"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Naomi Wolf

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Die letzte Kirchenglocke hat noch nicht geschlagen, und somit kann ich es mir erlauben, min­des­tens in diesem Augenblick die Trump-Show in den Vereinigten Staaten beim Namen zu nehmen und sie tatsächlich als Show anzuschauen, als Zirkus, ein ansehnlich stupider Zirkus zwar, aber auch mit unterhaltenden Elementen, vor allem dort, wo sie Allzeit-Höhepunkte der Selbst­ver­ar­schung erreicht. Die Polizeiregister-Foto von Donald Trump zähle ich dazu.
Audio
10:55 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.08.2023 / 10:50

Dateizugriffe: 62

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.08.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die letzte Kirchenglocke hat noch nicht geschlagen, und somit kann ich es mir erlauben, min­des­tens in diesem Augenblick die Trump-Show in den Vereinigten Staaten beim Namen zu nehmen und sie tatsächlich als Show anzuschauen, als Zirkus, ein ansehnlich stupider Zirkus zwar, aber auch mit unterhaltenden Elementen, vor allem dort, wo sie Allzeit-Höhepunkte der Selbst­ver­ar­schung erreicht. Die Polizeiregister-Foto von Donald Trump zähle ich dazu.
Dieser schlecht gespielte Zorn, die völlige Absenz von Aggressivität in der aggressiven Haltung! Der Mann erreicht damit in einer neuen Sparte das gleiche Niveau wie Porträts von Andy Warhol oder Lucien Freud, vielleicht sogar mit einem leichten Hang zu Francis Bacon. Da ich davon ausgehe, dass beim letzten Glocken­schlag die Luft mit großem Getöse aus dieser Kunstfigur entweicht, kann ich es mir leisten, die Auftritte und die Kampagne von Donald Trump nur noch unter dem Aspekt einer riesigen Per­for­mance zu sehen. Wrestling, eben, aber Wrestling multipliziert mit ein paar hundert Millionen Dollar, und zwar, wie es zum Wrestling gehört, ein paar hundert Millionen Dollar nicht Vermögen, sondern Schulden. Was der letzte Glockenschlag konkret sein wird, weiß ich nicht, vielleicht sind es die republikanischen Vorwahlen, wahrscheinlicher aber die Verfahren wegen Umsturzversuchs. Man hat sich schon lange gewundert, wie weit diese Karikatur von allem, was er darstellt, kommen kann mit den verschiedenen Ausreden und dem stehenden Heer an Anwälten; allein schon dieses militärische Dispositiv zur Ausnützung aller denk- und undenkbaren Lücken und Nischen des Gesetzesapparates müsste in Zukunft zu einem eigenen Straftatbestand werden. Die Absicht zur Hintergehung der Justiz liegt so klar auf dem Tisch, dass das lange Zögern des Staates zur Bestra­fung dieses zweifellos höchst gesetzeslästerlichen Vorhabens zu denken gäbe, wenn es sich bei den Vereinigten Staaten um einen klassischen Rechtsstaat handeln täte. Tut es nicht; immerhin sind die noch vorhandenen Nerven der Rechtsstaatlichkeit jetzt aktiviert worden, und das wird dem umfassenden Clown definitiv zum Verhängnis werden. Vielleicht rettet er sich noch einmal in eine Präsidentschaftskandidatur hinein; aber in einem solchen Wahlkampf könnte Joe Biden alle Alterskrankeiten der Welt aufweisen, er würde ihn dennoch gewinnen. So weit sind wir denn doch noch nicht im Mekka der Gesetzesfuchser; man könnte auch sagen: Wir sind noch nicht im alten Rom.

Nicht direkt im Zusammenhang mit den Trump-Wrestlern, aber auf jedem Fall aus seinem Umfeld stammt ein Zitat aus einem Interview mit Naomi Wolf aus dem letzten Jahr. Naomi Wolf war eine bekannte Feministin in den Vereinigten Staaten und schrieb vor zehn Jahren das Buch «Vagina», das ein durchschnittlich interessierter Mensch wie ich bereits mit dem Titel gelesen hat. Was mich angeht, so könnte ich durchaus ähnliche Bücher verfassen mit dem Titel «Speck» oder noch viel besser «Wurst», was man durchaus als Gegenpol zu «Vagina» lesen könnte; nehmen wir an, es sei hiermit geschrieben und so gut wie im Druck. Noch lieber wäre mir natürlich ein Sachbuch zum Thema «Hackfleischbrötchen», aber das sprengt den Rahmen dieser Sendung. Jedenfalls hat sich Naomi Wolf, die beim Erscheinen des Vagina-Buches noch für die George-Soros-Stiftung arbeitete, seither deutlich gemausert und ist seit dem Wahlsieg von Joe Biden über Clown Trump zu hundert Prozent zur Verschwörungstheoreti­ke­rin geworden. Dementsprechend auch die Szene aus dem erwähnten Interview, wo sie über einen Besuch in New York spricht, wo die große Mehrheit der Bevölkerung gegen Covid geimpft ist. Die Leute seien nicht mehr die gleichen wie früher, sagte sie, es sei fraglich, ob sie überhaupt noch Menschen seien. Besonders seltsam sei, dass geimpfte Menschen keinen Geruch mehr ausströmten. «Man kann sie nicht mehr riechen. Sie riechen nicht mehr wie Menschen, und es fühlt sich auch nicht mehr so an, als wären es Menschen.» Und das sei den lipiden Nanopartikeln in den mRNA-Impfstoffen zu verdanken, die würden ins Hirn dringen, ins Herz und dort alles verklebten. Möglicherweise würde auch die Wellenlänge der Liebe auf diese Art und Weise verklebt, so dass auf ihr nicht mehr vermittelt werden könne. «That's how these lipid nanoparticles work», sagte sie dann. Eine andere Naomi, nämlich Naomi Klein, deren Artikel über Naomi Wolf ich diese Passage entnommen habe, sagt dazu: «That is not how lipid nanoparticles work. It is not how vaccines work. It is not how anything works. Also, and I can't quite believe I am typing these words, vaccinated people still smell like humans.» Auf Deutsch: Auch gegen Covid geimpfte Personen riechen nach wie vor wie Menschen.
Das vermute ich auch, respektive ich vermute es nicht, denn ich habe ja Umgang mit zahlreichen oder zahllosen geimpften Personen, welche munter vor sich hin riechen, eine jegliche auf ihre Art, die Äußerung von Naomi Wolf ist kompletter Blödsinn, und trotzdem purzelt das einfach so aus ihr heraus, aus einem Kopf, der für sein erstes Buch «Der Mythos der Schönheit» noch von Autoritäten des Feminismus gelobt wurde wie Germaine Greer, Fay Weldon und Betty Friedan. Nun gut, das war vor dreißig Jahren, aber die Fähigkeit zu denken wird in dieser Zeit ja nicht vollständig erodiert sein, sonst wäre sie vor zehn Jahren ja auch nicht Mitarbeiterin der Soros-Stiftung gewesen.

Einfach irgendeinen Stuss herauszulassen, wenn irgendwo ein Sendemikrofon herum steht, und zwar offensichtlich im Wissen darum, dass einem umso mehr Aufmerksamkeit zuteil wird, je blödsinniger die Aussagen sind, und der Beweis dafür liegt nicht zuletzt darin, dass ich hier im Freien Radio Erfurt International darüber spreche – das sprengt einfach den Rahmen, in dem laut internationalen Standards Kommunikation und rationales Argumentieren stattzufinden haben, aber offenbar ist es ein anderer internationaler Standard, jener der Social Media, nehme ich mal an, obwohl ich den Artikel von Naomi Klein nicht auf Social Media, sondern ganz normal auf der Webseite des englischen Guardian gelesen habe. Ich bin weder der erste noch der letzte, der sich über dieses Phänomen ärgert, aber dass ich mich ärgere, und zwar im Namen eben der Rationalität, das wollte ich hier doch auch wieder mal erwähnt haben.

Letzte Woche sind mir gleich zwei Meldungen zur selben Person aus den Vereinigten Staaten zu Augen gekommen, es handelt sich um eine Frau Susan Neiman, die mir bis dahin unbekannt war, die aber mindestens in den Artikeln über sie Aussagen macht, die ich für sehr vernünftig halte, mit einer Ausnahme: im ersten stellt sie Theodor W. Adorno auf die gleiche Stufe wie Michel Foucault, und das ist ein Fehler in der Einschätzung, der mich an Teilen des Fundamentes ihres Denkens zweifeln lässt. Ansonsten sieht ihr Denkgebäude ganz ordentlich aus, sogar erfreulich, möchte ich sagen, einfach immer unter dem Vorbehalt, dass ich ihr neuestes Buch «Links ist nicht woke» noch nicht gelesen habe. Immerhin sieht man gleich im Titel, dass die Kritik an der Wokeness für einmal von linker Seite kommt. Frau Neiman sagt im Interview in der NZZ am Sonntag: «Wokeness hat nur noch mit linken Emotionen zu tun, nichts mehr mit linkem Gedankengut.» Sie zitiert John McWhorter, der zum Beispiel den Widerspruch zwischen der Kritik am Eurozentrismus und dem gleichzeitigen Verbot der kulturellen Aneignung benennt, ganz abgesehen von zahllosen weiteren Beispielen, wo nicht mehr die Aussage, sondern die Person im Zentrum steht, welche die Aussage macht. «Der Sprecher muss in den Kategorien „race“ und „gender“ sprechberechtigt sein, zwei Kategorien, auf die wir als Menschen am wenigsten Einfluss haben», sagt sie. Wichtiger als die Aussagen zur Wokeness scheinen mir aber ihre Feststellungen zum Stand der Gesellschaft. Einerseits beharrt sie darauf, dass Fortschritt möglich ist, nicht nur das: dass er real ist. Darin hat sie nicht nur meine Sympathie und Unterstützung, sondern auch jene der Realitäten. Und sie glaubt weiterhin an die Möglichkeit eines richtigen Sozialismus. Das gefällt mir besonders gut, denn in den Köpfen zahlreicher Linken männlichen und weiblichen Geschlechts läuft ja im Moment fast täglich die Selbstbefragung darüber, ob man die Flinte nun doch endlich ins Korn werfen soll oder nicht. Frau Neiman meint, dass nicht. Das gefällt mir. Das meine ich auch. Zum Schluss des Inter­views antwortet sie auf die Frage, ob sie noch Hoffnung auf eine geeinte Linke habe: «Natürlich habe ich Hoffnung. Wir sind moralisch verpflichtet zu hoffen. Sonst bleibt nur die Resignation, die uns unfähig macht zu handeln – und dann geht die Welt wirklich unter. Ich habe dieses Buch in der Hoffnung geschrieben, dass die Woken und die Linken wieder zusammenkommen. Die Woken sind nicht meine Feinde. Die Woken sind unter anderem meine Kinder. Meine Feinde sind die Protofaschisten.»

In dem Punkt geht es mir anders. Ich glaube, dass es unerlässlich ist, dass sich die Weiter­ent­wick­lun­gen der herkömmlichen Linken als Schwergewicht gegen die politische Idiotie der popu­lis­ti­schen Rechten im politischen Spektrum halten kann. Wenn ich daran erinnere, dass die her­kömm­liche Linke mehr oder weniger seit ihrer Entstehung uneins und heterogen war, so kann man dies auch in die Zukunft extrapolieren; dieser Block mag aus sozialdemokratischen, sozialistischen, auch kommunistischen und zunehmend grünen und ökologischen Fraktionen bestehen, die unter sich zerstritten sind, aber er muss und wird weiter bestehen. Bloß hat er nicht besonders viel mit einer Bewegung zu tun, die in Richtung Sozialismus denkt und arbeitet. Frau Neiman sagt im Interview: «Der Ökonom Thomas Piketty sagt, dass man einen partizipatorischen Sozialismus langsam nähren könnte, wenn man nur wollte. Es reiche, die Steuern auf einen Satz zu erhöhen, der unter dem läge, den die Vereinigten Staaten und Großbritannien in der Ära des größten Wirtschaftswachstums nach dem Zeiten Weltkrieg erhoben haben». Das reicht aber nicht. Das Sozialismus-Projekt ist völlig neu zu erarbeiten unter Berücksichtigung der erzielten Fortschritte zum einen, der um den Faktor tausend oder vielleicht sogar eine Million differenzierteren Gesellschaftsform, in der wir uns organisieren, zum anderen. In dieser Beziehung kenne ich keine Entwürfe aus der erwähnten linken Fraktion. Sie umfasst in politischem Sinne die Sozialdemokratie, welche übrigens auch Frau Neiman im gleichen Ausmaß stipuliert wie ich, wodurch sie mir nochmals sympathischer wird, und die sich in der Praxis in Europa mehr oder weniger unwiderruflich durchgesetzt hat. Hierin sieht Frau Neiman doch ordentliche Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und dem alten Kontinent, weshalb sie auch ihre amerikanische Staatsbürgerschaft zurückgegeben hat, als Donald Trump gewählt wurde. Aber eben, zur Aktualisierung des Sozialismus-Projektes macht sie keine Aussagen. Vielleicht muss diese Aktualisierung sogar auf den Arbeitstitel «Sozialismus» gänzlich verzichten, wenn damit wichtige Missverständnisse vermieden werden können. Vorderhand bleiben wir aber noch dabei.