Terzani vs. Fallaci

ID 2321
 
Der Blick auf die Bestsellerlisten in der Sachbuch-Sparte kann manchmal Erschrecken hervorrufen: jüngst, im Falle von Oriana Fallacis neuestem Buch, war dies wohl für viele der Fall. Ihr Gegenspieler in der öffentlichen Debatte und mit eigenem Buch zum 11. September: Tiziano Terzani mit "Briefe gegen den Krieg" - eine Rezension.
Audio
05:59 min, 4205 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.11.2002 / 12:01

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Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Radio Palmares - Magazin
Entstehung

AutorInnen: Markus Kilp
Kontakt: tomschrott(at)yahoo.com
Radio: PalmaresPB, Paderborn im www
Produktionsdatum: 07.11.2002
keine Linzenz
Skript
ANMOVORSCHLAG: Seit dem 11. September überschlagen sich weltpolitisch die Ereignisse, zumindest was die militärischen Aktionen der USA und ihrer Verbündeten angeht. Gleichzeitig erschienen in diesem Herbst auch zahlreiche Bücher, die sich diesem Thema widmen: Einige davon sehr emotional geschrieben: geprägt von Rachegelüsten, wie im Falle von Oriana Fallcis Buch : „Die Wut und der Stolz“, andere eher um Verständnis bemüht – wie Tiziano Terzani in Briefe gegen den Krieg. Beide ausgestattet mit hohen Auflagenzahlen. Radio Palmares hat versucht die Debatte um und in den beiden Büchern nachzuvollziehen.


TEXT: Auf der Frankfurter Buchmesse wurde so manches angeschwemmt – unter anderem eine ganze Bücherflut, von Autoren, die versuchen dem Leser die Geschehnisse um den 11. September zu erklären. „Das Buch danach“ ist aber oft enttäuschend, nicht selten schon vor den Terroranschlägen verfasst und zur besseren Vermarktung mit dem Label 11.09. versehen:

Zwei Bücher italienischer Autoren, die sich mit weniger Distanz dem Thema widmen, sind Oriana Fallacis „Die Wut und der Stolz“ und Tiziano Terzanis „Briefe gegen den Krieg“.

In Italien ging diesen beiden Neuerscheinungen eine öffentliche Debatte voraus. Zwei im Exil Lebende lieferten sich in einer der größten italienischen Zeitungen, der „Corriere della Sierra“ ein Schreibduell. Auf der einen Seite, die Provokateurin Orianna Fallaci – in den USA lebende Schriftstellerin, mit gröberen Ausfällen: Sie verflucht in ihrem Buch mit unsäglicher Kurzsichtigkeit die ganze islamische Welt „Die Muslime so, Fallaci „vermehren sich wie Ratten“, jeder Araber sei ein "Kamelficker", der seine Zeit damit verbringt, "mit dem Hintern in der Luft fünfmal am Tag zu beten".
Trotz - oder gerade wegen - solcher Menschenfeindlichkeiten, bringt Sie ihr Pamphlet auf die Bestsellerlisten, auch in Deutschland. Seit zehn Jahren hatte die Fallaci nicht mehr geschrieben – als Sie nach dem 11. September Bilder von jubelnden Palästinensern im Fernsehen sah beendete Sie diese Abstinenz – leider, kann man da nur sagen. Denn das Buch ist nicht nur dumm, sondern auch langweilig.
Ihr Gegenpart : Tiziano Terzani – ehemaliger Korrespondent des Spiegel, als Kenner Asiens und des Islam als Mahner für eine gerechtere Welt auftretend, auch er steigt hinab aus seinem selbst gewählten Exil im Himalaja .
In seinem Buch „Briefe gegen den Krieg“ berichtet er unter anderem aus Peschawar, Quetta, Kabul und Delhi – nimmt also vermeintlich, die Seite des Ostens ein.
Das positivste an dem Buch sei zuerst genannt: Es sind die Abschnitte, in denen Terzani als Korrespondent auftritt. In der Bücherflut, die uns diverse Erklärungsansätze über Al Quaida, Islamismus und Islam, Kriegspolitik der USA, und vieles mehr liefert, gehen die Realitäten des Krieges, wie er in Afghanistan stattfand und stattfindet, zumeist verloren. Terzani aber spürt sie auf und führt uns die grausamen Folgen vor Augen. Als nach drei Monaten Krieg, die westlichen Medien nur noch über die eigenen Soldaten berichteten, die in Kabul stationiert waren, sammelt er die Stimmen in der Bevölkerung:
Zitat S. 124
Jedoch: Das Gegenteil von „gut“ ist in diesem Falle „gut gemeint“. So ist Terzani Blickwinkel alles andere als Hellsichtig. Die Vereinfachung funktioniert bei ihm lediglich umgekehrt: „Orient gut, Okzident schlecht“. Die Schuldigen am 11. September macht er allein im Westen aus. Der Blick nach Osten ist gleichzeitig verstellt vom eigenen Paternalismus.

Mit beseelter Kurzsichtigkeit, versucht er das Taliban –Regime nicht nur zu erklären, sondern versteigt sich sogar in eine Rechtfertigung desselben. Die standrechtlichen Erschießungen von Frauen unter den Taliban kommentiert er unbekümmert:

„Dies waren sicherlich keine erbaulichen Szenen, doch wir müssen sie vor dem Hintergrund sehen, vor dem sie stattgefunden haben: einer Gesellschaft, die durch Jahre des Bürgerkrieges vollkommen zerrüttet war und die nur durch die harten Gesetze der Scharia, des koranischen Rechts, wieder ein Gefühl der Sicherheit zu entwickeln vermochte. Die Einwohner von Kabul, mit denen ich spreche, erzählen immer wieder, dass sie nach der Machtübernahme durch die Taliban keine Diebstähle mehr befürchten mussten. Auch konnten die Frauen wieder von einem Ende des Landes zum anderen reisen, ohne Übergriffe befürchten zu müssen.“

Was bleibt ist der eigentliche Ausgangspunkt Terzanis, den es weiter zu Verfolgen gilt: eine fundierte Kritik der Gewalt – Innehalten, Gegenpositionen zu den Kriegstreiben einzunehmen, die eigene Rolle zu reflektieren und die Gewaltspirale zum Halten zu bringen. In seinen Forderungen und Anklagen wiederholt Terzani aber das Altbekannte: Weitergehende Analyse, Lösungsansätze und fundiertes Wissen hierzu sucht man in „Briefe gegen den Krieg“ über weite Strecken vergeblich – bei Oriana Fallaci hatte man dies gar nicht erwartet.