"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - EU-Steuerobservatorium

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Die EU finanziert eine Forschungsstelle zu Steuerfragen an der Ecole d'Economie de Paris, welche unter anderem regelmässig den Bericht zur weltweiten Steuer­vermeidung publiziert. Worum es dabei konkret geht, wird in der Ausgabe für das Jahr 2024 wie folgt umschrieben:
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12:01 min, 28 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.11.2023 / 22:11

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 01.11.2023
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die EU finanziert eine Forschungsstelle zu Steuerfragen an der Ecole d'Economie de Paris, welche unter anderem regelmässig den Bericht zur weltweiten Steuer­vermeidung publiziert. Worum es dabei konkret geht, wird in der Ausgabe für das Jahr 2024 wie folgt umschrieben:
«Wir möchten klarstellen, dass der Bericht nicht auf die Untersuchung der Steuerhinterziehung im engeren Sinne des Betrugs beschränkt ist. Auch werden bei weitem nicht alle Formen der Steuerhinterziehung behandelt. Unser Fokus liegt auf den Fragen, die in den letzten zehn Jahren im Zentrum der Inter­nationalen Politik standen, nämlich den Herausforderungen, die die Globalisierung für die Besteu­e­rung von multinationalen Unternehmen und vermögenden Einzelpersonen darstellt. Einige der Praktiken, die wir behandeln, sind eindeutig illegal, wie beispielsweise die Verheimlichung von Kapitaleinkünften aus Offshore-Bankkonten in der Steuererklärung der meisten Länder. Andere bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone zwischen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung, wie die Verlagerung von Gewinnen auf Unternehmen ohne wirtschaftliche Substanz. Wieder andere sind eindeutig legal, wie beispielsweiseAuswanderung, um von speziellen Steuerregimen zu profitieren, die vermögende Einzelpersonen anziehen sollen. Alle diese Praktiken ermöglichen es den wirtschaftlichen Akteuren, die am meisten von der Globalisierung profitiert haben, ihre Steuersätze weiter zu senken.» Und zwar sieht das dann am Schluss so aus: «Milliardär:innen weltweit haben effektive Steuersätze von 0 bis 0.5% ihres Vermögens», und zwar betrifft dies Vermögen wie auch Vermögenserträge. Jetzt, geschätzte Hörerinnen und Hörer, nehmt Ihr Eure eigene Steuererklärung hervor und werft einen Blick auf den Satz, zu welchem Euer, hoffentlich anständiges Einkommen besteuert wird. Da wisst Ihr, wovon wir sprechen.

Die Studie kommt zu folgenden Schlüssen: Erstens sei die Steuerhinterziehung im Ausland dank dem automatischen Austausch von Bankinformationen in den letzten zehn Jahren um zwei Drittel gesunken – ein Beweis dafür, dass Fortschritte bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung mög­lich sind, wenn der politische Wille vorhanden ist. Zweitens sei die Einführung des globalen Min­dest­steuersatzes von 15% für multinationale Unternehmen durch verschiedene Schlupflöcher geschwächt worden; die Mehrerträge beliefen sich nur auf 5% statt der erwarteten 10%. Drittens fände die Steuerhinterziehung zunehmend auf nationaler Ebene statt. Dann folgen sechs Vor­schläge, um die aufgeführten Probleme anzugehen. Der wichtigste besteht in einer weltweiten jährlichen Mindeststeuer für Milliardär:innen in Höhe von 2% ihres Vermögens. Dies könne bis zu 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr einbringen, von weniger als 3000 Personen. Dazu solle die globale Mindeststeuer für multinationale Unternehmen verschärft und die Schlupflöcher gestopft werden, was weitere 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr bringe. Schließlich folgen sechs Empfehlungen zur Vereinbarkeit von Globalisierung und Steuergerechtigkeit.

Man könne für die empfohlenen Maßnahmen in der Regel nicht mit Einstimmigkeit, zum Beispiel im Rahmen der OECD rechnen, weil verschiedene Akteure in einzelnen Ländern ein Interesse daran hätten, den Status quo zu wahren; aber auch unilaterales Handeln oder multilaterales Handeln von einer Gruppe führender Länder könne den Weg zu nahezu weltweiten Abkommen ebenen. Im Klartext: Wenn die USA oder wenn die EU dies wirklich wollen, sind entsprechende Maßnahmen durchaus erfolgsversprechend.

Die Studie führt für Europa 499 Milliardär:innen auf mit einem Gesamtvermögen von 2.418 Billionen US-Dollar. Sie bezahlen im Moment 6 Milliarden Dollar an Steuern, also ein Viertel Prozent dieses Vermögens. Mit einer Mindestvermögenssteuer von 2% würden die Abgaben auf 42.3 Milliarden zunehmen. Für Nordamerika lauten die Zahlen: 835 Milliardär:innen, Gesamtvermögen von 4.822 Billionen US-Dollar, aktuelle Steuerlast 24.1 Milliarden, mit der neuen Vermögenssteuer 72.3 Milliarden. In Ostasien leben noch mehr Mil­liar­där:innen, nämlich 838, mit etwas weniger Vermögen, nämlich 3,466 Billionen Dollar, die im Mo­ment 8.6 Milliarden an Steuern bezahlen, mit der neuen Steuer wären es 60.3 Milliarden. Weitere 260 Milliardär:innen leben in Süd- und Südostasien, 105 Stück in Südamerika, 11 in Afrika unter­halb der Sahara, im Nahen Osten und in Nordafrika sind es 75 und in Russland und in Zentralasien 133.
Ich habe keine Erfahrung im Umgang mit Milliardär:innen, auch gedanklich nicht. Ich weiß, dass 500 Milliarden an zusätzlichen Steuereinnahmen weltweit ein bescheidenes, wenn nicht sogar lächerliches Sümmchen sind im Verhältnis zur Verschuldung der Staaten. Allein die US-Zentral­regierung steht bei über 30 Billionen US-Dollar, was bei einer Verzinsung von 2% einen jährlichen Schuldendienst von 600 Milliarden US-Dollar ergibt. Nicht mal, wenn man die knapp 5 Billionen Dollar der US-Milliardär:innen vollständig enteignen täte und an den Staat überschriebe, hätte man die US-Schulden substanziell reduziert. Die Milliardär:innen werden die Finan­zie­rungs­probleme nicht lösen – da müssen wir ran, wir, die Masse an anständig entlöhnten Arbeitnehmenden mit unseren Einkommens- und Verbrauchssteuern. Wir können uns den Spaß erlauben und uns darüber aufregen, dass die Milliardär:innen derart viel Energie in die Steuervermeidung stecken; in der Regel geht es nicht nur um alle möglichen Tricks mit Steuer­para­die­sen und dergleichen, sondern viele Milliardär:innen sind richtiggehend steuerkrank und haben Ausschläge, wenn von der Steuer­behörde und vom Staat insgesamt die Rede ist. Sie planen Offshore-Städte, also zum Beispiel schwim­mende Wohnsiedlungen, wo normales staatliches Recht nicht zuständig ist, wobei in sol­chen Siedlungen dann letztlich doch gewisse Regeln gelten müssten, sonst schlagen sich diese Cha­rak­terköpfe gegenseitig ihre schönen Schädel ein. Das Verrückte daran ist, dass sie ihre Vermögen ja justament dem Umstand verdanken, dass die meisten Staaten gerade im Einkommens- und Vermögensbereich große Freiheiten und Garantien bieten, sobald die Damen und Herren einen gewissen Nettowert erreicht haben; das Dasein als Milliardär ist offenbar in gut der Hälfte der Fälle verbunden mit einer ausgeprägten Schizophrenie. Immerhin können wir als neutrale Beobach­ter:innen uns daran erfreuen, dass zum Beispiel in Deutschland die Reichsbürger:innen genau die gleichen Ideen haben wie die libertären Milliardär:innen; das einzige, was sie voneinander unter­scheidet, sind eben die Milliarden, aber das scheint den Reichsbürger:innen nichts auszumachen, ihnen reicht es, wenn sie an den ideologischen Knochen nagen dürfen, welche von den Tischen der Musks, Macafee und wie sie alle heißen an den Boden gefallen sind.

Für uns normale Menschen dagegen ergeben sich aus diesen Überlegungen keine Zauberlösungen. Besteuern, selbstverständlich, und selbstverständlich im internationalen Rahmen, ohne Schlupf­löcher. Soll ich Euch ein solches Schlupfloch schildern? Auch die Schweiz musste diese 15%-Regelung der OECD übernehmen. Es gab ein ordentliches Gerangel über die Verwendung der entsprechenden Mehreinnahmen; im Moment sieht es so aus, dass 75% dieses Surplus an die Kantone gehen, und zwar im Verhältnis zu ihren Beiträgen an die Mehreinnahmen. Der Kanton Zug ist einer der stark betroffenen Kantone, weil er zahllose Firmen und Verwaltungen angelockt hat, unter anderem eben dank Steuervorteilen. Der Zuger Finanzminister hat nun vorgesehen, die zusätzlichen Einnahmen direkt wieder an die Firmen zurückzubezahlen, selbstverständlich unter einem anderen Titel, zum Beispiel Beiträge an Forschung und Entwicklung, aber im Wesentlichen geht es um eine direkte Rückzahlung. Der Zuger Finanzminister heißt Heinz Tännler, ist Mitglied bei der rechtsnationalistischen Schweizerischen Volkspartei und an und für sich ein ziemlich vernünftiger Mensch, halt einfach vernünftig im Rahmen einer egoistischen, nationalistischen Steuerpolitik zulasten anderer Staaten.

Aber sprechen wir von etwas anderem. Am 18. Oktober gab es in der Hauptstadt des west­afri­ka­ni­schen Kleinstaates Guinea-Bissau, nämlich in der Stadt Bissau, wieder Strom für die knapp 500'000 Bewohner:innen, nachdem er zuvor vom Stromlieferanten gekappt worden war, weil nämlich die Stadtverwaltung eine offene Rechnung von 15 Millionen Dollar nicht bezahlt hatte. Die Regierung entschloss sich in der Folge, eine Anzahlung von 6 Millionen zu leisten, worauf das Elektrizitäts­werk die Produktion wieder aufnahm. Es handelt sich um ein schwimmendes Kraftwerk vor der Küste, das Strom mit Erdöl erzeugt. Es gehört dem türkischen Unternehmen Karpowership, das seit Abschluss eines entsprechenden Vertrags im Jahr 2019 das ganze Land versorgt. Dieser Vorfall war der zweite, nachdem Karpowership im September die Stromversorgung für die Hauptstadt von Sierra Leone, Freetown, eingestellt hatte; hier beliefen sich die unbezahlten Schulden auf rund 40 Millionen US-Dollar. Da kann man jetzt wiederum verschiedene Überlegungen anstellen über den Stand der Entwicklung oder Unterentwicklung und die Qualität der afrikanischen Staatswesen, vor allem aber muss man dem türkischen Betreiber dieser fossilen Kraftwerke dazu gratulieren, dass er ein äußerst effizientes Mittel in Händen hält, um seine Schulden recht schnell einzutreiben, nämlich eben die Einstellung der Stromversorgung. Durch die Tatsache, dass das Kraftwerk auf dem Meer schwimmt wie die Idealstadt der libertären Milliardäre, ist es in viel geringerem Maß anfällig auf Sabotage und Erpressung, das hat die Unternehmung sehr gut gesehen.

Kurz nach dieser Meldung habe ich eine weitere Nachricht gelesen, wonach die Türkei unterdessen wirtschaftlich der wichtigste Partner sei für Somalia. Militärisch führt der Erdopampel im Moment gemeinsame Manöver durch mit Aserbeidschan, was mich nicht nur um die Armenier bangen lässt, sondern mich auch daran erinnert, dass ich schon lange nicht mehr den Nachrichtendienst der turkmenischen Regierung TDH angeschaut habe, deshalb hier die aktuelle Meldung vom 27. Okto­ber: Bei einem Treffen in Ankara beschenkten sich der turkmenische Präsident Serdar Berdi­mu­ham­medow und der türkische Präsident Erdogan gegenseitig mit Hundewelpen; der Turkmene brachte einen Alabai, der Türke überreichte einen Kangal. Daneben wird ein Zusammen­ar­beits­vertrag mit einem türkischen Unternehmen für den Bau eines Kraftwerks gemeldet, die Delegation für die bilaterale weißrussisch-turkmenische Kommission für Wissenschaft und Technologie bestätigt, ebenso jene für die Kommission für die Zusammenarbeit mit China; am 10. Oktober hatte der turkmenische Präsident die Entsendung von humanitärer Hilfe an Afghanistan bewilligt. Und natürlich hatten die Mejlis von Turkmenistan einstimmig beschlossen, den turkmenischen Präsi­denten Serdar Berdimuhammedow Gurbangulyewitsch mit der turkmenische Ehrenmedaille «Arkadag» auszuzeichnen.

Der türkische Präsident hat sich unterdessen selber sozusagen zum offiziellen Sprecher für die Sache der Palästinenser:innen ernannt als kleine, flankierende Maßnahme im Kampf des postosmanischen Reichs um Einfluss in Nordafrika.