nach dem 4. kulturschock

ID 1409
 
interview zur nachbetrachtung des 4. kulturschockfestivals in hellersdorf.
kritik an nr. 4 und aussichten auf´s nächste festival 2003.
Audio
07:33 min, 7078 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 26.06.2002 / 00:00

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Jugend, Wirtschaft/Soziales, Andere
Entstehung

AutorInnen: sushi
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 26.06.2002
keine Linzenz
Skript
aus der selbstdarstellung des nr. 3 2001:

Warum Kulturschock in Berlin-Hellersdorf?
Nach zwei erfolgreichen Kulturschock -Festivals in den Jahren 1999 und 2000 fand am 2.6.2001 das dritte Festival dieser Art mit mehreren Tausend BesucherInnen statt. Veranstaltungsort war wieder der Rohrbruchpark in Berlin-Hellersdorf. Das Festival hat sich dieses Jahr wieder durch seinen unkommerziellen Charakter ausgezeichnet. Auch die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Hellersdorfer Basisgruppen und unabhängigen Berliner KonzertveranstalterInnen hat sich bewährt und wurde fortgeführt.

Die im letzten Jahr vorhandene Kleinkunstbühne, auf der sich neben unbekannteren Bands auch Theater-, Kabarett- und Kleinkunstgruppen präsentieren konnten, wurde dieses Jahr ausgeweitet. Damit sollte unbekannteren KünstlerInnen die Möglichkeit gegeben werden, ebenfalls vor einem größeren Publikum aufzutreten. Insgesamt traten auf beiden Bühnen 10 internationale Bands auf. Dazu kamen die verschiedenen Einlagen von Theater-, Kabarett- und anderen KünstlerInnen sowie ein Soundsystem. Dabei liegt unser Hauptinteresse nicht auf dem bloßen Konsum von Musik u.ä., sondern wir bieten auf unkommerzieller Basis verschiedenen politischen und kulturellen Gruppen die Möglichkeit, sich und ihre Arbeit zu präsentieren und sich aktiv an der Gestaltung des Festivals zu beteiligen.

Politische Dimension
Das Kulturschock -Festival ist Teil einer neu entstehenden politischen Gegenkultur, die eine beachtliche Schlagkraft entwickeln kann. Sein Konzept steht für eine selbst bestimmte Jugendkultur von unten. Dieses Jahr sollten noch stärker als im letzten Jahr MigrantInnen und Flüchtlingsgruppen in die Organisation des Festivals miteinbezogen werden. Dabei sollten sie die Möglichkeit erlangen, auf ihre Probleme aufmerksam zu machen und ihre selbstorganisierte Konzepte vorzustellen. In unserem wiederholten Engagement sehen wir auch ein Stück politischer Kontinuität, die wir aufrecht erhalten wollen. Mit dieser Kontinuität wollen wir weiterhin antifaschistischen, alternativen und vor allem auch unentschlossenen Jugendlichen die Möglichkeit bieten, Aktivitäten aus dem subkulturellen und dem Widerstandsbereich erstmals kennen zulernen bzw. sich weiter damit zu befassen, ohne einer direkten Bedrohung von Neonazis ausgesetzt zu sein.

In Hellersdorf-Marzahn sind nach wie vor Neonazis aktiv. Sie bauen Strukturen auf und vertreiben ihre Propaganda. Das Nazi-Musik-Netzwerk "Blood & Honour" hatte seine Zentrale im Stadtteil Kaulsdorf, die NPD/JN wählte am 1. Mai 2000 Hellersdorf als Aufmarschort für ca. 1.000 AnhängerInnen. Marzahn-Hellersdorf ist der größte Berliner Kreisverband der NPD/JN. In diesem "deutschen" Klima werden sog. Andersdenkende und -aussehende von Neonazis und ihren MitläuferInnen ausgegrenzt, was der erste Schritt zu Einschüchterungen und Angriffen ist. Über die Verbreitung von "Nazi-Kultur" auf der Straße, in den Schulen und Jugendclubs, sollen "deutsche" Werte und Ideen in den Köpfen der Jugendlichen Fuß fassen. Der Bezirk hat mit seinem staatlichen Antifaschismus dieser Entwicklung nichts entgegenzusetzen (s. offizielle Gegenveranstaltung zum Nazi-Aufmarsch am 1. Mai). Er selbst produziert Anpassungsdruck und Hilflosigkeit, er schafft damit eine gute Ausgangsbasis für die neonazistische Propaganda.

Da unser Auftreten einige Spuren hinterlassen hat, reagiert der PDS-regierte Bezirk mittlerweile mit Repression. Nach außen wurde zwar fröhliche Zustimmung gezeigt ("solche Feste braucht Hellersdorf", O-Ton Bürgermeister Klett), hinter den Kulissen aber gegen den anmeldenden Verein "Das Haus e.V." vorgegangen.

Mehrere Bulleneinsätze störten bereits nach dem ersten Festival 1999 die sonst eher ruhig verlaufenden Veranstaltungen des Hellersdorfer Jugendprojekts "Das Haus". Das konsequente Vorgehen des Bezirks, hatte die Schließung des "Hauses" Anfang des Jahres 2000 zur Folge. Auch eine Wiederbesetzung des 1993 schon mal durch eine Besetzung erkämpften Projekts blieb erfolglos. Die Jugendlichen wurden von einem enormen Polizeiaufgebot gekesselt, überprüft und zum Teil massiv eingeschüchtert. Seitdem hat sich trotz Bemühungen von Seiten des Vereins "Das Haus e. V." an dieser Situation nichts geändert. Gestützt durch fadenscheinige Argumente zieht der Bezirk seine Hinhaltetaktik durch. So wurde der Bauantrag, für die vom Bezirksamt geforderten Um-/Ausbaumaßnahmen, viel zu spät gestellt. Nach der Bezirksfusion (Marzahn-Hellersdorf) stehen nun nicht mehr genügend Gelder zur Verfügung, deshalb wird sich der ursprünglich Anfang November 2000 geplante Baubeginn um mindestens zwei Jahre verschieben.


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Kulturschock
Es gibt zu viele Menschen, die zu schnell vergessen, was gestern noch war und die täglich fressen,
Was uns diese Medienwelt so serviert, da ist es egal, wer wann wie krepiert.
Die meisten tun immer, als ob sie es checken, in Wirklichkeit ist aber realer Schrecken
Viel größer noch als uns´re Phantasie, was wirklich passiert ist, das checken wir nie.

Am Weiten Theater steht ein Mann aus Vietnam. In der Brust steckt ein Messer und er bricht zusammen.
Doch Ihr geht nach Hause, schnell fliegt die Tür zu. Alltägliches Sterben und raus bist Du.
In Hellersdorf kriegen zuviel auf die Fresse, doch morgen steht wieder nichts in Eurer Presse,
Weil´s einfach gar niemanden interessiert, warum man so viele brutal abserviert.

Das Öl in dem tödlichen Feuerschein,
Der andre verbrennt, das will ich nicht sein.
So scheiße normal, ihr tut mir nicht leid,
Da mach´ ich nicht mit, ab jetzt habt ihr Streit.

Wir wollen gern unsere Spur´n hinterlassen, tief in uns selbst, nicht nur bei den Massen.
Die Phrasen der Nazis sind uns viel zu dumm. Wer ihnen nicht paßt, den bringen sie um.
Eine Machtphantasie ihrer Todessehnsucht. Aus welchem Schoß kriecht nur diese Frucht?
Ob Haß oder Angst, was sie auch versuchen, um zu bekommen ein Stück von Kuchen.

Nur ein größeres Stück als bei andern soll´s sein. Was unterscheidet den Menschen vom Schwein?
Dich unterscheidet nichts mit Deinem Leben und deshalb hast Du wohl auch nichts zu geben.
Weil es nämlich gar nicht so einfach ist, für etwas zu stehen und jemand zu sein,
Mit all Deinen Macken kriegst Du nichts gebacken und stehst dann ganz plötzlich voll blöd da - allein.

Das Öl in dem öden Feuerschein,
Der leise tötet, ganz von allein.
So scheiße normal, ihr geht mir zu weit,
Such´ lieber ein Leben, das uns befreit.

Jetzt tun sie noch so, als wär´n sie Enttäuschte. Sie reden von Arbeit zuerst für Deutsche.
Doch erst typisch deutsch ist ihr Traum-Arbeitsplatz, stammt er nämlich aus dem bekannten Satz:
Es sind im Land der angeblichen Denker nur Mörder am Handwerk als Richter und Henker.
Sie nennen´s gewaltfrei, schimpfen über Chaoten und vergessen darüber gern die Toten.

In Görlitz im Knast sitzt der junge Thung, auch er aus Vietnam, doch er kam nicht um.
Gefangen wegen seiner Lebenslust, wohlwissend, daß Du Dich wehren mußt.
Die Angreifer marschierten am ersten Mai, zuvorkommend prügelt uns die Polizei,
Doch Thung träumt von Freiheit. Wir träumen mit ihm. Kulturschock heißt kämpfen für ein Leben mit Sinn.

Das Öl in dem eig´nen Feuerschein,
Der tief in mir brennt, das will ich sein.
Ich scheiß auf normal, den ich bin es leid.
Und brenne lieber auf Lebenszeit.


In Erinnerung an den namenlosen vietnamesischen Zigarettenverkäufer, der vor den Augen unzähliger Konsumgeier am 12.01.1999 mitten in einem Hellersdorfer Supermarkt von fünf Neonazis verprügelt und mit einem Messerstich in den rechten Lungenflügel lebensgefährlich verletzt wurde.

Das Kulturschock-Festival findet seit dem Sommer 1999 regelmäßig zur Verteidigung unserer Freiheit statt. Freiheit auch für den 15jährigen Thung, der seit einem halben Jahr im Jugendknast in Görlitz gefangen ist, weil er sich und seine Familie gegen rechte Angreifer verteidigt hat.