"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Grünen

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Irgendwie erscheint es fast ein wenig unfair gegenüber diesem Trottel, und trotzdem ist einer der ersten Gedanken, der mich bei der Nachricht von der massiven Attacke der Hamas auf Israel durchzuckte: aha, Bibi Netanyahu ist wieder an der Macht. Dabei hat der Überfall vielleicht gar nicht so viel zu tun mit diesem Scharlatan, der seit Jahrzehnten seine Kunststücke in der israelischen Politik zum Besten gibt.
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10:34 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.10.2023 / 20:33

Dateizugriffe: 64

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.10.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Irgendwie erscheint es fast ein wenig unfair gegenüber diesem Trottel, und trotzdem ist einer der ersten Gedanken, der mich bei der Nachricht von der massiven Attacke der Hamas auf Israel durchzuckte: aha, Bibi Netanyahu ist wieder an der Macht. Dabei hat der Überfall vielleicht gar nicht so viel zu tun mit diesem Scharlatan, der seit Jahrzehnten seine Kunststücke in der israelischen Politik zum Besten gibt.
Offenbar wurde der Angriff von langer Hand vorbereitet, und zwar wurde er vorbereitet, ohne dass der israelische Geheimdienst davon Wind gekriegt hat, was sehr erstaunlich ist angesichts der Tatsache, dass Israel zweifellos über alle Spitzentechnologien in Spionage und Überwachung verfügt. Auch das garantiert offensichtlich nicht für einen Rundum-Schutz, wie ihn verschiedene Versicherungsgesellschaften ihren Kund:innen anbieten. Mit fast 1000 getöteten israelischen Einwohner:innen war das ein unerhörter Schlag der Hamas, und die Hisb' allah kann man auch dazu rechnen und im Hintergrund selbstverständlich die Regierung in Teheran. Im Moment fragt man sich, ob sich die palästinensischen Terrorist:innen vorderhand mit diesem Blutbad begnügen oder ob sie in der Lage sind, eine zweite Welle zu starten, diesmal vom Libanon aus – das Westjordanland ist nicht bekannt als wichtiges Logistikzentrum für die radikalen Palästi­nen­ser:innen. Wie die Lage dort ist, kann ich nicht so richtig beurteilen; nach dem kompletten Zer­fall des Staates, für den ich ebenfalls die Hisb'allah verantwortlich mache, vor allem in Bezug auf die Explosion im Hafen von Beiruth im August 2020, werden sich im Südlibanon auf jeden Fall auch Agentinnen und Agenten aus Israel tummeln, neben zahlreichen anderen Akteur:innen aus dem iranischen und wohl auch syrischen Arsenal.

Die Spannungen haben sich wieder einmal entladen, diesmal in einer Form, die für zahllose Israeli tödlich war, nachdem die israelische Politik unabhängig vom gerade regierenden Minister­präsi­den­ten in den letzten Jahren immer konsequent auf Unterdrückung und Enteignung der Palästi­nen­ser:in­nen gesetzt hat, vor allem im Westjordanland, während die Menschen im Gazastreifen mehr oder weniger leben wie in einer Strafanstalt, die sie in der Regel am Morgen verlassen, um zur Arbeit nach Israel zu gehen, und am Abend kehren sie in ihre Zellen zurück. Aus dieser Perspektive kann die aufgestaute Wut bei den Palästinenser:innen nicht erstaunen, und das ist auch bekannt und anerkannt, ebenso wie die Tatsache, dass die Palästinenser:innen-Organisationen eigentlich nie ein richtiges Interesse an einer tragfähigen Lösung entwickelt haben; einerseits hat die Palästi­nen­ser: innen-Regierung in Ramallah Milliarden an internationalen Hilfsmittel in die eigene Tasche gesteckt, also Gelder, die halt nur fließen, solange der Konflikt anhält; anderseits wachsen auf palästinen­sischer Seite für jede Kraft, die sich für eine Lösung einsetzt, zwei andere nach, welche sich auf das 80-jährige Unrecht beruft, das dem Volk nach dem Zweiten Weltkrieg angetan wurde. In Israel hat man sich mit dieser Tatsache abgefunden, ich gehe davon aus, dass es dort im radikalen Lager Kräfte gibt, welche ebenfalls Interesse am Fortdauern des Konfliktes haben, da man daraus auf die eine oder andere Art eine Rechtfertigung für die anhaltende Kolonialisierung des Westjordanlandes ableiten kann. Soweit man dafür überhaupt eine Rechtfertigung braucht; ich nehme mal an, dass es sich in Israel nicht anders verhält als in Teheran, indem ein richtiger Mullah oder so ein ultraorthodoxer Oberrabbiner auf jeden Fall Recht hat, da braucht man nichts zu begründen. – Das Gefahrenpotenzial der Palästinenser:innenorganisationen glaubte man durch die effiziente israelische Spionage unter Kontrolle. Das war offenbar ein Irrtum. Ob Bibi Netanyahu mit seiner politischen Aktion, welche ausschließlich dazu dient, eine persönliche Verurteilung abzuwenden, einen Beitrag zur Schwächung der Abwehrbereitschaft geleistet hat, weiß ich nicht.

Aus neutraler Sicht gibt es für die Attacken weder Verständnis noch Ausreden. Das Anrichten von Blutbändern schließt die Täter:innen automatisch aus der menschlichen Gemeinschaft aus. Irgendwie sind wir zurück in jenem Zeitalter, als die PLO Flugzeuge entführte und in die Luft sprengte. Zwischen­zeit­lich schien sich die Lage etwas zu beruhigen mit verschiedenen politischen und diplomatischen Initiativen, aber das ist nun auch schon wieder eine Zeit her. Ein bisschen paradox ist der Umstand, dass Israel im Moment gerade eher Aufwind hat in der arabischen Welt; das mag die Hintermänner der Hamas und der Hisb'allah erst recht zum mörderischsten Angriff seit Langem bewogen haben. Daneben kann man diesen Feststellungen nur das allgemeine Ziel entgegenhalten, nämlich einen oder meinetwegen mehrere Staaten, welche laizistisch organisiert sind, nach modernen Richtlinien der Staatsführung eingerichtet und welche Wohlstand für alle garantieren. Auf dem Weg zu diesem Ziel muss der säkulare Staat Israel eine zentrale Rolle Spielen. Wie der Weg ansonsten aussehen soll, ist mir heute weniger klar denn je, und er stand mir nie so richtig deutlich vor Augen. Tatsache ist immerhin, dass es manchmal Ereignisse gibt, welche überraschen, Personen, die dank ihrer Integrität Lösungen vorschlagen können, Bewegungen, die auf der Grundlage einer rationalen Analyse Modelle erarbeiten können. Wer weiß.

Dass die grüne Welle verebbt ist, braucht man nicht weiter zu beweisen. Es reicht schon, sich auf den Straßen umzuhören, wenn ein paar junge Menschen über ihr Ferienbudget für das nächste Jahr besprechen. Australien, Bali, Thailand sind die größeren Destinationen, für ein Wochenende hüpft man nach Doha oder auf die Gran Canarias oder gerne auch wieder nach London und Barcelona zum Einkaufen, und zwar mit Easy Jet, versteht sich. Die Flugscham ist ebenso erfolgreich ins öffentliche Bewusstsein oder Unbewusstsein integriert worden wie ein Tinnitus, den das Hirn der Betroffenen innerhalb von nützlicher Frist zu einem banalen Nebengeräusch deklassiert. Man weiß genau, dass Fliegen umweltschädlich vom Feinsten ist, und man schert sich keinen Dreck darum. Das hat zweifellos mit den positiven Aspekten des Reisens und insonderheit des weit Reisens zu tun, indem man damit nicht nur andere Klimazonen, sondern auch andere Menschen und Kulturen kennenlernt, was ausgezeichnet dazu passt, dass man in den Heimatländern nationalistische Ausbrüche beobachtet, die man mit den Pestwellen früherer Zeiten vergleichen kann. Die Scham­losigkeit, mit welcher bürgerliche Politiker:innen im nationalistischen Ton über die Grünen und über die Umwelt­schüt­zer:in­nen herziehen, was heißt da herziehen, sie geifern ja richtig, der Schaum steht ihnen im Gesicht bis zu den Augenlidern, ist Ausdruck des Wandels der Einstellung der Öffentlichkeit, bedingt sie zum anderen auch selber, mindestens eben in der geifernden, krankhaften Form. Die grüne Welle ist verebbt, der Klimawandel eine schwitzende Tatsache, und die Ab- oder Einsicht der Mehrheit der Bevölkerung, etwas dagegen zu unternehmen, gleich null.

Aus aktuellem Anlass findet die 28. Uno-Klimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Warum auch nicht, die Emirati, Qatarer:innen, Saudiaraber:innen und was sich dort noch alles so tummelt, sind sicher Fachleute in Sachen Klimaerwärmung, lebt doch die ganze Region vom Verkauf von Erdöl, welches anschließend verbrannt wird und eben das Klima erwärmt. Mit dem Präsidium dieser Konferenz haben die Vereinigten Arabischen Emirate den Sultan Al Jaber beauftragt. Er ist Technologieminister in diesem Staat, vor allem aber der Chef der nationalen Erdöl­gesell­schaft. Dieser Al Jaber soll also maßgeblich dazu beitragen, dass die Gespräche über den sofortigen Abbruch der Verbrennung fossiler Treibstoffe zu einem Erfolg kommen. Ich weiß nicht, ich weiß nicht, und damit meine ich nicht, dass ich etwa Zweifel an seinen Absichten und seiner Ernst­haftig­keit hätte, in dieser Beziehung bin ich felsen- und bombensicher; ich weiß nur nicht, was ich als ein Mensch, der mit Gedanken, Logik und Worten umzugehen pflegt, hierzu sagen soll oder überhaupt kann. Ein paar Gruppen von Aktivist:innen haben offenbar doch noch etwas gefunden, nämlich haben sie von Al Jaber gefordert, dass er seinen Job als Präsident der Erdölgesellschaft mindestens während der Konferenz bzw. seines Vorsitzes dieser Konferenz ruhen lassen solle. Auch diese Reaktion löst bei mir Vorformen eines Brechreizes aus.

Ich schreibe aus einem ix-beliebigen Artikel ab: Die Temperaturen im Juli 2023 waren die höchsten in den letzten 120'000 Jahren. Nicht nur auf dem Land, auch das Wasser erreichte Rekordtemperaturen. Dass das Arktis-Eis im Sommer abschmilzt, ist seit 10 Jahren eine Tatsache; nun beginnt man sich Sorgen um die Antarktis zu machen. Nach 30 Jahren intensiver Klimaverhandlungen kletterten im letzten Jahr die jährlichen Treibhausgasemissionen Rekordniveaus.

Ja, da kann man sich nicht einfach hinlegen, ja, da muss man kalt und herzlos sein und eben die Erdölproduzenten insgesamt mit der Leitung der Bekämpfung der Klimakrise beauftragen. So etwas würgt einen normalen Menschen in verschiedenen Organen. Am stärksten ist der Effekt aber schon dort, wo man sieht, wie komplette Idioten in der Politik richtige Hetzkampagnen fahren gegen jene, die sich wenigstens noch Mühe geben, die Klimaerwärmung einzudämmen. Und das sind bei weitem nicht nur die bekannten Idioten wie Söder und Aiwanger oder Merz und Lindner. Am Übelsten ist es, dass die breite Bevölkerung wider besseres Wissen nicht willens ist, ihr Verhalten zu ändern. Da bereitet es nur wenig Freude, wenn man weiß, dass sie in diesem Fall ihr Verhalten demnächst zu ändern gezwungen werden, nicht nur wegen der weiter steigenden Temperaturen oder allenfalls wegen der Zunahme von Konflikten, die aus den Klimaveränderungen entstehen, sondern ganz banal weil uns die Energie ausgeht, die Effekte zu bekämpfen, die aus der Verschwendung von Energie entstehen. Weiter will und kann ich mich hier nicht echauffieren.
Die Wahlen in Bayern und Hessen haben absehbare Ergebnisse produziert, also im Rahmen der Vorhersagen, in Hessen noch etwas übler für die SPD als erwartet. Stark erstaunt hat mich der der Wähler:innenanteil der Grünen in Bayern, die zwar 2% verloren haben, aber immer noch eine starke Kraft bleiben. Die Freien Wähler konnten zulegen, und das ist mir auch ein Rätsel: Weshalb honorieren die Wählerinnen und Wähler den Umstand, dass der Trottel in seiner Jugend mal ein nationalsozialistisches Flugblatt verteilt hat und sich davon nur mit Drucksen und Würgen distanziert? – Man weiß es nicht, und ob der zunehmenden Summe der Dinge, die man nicht weiß, muss sich jeder normale Mensch fragen, ob er nicht vielleicht doch noch Theologie studieren soll.