Anti-Antifa-Akte aufgetaucht

ID 15506
 
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Dresdner Neonazis sammelten Daten über politische Gegner. Diese stammen auch aus Ermittlungsakten der Polizei. Antifas werfen Staatsanwaltschaft und Staatsschutz vor, den Neo-Nazis behilflich gewesen zu sein. Einem Antifa-Infobüro wurde die Anti-Antifa-Akte zugestellt. Dort können Betroffene jetzt ihre Akte einsehen.
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Upload vom 01.02.2007 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Antifa
Entstehung

AutorInnen: AL
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 01.02.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Seit 2004 sind Neonazis auch im Dresdner Stadtrat vertreten, und zwar als „Nationales Bündnis“, dazu gehört unter anderem Holger Apfel von der NPD. Die Jugendorganisation des Nationalen Bündnis ist das Nationale Jugendbündnis, welches sich in Dresden-Reick auf der Oskar-Röder-Str. in einer Neonazi-Baracke trifft, welche auch rechtsextremen, sogenannten Freien Kräften als Treffpunkt dient.

Um gegen Neo-Nazis und gegen ihre rassistische und gegen ihre antisemitische Ideologie vorzugehen, bilden in vielen Orten Antifaschisten relativ autonom agierende Antifagruppen. Das finden Neo-Nazis gar nicht toll, weswegen einige von ihnen wiederum eine Anti-Antifa gegründet haben, so auch in Dresden.

Im Dezember meldete eine antifascist action crew auf der Internet-Nachrichtenseite „Indymedia“, dass sie Ende November vorigen Jahres in das Gebäude dieses Neo-Nazi-Treffs in Dresden-Reick eingedrungen waren und dabei eine Anti-Antifa-Akte erbeutet hatten. Die Neo-Nazi-Betreiber des Treffpunktes hatten Anzeige erstattet und die Staatsanwaltschaft Dresden leitete im November ein Verfahren wegen Einbruch ein.

In Dresden gibt es ein Antifa-Informationszentrum, welches antifascism, literature, information, archive stuff heißt, abgekürzt a.l.i.a.s.. Diesem wurde eine Kopie dieser Anti-Antifa-Akte zugestellt. Gleichzeitig hat das a.l.i.a.s. die Leute persönlich angeschrieben, die in dieser Anti-Antifa-Akte aufgeführt sind, damit sie in ihre von den Neo-Nazis erstellte Akte Akteneinsicht nehmen können. Inzwischen berichteten einige Medien darüber, unter anderem das Antifaschistische Infoblatt, das Terminal Dresden und letzte Woche am 25. Januar auch die Junge Welt.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Dresden den Junge Welt-Artikel gelesen hatte, ordnete das Amtsgericht Dresden eine Durchsuchung des a.l.i.a.s. an, die dann am Montag durchgeführt wurde. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gilt dies als Durchsuchung bei Dritten, also einer Art Zeugen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun auch zusätzlich zum Tatvorwurf „Einbruch“ auch wegen „Aufspüren von Daten“ nach § 202a StGB.

Interessant in der ganzen Geschichte ist jetzt die Tatsache, dass in der aufgetauchten Anti-Antifa-Akte über 100 Personen verzeichnet sind, und zwar aktive Antifas, Gewerkschafter, linke Parteifunktionäre und Macher einer Schülerzeitung. In der Akte sind Teilweise Daten, die durch das Internet recherchierbar sind aber auch Fotos, persönliche Daten, von einigen Leuten sogar die Anschrift von Verwandten und Teilweise die Personalausweisnummern. Bei den Fotos handelt es sich teilweise um Fotos aus Polizeiakten, die bei erkennungsdienstlichen Behandlungen von der Polizei gemacht wurden.

Die Frage stellt sich nun: Wie kommen Neo-Nazis an Fotos aus Polizeiakten? Aktive Antifas werden immer wieder am Rande von Demonstrationen gegen Naziaufmärsche von der Polizei mitgenommen und dann wird eine Akte über sie angelegt. Dafür ist die Kriminalpolizei Abteilung Staatsschutz Linksextremismus zuständig. Außerdem ist es seit einiger Zeit Strategie der Dresdner Neo-Nazis gezielt Antifas bei der Polizei anzuzeigen, egal ob die betroffenen Antifas die behauptete Straftat begangen haben oder nicht. Ziel der Anzeigen der Neo-Nazis ist es anscheinend, Einblick in die Ermittlungsakten zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft Dresden sagte dazu am Dienstag gegenüber coloRadio, dass sie den Rechtsextremen keinen Einblick in Ermittlungsakten gegeben haben. Nach Strafprozessordnung ist das auch nicht erlaubt. Einblick erhalten nur Rechtsanwälte, die brauchen das um ihre Mandanten richtig vertreten zu können und dürfen die Ermittlungsakten auch nicht an ihre Mandanten weitergeben. Wenn Neo-Nazis Antifas anzeigen, wird der Fall vom Staatsanwalt als Kläger übernommen. Angeklagt sind dann die Antifas. Die Neonazis treten dann als Zeugen auf, die eigentlich keinen Anwalt brauchen. Aber Zeugen dürfen sich auch Rechtsanwälte nehmen. Außerdem dürfen die Neo-Nazis, die hier Geschädigte wären, noch als Nebenkläger auftreten, die auch einen Anwalt haben dürfen. Diese Anwälte haben dann Akteneinsicht, welche sie nutzten und dann ihren Mandanten illegalerweise Kopien davon weitergegeben haben müssen. So wäre es zu erklären, warum Neonazis Polizeifotos und andere Daten von Antifas in Anti-Antifa-Akten zusammenstellen konnten.

Beispielhaft für diese Neo-Nazi-Strategie war ein dreitägiger Prozess vor dem Dresdner Amtsgericht im März 2006, bei dem eine Antifaschistin wegen schwerer Körperverletzung angeklagt wurde. Bei diesem Prozess trat die Geschädigte Elli Doberstein aus der Neo-Nazi-Szene als Nebenklägerin mit Rechtsanwalt auf. Auffällig an diesem Prozess war, dass sich die Aussagen der zahlreichen Zeugen aus der Neo-Nazi-Szene vor dem Gericht in vielen Details erstaunlicherweise ähnelten aber sich von den früheren unterschiedlichen Aussagen vor der Polizei unterschieden, was für alle Beteiligten und für Prozessbeobachter den Verdacht aufkommen ließ, dass die Beschuldigte Antifaschistin nicht die Täterin war und dass sich alle Neo-Nazi-Zeugen vorher absprachen, eine bestimmte ihr bekannte Frau zu beschuldigen. In diesem Prozess trat auch ein Polizeibeamter vom Staatsschutz als Zeuge auf, der aussagte, bei den Ermittlungen den Neonazis Fotos über Linke aus Polizeiakten gezeigt zu haben, um das Gesicht der Beschuldigten zu vergleichen. Wider erwarten wurde die beschuldigte Antifaschistin vom Amtsgericht verurteilt. Es handelt sich zwar nur um ein Urteil auf unterster Instanz und die Beschuldigte ging selbstverständlich in Berufung. Trotzdem wäre zu fragen, warum überhaupt ein Gericht auf unterster Instanz solch realitätsresistente Urteile fällt.

Die Frage stellt sich außerdem, welche Rolle die Abteilung Staatsschutz der Kriminalpolizei in Dresden spielt. Antifas werfen ihm vor, den Neo-Nazis behilflich zu sein. So soll ein Beamter den Neo-Nazis den Hinweis gegeben haben, wenn sie wegen Verweigerung des Zutrittes zu einer Antifaveranstaltung Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht stellen, dass sie dann die Namen der Veranstalter erfahren. Am Dienstag wollte sich der Staatsschutz gegenüber coloRadio nicht zu diesen Vorwürfen äußern.

Fraglich ist auch, inwieweit der Staatsschutz Linksextremismus dabei reine Arbeitsplatzerhaltung betreibt und durch Verfahren gegenüber Linken deren Gefährlichkeit höher erscheinen lassen möchte. Eine Grundideologie jahrelanger konservativer sächsischer Landesregierung war die Extremismustheorie, die davon ausgeht, Rechtsextremismus und Linksextremismus wären gleich schlimm und gefährlich. Daraufhin wurde auch der Staatsschutz Linksextremismus überdimensioniert ausgebaut. Die Realität hat nun aber gezeigt, dass Sachsen gerade ein Problem mit dem Rechtsextremismus hat in Form der NPD im Landtag, sogenannten "national befreiten Zonen" und der gesellschaftlich weit verbreiteten Ideologie des Rassismus und Antisemitismus.

Die Existenz von Anti-Antifa-Akten ist Einschüchterung und kann eine Bedrohung von Antifas und zivilgesellschaftlich gegen rechts engagierten Leute sein bis hin zu körperlicher Gewalt.

Interview mit Ralf Hron, Regionsvorsitzender des DGB und zivilgesellschaftlicher Akteur

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02.02.2007 / 17:39 kyra, radiokampagne.de Berlin
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