Auftanken auf dem Weg Richtung Norden

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Immer mehr Migrant*innen kommen auf ihrer Reise Richtung USA in der südmexikanischen Stadt Oaxaca de Juárez an. Täglich sind es mehrere Hundert. Als Mitte 2023 die im Zentrum der Stadt von der Kirche betriebene Herberge schloß, gab es keinen Ort mehr, an dem sie sich von den Strapazen der Reise erholen und Energie für den weiteren Weg tanken konnten. Ein kleiner Verein, das Centro de Apoyo para Migrantes Universales – Collin A.C., versucht seitdem diese Lücke zu schließen und ihnen eine kurze Verschnaufpause in Oaxaca zu ermöglichen. Radio onda sprach mit Ihnen.
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08:33 min, 12 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (48000 kHz)
Upload vom 25.04.2024 / 16:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: ONDA-Beiträge
Entstehung

AutorInnen: Knut Hildebrandt
Radio: npla, Berlin im www
Produktionsdatum: 25.04.2024
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Anmod
Die Auswirkungen von Klimakrise, Armut und Gewalt lassen immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen und ein besseres Leben im globalen Norden suchen, auch in Lateinamerika. Auf ihrer Reise Richtung USA kommen täglich mehrere hundert Migrant*innen in Oaxaca de Juárez, der Hauptstadt des gleichnamigen südmexikanischen Bundesstaates, an. Als Mitte 2023 die im Zentrum der Stadt von der Kirche betriebene Herberge schloß, gab es keinen Ort mehr, an dem sie sich von den Strapazen der Reise erholen und Energie für den weiteren Weg tanken konnten. Ein kleiner Verein, das Centro de Apoyo para Migrantes Universales – Collin A.C., versucht seitdem diese Lücke zu schließen und ihnen eine kurze Verschnaufpause in Oaxaca zu ermöglichen.

Atmo
Markttreiben: Öffnen von Restaurants, Menschen beim Essen etc., Musiker

Mod
Ein Markt im Zentrum Oaxacas, kurz nach neun Uhr am Morgen. Rolläden werden hochgeschoben und Tische heraus gestellt. Entlang einer Freitreppe drängt sich ein knappes Dutzend kleiner Restaurants. Vor einigen sitzen Leute, frühstücken, unterhalten sich. Ein Musiker steht auf der Treppe und singt ein Lied. In der Küche eines der Restaurants arbeitet ein drahtiger Anfang-Sechziger mit graumeliertem Haar. Der Mann scheint nicht von hier zu sein.

O-Ton Drew Johnson
My name is Drew Johnson, originally from California, United States.
VO Mein Name ist Drew Johnson. Ursprünglich komme ich aus Kalifornien.

Mod
Doch die letzten 25 Jahre lebte Johnson, der einen Teil seiner Jugend in Mexiko verbracht hat, außerhalb der Vereinigten Staaten. Mittlerweile nennt er Oaxaca de Juárez seine Heimat. Hier hat er eines der kleinen Restaurants am Markt gemietet, allerdings nicht, um die lokale Bevölkerung oder Tourist*innen mit Oaxacas kulinarischen Spezialitäten zu verwöhnen.

O-Ton Drew Johnson
And we've recently opened up a kitchen very close to the park, where we cook from, where we supply clothing and shoes and toiletries, blankets, medicines, kind of everything we can for the migrants. We also charge their phones at no charge.
VO Wir haben vor kurzem diese Küche gemietet. Hier kochen wir, verteilen Kleidung, Schuhe, Decken, Medizin, alles was Migranten benötigen. Und sie können hier auch kostenlos ihre Handys laden.

Mod
... erklärt Johnson seinen Ausflug in die Gastronomie Oaxacas.

Seit seiner Ankunft in Oaxaca unterstützte Johnson die Arbeit der im Zentrum der Stadt gelegenen Herberge für Migrant*innen. Als diese 2023, angeblich wegen fehlender Finanzierung, ihre Pforten schloß, gründete er zusammen mit zwei ehemaligen Mitarbeiterinnen den Verein Centro de Apoyo para Migrantes Universales – kurz Collin A.C.. Ihr Ziel: die in Oaxaca ankommenden Migrant*innen weiterhin so gut wie möglich zu unterstützen.

Atmo
Arbeiten in der Küche.

Mod
Zusammen mit Johnson treffen wir John Carrillo in der Küche. Die beiden sind bereits früh auf den Beinen, um alles für den Ansturm des Tages vorzubereiten. Carillo stammt aus Kolumbien und hat sich selbst vor einem Jahr auf den Weg Richtung USA gemacht. Dort hoffte er eine bessere Zukunft zu finden. Doch:

O-Ton John Carrilo
Han pasado muchas cosas ... fue muy difícil haber llegado, gracias a que llegué y ahora sí tratando de estabilizarme aquí en Oaxaca porque no quiero seguir, son muy cansados. Entonces quisiera encontrar una nueva vida aquí con el señor Drew que ayuda a muchas de las personas ...
VO Auf der Reise ist viel passiert, es war nicht einfach bis hierher zu kommen. Ich bin sehr müde und möchte in Oaxaca bleiben und mir hier ein neues Leben aufbauen, mit Hilfe von Señor Drew.

Mod
Jetzt arbeitet Carillo regelmäßig in der Küche, hilft das Essen zuzubereiten, welches später in nahegelegenen Parks oder an Bushaltestellen an etwa 400 Migrant*innen verteilt wird. Für Carillo ist das ein erster Schritt, um in Oaxaca heimisch zu werden. Er hilft aber auch, weil er weiß wie wichtig diese Unterstützung für die Migrant*innen ist.

O-Ton John Carillo
Más que todo siempre las personas necesitan una ropa, una ducha donde descansar .... Entonces algunos ya se han enterado por medio de otros emigrantes porque se le ha dado el trato, la confianza. Se siente un poco seguro y cada persona que tiene su descanso ya puede continuar con más tranquilidad y más descansada.
VO Die Menschen benötigen vor allem Kleidung, eine Dusche und einen Platz zum ausruhen. Sie hören von anderen Migranten von diesem Ort und dass ihnen hier geholfen wird. Nachdem sie sich ein wenig erholt haben, können sie ihre Reise entspannter fortsetzen.

Mod
Vor der Küche bildet sich langsam eine kleine Schlange. Die einen fragen, ob sie Wasserflaschen auffüllen können, andere möchten ihre Handys aufladen. Carrillo nimmt diese geduldig entgegen, schließt sie an Ladegeräte an und vergibt Wartenummern. Auf die Frage was das Aufladen kostet, antwortet er: Nichts.

Atmo
Menschen, die sich unterhalten

In der Schlange stehen auch Maria und Leomelisin. Beide stammen aus Venezuela und sind auf dem Weg in die USA. Maria hatte von einem Bekannten gehört, dass sie in der Küche ihre Handys aufladen können. Dass sie dafür nichts zahlen müssen, ist eine große Hilfe für die beiden Frauen. Denn das Geld benötigen sie dringend an anderer Stelle.

O-Ton Maria
Por lo menos nos aumentaran 50 pesos o 100 pesos el pasaje, no, pero es casi que 300 por ciento de lo del pasaje.
VO Wir zahlen hier 50 bis 100 Pesos mehr für's Ticket, fast 300 Prozent des normalen Fahrpreises.

... berichtet Maria über eine übliche Praxis mexikanischer Busfahrer von Migrant*innen höhere Ticketpreise zu kassieren. Und das ist gerade hier in Mexiko, wo sie oft von der Migrationsbehörde verhaftet und zurück geschickt werden, ein großes Problem. Denn:

O-Ton Leomelisin
Y más que todo aquí en México, como ... uno lo agarra, lo devuelven, volver a empezar, volver a gastar el dinero que ya has gastado. Muchos nos quedamos sin plata en la travesía y pues hay que caminar muchísimas horas.
VO ... Dann fangen wir von vorne an, müssen noch mal Fahrgeld bezahlen. Oft geht uns das Geld aus und wir müssen laufen.


Mod
... ergänzt Leomelisin. Das stundenlange Laufen fällt ihr besonders schwer, denn sie reist mit ihrer Mutter und der kleinen Tochter.

O-Ton Leomelisin
… Mira, es rudo, es muy rudo ... este viaje, porque de verdad que llegan unos momentos que tanto tu cuerpo ya no...no quiere avanzar y te bloqueas en el decir, ya no puedo, ya no aguanto más cuando vienes con una niña como en mi caso, que llegue un momento que la niña se cansa, dice que no quiere más seguir ...
VO Die Reise ist hart, sehr hart. Oft komme ich an den Punkt, dass mein Körper nicht mehr kann, die Strapazen nicht mehr erträgt. Vor allem, weil ich mit meiner Tochter reise. Wenn die müde ist, will sie einfach nicht mehr weiter.

Mod
Maria kann das bestätigen.

O-Ton Maria
Lo que respecto al viaje es como ... dijo ... la compañía anterior, es mental. Bueno, yo vengo sola, pero yo sí he visto el sufrimiento de los niños, el estrés, el llanto. Pasamos en sequía, ahora vienen las lluvias ...
VO Wie meine Freundin schon sagte, die Reise ist hart. Ich reise allein, habe aber das Leid der Kinder gesehen, ihren Streß, ihr Klagen. Wir haben Dürre erlebt und jetzt kommt der Regen.

Mod
Die bevorstehende Regenzeit bereitet auch Drew Johnson Sorgen. Denn viele der Migrant*innen übernachten im Freien, auf der Straße, auf Plätzen oder, etwas geschützter, an Busbahnhöfen. Zugang zu sanitären Einrichtungen haben sie dort kaum.

O-Ton Drew Johnson
It's a terrible situation for the migrants here on the streets, in the parks, at the terminals. They oftentimes have to use the bathroom outdoors and that makes the local community very angry because of the urine smell and the poo. And now that it's the rainy season is coming, we are desperate to find some place where we can house them. Preferably a place with a roof, like a warehouse.
VO Die Situation für die Migranten hier auf den Straßen ist schlimm. Oft müssen sie im Freien ihre Notdurft verrichten und das empört die Nachbarn, wegen des Geruchs. Und mit der bevorstehenden Regenzeit suchen wir verzweifelt einen Ort, wo sie bleiben können, eine Lagerhalle vielleicht.

Mod
Es sind allerdings nicht nur das Wetter und fehlende Sanitäreinrichtungen, welche den Migrant*innen das Leben schwer machen. Auf der Straße sind sie, vor allem nachts, immer wieder Angriffen ausgesetzt oder werden von der Polizei und den Beamt*innen der Migrationsbehörde aufgegriffen. Aber auch viele Anwohner*innen beschweren sich darüber, dass die Migrant*innen Tag und Nacht auf den Straßen und Plätzen anzutreffen sind.

O-Ton Drew Johnson
If we had more funding, it would make it much more possible for us to be able to rent or possible even eventually buy a small piece of land where we could continue to or begin to protect the migrants at night. So really the thing that we need most is financial support.
VO Mit mehr Geld könnten wir etwas mieten oder sogar kaufen, um den Migranten nachts Schutz zu bieten. Was wir dringend benötigen ist finanzielle Unterstützung.

Um der stets wachsenden Zahl von Migrant*innen helfen zu können, braucht es mehr als das Engagement und die Spenden aus Oaxacas Expat-Community. Eine langfristige Finanzierung würde es dem Centro de Apoyo para Migrantes Universales ermöglichen, einen Ort zu mieten an dem es den Migrant*innen einen Platz zum Schlafen und sanitäre Einrichtungen bieten kann. Und vielleicht entsteht daraus auch eine neue Herberge.

Da aber kaum mit der dauerhaften Finanzierung einer weiteren Herberge durch die Stadt zu rechnen ist, bemüht sich Collin A.C. um internationale Unterstützung, baut Kontakte zu Stiftungen und Vereinen in den USA und Europa auf.

Abmod
Die Stadtverwaltung hat mehrere Versuche unternommen, die Situation in den Griff zu bekommen und sogar eine temporäre Herberge außerhalb des Zentrums eröffnet. Auch die von der Kirche betriebene Herberge hat ihre Türen wieder geöffnet, allerdings mit stark eingeschränktem Angebot. Angesichts der steigenden Zahl an Migrant*innen die nach Oaxaca kommen, kann sie nur noch wenigen von ihnen Schutz bieten und das auch nur für ein oder zwei Nächte. Es wird also dringend eine nachhaltige Lösung benötigt. Und diese möchten Drew Johnson und seine Mitstreiter*innen schaffen.