Jenseits der Emanzipation

ID 17244
 
G8 - Widerstand als Bildware. Eine Kritik an den Bildern, die der Widerstand gegen den G8 produziert.
Audio
24:27 min, 11 MB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.06.2007 / 21:29

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Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur
Serie: Kunst und Politik
Entstehung

AutorInnen: Kunst und Politik
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 03.06.2007
keine Linzenz
Skript
Jenseits der Emanzipation
G8 – Widerstand als Bildware

In welchen Bildern stellen wir uns eine andere Gesellschaft vor? Welche Bilder stellen die herrschende Gesellschaftsform dar? Welche Bilder werden durch Versammlungen auf der Straße, durch die Mode dieser Versammlungen, durch Aktionen und durch Transparente erzeugt? Welche Bilder erzählen Selbstorganisation?

Radiobilder
Freies Radio wird gehört – und viele freie Radios repräsentieren sich in ihren Selbstdarstellungen mit Sendemasten, die ausstrahlen. Es braucht keine besondere Analyse, um in der eregierten Antenne eine phallische Phantasie zu erkennen. Unbeeindruckt von der feministischen Kritik der letzten Jahrzehnte wird Bild der Macht des Ausströmens naiv wiederholt.
Das Freie Sender Kombinat wählte deshalb als Logo einen kleinen Radioapparat. Unser Logo stellt die Ware in einen Strahlenkranz, die sich unsere HörerInnen besorgen müssen, um unser nicht-warenförmiges Programm empfangen zu können. Auf dem Radio steht FSK. Nicht etwa, weil unser Sender insgeheim Volksempfängerphantasien träumt, in denen alle dieselbe Sendung hören. (Das wäre ebenso naiv – und im übrigen wissen wir selbstverständlich, dass nur mit der billigsten Version ausschließlich der Reichssender zu empfangen war, alle teureren Geräte empfingen selbstredend auch BBC und andere Mittelwellesender, sonst hätten sie keinen Absatz gefunden – die Volksgemeinschaft mußte nicht vom Radio verführt werden). Wenn FSK aus dem Radio klingt, strahlt es aus, ein säkularer Strahlenkranz bildet sich um das Radio und die Wirkungen des Gesendeten bleiben unbekannt. Allerdings zeigt das Logo nur ein Radio und nicht die ungezählten, in denen das Programm vervielfältigt wird. Die unterschiedlichen Situationen, die FSK als freies Radio in Hamburg herstellt, zeigen sich in keinem Logo und entziehen sich – mit Glück, in Momenten – der Warenförmigkeit.

Bilder des Widerstands
Widerstand gegen die kapitalistische Vergesellschaftung hat sich immer in Bildern popularisiert, die oft genug die Geschlechterteilung wiederholten. Die Faust des männlichen Arbeiters ist der Sendemast der kommunistischen Parteien gewesen – ein Bild, das besonders eine Photomontage von John Heartfield bekannt gemacht hat: Aus der in die Luft gereckte Faust strahlen die Blitze... Immer muß es ein starker Arm sein, der sich etwas nimmt – ein bis heute verbreitetes Bild. So zeigt eine Graphik von indymedia, wie sich ein starker Arm den phallischen Sendemast greift. Ebenso martialisch inszenieren sich gerne die jungen Männer auf besetzten oder von der Räumung bedrohten Häusern in Kampfmontur mit erhobener Faust, wie jüngst in Kopenhagen auf dem Ugdomehuset (das Bild war auch im Februar-Transmitter abgedruckt). Aneignung der eigenen Lebensverhältnisse, Selbstorganisation erscheint nicht als kollektiver, heterogener Prozess, sondern als etwas, für das die Menschen nur mannhaft genug sein müssen. Und dieses Bild der Mannhaftigkeit findet auch in der marxistischen Theoriebildung ihre Vorgänger, wenn beispielsweise Walter Benjamin in seinem Begriff der Geschichte vom historischen Materialisten schreibt: „Er überläßt es anderen, bei der Hure ‚Es war einmal’ im Bordell des Historismus sich auszugeben. Er bleibt seiner Kräfte Herr: Manns genug, das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen“. Immer wieder muß in den Bildern des Widerstands auch das Bild eines (männlichen) Subjekts aufgerichtet werden, dass den (diffusen=weiblichen) Verhältnissen nicht nur die Stirn bietet. So wichtig es bis heute geblieben ist, das Kontinuum der Geschichte und damit den Fortschrittsglauben vieler Linker aufzusprengen, so entscheidend ist es für diese und alle anderen emanzipatorischen Tätigkeiten und Untätigkeiten Bilder zu zeichnen, in denen sich nicht die herrschenden Strukturen fortsetzen.

Bilder der Globalisierung
Es ist bekannt, dass die Verhältnisse der entwickelten kapitalistisch organisierten, bürgerlichen Gesellschaft eher abstrakt sind. Ihre Herrschaftsform ist diffus, sie beherrscht die alltäglichen Verhältnisse bis in die Gesten der Einzelnen. Zugleich aber hat sie sich mit ihrer Etablierung ihre Repräsentationen geschaffen und wählt Repräsentanten an ihre ‚Spitze’. Und diese ‚Spitzen’ treffen sich auf einem ‚Gipfel’ – schräge Naturbilder, denn von welchem Gebirge ist hier eigentlich die Rede? Doch das Diffuse bürgerlicher Herrschaft wird in Personen greifbar und kritisierbar, dabei bildet die Regierung eben immer nur die offizielle Repräsentation bürgerlicher Macht und sollte besser nicht mit ihr verwechselt werden. Kritik und Widerstand der bürgerlichen Macht und ihrer Ökonomie muß entsprechend die Kritik dieser Repräsentation und das heißt der Repräsentation im Allgemeinen einbegreifen.
Genau eine solche Kritik der Repräsentation im Allgemeinen findet aber in der Anti-Globalisierungsbewegung und ihrer Mobilisierung gegen den G8-Gipfel nicht statt. Im Gegenteil: Ihre Attraktivität, ihre Mobilisierungskraft zieht sie aus der Affirmation der Repräsentation. Statt die Repräsentation der Herrschaft zu kritisieren, werden ihr Repräsentationen des Widerstands gegenübergestellt. Statt die Gouvernementalität, das heißt insbesondere die Alltäglichkeit von Herrschaft, ihre gesellschaftliche Verteilung und die Verinnerlichung dieser Herrschaft anzugreifen, wird das „gouvernment“ angegriffen. Der Fokus auf wenige Regierende lenkt den Blick von all denen ab, die durch ihre Macht den Alltag am Laufen halten.
Der Schritt zur Wahnvorstellung von den gewählten Repräsentanten der G8 als Weltregierung stellt in dieser Perspektive keine versehentliche Verkürzung, sondern einen logischen Schritt dar: Wer nicht die Repräsentation kritisiert, bleibt auf die Repräsentanten verwiesen.
Das Bild der Regierenden ersetzt die Kritik an den bildlosen Kapitalverhältnissen und reproduziert das Selbstbild bürgerlicher Gesellschaft, die ihre Herrschaft schließlich als rationale wenn nicht sogar rationalste Form des Zusammenlebens versteht. Was ein Teil der Globalisierungskritik zu entschleiern versucht – das mörderische, ungerechte und zerstörerische kapitalistischer Ökonomie – wird in der Verwechslung von acht konkurrierenden Nationen mit deren Regierungen als den Verursachern verschleiert. Eben diese Frage stellt jedes Bild: Was läßt sich zeigen, was zeigen die herrschenden Bilder des Regierens? Statt aber die Bilder auszusetzen, die diese Gesellschaft von sich produziert, reproduziert die Anti-Globalisierungs-Bewegung diese Bilder in ihrem Widerstand und erhält notgedrungen deren Herrschaft. Sei es, dass sie die Regierenden als Pappmaché-Figuren durch die Gegend trägt und damit nahtlos an die auch alkoholisierte Analyse des Kölner Karnevals anschließt, sei es die Rhetorik des ‚Wir sind viele – und ihr seid nur acht’, die sich notwendig der Frage verweigert, warum sich die Herrschaft denn erhält, wenn sie nur durch acht Personen reproduziert wird. Solche Bilder – das ist entscheidend – sind keine verkürzten Kritiken an den gesellschaftlichen Verhältnissen, sie sind keine Kritik, sondern dienen allein dazu das Ressentiment einer jeden Sklaven-Moral zu reproduzieren, die sich vor wenig mehr fürchtet, als dass sich die Verhältnisse einmal ändern könnten.


Stereotypen des Widerstands
In einer Reflexion der Bilder können Bilder als Bilder erscheinen und dadurch sich brechen und gelegentlich zerbrechen, sich entleeren oder machtlos werden.
Fehlt solche Reflexion, reproduzieren die Bilder des Widerstands selbst die Klischees und Stereotypen, die der industriellen Kulturproduktion vorgehalten werden. Manche Bilder gewinnen in diesem Prozess einen geradezu magischen Charakter, so sehr wird an sie geglaubt und so oft erscheinen diese Bilder selbst als nicht kritisierbar. Das Bild der Regierung ist allen voran zu nennen, das in der Globalisierungsbewegung immer wieder gerne in die – oft auch antisemitisch konnotierte – Wahnvorstellung der alles beherrschenden Weltregierung übersetzt wird.
Eines der Mobilisierungslogos für die Gegenveranstaltungen zu Heiligendamm weist in eben diese Richtung: An eine Wand plakatiert eine Silhouette „Make Capitalism History. Shut down G8 2007“ (Abb. 4). Jede/r wird sagen, dass es die typisch autonome Übertreibung ist – es weiß ja jede/r, dass Kapitalismus durch die Blockade des G8 nicht Geschichte wird. Aber warum wird dann doch gerade das behauptet? Es ist ja nicht einmal ein neuer oder sogar guter Scherz. Was soll ‚Shut down G8 2007’ heissen? Der Slogan gibt eine kondensierte Version vom Widerstandsbild: nicht durch Interventionen im Alltag, durch eine zerstreute und unkontrollierbare Revolte und die Umwälzung aller Lebensverhältnisse, die vielfältige Auflösung von Herrschaft und Macht, sondern durch das Schließen des G8 wird die kapitalistische Ökonomie historisch. Wenn etwas anderes gesagt werden soll, dann müssen auch die Bilder und Slogans dies sagen.

Spektakulärer Widerstand
Nicht selten wird als Erfolg gefeiert, dass es durch den ‚breiten’ Widerstand gelingt, in die Medien zu kommen. Dabei finden es viele besonders toll, dass der Widerstand so bunt und lustig ist. In den letzten Jahren haben sich Karnevalisierung der Demonstration oder auch Clownerien im Einzelfall tatsächlich als praktische Verunsicherungen der Gegenüberstellung von Polizei und ProtestlerInnen erwiesen, mit denen althergebrachte Muster unterlaufen werden konnten (Abb. 5). Die Umkehrung des Alltags im Karneval und das Sich-Lustig-Machen über die martialische Polizei produziert dabei auf den ersten Blick interessante Bilder, weil sie die Koordinaten ein wenig durcheinanderbringen. Zugleich bedienen gerade auch diese Bilder das mediale Begehren bürgerlicher Öffentlichkeit. Sie haben einen hohen Unterhaltungswert und wie die Bilder militanter Männer beruhigen sie als spektakuläre Bilder des Widerstands, dass die eigene Ordnung vor einem zerstreuten, sich vervielfältigenden Widerstand sicher ist. Denn im Ganzen beansprucht die Mobilisierung gegen den G8 für alle zu sprechen. Freies Radio fragt dementgegen immer: Wer spricht? Es sind nicht alle, sondern Apparate, die zum geringeren Teil etwas mit Selbstorganisation zu tun haben, sondern gerade die Entmündigung aller mit anderen Mitteln fortsetzen.

Trauerspiel
Und in welche Handlungsräume intervenieren die Clowns, welche Ordnung verunsichern sie? Beim G8-Gipfel begegnen sich zwei Repräsentationen, die Repräsentation einer international durchgesetzten bürgerlichen Gesellschaft und die Repräsentation eines internationalen Widerstands. Ein Dauerbrenner im bürgerlichen Welttheater. Text und Inszenierung wurden schon vor längerem einstudiert und können immer wieder neu besetzt werden. Das Bühnenbild ist in Heiligendamm besonders gut gelungen und wir können sicher sein, dass es auch 2007 wenig Fehlbesetzungen geben wird. Die Militanten haben ihre Rolle ebenso gut einstudiert wie die Polizisten. Die Clowns unterbrechen diesen traurigen Zirkus der Repräsentation nicht, auch wenn sie manche/n gelegentlich erheitern. Die Masse der bewegten AktivistInnen und der besorgten Bürger werden wie immer unbeeindruckt auf die Bühne treten und mit den Regierungschefs, der Presse und den Sicherheitsleute brav die Rolle ihres Lebens spielen. Und alle werden sich – so gehört es sich – verhalten, als führten sie dieses bürgerliche Trauerspiel zum ersten Mal auf – auch dem Freien Radio ist eine Rolle zugedacht. Es soll live dabei sein und solidarisch berichten. Es soll die Ungerechtigkeiten herausschreien, welche die Polizei wieder und wieder produziert. Und bloß nicht spalten, denn die Polizeigewalt hat doch grad erst so eine schöne Einheit hergestellt, in der sich alle antisemitischen, sexistischen und rassistischen Bilder des Widerstands so herrlich vergessen lassen.

Bilderradio
FSK hat sich in den letzten Jahren immer wieder als ein Medium verstanden, das nicht nur die gesellschaftliche Situation, sondern auch deren Reproduktion innerhalb linker Zusammenhänge kritisiert. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Immer wieder fügt sich ein Projekt mit so vielen Sendenden in die vorgeprägten Verhaltensmuster. Aber in den täglichen Zerstreuungen, den Unterhaltungen und den unkontrollierbaren Situationen der Ausstrahlung besteht immer wieder die Möglichkeit der Überschreitung – hin zu etwas Unerwartetem, etwas, das sich nicht repräsentieren läßt. Als bilderloses Medium erlaubt Radio die – sprachliche – Reflexion der Bilder, die nichts repräsentiert, sondern in den Hamburger Alltag interveniert, unvorhergesehene Handlungsräume öffnet und die bilderreiche Herrschaft immer wieder aussetzt.

Der Text erschien in einer kürzeren Version in dem Transmitter, der Programmzeitschrift des FSK im Mai.