Japan: Radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Pazifik

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Seit gestern (Donnerstag, 24.08.23) leitet der japanische Strom-Konzern TEPCO das radioaktiv kontaminierte Wasser, das zum Kühlen der Atomruinen des AKW Fukushima Daiichi benutzt wurde, in den Pazifik. Das nun eingeleitete Kühlwasser wurde zwar gefiltert und mit anderem Wasser verdünnt, belastet das Meer und dessen Fauna und Flora jedoch erheblich. Auf wütende Proteste nahm weder TEPCO, noch die japanische Regierung, noch die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA die geringste Rücksicht. Die internationale Hackergruppe Anonymous hat daraufhin die Kommunikationsstruktur der japanischen Atomlobby attackiert.
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Upload vom 30.08.2023 / 00:39

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: restrisiko
Entstehung

AutorInnen: Klaus Schramm
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.08.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Japan: Radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Pazifik

Seit gestern (Donnerstag, 24.08.23) leitet der japanische Strom-Konzern TEPCO das radioaktiv kontaminierte Wasser, das zum Kühlen der Atomruinen des AKW Fukushima Daiichi benutzt wurde, in den Pazifik. Das nun eingeleitete Kühlwasser wurde zwar gefiltert und mit anderem Wasser verdünnt, belastet das Meer und dessen Fauna und Flora jedoch erheblich. Auf wütende Proteste nahm weder TEPCO, noch die japanische Regierung, noch die Internationale Atomenergie-Agentur IAEA die geringste Rücksicht. Die internationale Hackergruppe Anonymous hat daraufhin die Kommunikationsstruktur der japanischen Atomlobby attackiert.

In den vergangenen zwölf Jahren seit dem dreifachen Super-GAU wurde das radioaktiv kontaminierte Kühlwasser aufgefangen und in Tanks auf dem Gelände des AKW Fukushima Daiichi aufbewahrt. Nach Angaben von TEPCO sind in den mittlerweile rund 1000 Tanks insgesamt rund 1,3 Millionen Tonnen - entsprechend rund 1,3 Mio. m³ - zusammengekommen. Alternativen zur Einleitung in den Pazifik wurden von TEPCO verworfen.

Zur Einleitung wurde ein rund ein Kilometer langes Rohr ins Meer verlegt, an dessen Ende das radioaktiv kontaminierte Wasser in rund 12 Meter Tiefe austritt. Dieses Wasser enthält auch nach dem Filtern radioaktives Tritium und weitere Nuklide wie etwa Kohlenstoff-14. Nach Angaben von TEPCO, die allerdings vorläufig nicht unabhängig überprüft werden können, beträgt die radioaktive Belastung des nun eingeleiteten Wassers nach Filterung und Verdünnung 1.500 Becquerel pro Liter. Dies würde weniger als einem Vierzigstel der japanischen sogenannten Sicherheitsnorm entsprechen.

TEPCO kündigte an, bis März 2024 insgesamt 31.200 m³ - entsprechend 31,2 Millionen Liter - ins Meer zu leiten. Dies entspäche dem Inhalt von rund 30 Tanks. Um sämtliche 1000 Tanks zu leeren, wird eine Dauer von 30 Jahren veranschlagt. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, daß täglich rund 170 Tonnen Wasser von neuem radioaktiv kontaminiert werden, die dazu verwendet werden müssen, um die zerstörten Reaktoren von außen zu kühlen. Denn nur so ist eine Zunahme der nuklearen Kettenreaktionen zu verhindern.

Bei der Einleitung der insgesamt 1,3 Millionen m³ im Zeitraum von 30 Jahren ergibt sich rechnerisch, daß dies täglich rund 120 m³ entspricht. Zusammen mit den 170 m³, die täglich neu kontaminiert werden, ergeben sich rund 290 m³ pro Tag. Zu berücksichtigen ist zudem, daß trotz der Eiswände etliche weitere Kubikmeter Grundwasser pro Tag nach wie vor in die Keller der drei Reaktor-Ruinen sickern. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß schon jetzt von TEPCO die Menge von insgesamt 500 m³ genannt wird, die pro Tag in den Pazifik fließen soll.

Die internationale ÄrztInnen-Organisation IPPNW kritisierte das Vorgehen von TEPCO. Mit der Verdünnung des radioaktiv kontaminierten Wassers könne zwar erreicht werden, daß beliebige Grenzwerte unterschritten werden - die Gesamtmenge der radioaktiven Belastung bleibe dabei jedoch unverändert. Der Arzt Jörg Schmid von IPPNW kritisierte das Vorgehen von TEPCO und sprach von einem "anhaltenden Gefahrenpotenzial". Er verwies auf wissenschaftliche Ergebnisse, wonach auch niedrige Strahlungsmengen zu Schäden führen. Es existiert keine untere Schwelle - wie etwa bei verschiedenen chemischen Giften - bei deren Unterschreiten Radioaktivität unschädlich würde.

Greenpeace kritisiert die Einleitung als "falsche Lösung" des Problems. Das Filterverfahren sei magelhaft. Das Vorgehen TEPCOs sei eine "vorsätzliche radioaktive Verschmutzung des Meeres", erklärte die Umwelt-Organisation.

Auch die Anti-Atom-Organisation '.ausgestrahlt' sprach sich gegen die Einleitung des radioaktiv kontaminierten Wassers aus. Das Vorgehen diene vor allem dazu, zu verschleiern, daß TEPCO die Katastrophe noch immer nicht im Griff hat. Auch zwölf Jahre nach Beginn der Katastrophe müssten die geschmolzenen Brennstäbe weiter gekühlt werden und noch immer dringe Regen und Grundwasser in die havarierten Reaktoren ein. "Die japanische Regierung mißbraucht den Ozean als nukleare Müllkippe," kritisierte Julian Bothe von '.ausgestrahlt'. "Bei dieser Verklappung ist nicht nur Tritium ein Problem. Der biologisch aktive Kohlenstoff-14 wird nicht entfernt, andere strahlende Stoffe wie Strontium-90 nur teilweise herausgefiltert. Auch wenn diese Stoffe nun verdünnt und zeitlich gestreckt eingeleitet werden, bleibt die Gesamtmenge an Radioaktivität unverändert. Eine Bergung der Reaktorkerne ist auf Jahrzehnte nicht in Sicht."

Die internationale Atomenergie-Agentur IAEA, eine Lobby-Organisation der Atomindustrie, die in den Mainstream-Medien oft fälschlich als Behörde bezeichnet wird, hatte dagegen erklärt, TEPCO halte beim Einleiten in den Pazifik internationale Sicherheitsstandards ein. Die Auswirkungen auf Mensch und Natur seien "vernachlässigbar".

Die japanische Bevölkerung ist von diesen Aussagen der IAEA und entsprechender Stellungnahmen der japanischen Regierung offenbar wenig beeindruckt. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo erklärten 82 Prozent der Befragten, die offiziellen Erklärungen zur Einleitung seien "ungenügend".

Auch Japans FischerInnen sind weiter vehement gegen die Einleitung. "Obwohl die Regierung aus nationaler Sicht entschieden hat, die volle Verantwortung zu übernehmen, sind die Fischer im ganzen Land, die diesen Moment miterlebt haben, noch besorgter geworden", so der Fischereiverband. Seit dem Super-GAU versuchen die FischerInnen, sich von den Geschäftseinbußen durch das Desaster zu erholen. Nun befürchten sie, daß der Ruf ihrer Meeresprodukte erneut beschädigt wird. China stoppte gestern die Einfuhr von Fischerei-Produkten aus Japan, wie der Staatssender CCTV unter Berufung auf staatliche Stellen in Peking berichtete.

Japans Premierminister Fumio Kishida beteuerte öffentlich, der Staat übernehme für die Einleitung "die volle Verantwortung". Was von solchen Aussagen zu halten ist, zeigte sich in den vergangenen zwölf Jahren, als es darum ging, die "Verantwortung" für die Reaktor-Katastrophe von Fukushima zu übernehmen. Letztlich waren es weit überwiegend die japanischen SteuerzahlerInnen, die für die finanziellen Schäden aufkommen mußten. Allerdings stehen laut Kishida umgerechnet rund 500 Millionen Euro bereit, um mit sogenannten Wirtschafts- und Finanzhilfen die FischerInnen der Region Fukushima umzustimmen.

Im AKW Fukushima Daiichi war es am 11. März 2011 infolge eines Erdbeben und hiervon ausgelösten Tsunamis zu einen dreifachen Super-GAU gekommen. Die zerstörten Reaktoren müssen seitdem mit Wasser gekühlt werden.