Energiegewinnung aus dem Meer

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Welche Formen der Energiegewinnung aus dem Meer kennen wir derzeit? Wir erläutern einige viel versprechende Möglichkeiten.
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Upload vom 28.03.2008 / 08:39

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Alexander v. Dercks (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 27.03.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Neue Techniken zur Energiegewinnung aus dem Meer

Fossile Energie ist teuer und sorgt für Treibhausgase. Sonne, Wind und Biomasse sind wichtige Alternativen, wenngleich sie nur in gewissem Umfang die fossilen Energieträger ersetzen können. Neuerdings richtet sich das Augenmerk auf ein anderes, nahezu unerschöpfliches Energiereservoir: Die Meere. Von großer Bedeutung ist, dass zahlreiche Länder Zugang zur offenen See haben, das Meer durch Gezeiten, Strömungen und Wind ständig in Bewegung und häufig recht warm ist und außerdem über einen mehr oder minder hohen Salzgehalt verfügt. Jede dieser Eigenschaften lässt sich ausnutzen: In Gezeiten- und Wellenkraftwerken sowie in Strömungs-, Meereswärme- und neuartigen Osmosekraftwerken.

Ein idealer Standort ist zum Beispiel die ostkanadische Fundy-Bucht: Hier findet man die größten Unterschiede zwischen den Wasserständen bei Ebbe und Flut auf der ganzen Welt: Bis zu 21 Meter hebt und senkt sich der Wasserspiegel. Bei einigen Zuflüssen dreht sich bei Hochwasser die Fließrichtung weit ins Land hinein. Die Menschen haben sich die Energie, die in der Wasserbewegung steckt, zunutze gemacht: Bei Annapolis Royal erzeugt ein Gezeitenkraftwerk 18 Megawatt Leistung.

Schon George Darwin, ein Sohn des Begründers der Evolutionslehre, schlug vor, in Flüssen, die durch Ebbe und Flut an der Mündung ihre Fließrichtung zwei Mal täglich wechseln, Mühlräder anzubringen, um die Kräfte zu nutzen. Allerdings musste er eingestehen, dass derartige Gezeitenkraftwerke zu teuer seien. Eine andere Idee, die er für wirtschaftlicher hielt, war, an offenen Küsten bei Flut Wasser in Becken zu sammeln und sie bei Ebbe über "Mühlräder oder Turbinen" wieder abzulassen und dabei Energie zu gewinnen.

Heute existiert neben der Fundy-Bucht auch ein Gezeitenkraftwerk an der Atlantikküste in der Mündung der Rance bei Saint-Malo in Frankreich. Ein größeres Gezeitenkraftwerk in der Fundy-Bucht wurde wegen der hohen Investitionskosten und wegen ökologischer Bedenken bisher nicht realisiert. Seit 2006 produziert ein kleines Gezeitenkraftwerk im East River in New York Strom für einen Supermarkt. Weitere kleine Anlagen gibt es in Russland bei Murmansk und in China. Das größte chinesische Gezeitenkraftwerk befindet sich in der Provinz Zhejiang, und das weltweit größte wird südlich von Seoul in Südkorea gebaut.

Wer die TV-Werbung der Firma E.on sieht, könnte meinen, die massenhafte Nutzung der Gezeitenkraft stehe unmittelbar bevor. In einem Trickfilm stellt das Unternehmen Unterwasserturbinen vor, die am Meeresgrund stehen und wie "Windräder unter Wasser" arbeiten. Tatsächlich plant E.on vor der Westküste Großbritanniens ein Unterwasser-Gezeitenkraftwerk mit einer Leistung von acht Megawatt - damit könnte man rund 5000 Haushalte mit Strom versorgen. Der Standort vor Wales für das rund 18 Millionen Euro teure Projekt sei gefunden. In drei Jahren könne die Anlage Strom ins Netz einspeisen - so hofft der Konzern. Sie soll aus vier bis acht Turbinen bestehen, von denen jede etwa 25 Meter hoch ist und rund 3000 Tonnen wiegt. Über eine Unterwasserleitung wird der Strom dann an Land transportiert.

Bereits vor fünf Jahren entstand zwei Kilometer vor der britischen Atlantikküste in North-Devon in einer Meeresenge im Rahmen des Projekts Seaflow I eine kleinere Turbine mit 300 Kilowatt Leistung. Auch hier trieb die Gezeitenströmung die Rotorblätter an. Der zweiflügelige Rotor hatte elf Meter Durchmesser und drehte sich 15 Mal in der Minute. Seine Blätter waren um 180 Grad verstellbar, damit sie die Strömung sowohl bei Ebbe als auch bei Flut optimal ausnutzen konnten. Der Standort war mit Bedacht gewählt: Hier erreicht die Tidenströmung in etwa 20 Meter Wassertiefe eine Geschwindigkeit von zwei bis drei Metern pro Sekunde. Es war die erste Anlage dieser Art auf der Welt und an ihrer Entwicklung war das Institut für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) an der Universität Kassel beteiligt.

Die Techniker konnten viel aus der Windkrafttechnologie für die Meeresturbinen lernen. Wasser ist jedoch viel dichter als Luft, ein vergleichbarer Rotor erzeugt deshalb unter Wasser mehr Energie. Das heißt: Um ein Megawatt elektrische Leistung zu erzeugen, muss der Rotor einer Windkraftanlage einen Durchmesser von 55 Metern haben, unter Wasser genügen dafür 20 Meter. Gezeitenenergie ist unerschöpflich: Solange sich die Erde dreht und der Mond sie umkreist, ist diese Energie sicher.

Wenn solche Unterwasserwindräder in größerer Zahl errichtet würden, dürfte die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom mithilfe der Seaflow-Technik etwa fünf bis zehn Euro-Cent kosten. Das ist zwar nicht unschlagbar billig, aber auch nicht so teuer, dass die Weiterentwicklung der Technik aussichtslos wäre. Das Anschlussprojekt namens Seagen, das einen Doppelrotor erprobt, läuft derzeit.

Auch an der National University of Mexico wird eifrig an der Nutzung der Meeresenergie gearbeitet. Im Golf von Kalifornien wollen die Forscher Darwins Idee von den Wasserbecken realisieren, die bei Flut gefüllt und später abgelassen werden.

Energie aus den Meereswellen hingegen zieht ein Kraftwerk, dessen Prototyp im Herbst 2006 in der Galway-Bucht an der Westküste Irlands zu Wasser gelassen wurde. Die Anlage nutzt die ständige Auf- und Abbewegung der Wellen. Zentrale Einheit ist eine am Meeresgrund verankerte Boje. Eine Luftkammer oben ist jedoch über einen beweglichen Zylinder damit verbunden. Die Luftkammer dümpelt aufgrund ihres Auftriebs oben und bewegt sich mit den Wellen auf und nieder. Die zyklisch komprimierte Luft treibt eine Strom produzierende Turbine an.

Der Prototyp musste seine erste Bewährungsprobe genau in den zehn Wochen bestehen, als die schlimmsten Stürme seit Menschengedenken an der Westküste tobten. Die gelb-schwarze Boje hielt sich jedoch tapfer. In einem nächsten Schritt wollen die Iren nach diesem Prinzip ein Wellenkraftwerk mit zwei Megawatt Leistung erproben.

Auch vor der Küste von Wales wird derzeit ein Wellenkraftwerk geplant, der Wave Dragon. Sein Grundprinzip ist einfach: Wellen schwappen in der Anlage auf eine Rampe hoch, das Wasser gewinnt dabei Höhenenergie und fließt in ein Bassin. Von dort aus läuft es nach unten wieder ab und treibt dabei eine Turbine an. Wave Dragon wird von der EU gefördert, soll im Endausbau vier bis sieben Megawatt Strom erzeugen und damit knapp 3000 Haushalte versorgen.

Die Pilotanlage des Kraftwerks Limpet auf der schottischen Insel Islay arbeitet nach dem Prinzip der oszillierenden Wassersäule. In einer durch einen Schacht mit dem Meer verbundenen Kammer steht unten das Wasser, darüber steht Luft. Rauscht draußen eine Woge auf, steigt auch innen der Wasserspiegel und komprimiert dort die Luft. Durch eine Röhre entweicht sie und treibt dabei eine Turbine an - ebenso beim Zurückströmen.

An der Wasseroberfläche treiben die nach Seeschlangen benannten Pelamis-Wellenkraftwerke. Sie bestehen aus stählernen Röhren, die gelenkartig verbunden sind und sich horizontal und vertikal gegeneinander bewegen können. Wesentliche Bestandteile sind zudem hydraulische Arme in den Gelenken. Jede durchrollende Welle verdreht die Röhren gegeneinander und führt dazu, dass am hydraulischen Arm eine Flüssigkeit in einen Zylinder gepresst und damit eine Turbine angetrieben wird. Die Anlagen sind so konstruiert, dass sie unter potenziell zerstörerischen Wellen hindurchtauchen können. Vor der schottischen Küste liegt ein Prototyp mit 750 Kilowatt Leistung, bei Porto in Portugal warten drei Anlagen mit insgesamt 2,2 Megawatt Leistung auf ihre Installation.

Relativ neu ist das Konzept der Osmosekraftwerke. Sie nutzen den Unterschied in der Salzkonzentration bei Meer- und Süßwasser aus. Die Idee dahinter: Trennt man zwei mit Süß- beziehungsweise Salzwasser gefüllte Bassins durch eine Membran, die für Wasser durchlässig ist, Salz aber zurückhält, dann strömt - in dem Bestreben, den Konzentrationsunterschied auszugleichen - mehr Wasser in das Salzwasserbecken als umgekehrt. Dieser Prozess wird Osmose genannt. Durch den Zufluss steigt der Druck im Meerwasserbecken. Das nutzt man: Austretendes, unter Druck stehendes Mischwasser treibt eine Strom erzeugende Turbine an.

Ein derartiges Kraftwerk ähnelt einer rückwärts laufenden Meerwasserentsalzungsanlage. Im Herbst 2007 verkündete der norwegische Energiekonzern Statkraft den weltweit ersten Bau eines solchen Kraftwerks im Oslofjord. Die kommenden Jahre werden spannend, was die Nutzung von Meeresenergie betrifft. Und für eine effiziente Nutzung hilft jeder Euro und Cent, um den sich fossile Energieträger verteuern. Wenn wir uns also beim nächsten Mal an der Tankstelle über gestiegene Spritpreise ärgern, dann sollten wir diesen positiven Aspekt als Trost vor Augen haben.


Kommentare
01.04.2008 / 02:15 AL, coloRadio, Dresden
wird gesendet
am 3. April in Umweltthemen