Buchtipp: "Der Dämon in uns" von Sabahattin Ali

ID 17741
 
„down and out“ in Istanbul - Die soziale Dimension dieses Romans liegt auf der Hand: Im Istanbul der jungen Republik treffen Neureiche, Absteiger und die, die ums überleben kämpfen, aufeinander. Luxus und Hunger existiert in dieser Umbruchzeit Seite an Seite.
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04:43 min, 3315 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.06.2007 / 06:57

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Kultur
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: mk
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 21.06.2007
keine Linzenz
Skript
Anmoderationsvorschlag:
Der türkische Schriftsteller Sabahattin Ali hatte ein ähnliches Schicksal wie viele kritische Intellektuelle in der Türkei – von seinen Zeitgenossen Aziz Nesin und Nazim Hikmet bis zu heutigen Schriftstellern und Journalisten: Viele von Ihnen wurden verfolgt, bedroht und sogar verhaftet, gefoltert oder ermordet. Unser Buchtipp im Monat Juni ist Sabahattin Alis Roman „Der Dämon in uns“.
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Sprecher 1:
Die Türkische Bibliothek präsentiert ihren Lesern in der jüngsten Folge einen türkischen Autor, der vor allem in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts gewirkt hat. 1906 geboren, studierte Sabahattin Ali von 1928 – 1930 in Potsdam und Berlin. Danach arbeitete in verschiedenen türkischen Städten als Deutschlehrer. Zusammen mit Aziz Nesin ist er ab 1946 Herausgeber der satirischen Zeitung „Marko Paşa“, die wiederholt zensiert wird. Im April 1948 wird er auf der Flucht nach Bulgarien an der Grenze ermordet. Die genauen Umstände des Todes werden nie geklärt.

Mit „Der Dämon in uns“, das 1940 erschien, hinterlässt Ali einen Istanbul-Roman, der die junge, rastlose Generation der frühen Republikjahre treffend portraitiert.

Die Geschichte:
Als der Student Ömer bei einer Fahrt auf dem Bosporus Macide sieht, ist es Liebe auf den ersten Blick. Na ja fast: eigentlich kennen sie sich bereits aus ihrer Kindheit und sie sind entfernt miteinander verwandt.
Die emanzipierte Macide bricht alle Brücken zu Ihrer ungeliebten Istanbuler Verwandtschaft hinter sich ab und zieht zu Ömer in seine Kammer. Eine Weile leben die beiden selig in ihrer eigenen Welt. Doch dann melden sich die Dämonen in Ömer: Zweifel, Unsicherheit, Verlockungen. Der ständige Geldmangel macht Ömer schwer zu schaffen. Und er lässt sich von seinen angeblichen Freunden, einigen wirren Kaffehausintellektuellen, in kriminelle Machenschaften verwickeln. Macides Liebe wird auf eine harte Probe gestellt:

Sprecherin 2:
ZITAT Seite 204, Macide: „Dieser große Junge ... notwendig sein konnte.“


Macide und Ömer sind „down and out“ in Istanbul - Die soziale Dimension dieses Romans liegt auf der Hand: Im Istanbul der jungen Republik treffen Neureiche, Absteiger und die, die ums überleben kämpfen, aufeinander. Luxus und Hunger existiert in dieser Umbruchzeit Seite an Seite. Dennoch erfreuen sich auch Ömer und Macide an dieser Stadt, die Ihnen die Flucht aus dem engen Kreis der Familie im Dorf Balikesir ermöglicht. Istanbul das ist auch ein Ort der Kultur und Lebensfreude. Es ist in Alis Geschichte die Heimat der Heimatlosen, Getriebenen.

In „Der Dämon in uns“ verarbeitet Ali aber auch ganz persönliche Erfahrungen des Intellektuellen ohne Gott und Tradition: Der Dämon, das ist etwas was der Autor selbst von sich kannte: das sorgte auch bei ihm für eine unstete Lebensweise, mit einer wenig geradlinigen Biografie. Die scharfe Kritik an den herrschenden Verhältnissen und gleichzeitig das angewiesen sein auf die Protektion von einflussreichen Verwandten oder Freunden – das alles kennt Ali aus seine Studenten- und Lehrerzeit und verarbeitet es in der Figur des Ömer.

Sprecherin 2: ZITAT – Seite 205 „Der Dämon“: „Ömer hatte Macide davon überzeugt ... Gewalt bringen könnte.“

Der Dämon, der Ömers und Macides Glück schließlich wirklich ergreifen und zerstören soll hat auch politische Dimensionen

Im Nachwort des Romans sind diese politischen Dimensionen des Buches eingeordnet: die gesellschaftliche Utopie Alis beispielsweise, die in der Figur des positiven Helden Bedri zum Ausdruck kommt. Dieser soll gegen Ende der Geschichte eine große Rolle spielen. Daneben wurde auch die Kritik an den rassistischen Ideen von Ömers Freund Nihat, die sich auf die Ideen der mit Nazideutschland sympathisierenden Turanisten bezieht, viel diskutiert und sorgte u.a. dafür, dass Ali von den Turanisten seiner Zeit verklagt wurde.

Die Ideale und Gefahren der Gründerzeit der Türkei, die Sabahattin Ali in diesem Roman in einem subjektiven, nach innen gekehrten Realismus fasst, sind bis heute aktuell geblieben. In die Türkische Bibliothek im Unionsverlag fügt sich somit eine weitere, für die allermeisten bisher unentdeckte literarische Stimme, die beim Verständnis der Kultur und Politik der Türkei hilfreich ist.
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Abmoderationsvorschlag:

Unser Buchtipp im Juni, Sabahattin Alis Roman „Der Dämon in uns“ ist erschienen in der Türkischen Bibliothek im Unionsverlag. Diese Reihe präsentiert Meilensteine der türkischen Literatur von 1900 an bis in die unmittelbare Gegenwart. Das Schwergewicht liegt auf Werken, die trotz ihrer Bedeutung der deutschsprachigen Leserschaft noch nie zugänglich gemacht wurden. Im September gibt es in einigen deutschen Städten übrigens Leseabende aus dem Roman von Sabahattin Ali, zum Teil mit musikalischer Begleitung. Mehr dazu findet sich auf www.unionsverlag.com

Kommentare
21.06.2007 / 17:10 C. Hartmann, Radio Z, Nürnberg
Gesendet in Zip-FM
vom 21.06.2007