"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - TSMC

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In ihrem Parteiprogramm schreibt die Allianz für Deutschland: «Die AfD lehnt Subventionen generell ab.» Mit anderen Worten: Diese Partei ist nicht nur rechtsextrem, sondern blöde in einem Ausmaß, das die Grenzen des Anstandes sprengt. Dies halte ich nicht im Auftrag der deutschen, europäischen und überhaupt globalen Landwirtschaftsverbände fest, die zweifellos die Champions im Empfang staatlicher Subventionen sind, sondern im Namen der tatsächlichen Verhältnisse.
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10:10 min, 23 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.08.2023 / 21:19

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 17.08.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In ihrem Parteiprogramm schreibt die Allianz für Deutschland: «Die AfD lehnt Subventionen generell ab.» Mit anderen Worten: Diese Partei ist nicht nur rechtsextrem, sondern blöde in einem Ausmaß, das die Grenzen des Anstandes sprengt. Dies halte ich nicht im Auftrag der deutschen, europäischen und überhaupt globalen Landwirtschaftsverbände fest, die zweifellos die Champions im Empfang staatlicher Subventionen sind, sondern im Namen der tatsächlichen Verhältnisse.
Zu diskutieren bleibt allenfalls noch die Frage, ob rechtsextrem per Definition gleichzusetzen sei mit blöde oder ob es Blödheit auch in anderen Formen gibt, aber darüber können wir uns bei späterer Gelegenheit unterhalten.
Sonst kommt der Allianz für Deutschland nicht besonders viel in den Sinn, wenn es um die Ent­wicklung der deutschen Wirtschaft geht, der ich im Übrigen unterstelle, dass es ihr ziemlich genau gleich geht wie den anderen Volkswirtschaften in den entwickelten Ländern auf dem Globus. Aktuell würde man zu Investitionen in die Digitalwirtschaft raten, neben einer Stärkung von Pharma und Chemie und einem starken Maschinenbau, dies alles auf der Grundlage eines möglichst hohen Ausbildungsstandes in der gesamten Bevölkerung, den man zur Not mit Fachkräften aus dem internationalen Ausland anreichert. Den Krankheits- oder Gesundheitssektor erwähne ich hier nicht speziell aufgrund der Eigenheiten seiner Finanzierung, aber selbstverständlich ist er einer der größten Wachstumssektoren, schon seit geraumer Zeit und auch auf absehbare Zeit hinaus. Hier treffen im industriellen Bereich neben der eigentlichen Pflege der Maschinenbau und die Pharmaindustrie aufeinander.

In diesem Zusammenhang möchte ich mal die Industriepolitik in Deutschland loben, insoweit sie mir in der Form von Meldungen wie dieser entgegentritt: Neben einer neuen Anlage in Frankreich von STMicroelectronics, welche vom französischen Staat mit einer, darf ich es für Menschen mit einem Hang zu AfD etwas lauter sagen: Subvention von 3 Milliarden Euro ausgestattet wird, gab es in jüngerer Zeit eine Ankündigung von Intel, in Sachsen-Anhalt eine neue Halbleiterfabrik zu erstellen bei einem Gesamt-Investitionsvolumen von 30 Milliarden Euro, wovon 10 Milliarden auf staatliche Hilfen, auf AfD-Deutsch: Subventionen entfallen. Letzte Woche wurde der Entschluss des taiwanesischen Halbleitergiganten TSMC publik, in Dresden zusammen mit ein paar deutschen Partnerfirmen wie Bosch, Infineon und NXP, eine Halbleiterfabrik im Wert von über 10 Milliarden Euro zu bauen. 5 Milliarden davon sind Subventionen.

Das ist vernünftig, geschätzte Hörerinnen und Hörer. So kann, nein, so muss man es machen, ein­mal abgesehen davon, dass TSMC tatsächlich aus Taiwan stammt und nicht aus der Volksre­publik, was der ganzen Geschichte noch einen zusätzlichen Drall verleihen mag. Thierry Breton, der EU-Kommissar für den Binnenmarkt und Dienstleistungen, bezeichnet das Dresdner Projekt sogar als den Kulminationspunkt der EU-Industriestrategie. Warum nicht, ist mir eigentlich wurscht, aber das ist tatsächlich das Gebot der Stunde: Die Wertschöpfungsketten oder die Produktion oder wie auch immer das nennen will, kurz, die Wirtschaft auf den neuesten Stand zu bringen. Dies erlaubt auch einen geordneten Ausstieg aus dem Automobil, dessen Stunde vielleicht nicht definitiv geschlagen hat, das aber nicht mehr eine ganze Volkswirtschaft durchzuschleppen vermag, auch die deutsche nicht. Also bitte. Und wenn man die Prioritäten bei Mindestlöhnen setzt oder bei verschiedenen anderen sozialen Anliegen, warum nicht; es ändert nichts daran, dass die Grundlagen für all dies ordentlich erneuert werden müssen. Abgesehen von allem anderen bringen die meisten Arbeits­plätze in Bereichen der Spitzentechnologie sowieso gute Löhne, was die Mindestlohndebatte entschärft, dagegen allerdings jene nach dem Bildungssystem beziehungsweise nach der Qualität der technischen Ausbildung in den Vordergrund treten lässt. Und dass zur technischen Ausbildung auch ein Mindestmaß an normaler humanistischer Bildung gehört, versteht sich von selber.

Aus anderen Bereichen tönt es weniger optimistisch. In den Vereinigten Staaten hat zum zweiten Mal ein Fusionsreaktor einen Energieüberschuss erzeugt hat, nachdem seit Jahrzehnten Unmengen an Geld und vor allem Energie in die Technologie investiert worden waren ohne entsprechende Resultate. Nun könnte es sein, dass die neuen Verfahren doch noch irgendwann mal produktionsreif werden. Da lesen die Bewoh­ne­rin­nen Deutschlands den Artikel vom 7. August im «Handelsblatt» vermutlich nicht so gern, wonach sich das Münchner Startup-Unternehmen Marvel Fusion ent­schlossen hat, seine neueste Demonstrationsanlage im US-Bundesstaat Colorado aufzubauen, zusammen mit der Colorado State University. Dazu das Handelsblatt: «Man gehe den Schritt nach Nordamerika, weil es aus Europa kaum Interesse gegeben habe, heißt es bei Marvel. Damit ist das Fusions-Startup nicht allein. Immer mehr europäische Greentech-Unternehmen investieren in den USA.» Das scheint mir nun insofern interessant, als es sich beim Europa von Marvel Fusion kon­kret um die bayrische Landeshauptstadt München handelt. Ausgerechnet jenes Bayern, dessen Ministerpräsident nicht aus dem Spucken lauter Töne zu diesem oder jenem oder kurz gesagt zu allem heraus kommt, unter anderem und im Chor mit seinem Stellvertreter Hubsi Aiwanger auch in AfD-Melodien. Offenbar beschränkt sich die Industriepolitik in Bayern darauf, den Herstellern von Verbrennerfahrzeugen möglichst viel Diesel in die Motoren zu stopfen, nennen wir das mal Subventionen, während der Rest aus der Mind Map ausradiert scheint, eben wie bei der AfD.

A propos Allianz für Deutschland: Erst bei der Lektüre des autobiografischen Buches «Grau» des ehemaligen Chefredakteurs der Thüringer Allgemeinen Sergej Lochthofen ist mir aufgefallen, dass es eine solche Allianz tatsächlich einmal gegeben hat, und zwar handelte es sich um das bürgerliche Wahlbündnis bei den ersten freien Wahlen in der DDR im Jahr 1990, das damals fast 50 Prozent der Stimmen errang. Sei's drum.

Industriepolitik, geschätzte Hörerinnen und Hörer, ist in Zeiten wie diesen, also kurz gesagt zu allen Zeiten ein entscheidender Hebel für die Entwicklung von Regionen, Nationen und Kontinenten. Der Klassenkampf, soweit es ihn noch gibt, folgt mit einigem Abstand hinten drein. Und deshalb solltet ihr all jenen Vögeln auf die Nuss hauen oder auf den Schnabel, welche so etwas vergessen, nur ihre eigene Klientel bedienen oder irgendetwas von Identität schwafeln. Aber das wisst Ihr vermutlich schon länger.

In Afrika südlich der Sahara sind nach wie vor viele Dinge in der Schwebe. Dass man den Fran­zö­sin­nen und Franzosen vorwirft, sie hätten ihre Militärpräsenz für ihre eigenen Zwecke ausgenützt, versteht sich von selber, und es versteht sich ebenfalls von selber, dass da etwas daran ist; anderseits gehe ich davon aus, dass die Fremdenlegion doch eine gewisse Rolle gespielt hat beim Kampf gegen die Islamisten in der Region. Drittens dienen die russischen Wagner-Söldner auch hier als Feigenblatt für alle möglichen und unmöglichen Erklärungen, mindestens aber für ein paar jour­na­lis­tische Glanzleistungen; das tatsächliche Gewicht dieser Truppe in ganz Afrika bleibt nach wie vor ausgesprochen unklar mit Tendenz zur Marginalität. Viertens scheinen immer wieder ein paar islamistische Guerilla-Einheiten an irgend einem Horizont auf, und fünftens haben ja auch die Vereinigten Staaten durchaus eine Militärpräsenz in der Region, die von anderer Qualität ist als die russische. In Agadiz unterhalten sie ihre zweitgrösste Militärbasis auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, zum Beispiel, und von den Rebellen hat man bisher noch keinerlei antiamerikanischen Furor gehört, was jene Vermutung stützt, die ich vor einer Woche geäußert habe, nämlich dass hinter dem Putsch im Niger durchaus Kräfte stehen könnten, welche die Franzosen zugunsten eines anderen westlichen Landes aus dem Land werfen wollen. Nichts genaues weiß man nicht.

Beim durchaus berechtigten Gejammer über fehlenden Wohnraum und steigende Mieten sind die Diskussionen über die Inhalte in diesen Wohnungen etwas in den Hintergrund getreten. Offenbar hat man sich stillschweigend wieder auf einen Familienzyklus geeinigt, eventuell ergänzt um einen zweiten Abschnitt nach der ersten Scheidung, in welchem die Familien neu zusammengesetzt werden zu den bekannten Patchwork-Familien. Aber so zwingend ist das eigentlich gar nicht. Beim Spaziergang am letzten Sonntag bin ich an einem Haus vorbei gekommen, an welchem stand: Co-Living. Eine anschließende Internet-Recherche ergab, dass es mindestens in der Schweiz mehrere solche Häuser gibt. Sie bestehen aus möblierten 1-Zimmer-Appartements mit einigen Gemein­schafts­räumen, unter anderem Kochmöglichkeiten, aber auch Arbeitsplätzen, und in der Miete sind auch Reinigungskosten und solche Dinge enthalten. Mindestmietdauer ist 2 Monate. Die Preise variieren je nach Lage und Stadt, sind nicht besonders günstig, anderseits auch nicht übertrieben hoch. Mir gefällt dieses Konzept ganz ausgezeichnet, selbstverständlich nicht für alle Lebenslagen und insbesondere nicht in erster Linie für Familien mit Kindern, wobei ich mir auch so etwas vorstellen könnte, wenn man es richtig anpackt. Aber die Möglichkeit, dass unter den Bewohnenden in den verschiedenen Gemeinschaftsräumen eben diese Gemeinschaft entsteht oder entstehen kann, die finde ich doch ziemlich zukunftsträchtig. Wenn unsere Gesellschaften schon im Wirt­schafts­be­reich flexibel und interkontinental sind, dann müssen sich doch auch die Wohnmöglichkeiten etwas erweitern, einmal abgesehen davon, dass mir das Hotel-Konzept schon seit längerem gut in den Kram passt. Ein Kollege von mir behauptet seit Langem, dass die Hotel-Wohnform die umwelt­freundlichste Wohnform von allen sei, weil da der Verbrauch sämtlicher Ressourcen am geringsten sei; das geht vom gemeinsamen Essen bis zu den Bettüberzügen, die in der Zentralwäscherei gereinigt werden. Bereits vor über hundert Jahren diskutierte man die sogenannten Sozialpaläste, damals noch eher im Zusammenhang mit genossenschaftlichem Wohnungsbau, in den aber eben bereits Diskussionen zur sozialen Organisation einflossen. Ich würde der Architektur-Diskussion empfehlen, sich wieder einmal dem Aspekt der sozialen Innenarchitektur zuzuwenden. Der Aspekt des Co-Living könnte dabei eine wichtige Rolle spielen.