focus-europa nr. 197 v.31.10.2006

ID 14399
 
Nachrichten:
- Europäisches Raubrittertum
Media Markt feuert Gewerkschafter in Polen
- EU gegen Sozialstaat
- Atommüll in der Luft
-EU rügt Serbiens Anspruch
- Amnesty international beklagt unaufgeklärte Todesfälle von Flüchtlingen an der Grenze der spanischen Exklaven

Interview:
mit Knut Unger vom Mieterforum Ruhr über den geplanten Verkauf der landeseigenen Wohnungen NRW
Audio
18:12 min, 17 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.10.2006 / 12:40

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Umwelt, Politik/Info
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: hav/david
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 31.10.2006
keine Linzenz
Skript
Europäisches Raubrittertum
Media Markt feuert Gewerkschafter in Polen

Nach den Handelsketten Real und Lidl ist in Polen nun auch Media Markt in die Negativ-Schlagzeilen geraten. Der Konzern kündigte aus "disziplinarischen Maßnahmen" einem Gewerkschafter. Dabei wollte dieser nur einen Betriebsrat gründen. Media Markt ist aber bei weitem nicht die einzige Handelskette in Polen, die wegen der Missachtung von Arbeitnehmerrechten in die Schlagzeilen geriet. Bei Lidl, Real oder Auchan, überall würden die polnischen Angestellten im Grunde wie Leibeigene behandelt, und das ganze für durchschnittlich umgerechnet rund 500 Euro im Monat, kritisiert die Gewerkschaft Solidarnosc.
Bei Kontrollen der polnischen Arbeitsbehörde waren die Inspektoren in landesweit 123 Großmärkten auf zum Teil haarsträubende Zustände gestoßen. In 35 Prozent der Märkte gab es keinerlei Arbeitszeitkonten, Überstunden wurden nicht registriert und in der Hälfte die Läden hatten die Verkäuferinnen nicht einmal ihren gesetzlichen Urlaub erhalten.
Solidarnosc-Landeschef Janusz Sniadek fordert ein unmissverständliches Zeichen der polnischen Regierung gegenüber dem, wie er es nennt, modernen Raubrittertum: "Heute ist dieser Umgang der Konzerne die Schande für Polen am Anfang des 21. Jahrhunderts. Inzwischen werden mehr aktive Gewerkschafter entlassen als damals im Kriegszustand."
Klagen über Verstöße gegen grundsätzliche Arbeitnehmerrechte registriert die polnische Gewerkschaft Solidarnosc bei nahezu allen internationalen Handelsketten. Doch die Wachsamkeit der Gewerkschafter gegenüber der deutschen Metro-Gruppe ist derzeit besonders groß: Denn mit der Übernahme der französischen Kette Geant werden sich auch die Realmärkte künftig an 49 polnischen Standorten etablieren. Die deutsche Metro-Gruppe befindet sich also auf dem Weg zur polnischen Nummer Eins unter den internationalen Handelsketten.
EU gegen Sozialstaat

Bei der laufenden Auseinandersetzung um die EU-Dienstleistungsrichtlinien sollte nicht übersehen werden, dass bestimmte Aspekte des geplanten Angriffs auf den Sozialstaat bereits realisiert und sogar rechtlich festgeschrieben wurden. Dank des bestimmenden Einflusses der Unternehmenslobby in Brüssel, können sich bereits jetzt deutsche Unternehmer völlig ihrer Pflicht zur Zahlung von Sozialbeiträgen entziehen. Was bei Arbeitslosen in strafrechtliche Bereiche gerückt wird, ist für Unternehmer „legal“.
Dies entschied zumindest am 24.10.2006 der Bundesgerichtshof (BGH 1 StR 44/06). Konkret ging es um einen Münchner Bauunternehmer, der seine Beschäftigten pro forma in Portugal anmeldete, um keine Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland zahlen zu müssen. Anders wie die unteren Instanzen, sah der BGH keine strafbare Handlung vorliegen, wenn deutsche Unternehmer ihre deutschen Beschäftigten einfach in einem anderen EU-Land anmelden, obwohl sie dort überhaupt nicht arbeiten – vorausgesetzt sie verfügen über die EU-Bescheinigung E 101.
Für Unternehmer, die diese Bescheinigung besitzen, ist es egal, ob sie nun tatsächlich im dem EU-Land arbeiten lassen, das diese Bescheinigung ausstellt. Wie der Europäische Gerichtshof bereits in mehren Urteilen entschied, entfällt die Versicherungspflicht für entsendete Arbeiter mit der Bescheinigung E 101 auch dann, wenn sie diese gar nicht – in diesem Fall nach Portugal, wo die Sozialbeiträge nur halb so hoch sind wie in Deutschland – entsenden.
Es ist nicht bekannt, ob das gleiche Münchner Bauunternehmen, dass sich über seine Briefkastenfirma in Portugal vor der Zahlung von Sozialbeiträgen drückt, dafür, dass es zuvor Arbeitslose beschäftigt, Zuschüsse genau aus den Kassen bekommt, in die es nichts einzahlt. Rechtlich möglich wäre dies – sofern das Urteil des BGHs das letzte Wort in Sachen EU-Bescheinigung E 101 bleibt.

Atommüll in der Luft

In Deutschland soll es noch in diesem Jahr zu einem außergewöhnlichen Atommüll-Transport per Flugzeug kommen: 200 Kilogramm radioaktives Material sollen von Dresden nach Russland transportiert werden.
Das hoch angereicherte Uran soll vom ehemaligen DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden nach Russland geschafft werden. Das nicht-waffenfähige Uran werde auf Basis eines weltweiten Programms zur Verarbeitung nach Russland gebracht. Es gebe bereits eine Ausfuhrgenehmigung sowie eine atomrechtliche Genehmigung des Ministeriums. Das Bundesamt für Strahlenschutz müsse aber noch die Beförderungsgenehmigung erteilen. Laut "Berliner Zeitung" soll der Transport am 1. Dezember erfolgen.
Zu dem atomaren Material gehören laut der Zeitung alte Brennelemente, Brennstäbe und Brennstoffscheiben. Diese sollten in speziellen Sicherheitsbehältern von Rossendorf zunächst per Lkw zum Flughafen Dresden transportiert werden. Von dort gehe die strahlende Fracht mit einem Flugzeug nach Russland. Im dortigen Kernforschungszentrum Podolsk solle der Atommüll wieder nutzbar gemacht und in den Nuklearkreislauf zurückgeführt werden. Das gehe aus dem Antrag zur Transportgenehmigung der beauftragten Firma hervor.
Hintergrund der Rückführung ist ein Abkommen unter Beteiligung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). Ziel des Vertrages ist es, die atomaren Hinterlassenschaften aus dem Kalten Krieg in ihre Ursprungsländer zurückzubringen. Aus dem 1991 stillgelegten Forschungsreaktor Rossendorf sowjetischer Bauart waren im vergangenen Jahr bereits 951 Brennstäbe ins nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus gebracht worden. Anfang des Monats ging ein Transport mit schwach angereichertem Uran per Lkw und Schiff nach Kasachstan.
EU rügt Serbiens Anspruch

Die am Sonntag bei einem Referendum angenommene serbische Verfassung bezeichnet das derzeit von den Vereinten Nationen (UN) verwaltete und mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo ausdrücklich als Teil Serbiens. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte: "Ich kann im Moment nur darauf verweisen, dass die Wählerliste, die beim Referendum benutzt wurde, aus dem Jahr 2001 stammt. Und diese Liste umfasst nicht die Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo." Sie betonte, die Frage des künftigen Status des Kosovo sei unabhängig von der neuen serbischen Verfassung Gegenstand des UN-Prozesses.
Die Bürger Serbiens billigten die neue Verfassung ihres Landes mit knapper Mehrheit. 52,3 Prozent der 6,6 Millionen Wahlberechtigten votierten in dem zweitägigen Referendum mit Ja. Die Wahlbeteiligung lag nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis bei 54,2 Prozent. Ein zentrales Anliegen der neuen Verfassung sei die Verankerung der abtrünnigen Provinz Kosovo im serbischen Staat, hatte Regierungschef Vojislav Kostunica am Abend nach Bekanntwerden des Ergebnisses in einer Fernsehansprache erklärt. Damit solle verhindert werden, dass sich die fast nur noch von Albanern bewohnte Region von Belgrad lossagt und ein selbstständiger Staat wird.Das neue Grundgesetz soll am nächsten Sonntag vom Parlament feierlich verkündet werden. Es löst die Verfassung von 1990 ab, die unter Einfluss des inzwischen gestorbenen jugoslawischen Staatspräsidenten Slobodan Milosevic geschrieben wurde. Jetzt sollen vorgezogene Wahlen für alle staatlichen Ebenen folgen. Bis zum Jahresende soll das Parlament neu gewählt werden.
Amnesty international beklagt unaufgeklärte Todesfälle von Flüchtlingen an der Grenze der spanischen Exklaven

Ein Jahr nachdem 13 Menschen bei dem Versuch ums Leben kamen, den Zaun zu überwinden, der die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla von Marokko trennt, sind die richterlichen Untersuchungen noch immer nicht abgeschlossen. "Es besteht eine völlige Straffreiheit", beschwert sich amnesty international (ai) in einem in Madrid vorgelegten Bericht. Die Menschenrechtsorganisation bezweifelt, dass die laufenden Untersuchungen dazu geeignet sind, die Vorfälle an den Grenzzäunen "minutiös und unabhängig aufzuklären".
Im Spätsommer und Herbst 2005 war es immer wieder zu Massenanstürmen von Flüchtlingen auf die Grenzanlagen von Ceuta und Melilla gekommen. Die spanische Guardia Civil und die marokkanische Armee gingen mit verstärkten Einsatzkräfte gegen die Flüchtlinge vor. Selbst heute, wo die Welt auf das Flüchtlingsdrama auf den Kanarischen Inseln schaut, versuchen immer wieder Menschen in die zwei spanischen Außenposten Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste zu gelangen. Erst im vergangenen Juli verloren dabei abermals drei Menschen ihr Leben.
Amnesty hat über die Vorfälle und die mangelnden Ermittlungen den Menschenrechtsausschuss der UNO informiert. Die Menschenrechtsorganisation verlangt die Einsetzung eines unabhängigen Untersuchungsgremiums und fordert die EU auf, entsprechend auf Spanien einzuwirken.