Interview mit Radio Comunitaria 99.1 FM (Chiapas, Mexico)

ID 1410
 
Interview mit Radio Comunitaria 99.1 FM
in San Cristobal de las Casas-Chiapas am 11.Juni 2002

das interview wurde in chiapas verschriftlicht, ins deutsche übersetzt und von uns lediglich eingesprochen.
das schriftliche interview hängt im script.
Audio
14:43 min, 17 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 26.06.2002 / 00:00

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, in anderen Sprachen, Internationales, Wirtschaft/Soziales, Andere
Entstehung

AutorInnen: mango-lassi
Radio: FRBB, Berlin und Brandenburg im www
Produktionsdatum: 26.06.2002
keine Linzenz
Skript
Interview mit Radio Comunitaria 99.1 FM
in San Cristobal de las Casas-Chiapas am 11.Juni 2002

Seit dem 23.Maerz 2002 sendet das linke Stadtradiokollektiv Radio Comunitaria 99.1 FM Frecuencia Libre in San Cristobal de las Casa in Chiapas, Mexiko von taeglich 9.00 Uhr bis 23.00 UHR ohne staatliche Lizenz. Seit Anfang Mai 2002 existieren Ermittlungsverfahren gegen die vermeintlichen MacherInnen des Radios sowie ein Beschlagnahmungsbefehl fuer die gesamte Sendeanlage. Das Stadt-Radio, das bisher ueber eine oeffentlich zugaengliche Adresse und Studio-Telefonnummer erreichbar war, wo auch die woechentlichen oeffentlichen Redaktionssitzungen stattfanden, an denen sich alle beteiligen konnten, die das wollten, sendet nun weiter von einem unbebkannten Ort in San Cristobal. Bereits zweimal waren in der Vergangenheit am 23.4. und Anfang Mai Inspekteure der staatlichen SCT (Secretaria de Comunicaciones y Transporte- Komunikations-und Verkehrsministeriums) vor Ort, um die RadiomacherInnen einzuschuechtern und die Sendeanlage zu konfiszieren. Beide Male ist ihnen jedoch erfolgreich der Weg versperrt worden. Jetzt existieren jedoch Ermittlungsverfahren und ein Eingreifen und eine Hausdurchsuchung durch die Polizei ist wahrscheinlich geworden. Das Radio 99.1 FM Frecuencisa Libre ist zu erreichen unter: FM991Radio@yahoo.com.mx (in spanisch und deutsch)

Wann und wie ist das Projekt Radio 99.1 FM enstanden,?
Am 23.Maerz dieses Jahres haben wir in San Cristobal angefangen zu senden.
Wir sehen die absolute Notwendigkeit selbst ein unabhaengiges Medium zu besitzen, indem wir unsere Meinungen und Positionen, die sonst nirgendwo vertreten werden, aussern koennen. Bei den normalen Radiosendern, den kommerziellen Radiosendern geht das nicht. Es sei denn du hast viel Geld und kaufst dir eine Lizenz.
Dabei geht es uns nicht nur um das Medium Radio, wir begreifen uns als Teil eines laengerfristigen Projekts (Projecto de Medios de Comunicacion) zur Rueckeroberung des oeffentlichen Raumes, das Fernsehen auch miteinschliesst. Unsere Grundidee ist, das wir als Radio-Kollektiv Freiraueme schaffen, in denen sowohl die Stadt-BewohnerInnen als auch politische und soziale Gruppen aus San Cristobal selbst zu Wort kommen und ihre eigenen Meinungen, Vorschlaege, Ideen und Gedanken verbreiten koennen. Wir wollen all denen ein Stimme geben, die bisher keine hatten, bzw. nicht artikulieren konnten.

Also ein Radio fuer die Leute ?
Ja, ein Radio fuer die Leute von den Leuten, das ist unser Konzept.

Wie ist jezz eure aktuelle Situation, nachdem ihr am 23.Marz angefangen habt zu senden ?
Unsere aktuelle Situation ist ein bisschen schwieriger geworden, nachdem wir seit Anfang Mai kriminalisiert werden. Neun Personen des Radiokollektivs haben mittlerweile Ermittlungsverfahren am Hals. Wir senden zwar im Moment weiter, tun das jedoch von einem verstecktem Ort hier in San Cristobal, der jedoch nicht allzu guenstig ist. Unsere derzeitigte Einschaetzung ist jedoch, dass die Fox-Regierung in der momentanen Situation uns nicht in den Knast schicken wird, aufgrund des oeffentlichen Ansehens der angeblich demokratischen Regierung, die in Mexiko jetzt existiert.
Aber wie gesagt existieren eben diese Ermittlungsverfahren gegen uns und jeder Zeit kann es passieren, dass die Polizei uns verhaftet. Die Anklagen gegen uns lauten Raub der Radiowellen und Freiheitsberaubung “Robo de ondas radios electricas y privacion illegal de la libertad.”
Laut dem mexikanischen Bundesgesetz zur Regelung der Medienkommunikation obliegen alle Radios, Fernsehstationen und alle anderen Medien der Bundesregierung und der Nation. Und die Regierung sind die Einzigen, die eine Konzession erteilen koennen. Eine Konzession ist Vorraussetzung fuer das Betreiben einer Radio-oder Fernsehstation. Wir hatten von Anfang keine Konzession bekommen. Laut dem Gesetz koennen wir demnach zwischen 2 bis 12 Jahren Gefaengnis verurteilt werden.

Warum habt ihr keine Konzession bekommen ?
Wir haben um keine Konzession gebeten und haben auch keinen Antrag gestellt eine zu bekommmen. Bestenfalls wollen wir eine Art Duldung, Erlaubnis, Genehmigung.
Denn wir sind kein kommerzieller Sender und laut dem mexikanischen Gesetz werden Konzessionen nur an kommerzielle Sender und Zwecke vergeben. Aber eine Genehmigung kann fuer kulturelle Radiosender oder beispielsweise auch fuer Universitaetssender vergeben werden. Aber auch um eine Genehmigung haben wir uns nie bemueht, weil bereits 1992 andere Leute aus San Critobal damals eine Genehmigung forderten, sie aber nie erhalten haben.

Bis Anfang Mai habt ihr quasi in einem Studio gesendet, was oeffentlich zugaenglich und bekannt war. Leute konnten dort hinkommen usw. Was hat sich fuer euch konkret, nachdem ihr jetzt underground senden muesst, veraendert ?
Ja, unsere Situation hat sich verschlechtert, wir mussten von unseren oeffentlichen Studio umziehen uns senden jetzt von einem anderen Ort, um die Konfiszierung des Senders zuverhindern. Auch unser Programm hat sich dadurch veraendert. Bis zu unserem Umzug Anfang Mai hatten wir oefters Live-Programme und Studiogaeste. Jezz gibts bei und fast nur Musik und wenig Liveprogramme, weil der Ort logischerweise nicht so cool ist, dort nicht soviel Leute auflaufen koennen und zudem einige unter der staendigen Bedrohung einer evt. Festnahme nicht senden wollen, usw.

Wie ist eure Analyse der aktuellen Radio-und Medienlandschaft in Mexiko ?
Ja, wir befinden uns in einer historischen Situation. Seit Juili 2000, seitdem die neue Fox-Regierung an die Macht kam, haben viele Menschen eine Veraenderung erwartet, erhofft. Jezt realisieren viele , dass es gar keinen Wechsel, keine wirkliche Veraenderung gab. Vor allem im oekonomischen Bereich hat sich nichts zugunsten der Bevoelkerung veraendert, es ist nur eine Fortsetzung der PRI –Politik der vergangenen Jahre. Und das fangen jetzt viele an, zu realisieren, die Unzufriedenheit waechst.
Bezueglich der Mediengesetze hat sich bisher auch nichts veraendert, die Fox-Regierung hat alle alten Gestze uebernommem. Eher im Gegenteil, die Regierung geht gegen kleine Stadtradios und Initiativen vor. Und wir sind hier ja nicht das einzige Projekt, auch in Veracruz, Oaxaca, in Mexiko-Stadt, Sonora, Hidalgo, Chiahuahua, also ueberall gibt es neue Radiosender, die alle letztendlich legalisiert bzw. geduldet werden wollen, um ungehindert senden zu koennen. Aber bisher hat die Fox-Regierung nicht ein einziges Radio legalisiert und in unserem konkreten Fall droht uns schlimmstenfalls gar Gefaegnis. Allerdings sind wir auch das einzige Projekt in ganz Mexiko, das derzeit kriminalisiert wird und Ermittlungsverfahren am Hals hat.

Stichwort Privatisierung der Medien als Teil einer umfassenden Privatisierung ?
Ja, die Medien hier in Mexiko sind sowieso alle privatisiert. Wir haben keine oeffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten wie in anderen Laendern. Neben den kommerzielen Radios gibt es auch den einen oder anderen Uni-Sender, wie Radio-Unam z.B , das sind allerdings eher Ausnahmen, in der Regel ist der ganze Radio und Fernsehbereich privatisiert.

Welche Gruppen oder Initiativen beteiligen sich bei eurem Radio ?
Und wie sieht euer Programm aus ?
Mit 11 Personen fing unser Radiokollektiv an. Danach haben wir bereits zweimal zu offenen Versammlungen aufgerufen, an denen sich alle BewohnerInnen und sonstige Interessierte, beteiligen konnten, um das Programmm gemeinsam zu gestalten, bzw. damit die Leute ihre eigene Sendungen machen koennen.
Groesstenteils besteht unser Programme aus Musik von Cumbia bis Punk
Jetzt gerade umsomehr, da einige Liveprogramme wegen der veraenderten Situation wegfallen.
Einer der Gruppen, die bei uns aktiv sind, ist Colem (Colectivo de Mujeres) , ein Frauengruppe aus San Cristobal, die regelmaessig jeden Mittwochvormittag zwei Stunden sendet. Letztens gab es z.B. eine Sendung ueber Gesundheitspoltik in Mexiko und die Politik der Weltbank und deren Auswirkungen v.a. fuer Frauen. Ausserdem hatten wir eine Meinugssendung ueber Politik und Weltgeschehen. Eine Gruppe von der Uni San Cristobal will sich bei uns beteiligen, bisher habe sie das aufgrund der schwierigen Lage noch nicht getan. Eine andere Gruppe ist die Maennergruppe La Puerta Negra, die sich mit der Gender-Debatte auseinandersetzt .

Wie ist euer Verhaeltnis zur zapatistischen Bewegung ?
Also, wir begreifen uns als voellig unabhaengig und gehoeren keiner Gruppe, Organisation oder ahnlichem an und wollen dies auch nicht. Wir bieten allem Gruppen, einschliesslich der EZLN sowie Colem oder Puerta Negra oder jeder anderen sozialen Gruppe, den Platz und den Raum und die Moeglichkeit, ihr Programm zu machen und selbst zu gestalten. Aber wir als Radio sind autonom, unabhaengig und begreifen uns als BewohnerInnen aus San Cristobal.

Ihr begreift euch als Kollektiv
Ja es gibt kein Chef , alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen.
Wir sind 11 Personen, wir haben angefangen uns im Januar zu treffen, bei einigen Treffen waren bis zu 30 bis 50 Personen anwesend. Und es waren eben jene 11, die bei allen Diskussionen dabeigewesen sind .

Wie wird euer Programm beschlossen ?
Fuer die Programmgestaltung hat sich eine Kommision gebildet, das Kollektiv als ganze beteiligt sich gar nicht an den Programmmdiskussionen, das machen zwei, drei Leute vom Kollektiv. Es gibt bei uns keine Zensur, die Zusammenstellung erfolgt nach Kriterien der Hoerbarkeit und wann was passt; spielen wir Musik oder nur Gerede eher Abends oder eher morgens usw. Wir haben bisher niemandem verweigert, bei uns zu senden., alle sind bei den offenen Voll-Versammlungen akzeptiert worden.

Gibt es auch Gruppen oder bestimmte Inhalte , die ihr bei euch nicht dulden und akzeptieren wuerdet ?
Wir akzeptieren keine rassistische Inhalte, Xenophobia oder Verunglimpfungen, die sich gegen Einzelpersonen richtet. Wir respektieren vollstaendig die Privatsphaere von Menschen. Niemand darf aufgrund seiner Religion, seiner Hautfarbe, seines Geschlechts diskriminiert werden , das akzeptieren wir nicht.
Abgesehen davon sind wir jedoch sehr offen, wir haben keine Tabuthemen, und wir wollen die freie Diskussiom und Debate als Forum, als Spiegel der Geschehnisse. Ueber alles, von Sexualitaet bis Politik soll es moeglich sein, bei uns zu reden.

Wie finanziert ihr euch ?
Mit Miete , Strom, Telefon kommen wir zusammen auf ca. 4000 Pesos (ca. 500Euro) pro Monat. Wir organisieren Solifeste-und Parties, und demnaechst wird es eine tolle Tombola geben. Andere wiederum haben einen Dauerauftraeg, wodurch monatlich ein kleiner Betrag fuer uns rausspringt. Wir kriegen zwar nicht immer die Kohle zusammen, aber irgendwie schaffen wir es dann doch, ueber die Runden zu kommen.
Vielen Dank fuer das Interview, 11. Juni 2002