Buchtipp: "Blauer Montag"

ID 16488
 
Blauer Montag: Die brillante historische Analyse, die sich speziell mit dem Hang zur Disziplinierung beschäftigt, stammt von Edward P. Thompson.
Der Englische Sozialhistoriker untersucht in seinem Essay vom „Blauen Montag“ den Wandel im Zeitempfinden und die Rolle der Lohnarbeit.
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mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 23.04.2007 / 13:48

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus Kilp, Thomas Schroedter
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 23.04.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Anmoderationsvorschlag:

“Blauer Montag” - kling gut – vor allem, weil es sich um unseren heutigen Buchtipp handelt. Das Buch stammt vom britischen Historiker Edward P. Thompson, der unter anderem durch seine „Geschichte der englischen Arbeiterklasse“ bekannt geworden ist. In „Blauer Montag“ geht es um die Entwicklung von Zeitempfinden und Arbeitsdisziplin. Markus Kilp hat das Buch für uns gelesen:


Sprecher 1:
Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus. Dennoch glauben Politiker und andere Interessengruppen wieder mit den alten Rezepten Punkten zu können: Rente ab 67, mehr arbeiten und vor allem eine Disziplinierung der potenziellen Arbeitskräfte. Viele Wissenschaftler, die sich mit diesen Themen beschäftigen, haben längst Alternativen zur Erwerbsarbeit als Lebensmittelpunkt aufgezeigt.
Woher stammt dann aber die Fixierung auf die alten Konzepte, mit Druck und Drohung gegenüber Arbeitnehmern und heute insbesondere auch gegenüber Arbeitslosen.
Eine brillante historische Analyse, die sich speziell mit dem Hang zur Disziplinierung beschäftigt, stammt von Edward P. Thompson.
Der Englische Sozialhistoriker untersucht in seinem Essay vom „Blauen Montag“ den Wandel im Zeitempfinden und die Rolle der Lohnarbeit.



So Weist Thompson darauf hin, dass die Menschen noch im 17. und 18. Jahrhundert ihren Arbeitsrhythmus selbst bestimmten. Es gab einen stärkeren Wechsel von „hoher Arbeitsintensität und echtem Müßiggang“. In diesem Zusammenhang erklärt sich auch der blaue Montag oder „Saint Monday“: Bei Heimarbeitern, Kleinbetrieben aber auch in Bergwerken und der Schwerindustrie wurde der Montag zur Erholung von der Arbeit genutzt. Das galt zumindest für England bis ins 19. und 20. Jahrhundert, aber auch aus Frankreich ist ähnliches überliefert.
Wobei anzumerken ist, dass an den anderen Tagen 12 bis 18 Stunden gearbeitet wurde. Uns so ist die Einschätzungen von kritischen Zeitgenossen auch nicht verwunderlich, dass die Arbeiter die Woche ohne den Blauen Montag gar nicht durchgestanden hätten.
Thompson macht in seiner Analyse einen Einschnitt in dieser auftrags- und lebensorientierten Arbeitsweise fest. Arbeitskräfte wurden stärker ausgebeutet analog zur Einführung von Uhren und Zeitmessung in den Arbeitsalltag. Um die uns heute wohlbekannten Regeln des Industriekapitalismus durchzusetzen waren natürlich einerseits auch Maschinen behilflich, aber auch Aufseher und Vorgesetzte wurden verpflichtet die Anordnungen durchzusetzen. Die Position der Arbeitgeber formulierte beispielsweise Rev. J. Clayton in seinem „Friendly ADVICE to the poor“:

Sprecher 2, Zitat S. 53: ...

Solch ein Lobbyismus, der aus heutiger Sicht vielleicht von Hartz IV und McKinnsey geleistet würde, ist nur eines von vielen Beispielen, die Thompson heranzieht, um die historischen Entwicklungen zu illustrieren.

Auch seine Ausführungen über die moralisierende Rolle der Kirche,
die Situation von Hausfrauen in der Entwicklung bis heute
und die Diskussion über sogenannte Arbeitshäuser, in die William Temple Kinder ab 4 Jahren stecken wollte,
machen den Text äußerst erhellend und lesenswert.
Insbesondere aber die Fragestellung, wie die Verinnerlichung der Arbeitsdisziplin gesichert und vorangetrieben wurde, wird von Thompson auf kritische Weise analysiert und umfassend dargelegt.


Kaum zu glauben, aber Thompsons Essay stammt bereits aus dem Jahre 1967. In der Neuauflage, die jetzt bei Edition Nautilus erschienen ist zeigt der Politikwissenschaftler John Holloway zusätzliche Perspektiven auf. Sein kurzes Vorwort ist deshalb bemerkenswert, weil er Thompsons Interpretationen mit aktuellen Handlungsmöglichkeiten verknüpft. Eindringlich plädiert er zu einer Rückkehr zu einer natürlichen, gelebten ungeteilten Zeit. Dabei können wir lernen von der Leidenschaft des kindlichen Zeitempfindens, so Holloway:

Sprecher 2: Zitat: S. 13: „Dies ist die Zeit des Kindes...“

Sowohl Holloway als auch Thompson überzeugen mit Ihren Analysen.
Mit viel Witz und Klarheit machen beiden Autoren – jeder auf seine eigene Weise – das kurze Buch zu einem Lesevergnügen. Und so stellt der Leser sich bei der Lektüre wohl häufiger die Frage, warum er den herrschenden Status Quo nicht schon längst hinterfragt hat.



ABMO-Vorschlag:

Das Buch „Blauer Montag, über Zeit und Arbeitsdisziplin“ ist bereits in der Edition Nautilus erschienen. 96 Seiten, aus dem englischen übertragen von Jens Stubbe, sind für 10,90 zu haben.


Musik DJ Koze “Ihr habt ja soviel Zeit…“



Kommentare
01.05.2007 / 15:45 RDL, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet
Infomagazin vom 1. Mai