focus europa nr 256 vom 30.1.2007

ID 15455
 
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Nachrichten:
- Deutschland nimmt von EU-weitem Hakenkreuz-Verbot Abstand
- Türkei: Fast jeden Tag ein sogenannter "Ehrenmord"
- Proteste gegen Patentklage von Novartis in Indien
- Konzerne profitieren von EU-Agrarsubventionen

Hintergrund:

Cd-Rezension: Rachid Taha / Divan 2
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18:39 min, 17 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.01.2007 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Arbeitswelt, Umwelt, Kultur, Politik/Info
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: hav/david
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.01.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Deutschland nimmt von EU-weitem Hakenkreuz-Verbot Abstand

Die Bundesregierung hat von dem Vorhaben Abstand genommen, während ihrer EU-Ratspräsidentschaft ein europaweites Verbot von Hakenkreuzen durchzusetzen. Das geht aus einem am Montag vorgelegten Entwurf für ein Anti-Rassismus-Gesetz der Gemeinschaft hervor. Auch solle den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) die Entscheidung überlassen werden, ob das Leugnen der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg unter Strafe gestellt wird. Die Bundesregierung hatte zuvor angekündigt, das Leugnen des Holocaust und die Darstellung von Nazi-Symbolen in der gesamten EU per Gesetz verbieten lassen zu wollen.

Der Vorstoß war aber auf Widerstand einiger Länder gestoßen, in denen das Leugnen des Holocaust - anders als beispielsweise in Deutschland, Österreich und Frankreich - nicht als Straftat betrachtet wird. Auch hatten sich Religionsgemeinschaften der Hindus in mehreren europäischen Ländern gegen ein Verbot des Hakenkreuzes ausgesprochen. Das Kreuz ist unabhängig von seiner Verwendung durch die Nazis eines der heiligsten Symbole im hinduistischen Glauben. Aus der Gesetzesvorlage geht nicht hervor, warum die Bundesregierung von ihrem bisherigen Plan Abstand genommen hat. Doch angesichts des Widerstands in einigen Ländern wäre eine EU-weite Regelung möglicherweise nicht durchsetzbar gewesen.

Nach dem neuen Entwurf soll nun die Aufstachelung zu Rassenhass und zu Ausländerfeindlichkeit in allen 27 EU-Ländern mit mindestens einem bis drei Jahren Gefängnisstrafe geahndet werden. Die Regelung der Einzelheiten soll aber den Regierungen selbst überlassen werden.
Türkei: Fast jeden Tag ein sogenannter "Ehrenmord"

In der Türkei sind nach Regierungsangaben in den vergangenen sechs Jahren mindestens 1806 Frauen Opfer so genannter Ehrenmorde geworden - fast jeden Tag eine. Verbrechen aus verletzter Ehre sind damit offenbar sehr viel stärker verbreitet als bisher angenommen.

Die Zahl von rund 1800 "Ehrenmorden" in sechs Jahren nannte jetzt die für Familienpolitik zuständige türkische Staatsministerin Nimet Cubukcu. Fachleute gingen bislang von etwa 70 "Ehrenmorden" an türkischen Frauen pro Jahr aus. Eine Polizeistatistik vom März 2006 bezifferte die Zahl der Mordopfer, die wegen so genannter Ehrverletzungen sterben mussten, für die Jahre 2000 bis 2005 auf 1190, davon 710 Männer und 480 Frauen. Hinzu kommen mehr als 900 Selbstmorde von Frauen. Unklar ist, wie viele dieser Frauen in den Suizid getrieben wurden.

Seit der Strafrechtsreform von 2005 können neben den Tätern auch die Anstifter von "Ehrenmorden" zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Angaben von Staatsministerin Cubukcu in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage stützen sich auf Zahlenmaterial des Justiz- und des Innenministeriums. Allerdings dürften auch diese Angaben viel zu niedrig gegriffen sein. Denn seit das Parlament Mitte 2005 die Strafen für Morde aus verletzter Ehre verschärft hat, werden viele dieser Verbrechen als Selbstmorde getarnt oder Frauen in den Suizid getrieben. Nach Angaben von Cubukcu haben sich in den zurückliegenden sechs Jahren 5375 Frauen selbst getötet.

Cubukcu erinnerte daran, dass die Türkei unter großem Druck der Europäischen Union und der Vereinten Nationen stehe, gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Die Regierung sei entschlossen, diesen Forderungen nachzukommen, sagte Cubukcu.
Proteste gegen Patentklage von Novartis in Indien

Hunderte indischer Aktivisten haben am Montag in Neu-Delhi gegen eine Patentklage des Pharmakonzerns Novartis protestiert. Sie fürchten, der Schritt könnte für Millionen Menschen den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten verhindern. Die Demonstranten sehen in der Patentklage einen Präzedenzfall für andere Pharmakonzerne, die wichtige Medikamente etwa gegen das HI-Virus patentieren lassen möchten. Novartis will vor Gericht gegen eine Rückweisung des Patents für das Blutkrebsmittel Glivec vorgehen. Sollte der Pharmariese die Klage gewinnen, würden indische Firmen an der Herstellung von kostengünstigen Generika gehindert.

»Novartis versucht, die Apotheke der Entwicklungsländer zu schließen«, sagte Unni Karunakara von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Montag auf einer Pressekonferenz in Neu Delhi. Indische Generika seien das Rückgrat der HIV/Aids-Programme der Organisation in 30 Ländern. Von den mehr als 80000 Patienten von Ärzte ohne Grenzen erhielten 80 Prozent indische Nachahmerprodukte.

Die Hilfsorganisation hatte im Dezember eine Online-Petition gegen das Gerichtsverfahren gestartet. In deren Ergebnis haben Menschen aus 150 Ländern den Pharmakonzern Novartis aufgefordert, die Patentrechtsklage gegen die indische Regierung fallenzulassen, da durch die Klage die Medikamentenversorgung in ärmeren Ländern gefährdet ist. Novartis greift eine Klausel im indischen Recht an, die die Gewährung von Patentmonopolen auf wirkliche Innovationen beschränken soll. Am gestrigen Montag war der zweite Anhörungstermin im indischen Chennai.


Konzerne profitieren von EU-Agrarsubventionen

Nach Recherchen der "Initiative für Transparenz bei EU-Agrarsubventionen" gehen Millionen Steuergelder an Lebensmittelkonzerne, die darüber wiederum mit Dumping-Exporten Kleinbauern weltweit ruinieren. So erhielt Deutschlands größter Fleischvermarkter Vion 2005 für Rindfleischexporte 6,7 Millionen, der Bayer-Konzern 3 Millionen für die Zuckerverarbeitung und Cerestar 2 Millionen für Getreide-Exporte. Größter Profiteur ist Nestlé, der Konzern erhielt 2005 mindestens 48 Millionen. In Deutschland werden die Subventionsempfänger immer noch nicht namentlich veröffentlicht.