Rekultivierung von Kohleabbaugebieten - eine Erfolgsstory

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Wir betrachten die Erfolge, die im Sinne des Naturschutzes in ehemaligen und aktiven Kohleabbaugebieten mit Rekultivierung erzielt werden.
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Upload vom 24.05.2008 / 09:50

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Gabriel Fischer (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 23.05.2008
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Rekultivierung von Bergbaufolgelandschaften in Ostdeutschland
Deutschland ist ein rohstoffarmes Land mit einer einzigen Ressource: Kohle. Seit Beginn der Förderung vor über 150 Jahren hat der Braunkohlebergbau ungefähr 175.000 Hektar Fläche in Anspruch genommen, was der doppelten Größe der Hansestadt Hamburg entspricht. Schwerpunkte des Abbaus sind das Rheinland, Mitteldeutschland und die Lausitz. Wald, Wiese, Moor, landwirtschaftliche Flächen, aber auch ganze Dörfern mussten den gigantischen Gruben weichen. Zurück bleiben Mondlandschaft aus sandiger, brauner Erde. Der Boden ist meist nährstoffarm, versetzt mit Chemikalien und Abfällen. Der Grundwasserspiegel ist tief gefallen und Flora und Fauna haben sich bis auf einige extrem genügsame Exemplare verabschiedet.
So ähnlich sah die Landschaft in der Lausitz, in Westsachsen und in Thüringen zu Zeiten des Braunkohleabbaus aus. Heute allerdings sind diese Gebiete Teil eines Feldversuchs zur Rekultivierung.
Bereits zu Zeiten vor der Wende sah man die Notwendigkeit, hier neuen Lebensraum zu schaffen. Gleichwohl, die finanziellen Möglichkeiten waren begrenzt. Die Wende brachte hier im wörtlichen Sinn die Wende und man erreichte im Mitteldeutschen Revier eine Rekultivierungsquote von nahezu 75%. Über 36.000 Hektar Bergbau-Brache wurden behutsam mit Leben angefüllt. In der Lausitz liegt diese Quote bei 60%, im westdeutschen Rheinland bei 70%. Begünstigt wird die positive Entwicklung durch die Tatsache, dass in der ehemaligen DDR satt ursprünglich 350 Millionen Tonnen im Jahr durch Stilllegung von Betrieben und Tageabbau heute nur noch 60 Millionen Tonnen Kohle gefördert werden. Dieser Umstand macht es möglich, dass momentan nahezu doppelt so viel Land rekultiviert werden kann, wie vom Bergbau neu beansprucht wird. Aus den alten Flächen werden Feuchtbiotope, Trockenrasenflächen, Landwirtschaftsflächen undr Seen, aber auch Industrieareale und Siedlungen. Vor allem aber wird aufgeforstet: Bis Ende 2007 waren es etwa 10.000 Hektar Wald. Der so wichtige Laubholzanteil liegt bei 70 Prozent. Die Zahl von 100 Millionen gesetzten Bäumchen ist gewaltig.
Hauptakteure bei der Bewältigung dieses Strukturwandels und der Beseitigung der Altlasten sind einerseits die privaten Bergbauunternehmen wie MIBRAG in Sachsen und Vattenfall Mining in der Lausitz, vor allem aber auch ein Unternehmen des Bundes, nämlich die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV). In deren Aufgabenbereich fallen die Stilllegung unwirtschaftlicher Betriebe der Braunkohleindustrie, die Wiedernutzbarmachung der bergbaulich beanspruchten Flächen, die Rückführung des Grundwasserspiegels auf das normale Niveau, die Beseitigung von Altlasten, sowie die Neuansiedlung von Wirtschaftsbetrieben. Gigantische Massen von Erdreich werden mit schwerem Gerät verdichtet, damit es zu keinen Einbrüchen oder Rutschungen auf dem ehemals unterhöhlten und oft abschüssigen Gelände mehr kommen kann. Die Gruben werden mit Wasser aufgefüllt und Altlasten saniert, insbesondere dekontaminiert. Die Hälfte aller geplanten Maßnahmen ist bereits umgesetzt - ein bemerkenswerter Erfolg.

Alle Sanierungsmaßnahmen werden vom Naturschutz begleitet. So arbeitet man in der Lausitz eng mit der Naturförderungsgesellschaft Ökologische Station Borna–Birkenhain zusammen. Diese hat zum Beispiel die Trägerschaft für Planung und Umsetzung eines Lehrpfades für Natur- und Artenschutz erhalten, womit sie den Besuchern interessante Biotopstrukturen veranschaulichen und dadurch die durch natürliche Sukzession entstandene Artenvielfalt vermitteln kann. Über das ganze Jahr hinweg werden zahlreiche Veranstaltungen angeboten, ein Besuch in der Ökostation nahe Leipzig lohnt also in jedem Fall.

Heute versuchen die Unternehmen der Region Westsachsens übrigens im Gegensatz zu früher bereits während des Abbaus der Braunkohle innerhalb der großräumigen, aktiven Betriebsgelände Teilflächen zu rekultivieren. So werden vielfältige Klein- und Kleinstbiotope und somit Standorte mit Habitatqualitäten für bestandsbedrohter Arten geschaffen. Diese gebiete sind einerseits zwar in ihrer Existenz durch die Abbautätigkeit zeitlich befristet, andererseits aber bis zur Inanspruchnahme sogar als Reproduktions- und Rasthabitate nutzbar. Über diese Refugien auf Zeit können zudem die erste Leitbilder für die neuen Landschaften nach der Kohle entwickelt werden. Bis dahin wird eine Art gleitender Naturschutz von den Partnern im Betriebsgelände betrieben. All dies geschieht unter der fachlichen Aufsicht des Bund Naturschutz (NABU). So haben die Bergbauunternehmen offensichtlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und tragen in Zusammenarbeit mit den Naturschützern zur Artenvielfalt von morgen bei.

Da die Betriebsgelände nicht frei zugänglich sind, spielt der „Störfaktor Mensch“ in dem neuen Konzept eine geringe Rolle. Positiv wirkt sich das unter anderem auf die scheue Vogelwelt aus. Im Winter, Frühjahr und Herbst rasten zahlreiche Wat- und Wasservögel in den überfluteten Flächen, darunter der Große Brachvogel sowie die nordische Saat- und Blessgans. Man findet seit einigen Jahren auch seltene Gänsearten, wie die Zwerg- und die Rothalsgans. Über 80 Arten konnten in den letzten Jahren bestätigt werden. Es erwies sich als eine sinnvolle Idee, Teilflächen im aktiven Betriebsgelände bewusst für den Artenschutz als Refugien auf Zeit weiterzuentwickeln - auch wenn von vornherein klar ist, dass diese Flächen im Zuge der bergbaulichen Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt überformt werden müssen. Gemeinsames Ziel von Naturschützern und Bergbauunternehmen ist langfristig, den Arten auch nach dem Kohleabbau in neu zu schaffenden Landschaften geeignete Lebensräume zu bieten.

Der forstlichen Rekultivierung kommt eine Schlüsselstellung für die nachbergbauliche Landschaftsentwicklung zu. Vor allem durch ihre ökologische Ausgleichsfunktion leisten die Kippenwälder einen wesentlichen Beitrag zur Revitalisierung gestörter Natur- und Kulturräume. Im landwirtschaftlich geprägten Mitteldeutschen Revier soll der Wald nach Beendigung der Rekultivierungsmaßnahmen einen Anteil von etwa 40 Prozent an der bearbeiteten Fläche einnehmen. Er übertrifft damit das Niveau vor dem Braunkohleabbau; in der dünner besiedelten Lausitz werden es 30.000 Hektar sein. Ökologisch stabile Wälder sind das Ziel der Rekultivierung. Dazu ist es unerlässlich, auf standortgerechte Baumarten zurückzugreifen. Dies ist in der Lausitz aufgrund der nährstoffarmen und sandigen Böden die Waldkiefer als die wichtigste Einzelbaumart neben der Stiel- und Traubeneiche. Im Mitteldeutschen Revier sind es meist reine Laubwälder.

Ein weiteres Beispiel für die erfolgreichen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Rekultivierung gibt es aus der Niederlausitz. In den Tagebauen zwischen Finsterwalde, Lachhammer und Senftenberg entsteht seit einigen Jahren das gut 2000 Hektar große Naturparadies Grünhaus. Ehemals von weiten Wäldern gesäumt, ließ der Braunkohleabbau 1991 eine wüste Mondlandschaft zurück. „Gott schuf die Lausitz und der Teufel vergrub die Kohle darunter“ heißt ein Sprichwort, das Naturfreunde in seiner Bedeutung hier nur zu gut erfahren konnten. Doch recht bald erkannten die lokalen Akteure die Entwicklungsmöglichkeiten, die sich für die Wiederbesiedlung auch durch seltene und bedrohte Tier- und Pflanzenarten boten. Die NABU-Stiftung erwarb das Areal des heutigen Naturparadieses und versuchte konsequent die Ergebnisse eigener Studien über die ursprüngliche Artenvielfalt umzusetzen. Über 1.300 Arten von Tieren und Pflanzen gilt es seitdem auf die natürlichste Art und Weise in ihre alte Heimat „zurückzuführen“: Sie sollen nämlich von selber kommen. Das Konzept des Niederlausitzer Öko-Refugiums ist es, der Natur lediglich die Rahmenbedingungen für eine reibungslose Rückkehr zu geben. Dazu wurden zunächst erneut gewaltige Erdmassen bewegt - heraus kam eine neue „Mondlandschaft mit Wasser“, nicht weniger lebensfeindlich für Flora und Fauna als die alten Gruben. Die Seen sind meist übersäuert und die sandigen Böden ohne Nährstoffe. Es fehlt an einer Humusgrundlage. Jedoch gelingt es einigen spezialisierten Arten, an Land Fuß zu fassen. Vögel, Heuschrecken und viele kleinere Lebewesen, die offene, karge Sandflächen schätzen, siedeln sich schnell an. Die seichten Grubengewässer erwärmen sich im Frühjahr rasch und bieten Fröschen und Kröten einen idealen Laichplatz. Libellen, Ringelnattern und Singvögel folgen, sobald sich schützendes Schilf gebildet hat. Für viele Tierarten stellen die Steilhänge der Gruben einen idealen Brut- oder Nistplatz dar. Auf den wenigen fruchtbareren Flächen machen sich im Handumdrehen Pioniere wie Berg-Sandknöpfchen, Kartäuser-Nelke, Natternkopf und Sandstrohblume breit. Diese Blütenpflanzen ziehen Insekten und Schmetterlinge an. Vor allem aber ist das Naturparadies mittlerweile Heimat seltener Vogelarten, darunter die Feldlerche, der Raubwürger und der Wiedehopf. Im Herbst kann man den Zug der Kraniche und der Wildgänse beobachten, die saisonweise zusammen mit Rohrweihen und Drosselrohrsängern an und von den Seen leben. Auch der majestätische Seeadler und der geschickte Baumfalke sind mittlerweile zu festen Bewohnern des Gebietes geworden. Im Naturparadies Grünhaus als Bestandteil des Naturparks Niederlausitzer Heidelandschaft kann man auf eindrucksvolle Art und Weise beobachten, wie die Natur sich Stück für Stück lebensfeindlichen Raum zurückerobert.
Insgesamt ist die Rekultivierung der Kohleabbaugebiete eine Erfolgsstory für die Kooperation privater Unternehmen, Staat und Naturschutz. Sowohl das Modell „Aufforstung“ als auch der Weg, die Natur sich selbst zu überlassen führen zum Ziel - wenn die Wahl standortgerecht getroffen wird. 90.000 Hektar rekultivierte Flächen mit einer Vielzahl von kleinen und Kleinstbiotopen, die einer Unmenge von Arten aus der Tier- und Pflanzenwelt Heimat geworden sind, sprechen eine deutliche Sprache.