focus europa nr 202 vom 7.11.2006

ID 14540
 
Nachrichten
- Gewerkschafts-Demonstrationen in Italien
- Gewerkschafter in der Schweiz ausspioniert
- Berlin uneins über Türkei-Kurs
- Ausländerrecht wird wohl verschärft
- Russisch-deutsche Blockade der UAA Gronau
- EU-Kommission untersucht staatliche Beihilfen bei finnischem AKW-Neubau

Interview:
RABE Bern mit Greenpeacesprecher über Klimagipfel in Nairobi
Audio
18:43 min, 17 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.11.2006 / 12:51

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: hav/david
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 07.11.2006
keine Linzenz
Skript
Gewerkschafts-Demonstrationen in Italien
Zehntausende haben am vergangenen Wochenende in Rom gegen Beschäftigungsgesetze aus der Zeit Berlusconis demonstriert. Die von Romano Prodi geführte Regierung ist gespalten.
Mehrere zehntausend Menschen haben am Samstag in Rom für sichere Beschäftigung und gegen eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die amtierende Regierung unter Romano Prodi protestiert. Die Demonstration richtete sich in erster Linie gegen neoliberale Gesetze, die noch unter dem ehemaligen Präsidenten Silvio Berlusconi eingeführt wurden.

Aufgerufen hatte ein Bündnis aus Gewerkschaften, gewerkschaftlichen Basisgruppen, Globalisierungsgegnern, Parteien und Kulturorganisationen. Federführend war jedoch die linke Basisgewerkschaft Cobas. Gemeinsam forderten sie die Abschaffung von mehreren Berlusconi-Gesetzen, die auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Beschränkung der Einwanderung und Etatkürzungen bei Bildung und Forschung abzielten.

Diese Gesetze aus dem Jahr 2002 waren in Italien als »Biagi-Reformen« bekannt geworden, Mit ihnen wurde die Beschäftigungspolitik tiefgreifend verändert: Teilzeitkräfte werden seither gefördert, während feste Arbeitsverhältnisse zurückgedrängt wurden. Die Berlusconi-Regierung konnte nach Verabschiedung der Gesetze auf einen Einbruch der Arbeitslosigkeit um mehrere Prozentpunkte verweisen. Gewerkschaften und linke Parteien kritisieren jedoch, daß die neu geschaffenen Stellen fast ausnahmslos aus prekären Anstellungen bestehen – ohne Kündigungs- und Sozialversicherungsschutz.

Im Vorfeld der Großdemonstration hatten Vertreter der Regierungsparteien – insbesondere der Grünen, der Partei Comunisti Italiani (PCI) und der Partei Rifondazione Comunista (PRC) – ihre geplante Unterstützung damit gerechtfertigt, daß sich die Demonstration nicht gegen die Regierung richte, sondern berechtigte Forderungen verteidige. Mehrere Abgeordnete der Regierungsparteien haben sich an den Demonstrationen beteiligt. Romano Prodi zeigte sich von dem wachsenden Druck wenig beeindruckt: Die Regierung bewege sich bereits in die geforderte Richtung, sagte er. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Prodi die kommunistischen Koalitionspartner in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung Die Zeit als »unschädliche Folkloretruppen« dargestellt. Zur Demonstration am Samstag meinte er nur knapp: »Es gibt kein Problem.« Diese Einschätzung teilen nicht alle Mitglieder des Prodi-Kabinetts. Der parteilose Transportminister Alessandro Bianchi; ehemaliges Mitglied der kommunistischen PCI, hatte von der Teilnahme an am Protest abgeraten.








Gewerkschafter in der Schweiz ausspioniert

Einem kürzlich erschienenen Bericht der Schweizer Zeitung Blick zufolge, hat der US-Geheimdienst CIA versucht, die Schweizer Gewerkschaft Syna, zu unterwandern und auszuspionieren. Die Syna ist mit 65000 Mitgliedern die zweitgrößte Gewerkschaft der Schweiz. Bereits Mitte September hatte die Zeitung berichtet, daß ein Agent der CIA einen Schweizer als Informanten angeworben hatte. Dieser sollte nach eigener Aussage vor der Schweizer Bundesanwaltschaft neben Bankunterlagen über einen syrischen Staatsbürger auch Mitgliedsdaten der Gewerkschaft Syna liefern. Demnach habe er die Personendaten von 500 Mitgliedern der Gewerkschaft, überwiegend Menschen arabischer Nationalität, liefern sollen. Ob es zur Übergabe der Informationen gekommen ist, wird derzeit noch geprüft. Die Gewerkschaft selbst bestreitet dies vehement. Nach Informationen der Zeitung Blick ist der CIA-Agent in der Schweiz als Diplomat akkreditiert, so daß ihm faktisch nur die Ausweisung als »unerwünschte Person« droht – eine Sanktion die allerdings höchstwahrscheinlich nicht angewendet werden wird, da die Schweiz kaum ihre diplomatischen Beziehungen zur USA gefährden will. Das bemerkenswerte an diesem Fall ist weniger, daß die CIA in ihrer Spionagetätigkeit auch vor der Schweiz nicht halt macht, sondern vielmehr, daß offenbar allein schon eine arabische Staatsangehörigkeit ausreicht, um das Interesse an Gewerkschaftsmitgliedern in der Schweiz zu wecken. Es ist kaum anzunehmen, daß diese gesteigerte Neugier allein auf die Alpenrepublik beschränkt ist.





























Berlin uneins über Türkei-Kurs

Am Mittwoch wird die Europäische Union dem Beitrittskandidaten Türkei ein vermutlich desaströses Zeugnis ausstellen. Die schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin ist sich über die passende Antwort darauf nicht einig, das berichtet die Frankfurter Rundschau in ihrer heutigen Ausgabe: Zwischen der SPD und ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf der einen und der CSU auf der anderen Seite gehen die Meinungen auseinander, wie strikt die Europäische Union mit dem sperrigen Bewerber Türkei verfahren sollte. Nach Informationen aus Regierungskreisen gibt es im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drei unterschiedliche Optionen zur fälligen Reaktion der EU wenn, wie erwartet, die EU-Kommission in ihrem Bericht der Regierung in Ankara Reformverschleppung und Verzögerungstaktik in der Zypernfrage vorhalten sollte.

Die härteste Linie vertritt die CSU. Sie fordert die Beitrittsverhandlungen zu stoppen heiße es aus Regierungskreisen. In diesem Sinne, so berichtet die FR, habe sich auch CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos auf der europapolitischen Kabinettsklausur am Wochenende geäußert. Die CDU-Seite meint die Verhandlungen sollten nicht beendet, sondern erst einmal ausgesetzt werden. Die Union befürwortet prinzipiell eine "privilegierte Partnerschaft" mit Ankara, hat aber in der Koalitionsvereinbarung zugestimmt, die unter Rot-Grün eingeleiteten Beitrittsverhandlungen weiterlaufen zu lassen.

Die SPD hingegen plädiert für eine zurückhaltende Reaktion. Sie will die Beitrittsperspektive der Türkei nicht grundsätzlich in Zweifel ziehen. Auch dürfe man in der Zypernfrage die Schuld an der derzeitigen Blockade nicht einseitig in Ankara suchen. Auch die Regierungen in Griechenland und der Republik Zypern seien gefordert, politisch zu einer Verständigung beizutragen.

Über das Thema wird vermutlich der Brüsseler EU-Gipfel im Dezember befinden. Die Bundesregierung, die im Januar turnusgemäß für ein halbes Jahr den Vorsitz in der EU übernimmt, hofft noch auf den Erfolg von Bemühungen des derzeitigen Vorsitzenden Finnland, vorher eine Entschärfung des Streits um den Beitritt zustande zu bringen.





















Ausländerrecht wird wohl verschärft

In der großen Koalition zeichnet sich ein Kompromiss über höhere Hürden für den Nachzug ausländischer Ehegatten ab. Auch das geplante Bleiberecht für geduldete Ausländer dürfte eher restriktiv ausfallen.

Ein Kompromissvorschlag von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sieht vor, das Mindest-Nachzugsalter für ausländische Ehegatten künftig auf 18 Jahre festzulegen. Die Zuzugserlaubnis soll daran gekoppelt sein, dass die Ehepartner vor der Einreise Deutschkenntnisse vorweisen. Vor allem diese Auflage, die für Ausländer aus ländlichen Gebieten und mit niedrigem Bildungsstand eine hohe Hürde bedeuten, hatte die SPD bisher strikt zurückgewiesen.

Dass es nun eine Einigung in der Koalition gab, wollen zwar weder Innenministerium noch SPD-Politiker offiziell bestätigen. Doch deutet sich an, dass die SPD ihren Widerstand gegen die Sprachanforderungen aufgibt, wenn die Union im Gegenzug ihre Forderung aufgibt, das Nachzugsalter von derzeit 16 gleich auf 21 Jahre anzuheben.

Beim Bleiberecht für geduldete Ausländern haben sich die Innenminister von Bund und Ländern vor ihrer Herbstkonferenz Mitte November offenbar auf gemeinsame Grundzüge verständigt. In Anlehnung an einen Entwurf Schäubles hat eine länderübergreifende Arbeitsgruppe strenge Anforderungen formuliert. Das Papier sieht ein Bleiberecht nur für Ausländer vor, die mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Lediglich für Familien mit Kindern, die eine Schule oder einen Kindergarten besuchen, soll eine Aufenthaltsdauer von sechs Jahren ausreichen. Dabei muss der Schulbesuch durch Zeugnisse nachgewiesen werden und eine "positive Schulabgangsprognose" für die Kinder vorliegen.

Innerhalb eines Jahres müssen alle Anwärter auf ein Bleiberecht zudem ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen. Wer in Deutschland wegen einer oder mehrerer Straftaten zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurde, hat nach dem Willen der Innenminister seinen Anspruch auf ein Bleiberecht verwirkt. Das soll auch für alle übrigen Familienmitglieder gelten. Wichtigste Voraussetzung für das Bleiberecht - und entscheidende Hürde - ist jedoch, dass die Anwärter ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis nachweisen müssen und mit ihrer Familie nicht von staatlicher Hilfe leben. Ausnahmen sollen nur für Auszubildende, alte und erwerbsunfähige Ausländer gelten, die aber nicht auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sein dürfen.

Heftig umstritten bleibt weiterhin die Frage der Arbeitserlaubnis für die Geduldeten. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) will sie nur dann erteilen, wenn die Ausländer auch eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Das lehnen die Innenminister aus Bund und Ländern, rot wie schwarz, strikt ab. Sie wollen den Geduldeten stattdessen letztmalig eine einjährige Frist gewähren, in der sie sich mit einer Arbeitserlaubnis um einen Job bemühen können, der dann zum Bleiberecht führen kann. Heftig umstritten ist auch die Forderung der Länderminister, für Ausländer, die die Voraussetzungen für das Bleiberecht nicht erfüllen, die Sozialhilfe dauerhaft um ein Viertel zu kürzen. Für diese Gruppe dürfe es "keinerlei Anreize zum weiteren Verbleib in Deutschland geben", heißt es in dem Eckpunkte-Entwurf.


Russisch-deutsche Blockade der UAA Gronau

Gestern morgen blockierten russische und deutsche AtomkraftgegnerInnen die Urananreicherungsanlage in Gronau . Mit Transparenten versperrten sie die Zufahrt und anderthalb Stunden ging nix mehr. Dann räumte die Polizei die Einfahrt frei und nahm von zwölf Leuten die Personalien.
Schon vorgestern demonstrierten 40 russische und deutsche AktivistInnen vor der UAA gegen den dreisten Atommüllexport aus Gronau. Die Urenco (in Deutschland stehen RWE und E.ON dahinter) hat bereits 20 000 Tonnen Uranmüll nach Russland gebracht. Dort soll es in den "Geschlossenen Atomstädten" Novouralsk bei Ekaterinburg und Seversk endgelagert werden. Die russische Umweltorganisation "Ecodefense!" fordert den kompletten Stopp der Atomtransporte nach Russland. Dazu ist momentan eine Delegation in Gronau, um die Öffentlichkeit zu informieren. Im Oktober war bereits eine deutsche Delegation in Russland, um u.a. an einer Aktion vor der deutschen Botschaft teilzunehmen (Fotos und Film auf: www.sofa-ms.de). Denn die deutsche Bundesregierung hat vor 10 Jahren mit einer dt.-russischen Regierungsvereinbarung den Weg frei gemacht. Offiziell geht es nicht um Atommülltransporte, sondern um "Wertstoff"-Transporte. Es kommt aber kaum wiederangereichertes
Uran aus Russland zurück, das ganze ist ein klassischer Betrug!
EU-Kommission untersucht staatliche Beihilfen bei finnischem AKW-Neubau

Für den in Finnland geplanten AKW-Neubau hat die französische Regierung im Jahr 2004 eine Bürgschaft in der Höhe von 570 Mio. Euro für Ausrüstung übernommen, die die finnische Energiefirma TVO beim französischen Unternehmen Areva gekauft hat
Die Europäische Kommission hat nun eine eingehende Untersuchung dazu eingeleitet, ob dieses Verfahren den EU-Bestimmungen über staatliche Beihilfen entsprochen hat oder ob es zu unzulässigen Marktvezerrungen geführt hat.
Greenpeace und EREF (die europäische Lobby für kleine und unabhängige ProduzentInnen erneuerbarer Energie), die gegen die Bürgschaft Ende 2004 bei der Kommission Beschwerde eingelegt hatten, begrüßten diese Untersuchung.

Quelle: Newsletter EU-Umweltbüro 17/2006
Arbeitszeitrichtlinie entzweit die EU

Die geplante Novelle der Arbeitszeitrichtlinie entzweit weiterhin die EU-Mitgliedstaaten. Die Pattstellung zwischen den beiden Lagern ist vor dem Sondertreffen am heutigen Dienstag der Arbeitsminister in Brüssel ähnlich wie schon vor den letzten beiden Versuchen, einen Kompromiss zu finden: Eine Gruppe von Ländern um Großbritannien und Deutschland will weiterhin Ausnahmen von der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche zulassen. Frankreich, Spanien, Italien und Portugal wollen diese Ausnahmen dagegen abschaffen. Derzeit nehmen vor allem Großbritannien und Deutschland im Gesundheitssektor oder etwa bei der Feuerwehr die Ausnahmen ("opt out") in Anspruch, womit Krankenhausärzte oder Feuerwehrmänner bis zu 75 Stunden pro Woche im Einsatz bleiben können.
Eine Gruppe von Ländern um Frankreich und Spanien will solche Ausnahmen künftig nicht mehr zulassen und daher ein fixes Datum festschreiben, ab dem sie auslaufen sollen. Großbritannien und Deutschland, aber auch Polen, Estland und Malta halten dagegen an den Ausnahmen fest.
Wie schon unter britischem und unter österreichischem EU-Ratsvorsitz im Dezember 2005 bzw. Juni 2006 bekam weder die eine noch die andere Gruppe die erforderliche Mehrheit. Im finnischen Kompromisstext wird darauf verwiesen, dass es derzeit nicht möglich sei, sich auf ein Datum für das Auslaufen zu einigen. Bei der geplanten Überprüfung der Richtlinie drei Jahre nach in Kraft treten sollen die Mitgliedstaaten die "opt outs" prüfen "mit Blick auf deren allmähliche Beendigung".
Sollte es bei Sonderrat bis Mitternacht neuerlich zu keiner Lösung in dem Streit kommen, will die EU-Kommission gegen die Länder, die gegen das EuGH-Urteil verstoßen, mit Vertragsverletzungsverfahren vorgehen.