Revolution Grrrl Style Now! Der Sommer der Riot Grrrls.

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Anfang der 90er begann in den USA der Sommer der Riot Grrrls. Was es damit auf sich hat, was es mit Punk zu tun hat und was heute davon übriggeblieben ist, soll etwas näher beleuchtet werden.
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10:03 min, 9422 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 21.01.2008 / 12:33

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Musik, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: le-grex/ldr
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 19.10.2007
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Die Punkbewegung lehnt Sexismus ab. Deshalb ist sie ständig damit beschäftigt, Leute aufzuklären, die als Neulinge mit all ihren festgefahrenen Stereotypen in die Szene kommen.“
So beginnt der Abschnitt >Eine Frage des Geschlechts<, im nun schon viele Jahre zählenden Buch „The Philosophy of Punk“ von Craig O'Hara. Keine Frage, begreift man Punkrock oder die Punkbewegung, als ein Ding, welches mit allen Konventionen brechen, bürgerliche Werte über Bord schmeißen und die „Do it yourself“ Phrase ausüben will. So scheint es ein selbstverständliches, dass Sexismus im Punk nicht viel zu suchen hat. Zumindest so lange, wie man dieses Etwas als politisch begreift.
Die Anfänge des Punks in Deutschland waren dies explizit nicht. Es hat sich zwar später, spätestens in den 1980ern dorthin entwickelt, aber die Auswüchse der Bewegung waren in den jeweiligen Ländern arg unterschiedlich. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil die – nennen wir sie – Realitäten und Zustände arg voneinander abweichten. Ganz lapidar: Punk in der DDR konnte mit dem „No Future“ der Sex Pistols aus England nicht viel anfangen, ihre Zukunft war ja doppelt und dreifach bis zum Grab beschrieben. Aber trotz dieses Wissens, stolperte ich mehrere Male über diesen Satz von O'Hara, der nun schon 15 Jahre alt ist und getippt wurde, als in Amerika gerade der Sommer der Riot Grrrls begann. Letzteres nicht aus Spaß an der Freude oder unmotiviert, ganz im Gegenteil. Natürlich wäre die Umkehrung, „Die Punkbewegung begrüßt Sexismus ausdrücklich.“ ebenso reiner Humbug, aber warum muss die Wahrheit denn immer in der Mitte liegen?
Punkrock als Musikstil bedient sich natürlich, augenscheinlich und musikalisch, dem zweiten Teil der Genrebeschreibung. Des Rocks. Das dieser – all seine Facetten mal subsumierend – alles andere war, als eine emanzipatorische, mit Normen und vorgefertigten Attitüden brechende „Bewegung“ ist sicher nicht die provokanteste These des Jahrzehnts. Schauen wir uns dann die Bands seit 1975 bis Anfang der 1990er an, die sich selbst als Punk betitelten oder spätestens vom NME oder Spin Magazine wurden, sehen wir hunderte Bands, männlich dominiert. Natürlich gab es Bands - wie natürlich Crass aus England – mit ihrem explizit politischen und hierbei stark antisexistischen Punk, bei dem die Musik immer dem Text oder der Aktion folgte - die diese Reihe unterbrechen würden, aber sie waren oder sind – und dann kommt dieses Wort – eine Ausnahme.
Während Punkrock im eigentlichen Sinne – mit Ursprung in Amerika, Ausbruch in England – nur wenige Jahre währte, bildeten sich aus ihm heraus andere Musikrichtungen. In England „New Wave“ - auch wenn sich hier keine klare Einordnung machen lässt – mit Joy Division und The Human League als Beispiel. In den USA war es Hardcore, der sich von der Vereinnahmung der Szene, durch die Industrie und der damit verbundenen Kommerzialisierung abgrenzen wollten. Stichwort Black Flag und Minor Threat.
Eine der Hochburgen des US-Hardcore war hierbei Washington DC. Die Hauptstadt der Staaten, mit ihren gerade mal ~650.000 Einwohnern, wurde zum Melting Pot der politischen Hardcore Szene. Bands wie Fugazi belebten (Post)Hardcore immer wieder neu, widerstrebten den Anwerbungsversuchen der Major Labels und mit Dischord Records befand sich eines der wichtigsten (man muss es ja so sagen) Punk/Hardcore Labels in der Stadt. Trotzdem, Hardcore hatte seinen Namen nicht ohne Grund. Die Musik war um einiges härter, als der bisweilen monoton stampfende klassische Punkrock, die Bühnenshows martialischer und damit verbunden auch das Auftreten des Publikums. In den späten 1980ern bis in die Anfänge der 1990er waren die USA auch von einer Gewaltwelle überschwemmt. 1991 zählte man etwa 483 Morde in Washington DC. Dies reichte bis in die HC Szene hinein, in der zeitgleich Beteiligte mit Vergewaltigungsvorwürfen aktiv waren. Ein anderer „Tipping Point“ war das Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch, das am Supreme Court in DC lief und das Roe vs. Wade Urteil nichtig machen sollte.
So we play the roles that they assigned us
She does nothing to conceal it
He touches her 'cause he wants to feel it
We blame her for being there
Fugazi – Suggestion
Diese ganzen Teile schienen sich zu einem explosiven Gemisch zu vereinen und schließlich gab es in Washington DC, im Mai 1991 starke Unruhen. Ausgelöst durch den Mord an einem Lateinamerikaner durch eine Polizistin und der Entscheidung des besagten Supreme Court, den staatlichen Kliniken Abtreibungsberatungen zu verbieten, war für manche die Revolution angebrochen Andere kritisierten die Riots mit der Polizei stark. Einer der Begriffe der hier bei fiel, war „Girl-Riot“. Eine der Bands, die nur einen Monat nach den Unruhen, ihren ersten Auftritt hatten, war Bikini Kill. Sie kamen aus Olympia und waren am Ende ihrer Tour. Sängerin Kathleen Hanna schrie „Revolution Girl Style Now!“ von der Bühne. Es war der vielleicht erste Auftritt einer (Fast)All Girl Band, die sich klar und explizit antisexistischen und feministischen Themen widmete.
Eine andere Band dieser Richtung war Bratmobile, deren Gründerinnen das Zine „Girl Germs“ und damit den Weg bereiteten für das, was dann als Riot Grrrl fortgesetzt wurde. Riot Grrrl war dabei ebenfalls der Name eines Zine, als Anschluss an Girl Germs. Sollte es eigentlich Girl Riot hießen, einigte man sich auf Riot Grrrl, wobei die drei Rs als Knurren zu verstehen sind. Der Titel dieses Zine war dann letztendlich auch der Titel der Bewegung, die in diesem Sommer ihren Anfang nahm.
Riot Grrrl, man könnte sagen mit dem Untertitel: „Revolution Girl Style Now!“.
Ein nettes Trivia dabei ist, dass Anfang der 1990er Nirvana noch stark zum gegenseitigen Einfluss der Bewegung gehörten, bevor mit Nevermind und Dank MTV die Band hochgeschossen wurde.
Der Titel des wohl bekanntesten Hits „Smells like a teen spirit“ geht zurück, auf ein Tag, welches Kathleen Hannah an eine Hauswand sprühte: „Kurt smells like teen spirit.“ Womit die Zeilen: „Our little group has always been, and always will until the end [...]“ durchaus in einem anderen Licht erscheinen.
Die entstehenden und spielenden Riot Grrrls Bands waren durchaus eng mit der Washington DC Hardcoreszene verknüpft und hierbei stark mit Fugazi. Zahlreiche gemeinsame Auftritte fanden im Sommer 1991 statt, der tatsächlich als Revolution Sommer bezeichnet wurde. Proteste gegen den Supreme Court waren oft das Thema, aber auch allgemein die Situation der freien Kliniken in den USA.
Fugazis Song Suggestion setzte sich mit dem Bild und der Reduktion von Frauen als Objekt der Männerfantasien und der Frage wann Gewalt anfängt. Live entwickelte der Song ein intensives dynamisches Eigenleben.
Es sollte ein ganzes Jahr dauern, bis sich Riot Grrrl als Bewegung durch Amerika gezogen hatte. Nicht zuletzt durch einen Artikel in der LA Weekly, in dem Hanna der Schreiberin sagte, dass es Riot Grrrls im ganzen Land gäbe und eine echt große Sache ist. Dies stimmte allerdings nur in ihrem Kopf, wie sie selber sagte. Aber die Pointe folgte postwendend, im Sommer 1992, nicht weit nach dem Erscheinen der Artikel, bildeten sich tatsächlich in verschiedensten Orten Riot Grrrl Gruppen.
Der Kampf gegen Abtreibungsverbote und Vergewaltigungen – auch innerhalb der Szene war natürlich nur das eine. Die andere Seite war das Aufbrechen von männlich dominierten Bühnenshows und Verhalten im Punk/Hardcore. Zumal weibliche Bands, bis heute meist in der Mainstreampresse (jetzt Feuilleton) bejubelt werden und den Punkzines/Mailordern nur die Zuschreibung: „Great female Vocals“ bekommen.
Ein anderer Punkt war der (aggressive) Tanzstil vieler HC Anhänger, was sich in praktischen Verhaltensweisen niederschlug. Mädchen bildeten innerhalb des Moshpits abgeschlossene Kreise, die nur für Mädchen (als Übersetzung von Girls gebraucht) offen waren. Das führte zwar wiederum zu Angriffen von Tänzern außerhalb des Kreises, zeigte aber auch die Selbstverständlichkeit die hierbei an den Tag gelegt wurde.
Auch die Bühnenshows allein führten zu Effekten und wurden von manchen Personen als das „intensivste“ beschrieben, was sie seit langen in der stagnierenden Punkszene gesehen und gehört haben. Wenngleich die Musik in den Anfängen auf altbewährte und bekannte Muster setzte, war die Textsetzung in der Form bis dato unbekannt. Gleichzeitig stellten Bands wie Bikini Kill fest, dass Form und Inhalt für sie nicht zu trennen ist oder zumindest ein Problem darstellt.
Sowohl Bühnenshow, Texte als auch die Fanzines waren selbstredend bewusst provokant, von außen oftmals als aggressiv wahrgenommen. Kritisiert wurde dabei, dass Männer klar abgelehnt oder bekämpft würden und andere All Girl Bands begannen zu betonen, dass sie nichts mit der Riot Grrrl Bewegung zu tun haben. Freilich erscheint diese Kritik etwas verkürzt, war doch gerade in DC eine feste, ausgeprägte politische „Zusammenarbeit“ von Grrrl Bands und klassischen (Post)Hardcore Bands gediehen, die sicherlich über das Feld der Politik hinausgingen und keinen Seperatismus begangen.
Die meisten Bands des Sommers 1991 gibt es heute nicht mehr. Bikini Kill etwa haben sich vor 9 Jahren aufgelöst, Bratmobile schon 1994. Letztere gingen 1999 aber wieder auf Tour mit Sleater-Kinney, die nicht mehr direkt aus der Riot Grrrl Bewegung stammen, aber von ihr beeinflusst sind.
Die Ladyfeste der Jetztzeit sind sozusagen die direkten „Nachfahren“ der Riot Grrrl Bewegung. Auch hier fand das erste wieder in Olympia (Washington), dem Ursprungsort von Bikini Kill, im Jahr 2000 statt. Es sind selbstorganisierte Festivals, die den (nachwievor) in der Minderheit oder auch ignorierten weiblichen Künstlerinnen eine Plattform geben sollen. An den meist mehrere Tage gehenden Veranstaltungen, finden zudem auch Workshops statt, die eben die Ideen des „Revolution Girl Style Now!“ Sommers aufgreifen und fortsetzen oder neu besetzen. Zentraler Bestandteil ist auch hierbei, die Infragestellung der normierten Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit der Gesellschaft. Seit 2000, haben sich diese Feste auch stetig weiterentwickelt und finden mittlerweile quasi weltweit statt. In Leipzig zum Beispiel, fand es Ende August zum dritten Mal statt.
Zum Schluss darf man sicherlich konstatieren, dass die Verhältnisse heute – wie beschrieben – keine anderen sind und die originäre Punkszene – auch und gerade in Deutschland – sich keinen Stück bewegt hat. Bis auf einige Bands, – und hier schließt sich der Kreis - die Ausnahmen darstellen und wir wieder von vorne anfangen würden.