Das digitale Klassenzimmer: Licht- und Schattenseiten der Digitalisierung der Schulen in Sachsen

ID 127189
 
AnhörenDownload
Anmod: Die Digitalisierung der Schulen in Sachsen kommt unterschiedlich schnell voran. Die Finanzspritzen von Bund und Ländern Digitalpakt 1 und Digitalpakt 2.0 sollen das Problem lösen. Doch das Thema ist komplex. Nur mit Geldregen ist nichts geschafft. Jenz Steiner von coloRadio hat sich auf die Suche nach den Stolpersteinen auf dem Weg von der Schiefertafel zum digitalen Klassenzimmer gemacht.
Audio
08:07 min, 19 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.03.2024 / 16:20

Dateizugriffe: 664

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Jugend, Barrierefrei, Kinder, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Jenz Steiner
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 04.03.2024
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Heute geht es mal um die technische Ausstattung der Schulen in Sachsen.
Es ist etwa 70 Jahre her, da verschwanden allmählich die Schiefertafeln aus den sächsischen Schulen.
Kein Kratzen und Quietschen und kein Kreidestaub im Schulranzen mehr.
Schulbücher und Hefte, Füller, Bleistift, Rechenschieber, Winkelmesser und Lineal erhielten nach und nach ihren Platz im Schulalltag.

Die dunkelgrüne Wandtafel bekam ab 1969 Unterstützung durch den Tageslichtprojektor Polylux 1 aus dem Frankenberger VEB Phylatex Physikgerätewerk bei Chemnitz, damals noch Kar Marx Stadt. Eine sächsische Erfindung also. Ältere Generationen erinnern sich sicher noch an das laute Motorenschnurren des Ost-Overheadprojektors, das die Stimme der Lehrerin oft übertönte.

Der Deutschen Fernsehfunk produzierte ab den frühen Siebziger Jahren direkt für die Schwarzweißfernseher in den Klassenzimmern der polytechnischen Oberschulen das Bildungsfernsehen. An dessen bekannteste Sendung „English for you“ erinnern sich die Ost-Oldschooler noch ganz gut. Besonders an Tom und Peggy aus der Sendereihe English for you. Immer damit beschäftigt, eine demostration for the communist party zu preparen oder sich auf die Spuren von Karl Marx in London zu begeben.

1990 wehte der Wind of Change die Videorekorder in die sächsischen Klassenzimmer. Irgendwann später auch die CD- und DVD-Player.

Doch wenn man mal nahe ran zoomt, hat sich seither an manchen Schulen in Sachsen im Schulalltag wenig geändert. Trotz des von Bund und Ländern finanzierten, 7,5 Milliarden Euro schweren Digitalpakts 1 und 2.0 von 2019 und 2023 geht Digitalisierung an Sachsens Schulen unterschiedlich schnell voran.
Die Gründe dafür sind mannigfaltig.


Mit dem Geld soll einerseits die Hard- und Software an Schulen auf den neusten Stand gebracht werden, andererseits sollen damit Fortbildungen für Lehrkräfte, Unterrichtskonzepte und Lernplattformen wie Lernsachs finanziert werden.

Sind wir mal ganz ehrlich:
interaktive Tafeln, Laptops, Tablets und vielleicht auch Dokumentenkameras
sind deutlich attraktiver für Schüler*innen als Kratzekreide und der schnurrende Polylux.
In den Corona-Ferien konnten Laptops zuhause auch erstmal ganz ganz gut überbrücken,
was in der Schule nicht mehr möglich war.
Das wissen auch die PR-Strateg*innen von Apple und Co und bieten Bildungseinrichtungen mit Freude ihre Closed-Source-Produkte und die dazugehörigen Lizenzen an, natürlich nur, um das kreative Potential der Schüler*innen besser freisetzen zu können und einen differenzierten Unterricht zu erleichtern. Dagegen spricht ja erstmal nichts, aber bleiben wir ehrlich.

Teure Technik kann das Lernen attraktiver und zeitgemäßer machen,
das Lernen abnehmen kann sie nicht.
Das müssen wir uns alle eingestehen.
Nicht nur das:

Wer achtet in den Schulen beim Einkauf neuer Technik eigentlich auf die Bedürfnisse von Geflüchteten, von Menschen, für die deutsch nicht unbedingt Muttersprache ist,
von Menschen mit Behinderung.
Spielen Inklusion, Barrierefreiheit und Integration beim Technikeinkauf und bei den Fortbildungen von Lehrkräften wirklich eine große Rolle oder gibt es bei aller Euphorie da noch blinde Flecken?

Und wie steht es um die Chancengleichheit?
Da gibt es einmal den Vergleich im Klassenraum. Da hängt alles vom Geldbeutel der Eltern ab. Dann gibt es die Unterschiede von Schule zu Schule ab. Da hängt dann alles vom Geldsäckel der einzelnen Kommune ab.

Und dann gibt es da noch einen dritten Faktor, von dem ganz viel abhängt: Die Digitalisierungsaffinität der Lehrkräfte. Wie groß ist überhaupt denn Bereitschaft der erfahrenen Mathe-Lehrerin, sich auf neue Technik und neue Methoden einzulassen, wenn sie mit ihrem alten Stiefel bislang immer sehr gut gefahren sind?
Die Pisa-Ergebnisse für Sachsen sahen ja immer ganz gut aus. Und nur vom Youtube-Video gucken lerne und übe ich noch keine Kurvendiskussion, schreibe ich keine gute Erörterung oder Gedichtanalyse.
Und wie groß ist die Sensibilität der Geräterbeschaffer*innen an den Schulen für das Thema Nachhaltigkeit? Neue Elektronik ist irgendwann auch mal Elektroschrott. Schrott, für den teure Rohstoffe, seltene Erden aus Minen gefördert und um die halbe Welt gekarrt wurden.

Bildung ist Ländersache und es ist super wichtig, dass die Länder die finanzschwachen Kommunen, die finanzschwachen Eltern, die Bedürfnisse der Lehrkräfte und der Minderheiten nicht vergessen. Technik ist auch nicht alles. Lernen passiert nicht nur im Klassenraum. Auch Wandertage, Exkursionen auf eine alte Burg oder ins Wasserwerk der Stadt, ins Museum wollen finanziert werden. Das hautnahe Erleben von Geschichte, Kultur und Wissenschaft vor der eigenen Haustür kann Computertechnik super ergänzen, aber nicht ersetzen. Wie steht es um Barrierefreiheit an Schulen, um die Finanzierung von sozialer Arbeit, von Schulbegleiter*innen? Alles Fragen, die beim Beschluss des Digitalpakts 1 und 2.0 keine übergeordnete Rolle gespielt haben.

Länder müssen darauf achten, dass schwache Kommunen nicht vergessen werden. Technik bringt auch Probleme mit sich, die meist nur jemand mit Admin-Status lösen kann. Und wer achtet darauf, dass Digitalisierung an Schulen nicht irgendwann zur digitalen Flut wird, dass Basics wie Lesen, Schreiben und Sprechen darin nicht untergehen. Wie funktioniert Lernen überhaupt neurobiologisch?
Und wie kann digitale Unterrichtstechnik das Lernen oder Schreiben oder die Merkfähigkeit oder die Feinmotorik der Schüler*innen tatsächlich messbar und nachhaltig unterstützen? Wie trägt allein das Beschaffen von Unterrichtstechnik dazu bei, dass an Schulen kulturelles Erbe weitergegeben wird?

Ich persönlich finde es gut, dass für die technische Ausstattung von Klassenzimmern viel Geld in die Hand genommen wird.
Ich finde es aber genauso wichtig, das Schulsystem generell finanziell bestens auszustatten.
Was nützt mir ein teures Digital Whiteboard in einer baufälligen Schulbruchbude, in der die Heizung nicht funktioniert oder die Turnhalle gesperrt ist, weil das Regenwasser von der Decke tropft. Was nützen mir Tablets für alle Schülerinnen, wenn ich keine Italienisch- oder Musiklehrerin an der Schule habe? Baufällige Schulgebäude und Lehrer*innenmangel waren auch vor 2019 heiße Kartoffeln, die aus dem Feuer geholt werden wollten. Doch sie schmoren da immer noch.
Mehr Technik bringt auch neue Probleme mit sich. Haben die Schulen auch alle geügend IT-Fachkräfte, die schnell eingreifen, wenn der Beamer Schluckauf hat oder die Deutschlehrerin das Passwort vergessen hat? Wer übernimmt eigentlich das Monitoring dafür, was wirklich an den Schulen gebraucht wird?
Wer sorgt dafür, dass da, wo es geht, Creative Commons Medien und
Open Source Hardware und Software zum Einsatz kommen und Steuergelder nicht direkt in Einnahmen von Apple, Google, Microsoft, HP und Samsung umgewandelt werden?
Ich unterstelle an dieser Stelle einfach mal ganz frech, dass viele Schulleiter*innen hier in Ostsachsen noch nie etwas von Open Hardware, Open Source oder Creative Commons gehört haben, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.
Ich frage mich, die der Digitalpakt wirklich zu einem Bildungsförderungspaket werden kann, anstatt nur ein Mittel der Wirtschaftsförderung für Unternehmen zu sein, die in Deutschland eh keine Steuern zahlen.

Wie transparent laufen da die Abstimmungsprozesse auf den einzelnen Verwaltungsebenen?
Wie steht es ums Thema Datenschutz an der durchdigitalisierten Schule?
Wie kommt eine Schule schnell und unkompliziert an einen Breitbandinternetanschluss oder an die Fördergelder für die Geräte und IT-Fachkräfte, die sie dringend braucht?

Kommentare
04.03.2024 / 19:35 MoMa, coloRadio, Dresden
gesendet im montagsmagazin am 4.3.24
Danke!
 
04.03.2024 / 19:54 Andreas, Radio T
gesendet im Detektor vom 04.03.24
Vielen Dank!