Fremde Heimat Kosovo

ID 18626
 
Aktuelle Eindrücke aus dem Kosovo, Schwerpunkt Rückkehrer und Abgeschobene aus Deutschland
basierend auf einer Recherchereise des Bayerischen Flüchtlingsrats
Audio
35:43 min, 25 MB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 04.09.2007 / 18:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Stephan Dünnwald
Kontakt: andraschn(at)web.de
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 04.09.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Fremde Heimat – Kosovo
Acht Jahre ist es nun her, dass Bombardements der NATO die serbische Herrschaft im Kosovo beendeten. Auch die albanische UCK, mehr Guerilla als Befreiungsarmee, trug dazu bei die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung zu beenden. Nach dem Sieg der NATO wollten nationalistische Albaner einen ethnisch reinen Kosovo. Nachdem sie selbst Jahrzehntelang unterdrückt worden waren, vertrieben sie systematisch die serbische Bevölkerung mit Brandschatzung, Plünderung, Vergewaltigung und Mord. Auch die übrigen Minderheiten, vor allem Roma und Ashkali, wurden von der Vertreibungswelle ergriffen. Mehr als drei Viertel der etwa 120.000 Roma flüchteten – viele von ihnen nach Deutschland.
2004 gab es noch einmal eine Vertreibungswelle – serbische Kirchen und Klöster wurden in Brand gesteckt, Roma Viertel geschleift. Die internationalen Truppen unter NATO Führung, die KFOR, hatte dies nicht verhindern können. Doch inzwischen scheint wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen UNMIK übergibt immer mehr Regierungsgewalt an kosovarische Behörden, die Verhandlungen um den Status sollen dazu führen, dass sich die UN-Verwaltung ganz aus dem Land zurückzieht und der Kosovo schrittweise in die Unabhängigkeit entlassen wird.
Zur Normalisierung gehört auch die Rückkehr der Albaner, die vor serbischer Unterdrückung geflohen sind, sowie die der Serben, Roma und Ashkali, die vor den Vertreibungen durch die Albaner aus dem Kosovo flüchten mussten. Etwa 50 000 Menschen aus dem Kosovo, hauptsächlich Minderheiten, sind allein in Deutschland ausreisepflichtig, sollen zurück in den Kosovo.
Wie sieht es aus im Kosovo acht Jahre nach dem Krieg? Im August waren wir, Julia Bayer und ich, für vier Wochen im Kosovo. Wir waren vor allem unterwegs, um die Situation zurückgekehrter Flüchtlinge zu untersuchen. Wir reisten durchs Land, sprachen mit Leuten, die den Krieg über im Land geblieben waren, und mit vielen Rückkehrern. Wir besuchten Familien, die aus Deutschland abgeschoben worden sind, und dokumentierten ihre Lage.
In der folgenden Sendung präsentieren wir ein paar Ausschnitte von Gesprächen, Eindrücken und Erfahrungen.

Widersprüchliches
Wer hier in der Zeitung vom Kosovo liest, hat den Eindruck eines Krisengebiets: UN-Verwaltung, KFOR Besatzung, heikle Verhandlungen um den zukünftigen Status, die vor allem Russland zum Kräftemessen nutzt. Hinzu kommen Korruption, mafiöse Strukturen, wirtschaftliche Stagnation.
Fährt man hin, bietet sich ein anderes Bild. Tatsächlich fahren viele hin. Tausende Kosovaren, in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt oder schon seit Gastarbeiterzeiten hier, fahren im Sommer los, um ihre Familien im Kosovo zu besuchen. „Schatzis“ werden diese Besucher scherzhaft genannt, denn sie bringen Geschenke mit und Geld, fahren gern in dicken Autos bei der armen Verwandtschaft vor. Juli und August sind auch die Monate, in denen geheiratet wird im Kosovo, weil dann die Verwandten aus dem Ausland Urlaub haben und die Familie vollzählig ist. Täglich sieht man mehrere Autokolonnen, die hupend durch die Stadt fahren, vorneweg eine albanische Fahne, rot mit schwarzem Doppeladler. Die Verwandten aus Deutschland, der Schweiz oder anderen westlichen Staaten sind eingereiht. Den Autokennzeichen nach sind die Gegend um Stuttgart, aber auch Hessen und Nordrhein-Westfalen die Hochburgen der Kosovaren in Deutschland.
Urlauber nichtalbanischer Herkunft findet man im Kosovo selten. Nur wenige Rucksacktouristen wagen sich ins Land. Wer als Deutscher im Kosovo ist, arbeitet meist dort als sogenannter „Internationaler“ – bei der UN Verwaltung UNMIK, als Soldat bei der KFOR, oder bei einer der Hilfsorganisationen, die noch im Land sind.
Diese Präsenz lässt sich auch am Straßenbild ablesen. Besonders in der Hauptstadt Pristina sind die weißen Geländewagen mit UN Beschriftung unübersehbar. In der Straße zwischen dem UNMIK Hauptquartier und der OSZE, von den Einheimischen Polizeistraße genannt, weil die auch dort ihren Sitz hat, reihen sich Straßencafes und Restaurants aneinander, die auf westliche Geschmäcker und Gepflogenheiten eingestellt sind. Hier gibt es niemanden, der nicht Englisch spricht.
1 Atmo Prizren unter den nächsten Absatz
Die Cafes sind gut besucht, und beileibe nicht nur von Internationalen. Wir sind erstaunt darüber, hatten wir doch erfahren, dass im Kosovo eine Arbeitslosigkeit von 70 Prozent herrscht. Verena Blickwede, die mehr als sieben Jahre bei unterschiedlichen Organisationen im Kosovo verbracht hat, klärt uns auf. Es gibt zwar ein paar Zeitungen, aber Informationen werden hauptsächlich von Mund zu Mund weitergegeben. Auch dient das Cafe als Jobbörse, viele Gelegenheiten zu kleinen, informellen Beschäftigungen für ein paar Tage bieten sich denjenigen, die die Ohren offen halten – und wo ginge das besser als im Cafe.
Außerdem gilt das Cafe als der traditionelle Ort, an dem Geschäfte abgewickelt werden. So verfügen nur wenige Menschen im Kosovo über einen Festnetzanschluss, selbst Behördenvertreter wickeln alles über Handys ab, und so ist nur an den Hintergrundgeräuschen zu vernehmen, ob sie im Büro, im Auto oder eben im Cafe sitzen. Das Cafe nicht nur als Ort der Muße, sondern auch als Arbeitsplatz.

Wir sind im Kosovo unterwegs, um uns über die Situation von Rückkehrern zu informieren. In Deutschland hatten wir schon Kontakt aufgenommen mit Büros, die Beratung und Unterstützung für Rückkehrer anbieten, und einige Adressen bekommen. Dort waren wir schon auf die erste Schwierigkeit gestoßen: es gibt gerade kaum Flüchtlinge, die freiwillig in den Kosovo zurückkehren wollen. Freiwillig ist sowieso an der Wirklichkeit vorbei. Die meisten haben keinen Aufenthalt in Deutschland und müssen ausreisen. Bevor es dann zur Abschiebung kommt, gehen manche in die Rückkehrberatung.
Die Rückkehrer, die uns genannt wurden, sind meist schon bald nach dem Krieg wieder zurück. Seitdem hat es sich unter den Flüchtlingen in Deutschland herumgesprochen, dass die Chancen, im Kosovo auf die Füße zu kommen, ziemlich schlecht sind. Die grassierende Arbeitslosigkeit macht es nahezu unmöglich, einen Job zu bekommen. Offene Stellen werden unter Familienangehörigen oder Freunden vermittelt – die Flüchtlinge, die jahrelang nicht im Land waren, stehen da erst mal im Regen.
Viele haben auch kein Haus mehr – es wurde zerstört oder ist von anderen Flüchtlingen besetzt worden. Die Verwandten wohnen ebenfalls beengt und können eine Familie aus Deutschland höchstens vorübergehend unterbringen. Hilfsprogramme für den Wiederaufbau von Häusern sind längst abgeschlossen, die Hilfsorganisationen haben kein Geld mehr oder das Land sogar schon wieder verlassen. Das alles macht die Rückkehr zu einem hochriskanten Unterfangen.
In Pec, oder Peja, wie die Stadt auf albanisch heißt, treffen wir deshalb zunächst Rückkehrer, die schon vor Jahren aus München in den Kosovo zurückgekehrt sind. Wir sind mit Latif Avdyli unterwegs, Rückkehrberater bei der Stadt München. Er besucht die Rückkehrer ebenfalls, um zu sehen, was aus ihnen geworden ist. Es sind drei Brüder, die in einem Dorf etwa 20 Kilometer außerhalb von Peja auf dem Land leben. Das Dorf liegt auf einer kleinen Anhöhe und war deshalb im Krieg zwischen Serben und UCK heftig umkämpft. Nun liegt es friedlich da unter der Augusthitze. Wir parken im Dorf und gehen zu Fuß über den kleinen Hügel zum Haus des ersten der drei Brüder. Latif hatte unseren Besuch angekündigt, deshalb empfängt uns Hysein mit der ganzen Familie samt Großvater. Die Familie hat nach der Rückkehr neun Monate in einem Zelt gelebt, bis eine holländische Organisation auf sie aufmerksam wurde und ein neues Haus gebaut hat – das alte war restlos zerstört. Hinter dem Haus ein größerer Garten, drinnen ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Bad und noch ein weiteres Zimmer, das wars. Nicht geräumig für eine siebenköpfige Familie.
2 Latif Bauer O-Ton 0’35’’
Latif hat einen Fragebogen dabei, den er mit Hysein durchgeht. Anschließend erklärt er uns, wie es um die Familie bestellt ist.
1 Latif Bauer Peja 2’30’’
Die Familie hat also kein Einkommen, der Garten reicht gerade für Gemüse und für das Heu für eine Kuh, die der Familie die wichtige Milch liefert. Eine Perspektive hat die Familie nicht, solange sich der Arbeitsmarkt im Kosovo nicht bessert. Wir können der Familie nur alles Gute wünschen. Auch den Brüdern geht es ähnlich. Vor dem Krieg hatte das Geld gereicht, weil wenigstens als Tagelöhner etwas zu verdienen war. Jetzt sind die Rückkehrer alle vierzig Jahre oder älter und gehören zum alten Eisen – die Hälfte der Bevölkerung im Kosovo ist unter 25 Jahre und fast alle suchen Arbeit.
Wir fahren zurück in die Stadt. Hier umfängt uns Verkehr und geschäftiges Leben. Die Stille auf dem Land und die Blicke der Familie bleiben zurück.
Musik
Wir bleiben noch in Peja. Wir wollen nicht nur Rückkehrer besuchen, die freiwillig zurückgekehrt sind, sondern auch Abgeschobene. Blerim, ein junger Student, bringt uns zu der Familie seines Onkels. Sie war im Juli aus der Gegend von Stuttgart abgeschoben worden. Blerim holt uns ab und wir fahren zum Haus, wo die Familie erst mal untergekommen ist. Das Haus, in dem die Familie vorher gewohnt hatte, wurde im Krieg zerstört. Da waren die Shalas aber schon in Deutschland. Nach der Rückkehr konnten sie erst mal im Haus von Afrims Bruder wohnen. Dann vermietete ein Nachbar ihnen drei Zimmer im ersten Stock seines Hauses. Er nimmt nur 50 statt 150 Euro, weil die Familie nichts hat und abgeschoben wurde. Wir werden begrüßt und ins Zimmer gebeten, das leer ist bis auf einen Teppich, eine Sitzcouch und ein Radio. Familie Shala hatte einen Antrag auf Bleiberecht gestellt. Sie erfüllte alle Anforderungen, war schon seit 16 Jahren in Deutschland, galt als sehr gut integriert. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag jedoch ab. Sie bezog den Standpunkt, dass die Familie nicht aus Peja, sondern aus einem anderen Ort, Vushtri, stamme, und auch nicht Ashkali, sondern Albanischer Herkunft sei. Die Shalas besorgten Dokumente, die bewiesen, dass sie aus Peja kommen, doch die Ausländerbehörde beharrte auf ihrem Standpunkt. Eines Morgens stand Polizei vor der Tür, die Familie wurde abgeschoben.
Die beiden älteren Kinder, Adelina, 17 Jahre und Adian, 15, berichten.
1 Fam Shala Abschiebung 4’20’’
Blerim holt die Familie dann vom Flughafen in Pristina ab und bringt sie nach Peja. Sechs Wochen ist die Familie nun schon im Kosovo, doch sie klammert sich an die Hoffnung, zurück nach Deutschland zu kommen. Vielleicht war es ja ein Versehen, die Sache mit Peja und Vushtri, vielleicht kann der Anwalt noch was machen. Nach der Abschiebung hat die Familie einen Anwalt damit beauftragt, Widerspruch gegen den Bescheid der Ausländerbehörde einzulegen. Im Kosovo sehen vor allem die Kinder keine Zukunft. Sie sind in Deutschland aufgewachsen, Adian sogar dort geboren, Albanisch spricht er nicht.
2 Fam Shala Deutschland 4’10’’
Musik
Familie Shala ist auch Wochen nach der Abschiebung noch nicht wirklich angekommen im Kosovo.
Vor allem für die Kinder ist es schwer. Die Schule im Kosovo funktioniert anders, ohne Albanischkenntnisse ist es kaum möglich, den Anschluss zu schaffen. Der Vater, Afrim Shala, ist aber krank, leidet an Panikattacken, das hat sich durch die Abschiebung nicht verbessert.
Wie den Shalas geht es vielen. Mehrere aus Deutschland abgeschobene Familien, die wir auf unserer Recherche besuchen, hatte gute Chancen auf ein Bleiberecht, in den meisten fand sich mindestens ein krankes, häufig schwer traumatisiertes Familienmitglied. Eine Behandlung ist im Kosovo schwierig. Psychische Erkrankungen gelten nicht viel, die Behandlungsmöglichkeiten sind oft auf Medikamente begrenzt, diese müssen selbst bezahlt werden. Dabei hat die Familie Shala noch verhältnismäßig gute Chancen, im Kosovo wieder auf die Füße zu kommen. Der Bruder ist Richter in Peja, einige Verwandte in Deutschland können ihr finanziell unter die Arme greifen. Eine Perspektive ist das trotzdem nicht.
Wir reden den Kindern zu, auch im Kosovo auf die Schule zu gehen. Selbst falls sie nach Deutschland zurück kommen könnten, ist so die Zeit nicht vertan. Mehr können wir nicht tun. Die Bleiberechtsregelung in Deutschland hatte vielen Hoffnung gemacht. Besonders für die Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, sollte sie greifen. Hier im Kosovo sieht man, dass die enge Auslegung des Bleiberechts viele in einen Abgrund stürzt.
Musik
Wir fahren weiter. In Prizren im Süden des Kosovo besuchen wir weitere Rückkehrer. Alle haben die gleichen, mageren Aussichten. Wer einige Jahre in Deutschland verbracht hat, gewöhnt sich nur schwer an das Leben im Kosovo. Viele, gerade die Älteren, freuen sich zwar, wieder in der Heimat zu sein, aber die Aussichtslosigkeit und die fehlende Arbeit lähmt die Rückkehrer. Fast alle wollen wieder zurück nach Deutschland. Wir treffen zwei junge Männer im Straßencafe, beide wurden vor einem guten Jahr abgeschoben. Nun suchen sie Albanerinnen in Deutschland oder in der Schweiz, die sie heiraten könnten. Neben der illegalen Einreise ist die Heirat die einzige Möglichkeit, wieder in den Westen zu kommen.
Der Kosovo war schon immer arm. Deshalb sind hier seit den sechziger Jahren viele als Gastarbeiter in die Schweiz oder nach Deutschland gegangen. Im Kosovo leben rund zwei Millionen Menschen. Der größere Teil der Kosovaren, so wird uns mehrfach erzählt, lebt im Ausland, kommt nur zu Besuch zurück ins Land. Die meisten Familien haben ein oder mehrere Familienmitglieder im Ausland. Diese unterstützen die Daheimgebliebenen mit Geld und Mitbringseln. Je nach Einkommen der „Schatzis“ aus Deutschland geht es der Familie besser oder schlechter. Ohne diese Hilfe aus dem Ausland wäre die Situation für viele unerträglich. Wer, wie die Bauern auf dem Dorf bei Peja, keine Verwandten im Ausland hat, nagt am Hungertuch. Die Auslandsüberweisungen der Kosovaren machen den größten und den einzigen stabilen Teil der Volkswirtschaft im Kosovo aus, das weiß auch die UNMIK.
Bis in die achtziger Jahre war es noch verhältnismäßig einfach, nach Deutschland zu kommen. Dann wurden die Tore geschlossen, auch Asyl bekam kaum noch jemand, trotz Verfolgung und später dem Krieg im Kosovo. Der Bauer in Peja sagt uns zum Abschied, das deutsche Asyl wäre ungerecht. Gerechter wäre es, wenn jede Familie das Recht bekäme, ein Familienmitglied in Deutschland arbeiten zu lassen. Aus seiner Warte hat er da sicher recht.
Musik
Mehr als 50.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo warten noch in Deutschland. Sie sind ausreisepflichtig und müssen früher oder später zurück. Viele schauen mit gemischten Gefühlen auf die Verhandlungen um den zukünftigen Status des Kosovo. Die UN Zivilverwaltung UNMIK stellt sich noch gegen Abschiebungen, wenn kein Wohnraum vorhanden ist. Mehr als 60 Prozent der Abschiebegesuche deutscher Behörden lehnt die UNMIK noch ab. Wenn über den Status der noch formell zu Serbien gehörenden Provinz entschieden ist, wird die UNMIK das Land verlassen. Damit droht eine Abschiebewelle nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen europäischen Ländern.