"Asyl" von Karl Koop

ID 1515
 
Globalisierung, Sexualität, Gentechnologie - Die Reihe wissen 3000 vermittelt eine alternative Sicht auf solche Themen. Kompakt und übersichtlich sprechen diese kurzen Einführungen vor allem junge Leser an. Nun ist in dieser Reihe auch ein Buch zum Thema Asyl erschienen, einem gesellschaftlichen Bereich der hierzulande gerne als Gegenstand polemisch aufgeheizter politischen Debatte missbraucht wird, der von Teilen der Bevölkerung, aber zumeist völlig ausgeblendet wird. Karl Koop gibt in seinem Buch einen Überblick über die Realitäten die hinter den Debatten zu diesem Thema zum Vorschein kommen. Markus Kilp stellt das Buch vor.
Audio
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mp3, 112 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 13.07.2002 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 04.07.2002
keine Linzenz
Skript
Die Lage der Flüchtlinge in Deutschland ist prekär. Das macht Karl Koop schon auf den ersten Seiten seines Buches deutlich. So wird heute nicht mehr danach gefragt, ob ein Flüchtling wirklich Schutz braucht, sondern, ob er die rechtlichen und politischen Vorgaben dazu erfüllt. Mit zahlreichen aktuellen Beispielen belegt Koop, wie unzureichend die aus der bestehenden Asylgesetzgebung abzuleitende Praxis immer noch ist, gerade in Deutschland:
dementsprechend spiegeln die Anerkennungsstandards hierzulande keineswegs die wirkliche Lage eines Flüchtlings wieder. In Europa werfen heute verschiedene Gesetzte völlig unterschiedliches Licht auf Fluchtgründe. Das veranschaulicht beispielsweise die Anerkennungspraxis für Flüchtlinge aus Afghanistan: während in Deutschland vor 2 Jahren weniger als 1% der Afghanischen Asylsuchenden anerkannt wurden, waren es in Dänemark rund 90% und in Frankreich immerhin 75%.
Diese Zahlen sagen natürlich noch relativ wenig, wenn man nicht versucht, sich die Geschichten der Betroffenen dazu vorzustellen. Dabei kommt es aber oft zu seltsamen Wahrnehmungsverschiebungen - auf die auch Karl Koop in seinem Buch aufmerksam macht:

Zitat S. 9

Die Wahrnehmungsweise von Flucht war in Deutschland vor 50 Jahren eine ganz andere, es war die Zeit in der die wichtigsten Asylrechtlichen Grundlagen entstanden: eine Zeit, in der viele Politiker selbst noch eine eigene Flüchtlingsgeschichte hatten. Vor den Nationalsozialisten geflüchtet hatten sie selbst erlebt, was es heißt um Asyl bitten zu müssen. Die Flüchtlingskatastrophe, die Deutschland während des Nationalsozialismus auslöste, traf die Staatengemeinschaft unvorbereitet. An vielen Orten wurden deutsche Juden und Regimegegner abgewiesen.
Karl Koop erinnert hier auch daran, dass es zum Teil nur dem Mut von einzelnen Fluchthelfern zu verdanken war, dass Fluchtversuche gelangen:

Zitat. S. 15/16

Vor dem Hintergrund der Verfolgung und Flucht im NS-Staat entstanden also die Genfer Flüchtlingskonventionen und in Deutschland das Grundrecht auf Asyl. Karl Koop aber, zeigt auf, dass, wenn wir heute von einer Asyldebatte reden, es immer die Rechte der Flüchtlinge sind die zur Debatte gestellt werden. Deshalb orientiert sich sein Buch auch stark an der historischen Entwicklung der rechtlichen Lage von Flüchtlingen. Diese prägen die Realität der Flüchtlinge, aber auch die politischen Debatten - von der Schaffung eines Grundrechts auf Asyl in den 50er Jahren bis zu Rede vom Asylmissbrauchin den 90ern.
Zu der polemischen Hetze auf Flüchtlinge, die Helmut Kohl seinerzeit mit dem Begriff des Wirtschaftsasylantenanheizte, ist heute eine weitere Strategie getreten: eine Optimierung der frühzeitigen Flüchtlings-Abwehr.

Artikel 14 in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte besagte: Jeder habe das Recht in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen. Dieser Artikel und die Genfer Flüchtlingskonvention werden aber zur Zeit in Deutschland immer vehementer in Frage gestellt. Im Zuge der EU-Gesetzgebungen im Schengener-Abkommen setzen die einzelnen Mitglieder ihre nationalstaatlichen Interessen so durch, dass man von der Festung Europa sprechen muss: Konkret wird versucht Flüchtlinge schon an den Außengrenzen der EU abzuwehren, oder am besten gleich in Krisenregionen anzusiedeln. Die grüne Grenze wird zum Einsatzgebiet, in dem der Grenzschutz jagt auf illegal Einreisende macht und in Deutschland selbst schafft die Residenzpflicht unzählige Grenzen.
Karl Koop führt uns die Realität von Flüchtlingen vor Augen, indem er die Orte aufsucht, an die man üblicher Weise nicht gelangt, wenn man dem Mainstream der öffentlichen Asyldebatte folgt. Einer dieser Orte ist der Transitbereich des Frankfurter Flughafens. Das Verfahren in dieser sogenannten Menschensortieranlagekann Monate dauern, und so kommt es immer wieder zu psychischen und physischen Zusammenbrüchen. Koop widmet diesem Verfahren im Transit des Frankfurter Flughafens ein ganzes Kapitel. Dagegen ist von den inhumanen Zuständen in Abschiebegefängnissen, wie dem Bürener Abschiebeknast, oder der Abschiebepraxis in Flugzeugen der Lufthansa, bei denen schon mehre Menschen ums Leben gekommen sind, nur am Rande zu lesen. Die knapp 100 Seiten dieser Einführung lassen zu einer Ausführung aller wichtigen Aspekte des Asyls aber auch keinen Raum. Immerhin kann das Buch noch einen Ausblick in die Zukunft der Europäischen Asylgesetzgebung vermitteln und setzt sich auch mit den Folgen der aktuellen Sicherheitsdebatte nach dem 11. September auseinander. Deshalb ist es auch Schade das sich in der Sprache Karl Koops manchmal zu sehr und wenig gefiltert die juristischen und politischen Begrifflichkeiten niederschlagen. Dennoch: wer eine Zusammenfassung der rechtlichen und politischen Entwicklung des Asyls in Deutschland sucht, und gleichzeitig auf eine kritische, hintergründige Perspektive nicht verzichten will, findet mit diesem Buch aus der wissen 3000 Reihe eine kompakte und lebendige Antwort.