"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Militär

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Müssen wir jetzt aufrüsten, um den Frieden zu sichern? Die Frage kehrt seit siebzig Jahren immer wieder, manchmal drängender, manchmal weniger drängend. Jedenfalls zeigt das Gejammer und Gespötte über die schlechte Ausrüstung der Bundeswehr, dass die verschiedenen Regierungen Merkel mit den verschiedenen Verteidigungsministerinnen, namentlich der wehrhaften Ursula von der Leyen, diesem Thema keine Beachtung mehr geschenkt haben.
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10:44 min, 25 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.02.2024 / 12:18

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Kontakt: redaktion(at)radio-frei.de
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 20.02.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Müssen wir jetzt aufrüsten, um den Frieden zu sichern? Die Frage kehrt seit siebzig Jahren immer wieder, manchmal drängender, manchmal weniger drängend. Jedenfalls zeigt das Gejammer und Gespötte über die schlechte Ausrüstung der Bundeswehr, dass die verschiedenen Regierungen Merkel mit den verschiedenen Verteidigungsministerinnen, namentlich der wehrhaften Ursula von der Leyen, diesem Thema keine Beachtung mehr geschenkt haben.

Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, Panzer ausgemustert, Flugzeuge nur noch im Minimalbestand gefechtsklar gehalten. Erst seit Donald Trump ist die militärische Kampfkraft im Rahmen der Nato auch in Deutschland wieder ein Thema, und den Einmarsch der Russen in die Ukraine benutzten selbstverständlich alle interessierten Kreise zur Militarisierung von öffentlicher Meinung und eben des Militärs, was eine seltsame Sache ist, denn das Militär ist ja schon per Definition militarisiert. Aber in Deutschland offenbar nur mangelhaft. Darüber möchte ich mich nun nicht im Ernst lustig machen, denn wer sich über die Schwächen der Bundeswehr amüsiert, verlangt eben im Ernst erst recht ihre sofortige Aufrüstung. Brauchen wir das jetzt? Lässt sich der Frieden neuerdings nur mit Mordsbeständen an konventionellen Waffen sichern, angereichert um Drohnen und alle Arten an elektronischer Überwachung, Steuerung und Abwehr? – Ich weiss es nicht. Jedenfalls habt Ihr vor zwei Jahren ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zwecks Schärfung Eurer Streitkräfte beschlossen. Das hinwiederum weiss ich gewiss.

Was ich weiter zum Thema weiss, entspricht ungefähr dem, was alle wissen: Mit dem nächsten Krieg wird sich Aserbeidschan Armenien einverleiben, mit türkischer Hilfe, selbstverständlich; aus Erdogans Perspektive hat sich damit der Blick auf ein neu-osmanisches Reich eröffnet, allerdings weniger als moslemisches Konglomerat als vielmehr eine Allianz der türkisch sprechenden Völker von Turkmenistan über Kasachstan bis zu ein paar Uiguren, von denen Erdogan allerdings im Moment die Hand lassen wird – diese Aufgabe stellt sich, wenn überhaupt, höchstens seinem Nachfolger, was allenfalls Sohn Bilal sein wird, ein Unternehmer türkischen Zuschnitts, will sagen, der seine Aufträge vor allem dank seinem Namen erhält, wie ich annehme, während richtiges Unternehmertum eher vom Erdogan-Schwiegersohn Bayraktar verkörpert wird, den wir von seinem Kriegsgerät her kennen, und dieses Kriegsgerät hat im Konflikt mit Armenien verschiedentlich seine Einsatztauglichkeit bewiesen. Wie kräftig die militärischen Abwehrkräfte von Armenien dabei waren, kann ich nicht sagen, vielleicht hatten sie kein russisches Anti-Drohnen-Abwehrsystem. Vom anderen Sohn Erdogans, Ahmed, hört man nicht viel; vielleicht wird der aber eben gerade deswegen der Nachfolger, sozusagen wie eine Geheim- und Wunderwaffe, wie eine Superschall-Rakete, wie der Russe sagen würde.

Wie es mit der Ukraine weitergeht, kann ich nicht sagen. Dagegen halte ich es für Unfug, dass der Russe in der Gestalt von Wladimir Putin ein Auge auf ein paar östliche Nato-Staaten geworfen hat; man hat zwar keinen Präzedenzfall aus der jüngeren Vergangenheit, aber man kann durchaus davon ausgehen, dass der Zorn der Nato ziemlich schrecklich wäre beziehungsweise dass auch das sub­ato­mare Potenzial der Nato, in erster Linie der Vereinigten Staaten, im Falle eines Angriffs Russland auf Europa viel zu gross wäre für die russischen Linien. Petersburg und Moskau wären innerhalb von einer Woche gefallen, davon bin ich überzeugt, und wohl auch die russische Armeeführung und in ihrer Folge die russische Regierung. Die Ukraine dagegen wird irgendwann mal in die Erschöp­fung getrieben, so, wie es im Moment aussieht und so, wie es die Größenverhältnisse nahe legen; die Frage ist, ob sich die Nato zu diesem Zeitpunkt dazu entschliessen wird, direkt einzugreifen, natürlich und immer wieder im subatomaren Bereich, was aber doch ein paar zusätzliche Frage­zeichen in den Weltraum stellen würde.

Sodann haben wir auf absehbare Zeit einen ansehnlichen Krisenherd im Nahen Osten; wenn Israel die Hamas militärisch besiegt, bleiben die Kriegsursachen oder die politischen Aspekte vollständig ungelöst respektive zu diesem Zeitpunkt muss sich zeigen, ob in Israel tatsächlich der Wille zu finden ist, einer Zweistaaten-Lösung zuzustimmen, was bisher trotz aller Lippenbekenntnisse niemals so richtig der Fall war und jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit noch viel weniger, da man bald die ganze Westbank besitzt oder besetzt. Nach dem Krieg gegen die Hamas wird jedenfalls das letzte Gramm an Verständnis für die Sache Israels aufgebraucht sein, wenn die Bilanz dann bei 50'000 oder 100'000 toten Palästinenser:innen liegt. Das heißt, dass auch der letzte Rest des Holocaust-Kredites, den die israelische Regierung sehr aktiv in Anspruch nimmt, verbraucht sein wird. Dass es so weit kommen könnte, scheint im ganzen Staate Israel rein gar niemand ernsthaft in Erwägung zu ziehen, das ist dann auch wieder eine seltsame Sache. Hier spielt in den nächsten Jahren das Verhältnis von Israel zu seinen finanzkräftigen Nachbarn auf der arabischen Halbinsel die zentrale Rolle, während die Proteste im übrigen arabisch-moslemischen Raum in der Regel weder finanziell noch militärisch auf relevanten Füßen stehen. – Daneben umfasst der Krisenherd Naher Osten selbstverständlich nicht nur Israel, sondern auch den Irak, Syrien und den Iran und mitten drin erneut die Türkei, deren militärtechnische Entwicklung hier noch einmal mit einer seltsamen Art von Bewunderung erwähnt sei.

Auf der subatomaren Ebene, oder sollte ich sagen: auf der sub-subatomaren Ebene tut auch Serbien ein paar Schritte, wie der dicklippige Vucic am Wochenende verkündete: Soeben hat die serbische Armee das russische Anti-Drohnen-System Repellent erhalten und kann es in Betrieb nehmen. Daneben präsentierte Vucic verschiedene Ergänzungskäufe aus dem Bereich Kampffahrzeuge und unbemanntes Fluggerät und rühmte die in Serbien produzierten Nora-Artilleriegeschütze. Die würden sogar von den übermächtig mächtigen Streitkräften in Zypern, na, nicht gerade genutzt, aber immerhin gekauft. Demnächst will Vucic auch welche nach Aserbeidschan liefern. Die GIS-Daten für Jerewan sind dort schon fest einprogrammiert. Nun ist so etwas wie bei Vucic üblich eher lächerlich als etwas anderes, aber das Thema, über das wir anhand der Clownerien von Vucic lachen, ist jeweils doch ernst zu nehmen, im Gegensatz zum Clown selber.

Also: Ziehen wir jetzt endlich wieder in den Krieg oder rüsten wir wenigstens auf, um das Heran­nahen des Kriegs in unsere Gegenden zu verhindern? Es sieht so aus, und es sieht auch so aus, als wären Grundsatzdiskussionen im Stil von «Schwerter zu Pflugscharen» ganz und gar aus der Zeit gefallen. Die Erde ist zwar zu einem Ort geworden, der rundum genügend Waren und Lebens­um­stände für alle Bewohnenden produziert, aber die diesem Zustand entsprechende Ordnung existiert noch nicht, sie ist noch nicht einmal als Skizze vorhanden. Wenn es sich ausschließlich um ein Problem der entwickelten Länder handeln täte, wäre eine Lösung theoretisch denkbar, aber die überwiegende Mehrheit des Planeten ist ja noch nicht mal richtig entwickelt, da ist eine globale Lösung nicht so einfach. Bis wir so weit sind, müssen noch zahlreiche Potentat:innen geschmiert, viel Herzblut in Entwicklungsprojekte gesteckt, zahlreiche neue Slogans für die internationale Zusammenarbeit in Auftrag gegeben werden.

Nein, wir ziehen nicht in den Krieg, mindestens nicht in nächster Zeit, aber wir rüsten auf im sub­atomaren Bereich, und ob man dies gut oder schlecht findet, kommt gar nicht drauf an, es ist nur realistisch, wie gesagt, nehmt nur den Clown Vucic als Zeichen. Die weiteren militärischen Kon­flikte auf dieser Ebene betreffen uns nur marginal, namentlich jene in Afrika; dort hat übrigens Frankreich seine Übungs-Waffenplätze zu schönen Teilen verloren, dort trainieren jetzt neben der russischen Fremdenlegion wohl auch die türkische und ein paar andere versprengte Einheiten, abgesehen von den Amerikaner:innen. Immerhin darf man nicht vergessen, dass Frankreich nach wie vor über verschiedene nicht nur kriegstaugliche, sondern auch kriegserfahrene Truppen verfügt, ganz abgesehen von der Atombombe; allerdings weiß ich nicht, wo das französische Atom-Arsenal im Moment steht; die Wikipedia führt 290 nukleare Sprengköpfe auf gegenüber zum Beispiel 3750 der Vereinigten Staaten oder 6257 Russlands, wobei die letzteren beide nur 1800 beziehungsweise 1600 aktiv führen. Für Großbritannien gibt die Wikipedia 225 Sprengköpfe an und für die Volksrepublik China 350, während Indien und Pakistan je 160 ihr eigen nennen und Israel 90 Stück. Für Nordkorea weist die Wikipedia 45 Sprengköpfe aus. Das ist der Hintergrund, vor welchem sich die Rufe der besonders gespitzten Kriegsgurgeln in Europa nach dem Aufbau einer europäischen Atommacht irgendwie seltsam ausnehmen. Das kann man ruhig bleiben lassen.
Ein Wort noch zum Tod von Alexej Nawalny. Ich hatte ja vor ein paar Jahren vermutet, dass zwischen Nawalny und Putin eine Art spezieller Männerfreundschaft bestehe, im Rahmen derer die beiden Diktator und Oppositioneller spielen; ich hatte Nawalny sogar als idealen Nachfolger Putins auf dem Radar bei einem Spiel, in dem sich Abstoßung beziehungsweise Verhaftung und Verbote ablösen mit Annäherung, bis es am Schluss sozusagen zur Fusion gekommen wäre. Dass ich mich darin getäuscht hatte, fiel mir spätestens auf, als Putin dem Nawalny Nowitschok in die Unterhose gemischt hatte in einem Anfall von russischem Humor, den ich auch heute noch nicht verstehe. Diese Botschaft war dann klar, spätestens als Nawalny im Berliner Spital wieder zu Bewusstsein kam. Umso weniger habe ich verstanden, wie und wieso Nawalny vor zwei Jahren das dringende Bedürfnis verspürte, nach Russland zurückzukehren; der Ablauf dieser Rückkehr folgte einem Drehbuch, das ihm selber vollumfänglich bekannt war bis hin zum dunklen Ende letzter Woche. Für seine Freund:innen in Russland und anderswo ist er ein Held – für mich nicht. Ich verstehe es nicht. Dass Putin tötet, wusste man auch ohne das Beispiel Nawalnys; nach meiner Einschätzung hätte ein lebender Nawalny irgendwo im internationalen Ausland der Opposition viel größere Dienste getan, vor allem, wenn sich das Klima auch in Russland irgendwann in absehbarer Zukunft wieder zu erwärmen beginnt. Vom toten Nawalny bleiben nur die Knochen und die Erinnerung. Ich verstehe es nicht.