Bericht über den 13. Februar in Dresden

ID 15680
 
AnhörenDownload
Bericht über den 13. Februar 2007 in Dresden: Proteste gegen das Gedenken auf dem Heidefriedhof und gegen den Naziaufmarsch.
Audio
07:42 min, 7217 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.02.2007 / 00:00

Dateizugriffe: 306

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: AL und Sonja Morgenstern
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 20.02.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 flogen Bomberflugzeuge der Alliierten im Krieg gegen Nazideutschland Luftangriffe auf Dresden und zerstörten große Teile der Stadt. 25.000 bis 30.000 Menschen starben dabei. Seit den 80er Jahren hat sich der 13. Februar immer mehr zum Gedenktag an die Opfer der Bombenangriffe entwickelt. Seit einigen Jahren haben auch Neonazis den Tag für sich entdeckt, um den Opfern der Luftangriffe nachzutrauern; im gleichen Atemzug aber deutsche Kriegsschuld zu leugnen, deutsche TäterInnen kollektiv zu entlasten und mit der Rede vom alliierten Bombenholocaust die Shoa zu relativieren. Dresden passt gut in den Versuch, damalige TäterInnen zu Opfern umzudefinieren. Deutschland soll als leidendes Land dargestellt werden. So lässt die NPD in ihrer Schulhof-CD singen:

NPD-Musikspot

Machen wir doch mal den Geschichtsrückblick:
Vor 100 Jahren war Deutschland als Kolonialmacht an der Ausbeutung der heutigen 3. Welt beteiligt. Weil ihm das nicht ausreichte, zettelte es 1914 den 1. Weltkrieg an. Wenige Jahre später wollten die meisten Deutschen noch mehr und viele wählten 1933 die NSDAP, unter deren Führung der 2. Weltkrieg angezettelt wurde. Dabei zerbombten sie Städte wie Coventry und organisierten den industriellen Massenmord an den europäischen JüdInnen. Die Erklärung des „totalen Krieges“ wurde von vielen Deutschen bejubelt, die sich damit vom Zivilisten zum Kriegsteilnehmer wandelten.

Am Dienstag der vergangenen Woche trafen sich vormittags offizielle VertreterInnen der Stadt Dresden, aller sächsischen Landtagsfraktionen, Botschafter aus den USA und Großbritannien und andere BürgerInnen, um auf dem Heidefriedhof am Stelenkreis Kränze für die Opfer der Bombenangriffe des 13. Februar 1945 abzulegen. Dagegen demonstrierten zeitgleich ca. 100 AntifaschistInnen vor dem Heidefriedhof. Die Kundgebung stand unter dem Motto „Gegen jeden Geschichtsrevisionismus“. Trauergäste auf dem Friedhof waren neben der unvermeidlichen sächsischen NPD-Landtagsfraktion auch die NPD-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern und andere Neonazis.
Die GegendemonstrantInnen kritisierten nicht nur dies, sondern unter anderem auch den Stelenkreis auf dem Heidefriedhof. Dort seht die Stele für Dresden zwischen jenen, die die Namen von durch Deutsche zerstörten Städten, wie Rotterdam und Coventry, tragen und jenen mit den Namen von Orten der Judenverfolgung und -vernichtung wie Auschwitz, Buchenwald und Theresienstadt.

Über ein Megafon wurde durchgesagt, dass die DemonstrantInnen nicht über den 13. Februar trauern, sondern feiern, weil die Zerstörung Dresdens zum Sieg über das Naziregime beigetragen habe. Gleichzeitig lachten die DemonstrantInnen die Trauernden mit Transparenten wie „Heult doch!“ aus. Es wurde ein Wettbewerb durchgeführt, wie denn die Frauenkirche umgenutzt werden könnte bzw. was mit deren Baumaterial nach einem Abriss gemacht werden könnte.

Damit richtete sich die Kritik der DemonstrantInnen auf die Frauenkirche in Dresden, die als Symbol für die Mär von der unschuldigen Stadt und für ein Beispiel der Präsentation von Tätern als Opfer steht. Galt die Ruine der Kirche lange Zeit als ein Mahnmal gegen Krieg im Allgemeinen, wird das barocke Monument seit seinem Wiederaufbau nach der Wende als obskures Zeichen für „Versöhnung“ präsentiert, zu der die DresdnerInnen ganz selbstbewusst die Hand ausstrecken.

Ein weiterer Wettbewerb forderte zum Zeichnen des schönsten Dresden-Mythos auf. Damit kritisierten die DemonstrantInnen jene immer wieder auftauchenden historisch falschen Behauptungen, die den Opferstatus von Dresden bewusst erhöhen helfen sollen. Zu diesen Mythen gehören die Nennung von zu hohen Totenzahlen und Berichte über den angeblichen Einsatz von Tieffliegern oder angeblicher Phosphorregen.
Gleichzeitig waren die Personen einzelner NPD-Abgeordneter, das stetige Schrumpfen der sächsischen NPD-Fraktion und deren Skandale Gründe für anhaltende Belustigungen auf Seiten der DemonstrantInnen.

Abends dann wollte die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland, die bis vor kurzem noch Junge Landsmannschaft Ostpreußen hieß, mit anderen Neonazis einen Trauermarsch durch Dresden durchführen. Das taten Neonazis übrigens am selben Tag auch in Krefeld und in anderen Städten. Nicht nur, dass in Dresden am 13. Februar mittlerweile eine der landesweit größten Demonstrationen von Rechtsextremisten stattfindet - der Tag hat in der Neonaziszene offenbar bundesweit eine zentrale Bedeutung erlangt.

Gegen den Naziumzug demonstrierte am selben Tag ein eher bürgerlich geprägtes Bündnis unter dem Motto „Geh denken!“ Die lokale Presse sprach am nächsten Tag von 5500 Teilnehmern. Es werden weniger gewesen sein. Zwischen der Synagoge und dem Schloßplatz war eine Demokratiemeile zu finden, auf der neben diversen Ständen von Parteien und Initiativen auch ein aus Kerzen gebildeter Spruch „Diese Stadt hat Nazis satt“ zu sehen war.

Zu einer Antifa-Demonstration unter der Devise „Deconstruct - gegen jeden Geschichts­revisionismus“ versammelten sich am späten Nachmittag etwa 1500 AntifaschistInnen in der Dresdner Innenstadt. Ursprünglich wollte das Dresdner Ordnungsamt die Antifa-Demo ganz verbieten, stellte dann ganz strenge Auflagen, gegen die die Veranstalter klagten.

Trotz anderslautender Aufforderungen der VeranstalterInnen ließen einige, eher jüngere DemonstrantInnen es sich nicht nehmen, angetrunken und mit Glasflaschen auf der Demo zu erscheinen und damit sich und andere zu gefährden.
Als die Antifademonstration vor der Synagoge ankam, stand dort schon der Geh-denken-Demonstrationszug. Sprechchöre auf der Antifademo wie „Was tut allen Deutschen gut, Bomber-Harris und die Flut“ und „Nie wieder Deutschland“ oder auch „Oma, Opa und Hans-Peter: Keine Opfer, sondern Täter!“ schienen bei einigen TeilnehmerInnen der „Geh denken!“-Demonstration für Verwirrung zu sorgen. Diese Sprüche haben den gleichen Hintergrund wie etwa Forderungen nach dem sofortigen Abriss der Frauenkirche: Sie bringen in überspitzter und provokanter Weise die Kritik an der Täter-Opfer-Umkehr zum Ausdruck.

An der Synagoge versuchten die Antifa-Demo-TeilnehmerInnen eine Polizeikette zu durchbrechen. Die Veranstalter lösten die Demonstration sofort auf. Aus der Antifa-Demo wurden auch Feuerwerkskörper geworfen. TeilnehmerInnen von Antifa- und Geh-denken-Demo trafen sich. Ein Zusammentreffen der beiden Demos gegen die Nazis und einen Durchbruch zur Naziroute wollte die Polizei eigentlich verhindern.

In der Folgezeit versuchten größere und kleinere Gruppen an verschiedenen Stellen auf die Nazi-Route zu gelangen, die über das Terassenufer führte. Dabei kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, bei denen auch Flaschen geworfen wurden. Zwischen Steinstr. und Rietschelstr. gelang dann eine Sitzblockade von Antifas auf dem Terrassenufer.

Nach 18:00 Uhr sammelten sich ca. 1500 Nazis am Zwingerteich. Diese konnten sich erst gegen halb neun in Bewegung setzen und mussten wegen der Antifablockade auf dem Terrassenufer ihre Route verkürzen, und zwar über die Steinstr. und St. Petersburger Str. zur Trümmerfrau am Rathaus, wo sie kurz vor Mitternacht eine Kundgebung abhielten. Dafür musste die Polizei eine weitere Blockade von Antifas wegräumen.