandeln.
Wir werden ja sehen. In der Zwischenzeit stellen wir verblüfft fest, dass unterdessen drei frankophone Länder im Süden der Sahara die blau-weiß-rote Fahne gegen die weiß-blau-rote eingetauscht haben. Ganz gegessen ist der Prozess noch nicht, schließlich stemmen ein paar Unentwegte auch immer noch die schwarze Flagge des Islamischen Staates in die Luft, aber im Moment dominieren die Proteste im Niger, in Mali und in Burkina Faso gegen die ehemalige französische Kolonialmacht die Wahrnehmung. Selbstverständlich ist die ehemalige Kolonialmacht in renovierter Form nach wie vor maßgeblich beteiligt in Wirtschaft und Gesellschaft des früheren Kolonialreichs, wie könnte es anders sein; aber offenbar ist auch hier ein Zyklus abgelaufen, nämlich die selbstverständliche und durch die militärische Präsenz abgesicherte Vorherrschaft der Netzwerke aus Paris. Meine Verblüffung gilt dabei weniger dem Ende dieses Zyklus, dem es geht wie jedem Zyklus, sondern vielmehr der Position Russlands in diesem Prozess. Ich frage mich wirklich, ob hier mehr dran ist als nur gerade die russischen Fahnen, die von ein paar Wagner-Söldnern in großen Stückzahlen importiert worden sind. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass die russischen Truppen wirklich in der Lage waren, ihrerseits alternative Netzwerke in den erwähnten Ländern aufzubauen. Die echten Welt- und Afrikameister in dieser Disziplin waren und bleiben die Chines:innen, wobei neuerdings in den Diskussionen auch hin und wieder die Türk:innen erwähnt werden, die vor allem wirtschaftlich gerne unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmungen agieren. Aus neutraler Sicht gehe ich vorderhand davon aus, dass die stark unter Beschuss stehenden französischen Netzwerke tiefer reichen, als dies rein anhand der militärischen Präsenz sichtbar war. Bis die Handelsflüsse in großem Stil umgeleitet werden, dauert das in der Regel länger und braucht mehr als nur einen Militärputsch. Mit Frankreich geht es um den Zugang zum gesamten europäischen Markt, und ich zweifle stark daran, dass sich irgendjemand in Afrika diesen Zugang einfach so verscherzen möchte. Selbstverständlich sind Niger, Mali und Burkina Faso keine großen Exportnationen; aber ein Interesse an funktionierenden Handelsbeziehungen haben diese Länder alleweil.

Was ich bisher noch nicht gesehen habe, ist eine einheitliche Doktrin, welche die drei Länder eint, über die Kritik am Neokolonialismus hinaus, und welche allenfalls auch eine Entwicklungsrichtung für die gesamte Region vorgeben könnte. An Ratschlägen für eine solche Richtung mangelt es nicht, auch wenn diese Ratschläge ihrerseits eben in alle Richtungen zielen. Selbstverständlich müssen die Regierungen, egal ob Putschisten oder nicht, die Schwerpunkte selber setzen und die Maßnahmen definieren. Wenn das in der Praxis zu einem neuen Stadium führen sollte, dann müsste man die jüngsten Ereignisse in einem sehr positiven Lichte sehen. Vorderhand sehe ich wie gesagt nur weiß-blau-rote Fahnen und bin überzeugt davon, dass diese mit den tatsächlichen Bewegungen nichts zu tun haben. Frankreich aus Afrika zu werfen, so, wie dies bereits den Engländer:innen widerfahren ist, das kann ein Manöver der globalen Konkurrenz sein, also der Vereinigten Staaten ebenso wie Chinas oder im kleinen Stil der Türkei, während ich das nun ausgerechnet den Russ:innen überhaupt nicht zutraue, die haben echt andere Probleme und nach allgemeinen Annahmen zudem keine Mittel für so etwas. Aber eben, in einem nicht unmöglichen Fall bedient sich eine Gruppe junger afrikanischer Offizier:innen der russischen Fahne, um ihre eigenen nationalen oder supranationalen Projekte voranzutreiben. Das wäre immerhin möglich.

In weiteren Nachrichten des Tages oder der Woche haben wir bemerkt, dass der kambodschanische König Hun Manet, den Sohn des langjährigen Premierministers Hun Sen als Nachfolger seines Vaters bestätigt hat. Erbmonarchien nehmen manchmal seltsame Gestalt an, namentlich in Ostasien, wo wir eine ähnliche Abfolge aus Nordkorea kennen, allerdings dort ohne einen König. In Indien hat der oberste Gerichtshof letzte Woche eine Verurteilung aufgehoben, welche es dem bekannten Oppositionsführer und Abkömmling der bekanntesten Familie Indiens, Rahul Gandhi, erlaubt, nächstes Jahr an den Wahlen teilzunehmen, im Gegensatz zum ehemaligen pakistanischen Premierminister Imran Khan, der von der Regierung wieder in den Knast geworfen wurde. Den Wirtschaftsnachrichten entnehmen wir, dass China nach wie vor nicht die gleiche Kraft auf dem Weltmarkt ist wie vor ein paar Jahren, sowohl was den Export als auch die Importe betrifft. Das liegt nicht einfach an konjunkturellen Fragen, sondern daran, dass auch hier der Zyklus des postindustriellen Wachstums abgelaufen ist und einem neuen weicht, dessen Gestalt wir noch nicht so richtig kennen. Dass es sich um einen Zyklus der künstlichen Intelligenz handelt, bezweifle ich stark, nicht erst seit dem Lapsus von Microsofts Bing, Frau Baerbock als Bundeskanzlerin auszuweisen. Ich ordne die künstliche Intelligenz nach wie vor dem Prozess der Digitalisierung zu, der tatsächlich noch nicht abgeschlossen ist und sich auch auf allen Ebenen auf stets neue Erfindungen abstützen kann, für welche ich Künstliche Intelligenz nicht für einen korrekten Oberbegriff halte. Dabei geht es selbstverständlich nicht allein um China, sondern um die gesamte Weltwirtschaft, einschließlich ihrer Finanzierung. Und es geht um die Anpassungen im Konsum und bei der Zuteilung von Kaufkraft, welche endlich einmal rationalisiert werden müssten, also unter die Fuchtel der Vernunft zu stellen sind. Kürzlich ist mir auf einem Parkplatz in der Nähe unserer Wohnung ein Chrysler-SUV aufgefallen, zwei Meter hoch, vier Meter lang. Wenn man die Erscheinungsform dieses Autos für eine Aussage halten will, dann bewegen wir uns auf einen Bürgerkrieg zu. Und diese Sorte von Bürgerkrieg wollen wir doch vermeiden, sowohl im Konsum als auch im Umgang untereinander. Wir brauchen keine gepanzerten Fahrzeuge, im Gegenteil, wir sollten jetzt auch jene Panzer aufbrechen, die wir immer noch im Verkehr mit den lieben Mitmenschen mit uns tragen.

Kommentare
14.08.2023 / 17:58 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 14.8.. Vielen Dank !
 
14.08.2023 / 20:06 Andreas, Radio T
gesendet im Detektor vom 14.08.23
Vielen Dank!