Rebellisches Barcelona

ID 19604
 
Barcelona ist hip. Touristen strömen in die Stadt. Gleichzeitig gibt es aber rebellische Stimmen in der Bevölkerung, die sich nicht von Stadtmanagern verplanen lassen wollen. Unser Buchtipp im November zeigt die rebellische Tradition der Bevölkerung Barcelonas. Ein alternativer Reiseführer und ein spannendes Lesebuch.
Audio
04:50 min, 4527 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 09.11.2007 / 23:22

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: mk
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 09.11.2007
keine Linzenz
Skript
Anmoderationsvorschlag

Das Olympiagelände, Guaudis Sagrada Familia und die Ramblas - das sind die touristischen Highlights von Barcelona. Eine andere Seite der Stadt zeigt das gerade bei Edition Nautilus erschienene Buch „rebellisches Barcelona“. Wir stellen es im folgenden Beitrag vor.


Sprecher1;

Barcelona ist „in“ - Barcelona ist Fashionstadt und Barcelona ist Touristenmagnet. Schön für die Metropole im katalanischen Süden Spaniens sollte man denken,
wenn da nicht die Schattenseiten wären.
In seinem Vorwort zum Buch „Rebellische Barcelona“ spricht Manuel Delgado vom „Modell“ Barcelona, das ein Spielzeug in den Händen bürokratischer Stadtplaner geworden ist. Die Folgen dieser Modellierung:
Massive Zwangsräumungen, Zerstörung von ganzen Stadtteilen, Razzien gegen Immigranten und Repressionen gegen die Unregierbaren.
Zwar wacht ein Machtapparat in Form von Polizeipräsenz darüber, was auf den Straßen vor sich geht, doch haben die Stadtmanager trotzdem ein Problem: „die geplante Stadt weiche von der gelebten Stadt massiv ab“, so der Anthropologe Manuel Delgado. „Die Bewohner Barcelonas ließen sich nicht zu Zuschauern in einem Werbespot reduzieren, denn sie kommen aus einer rebellischen Tradition. Dass Delgado hier richtig liegt, beweisen auch die jüngsten Aufstände:
Unruhen und breite Ablehnung der Bevölkerung gegen Militärparaden oder Treffen der Weltbank sorgten Anfang des 21. Jahrhunderts dafür, dass solche Veranstaltungen verschoben wurden oder erst gar nicht mehr in Barcelona geplant werden. Im Februar und März 2003 beispielsweise waren gegen den Irak Krieg eine Millionen Menschen auf den Straßen. Im letzten Jahr sorgten die massiven Proteste für mehr Wohnraum dafür, dass sich die europäischen Bauminister nicht in Barcelona treffen konnten.

Die lange Geschichte dieses rebellischen Geistes wird in diesem jetzt in der Edition Nautilus in deutscher Sprache erschienen Buch ausführlich beschrieben. Dabei ist das historische Gedächtnis des rebellischen Barcelonas in zwei Abschnitte geteilt: zunächst gibt es eine chronologische Betrachtung der Aufstände von 1836 bis 1951. Von Generalstreiks der Arbeiter gegen Ihre Ausbeutung im 19. Jahrhundert über verschieden Aufstände bis hin zu der revolutionären Zeit, in der Barcelonas Bevölkerung den Widerstand gegen den Franco-Faschismus mitorganisierte.

Der eigentliche Hauptteil des Buches ist aber geografisch strukturiert: Jeder Stadtteil erzählt seine eigene rebellischen Geschichten. Und die können ganz unterschiedlich sein. Vom Bau von Barrikaden, über das Betreiben von Piraten-Radiosendern bis hin zur Besetzung von Wohnraum und Raum für kulturelle Zentren: So findet sich beispielsweise im Stadtteil Gracia das am längsten besetzte Haus an der Kasa de la Montana in der nähe des Park Güel. Wie viele andere Häuser wurde es während der massiven Umstrukturierung im Vorfeld der Olympischen Spiele 92 besetzt. Im Buch wird aber nicht nur der Hintergrund der Besetzung beschrieben, die Besetzer selbst schreiben den entsprechenden Artikel:

Zitat: S. 86


Es gibt also viele Autoren für die einzelnen Ortsbeschreibungen. Im Buch finden sich aber zu den jeweiligen Orten auch Portraits von rebellischen Persönlichkeiten, die dort gewirkt haben. Das sind für Barcelona beispielsweise Gwerkschaftskämpfer wie Joan Peiro oder der Stattsfeind Nr.1 für die Francisten, Francisco Sabate Loopart.
Daneben kommen Augenzeugen der Rebellion zu Wort, wie der Schriftsteller George Orwell, der den revolutionären Mai 1937 analysiert.
Aber auch anarchische Schwindler wie der Neffe von Oscar Wilde und vermeindliche Profi Boxer Arthur Cravan werden gewürdigt. Gneauso wie Underground-Comic-Zeichner.

Evtl. Musik...

Das Buch ist keines von jenen, die man auf einen Schlag von der ersten bis zur letzten Seite durchliest. Eher ein Lesebuch, in dem man immer wieder neue Entdeckungen macht. Oder – und das ist wohl die interessanteste Lesevariante – es wird auf einer Reise durch Barcelona, vor Ort genutzt, wie ein alternativer Stadtführer durch die Geschichte Barcelonas. Zugleich ist es eine Fundgrube für Leser die sich für die Geschichte des in Barcelona blühenden Anarchismus interessieren. Diese Geschichte der vorangegangenen 150 Jahre Barcelonas zeigt, dass beim Drängen der Planer auf eine komplette Kontrolle der Stadt, sich immer wieder Risse auftun. In diese Risse blicken die Autoren dieses Buches und erkennen jede Menge Leben und Alternativen zu einer rein konsumorientierten Fassade Barcelonas.


Abmoderationsvoschlag:

„Rebellisches Barcelona“ ist mit einem Vorwort von Manuel Delgado in Deutscher Erstausgabe bei der Edition Nautilus erschienen. Herausgegeben wurde das Buch von einem Kollektiv von Autoren, die alle in Barcelona leben. Aus dem Spanischen übersetzt wurde das Buch von Horst Rosenberger. Als Großformatiger Paperback sind 288 Seiten, mit vielen 100 S-W-Fotos für € 19,90 zu haben.



Kommentare
07.02.2008 / 18:08 heike, Radio Z, Nürnberg
gesendet
in zip-fm am 7.2.08