focus-europa Nr. 107, Di.27.06.06

ID 13062
 
Nachrichten:
- Überfall auf Asylbewerber
- Italien Berlusconis Verfassungsreform abgelehnt
- Frankreich: Höherer Mindestlohn
- Solidarität unter europäischen GM Arbeitern
- Umstrittener EU-Armee Einsatz im Kongo

Hintergrundbeitrag:

Über die Nabucco Gaspipeline
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16:16 min, 15 MB, mp3
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Upload vom 27.06.2006 / 13:04

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Arbeitswelt, Umwelt, Kultur, Politik/Info
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: hav/david/kmm
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 27.06.2006
keine Linzenz
Skript
Italiener lehnen Verfassungsreform ab
Rom. Die Italiener haben sich in einem Referendum mehrheitlich gegen eine Verfassungsreform ausgesprochen. Fast 62 Prozent der Wähler votierten in der zweitägigen Abstimmung mit Nein. Lediglich 38 Prozent sprachen sich für das Reformwerk aus, das größere Machtbefugnisse für künftige Regierungschefs sowie erste Schritte in Richtung Föderalismus vorsah. Rund 50 Millionen Wahlberechtigte waren bei dem zweitägigen Urnengang aufgerufen, über die noch unter der Mitte-rechts-Koalition von Silvio Berlusconi angestoßene Reform abzustimmen. Die neue Mitte-links-Regierung unter Romano Prodi hatte die Italiener zur Ablehnung des Gesetzespakets aufgerufen.
Überfall auf Asylbewerber
Stralsund. Ein türkischstämmiger Asylbewerber ist bei einem fremdenfeindlichen Überfall in Grimmen in Mecklenburg-Vorpommern leicht verletzt worden. Zwei unter Drogen- und Alkoholeinfluß stehende Männer beschimpften den 29jährigen mit rassistischen Parolen und schlugen auf ihn ein, wie die Polizei Stralsund am Montag mitteilte. Die Männer wurden kurz nach der Tat, die bereits am Samstag begangen wurde, festgenommen.(AP/jW)
Frankreich: Höherer Mindestlohn
Paris. Rund 2,5 Millionen Beschäftigte in Frankreich bekommen ab Juli mehr Geld. Wie das Arbeitsministerium in Paris am Montag ankündigte, wird der staatlich garantierte Mindestlohn (Smic) um 3,05 Prozent angehoben. Bei einer 35-Stunden-Woche gibt es in Frankreich damit mindestens 1255 Euro brutto im Monat. Der garantierte Brutto-Stundenlohn steigt damit um 24 cent auf 8,27 Euro. Der Smic wird laut Gesetz jährlich um einen Prozentsatz erhöht. Damit soll die jährliche Teuerung sowie ein Teil der allgemeinen Lohnentwicklung ausgeglichen werden. Dieser Prozentsatz betrug diesmal 2,8 Prozent. Die bürgerliche Regierung entschied sich darüber hinaus für einen Aufschlag um 0,25 Punkte. Damit setzte sie sich über Bedenken der Unternehmer hinweg, blieb zugleich aber unter der Forderung der Gewerkschaft CGT nach einem Smic von 1500 Euro. Die Sozialisten kündigten an, diese Forderung im Falle eines Wahlsieges stufenweise umsetzen zu wollen.

Opel-Arbeiter solidarisch
Heute Protestaktionen in Bochum und Eisenach gegen die Schließung des General-Motors-Werks im portugiesischen Azambuja
Die Solidaritätsaktionen mit dem von Schließung bedrohten General-Motors-Werk im portugiesischen Azambuja gehen weiter. Nachdem bereits in der vergangenen Woche rund 5000 Beschäftigte im Rüsselsheimer Stammwerk der GM-Tochter Opel vorübergehend die Arbeit niedergelegt hatten, werden heute an den Standorten Bochum und Eisenach Proteste stattfinden.

Schon Ende Oktober sollen den Plänen von GM-Europa-Chef Carl-Peter Foster zufolge die Bänder in Azambuja für immer stillstehen. 1150 Beschäftigte wären dann ihren Job los. Aus Portugal wo die Produktionskosten einer internen Studie zufolge pro Fahrzeug angeblich um 500 Euro höher liegen als in vergleichbaren Standorten soll die Fertigung des Kleintransporters Opel Combo ins spanische Zaragoza verlegt werden. In den USA will der weltweit größte Autokonzern bis 2008 insgesamt zwölf Werke schließen und 30000 Stellen abbauen. 25000 GM-Mitarbeiter haben dort ihr »freiwilliges« Ausscheiden über Abfindungen bereits akzeptiert. Auch in den deutschen Opel-Werken läuft seit anderthalb Jahren ein Programm zur »sozialverträglichen« Vernichtung von 6500 Jobs. Doch will Foster in Europa nun offenbar ein weiteres Kürzungsprogramm auflegen, mit dem Spekulationen zufolge rund 130 Millionen Euro »eingespart« werden sollen. Die Beschäftigtenvertreter befürchten, daß in Europa insgesamt bis zu 30000 Jobs auf dem Spiel stehen.

Die anvisierte Schließung des Werks in Azambuja sieht der Chef des Europa-Betriebsrats, Klaus Franz, als »Einstieg in den Ausstieg aus der Fahrzeugproduktion in Westeuropa«. Mit den nun stattfindenden Protesten wolle man »Druck auf General Motors machen«, erläuterte Wolfgang Nettelstroth, Sprecher der nordrhein-westfälischen Bezirksleitung der IG Metall, auf jW-Nachfrage. Für die Probleme des Autobauers seien »Managementfehler« und nicht zu hohe Personalkosten verantwortlich. »General Motors fährt nach wie vor eine verfehlte Strategie, die eher daran orientiert ist, das Unternehmen wie eine Bank zu führen und nur auf die Quartalszahlen zu gucken, anstatt Konzepte für eine industrielle Entwicklung vorzulegen«, kritisierte er. Daß wegen der Schließung in Azambuja jetzt in allen 18 europäischen Werken Protestaktionen stattfinden, sei »Ergebnis der inzwischen sehr gut koordinierten Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und Betriebsräten, die sich über einen langen Zeitraum entwickelt hat«.

Wie ernst es den Beschäftigtenvertretern mit der beschworenen Solidarität ist, muß sich allerdings erst noch erweisen. Waren es doch während des spontanen Streiks der Bochumer Opelaner im Oktober 2004 gerade EuropaBetriebsratschef Franz und die IG-Metall-Spitze um Vize Berthold Huber, die Solidaritätsaktionen in den anderen Werken verhinderten. »Aufgrund ihrer Erfahrung mit den oberen Betriebsrats- und Gewerkschaftsfunktionären sind die Kolleginnen und Kollegen in Bochum jedenfalls äußerst skeptisch, ob das jetzt über symbolische Aktionen hinausgeht«, berichtete Betriebsrat Jürgen Schwartz von der oppositionellen Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen«

Umstrittener EU-Armee Einsatz im Kongo

Zeitgleich mit dem Eintreffen der ersten deutschen Truppen in der Demokratischen Republik Kongo werden Vorwürfe gegenüber der Bundesregierung laut sie unterstütze ruandische Rebellen die sich vom Kongo abspalten wollen.

Gegen Ende der Woche soll es in Kinshasa zu neuen Demonstrationen kommen, mit denen gegen ausländischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes protestiert werden soll

Besondere Vorwürfe werden in der kongolesischen Presse gegen Deutschland erhoben, das die EU-Truppen vom Potsdamer Einsatzführungskommando aus leitet. Berlin die größte Oppositionspartei UDPS gegen sich, die über zahlreiche Unterstützer in den Armenvierteln Kinshasas verfügt: Die UDPS boykottiert die Wahlen und gibt an, von den EU-Staaten ins Abseits manövriert worden zu sein, da diese ihre Geschäfte mit den gegenwärtigen Regierungsfraktionen fortführen wollten.

Zudem wird die Bundesregierung verdächtigt, ihre langjährige Unterstützung für sezessionswillige proruandische Kräfte im Osten des Landes fortzusetzen. In den beiden rohstoffreichen ostkongolesischen Kivu-Provinzen dominieren Seilschaften und Milizen, die über enge Kontakte zur Regierung im benachbarten ruandischen Kigali verfügen und einen Anschluss des Gebiets an Ruanda nicht ablehnen.

Vorwürfe über die Finanzierung Ruandischer Rebellen werden seit Tagen in der kongolesischen Presse laut. "Die Deutschen spielen ein doppeltes Spiel", heißt es in der Tageszeitung L'Avenir. Die Zeitung begründet ihre Vorwürfe mit dem Verweis auf das EU-Einsatzmandat, das ein Eingreifen der europäischen Truppen in den beiden an Ruanda grenzenden Kivu-Provinzen ausdrücklich ausschließt. Diese Beschränkung nährt den Verdacht der Parteilichkeit zugunsten der dortigen proruandischen Milizen und stößt in der kongolesischen Hauptstadt auf heftigen Unmut. Mehrere Tageszeitungen aus Kinshasa berichten jetzt, das eine vom Berliner Wirtschaftsministerium treuhänderisch kontrollierte Bergbaufirma Somikivu ihre Produktion wieder aufgenommen hat. Somikivu wird von den Vereinten Nationen vorgeworfen, seit dem Jahr 2000 unter der Kontrolle proruandischer Rebellen gearbeitet zu haben und damit in die Finanzierung des kongolesischen Bürgerkriegs verwickelt gewesen zu sein. Darin gründen aktuelle Befürchtungen, das Unternehmen könne erneut proruandische Milizen stärken. Der Geschäftführer der Mine, der der Umgebung des Staatspräsidenten Ruandas zuzurechnen ist, steht einer von der UNO mit Strafmaßnahmen belegten Bande von Waffenschiebern nahe und hat von der UNO gesuchten Kriegsverbrechern Unterschlupf gewährt.

Nabucco Gaspipeline

Am Montag dem 26.6. 2006 trafen sich in Wien die die Energieminister Österreichs, Martin Bartenstein, Ungarns, János Kóka, Rumäniens, Ioan-Codurt Şereş, Bulgariens, Rumen Stoyanov Ovcharov und der Türkei, Mehemet Hilmi Güler, sowie das für Energie zuständige Mitglied der Europäischen Kommission, Andris Piebalgs, und Vertreter der Energiewirtschaft, der Internationalen Energie-Agentur und der Europäischen Investitionsbank (EIB),um die Unterschrift unter einen Vertrag zu setzten der eine weitere Verschärfung der Auseinandersetzung um die Kontrolle der Energievorräte einleitet. Die Minister gaben die Zustimmung zu der sogenannten Nabucco-Gaspipline.
Das Nabucco-Pipeline-Projekt sieht den Bau einer Erdgas-Pipeline beginnend in der Türkei bis in österreichische Baumgarten an der March nahe der slowakischen Grenze. Die ca. 4,6 Milliarden Euro teure Pipeline, deren Fertigstellung für 2011 geplant ist, soll die EU mit den kaspischen und iranischen Erdgasvorkommen verbinden.

Heute teilen sich Nordafrika (29 Prozent) und Russland (69 Prozent) die europäischen Importe. 2020 aber könnten der Nahe Osten und die kaspische Region ein Viertel beisteuern. Denn die Röhre, die in Europa Hoffnungen auf günstigere Energiezeiten weckt, soll von 2011 an Erdgas aus Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Jordanien, Syrien, Ägypten und auch aus dem Iran gen Westen pumpen.

„Europa braucht einen Zugang zu den zweitgrößten Gasreserven der Welt, um die Abhängigkeit von Russland zu mindern“, sagt Otto Musilek, Geschäftsführer der OMV Gas GmbH. Der österreichische Energiekonzern hat die Federführung in dem Konsortium übernommen, das die Pipeline bauen will. Nicht von ungefähr wurde die österreichische Stadt Baumgarten an der March als Endpunkt der Gasleitung gewählt, liegt hier doch das zentrale Verteilungszentrum der OMV.
Neben der OMV sind am Projekt Nabucco auch der ungarische Gasversorger MOL Natural Gas Transmission, der rumänische Netzbetreiber SNTGN Transgaz, die bulgarische Bulgargaz EAD und der türkische Konzern Botas zu jeweils 20 Prozent beteiligt. Die Kosten für die 3300 Kilometer lange Erdgasleitung werden auf 4,6 Milliarden Euro geschätzt. An den Kosten beteiligen wird sich auch die Europäische Investitionsbank (EIB)

Für deutsche Energieversorger kommt die geplante Pipeline wie gerufen. „Wir sind gegenüber jedem Projekt, das neue Bezugsquellen eröffnet, positiv eingestellt“, kommentiert Marian Rappl vom Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft. „Es kämen neue Gasquellen und neue Routen ins Spiel“, freut sich auch Roland Schmied, Sprecher vom Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). Zurzeit gebe es ja überhaupt keinen Wettbewerb.

Hinter den Kulissen laufen die Verhandlungen auf Hochtouren. Drei der sechs wichtigsten deutschen Erdgasversorger, RWE, Bayerngas und die Verbundnetz Gas AG, haben bereits ihr Interesse am Gas aus der Nabucco-Pipeline bekundet. Die Ausgangspositionen sind günstig: Bayerngas ist die größte kommunale Beschaffungsgesellschaft für Erdgas in Deutschland. Die Verbundnetz Gas AG dominiert den ostdeutschen Markt.
Auch Energieriese RWE will ins Konsortium einsteigen. „Die Verhandlungen mit der OMV laufen“, bestätigt Pressesprecher Sebastian Ackermann, „RWE interessiert sich sehr für die Teilnahme an dem Konsortium.“
Hintergrund ist die Expansion nach Osteuropa. Die RWE Gas ist über Firmenbeteiligungen bereits in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei vertreten. Ein Einstieg ins Konsortium wäre deshalb von strategischer Bedeutung.

Kampf um Rohstoffquellen

"Zur Durchsetzung von nationalen Interessen in der Außenpolitik haben Öl und Gas dieselbe Bedeutung wie Atomwaffen", formulierte gerade Sergei Iwanow, der russische Außenminister. Russland ist mit nachgewiesenen 48.000 Milliarden Kubikmeter Vorräten mit Abstand der grösste Einzelexporteur von Erdgas. Allerdings bringen es Iran, Katar, Saudi-Arabien, der Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate zusammen auf 70.000 Milliarden Kubikmeter Vorrat. Beide Regionen zusammen - die so genannte strategische Ellipse - besitzen etwa 70 Prozent der Welt-Gas- und -Ölvorräte. Europa, die USA, China und Indien hingegen - die Hauptverbraucher fossiler Brennstoffe - sind quasi erdgasfrei.

Zur Sicherung dieser für das Kapital wichtigen Energieströme wurden die entsprechenden militärischen Szenarien schon ausgearbeitet. Diese hat der Journalist Andreas Zumach in seinem Buch "Die kommenden Kriege" geschildert. "Militärisches Ziel der Operation ist, das besetzte Territorium zu befreien und Kontrolle über einige der Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des Landes X zu bekommen", zitiert er aus dem "European Defence Paper", das 2004 die Planung der künftigen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU festlegte.
Allein oder mit den USA - Kriege zur Sicherung der eigenen Rohstoffinteressen werden explizit aufgeführt.
Und sie werden eher zusammen mit den USA geführt: Keine Volkswirtschaft der Welt ist abhängiger von Öl- und Gasimporten. Die USA konsumieren ein Viertel des weltweiten Tagesverbrauches von 84 Millionen Barrel Erdöl. "Für die USA gibt es nur eine Region auf der Welt, für die es zu kämpfen lohnt: das Gebiet vom Persischen Golf bis zum Kaspischen Meer und Zentralasien", schrieb David Trucker. Unter Präsident Clinton war Trucker im US-Verteidigungsministerium mit Konflikten unterhalb der Kriegsschwelle befasst. Eigentlich für Deeskalation zuständig, begründete Trucker seine Kriegsbereitschaft so: "Hier lagern 75 Prozent der Welterdölreserven."

Russland hat jetzt auch schon direkt auf das Nabucco-Projekt reagiert. Gazprom will dem Projekt Konkurrenz machen und plant eine Pipeline parallel zu "Nabucco". Einziger Unterschied zu "Nabucco": Das Gas käme nicht aus dem kaspischen Raum, sondern aus Russland. Gazprom und die ungarische MOL haben dazu in der Vorwoche eine Projektgesellschaft ins Leben gerufen. Pikantes Detail am Rande: Die MOL ist aber zugleich auch Partner im "Nabucco"-Konsortium rund um die OMV.