Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "National absurd"

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[4.Kalenderwoche]
Ich bin nicht im Bild über die Entwicklung der Debatte über die Nationalstaaten...
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Upload vom 20.01.2009 / 09:59

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen:
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 20.01.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
[4.Kalenderwoche]
Ich bin nicht im Bild über die Entwicklung der Debatte über die Nationalstaaten. Ich weiß nur, dass gerade die Europäische Union parallel zum Ausbau der zentralen Zuständigkeiten mit einer Bürokratie, die bald schon an die österreichischen Kaiserzeiten erinnert, unter der Stärkung des Nationalbewusstseins leidet. Eine gewisse Logik ist dabei nicht zu bestreiten, indem eben die Zentrale in Brüssel derart weit entfernt ist von der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten wie vielleicht ein mittleres Planetensystem in der Milchstraße, sodass die nationalen Tendenzen als sozusagen gesunde Gegenbewegung gegen den Zentralismus erscheinen. Anderseits bin ich aber zu tausend Promille davon überzeugt, dass diese Kluft zwischen Europazentrale und europäischer Bevölkerung in erster Linie eine Ursache hat, nämlich die nationalen Politikerkasten, welche genau in dieser Spannung ein Herrenleben führen, indem sie neben ihren nationalstaatlichen Zuständigkeiten auch weitgehend unkontrollierte Posten und Privilegien zu vergeben haben und sich dafür mit jeder Garantie auch teuer bezahlen lassen. Insofern wäre die Schaffung einer aggressiven pan- und proeuropäischen politischen Bewegung mal ein echter Fortschritt, aber dies ist bloß ein strikt neutraler Ratschlag: Zertrümmert die demokratischen Allüren eurer nationalen Parlamente und richtet direkte demokratische Prozesse ein, welche den ganzen Raum Europa beschlagen, in erster Linie natürlich mit dem entsprechenden Gesetzesmantel. Aber man hat natürlich auch die Alternative, sich im nationalstaatlichen Schlamm zu wälzen und laut oder leise gegen Brüssel zu wettern, als ob der Nationalstaat mehr wäre als eine Fiktion, als ob die Wirtschaft und die sozialen Beziehungen nach wie vor im Rahmen der einzelnen Länder vonstatten gingen – dieser ganze nationale und nationalistische Klumpatsch hat sich ja wieder derart breit und selbstverständlich eingerichtet, dass mich die Bildung von Nationalgarden und ein paar kleine Kriege zwischen Deutschland und Frankreich oder England durchaus nicht überraschen würden. Dies wäre eine Bestätigung von Murphy’s Gesetz, wonach alles schief geht, was schief gehen kann. Allerdings bin ich kein Anhänger des Gesetzes von Murphy, das übrigens nicht von Murphy selber, sondern von einem Mann gleichen Namens formuliert wurde, wie es offenbar im Rahmen der Murphyschen Gesetzessammlung selber heißt. Nein, dies stimmt natürlich nicht, sonst wären wir in der Gesamtentwicklung ja auf der anderen Seite der Entwicklungslinie, sozusagen im negativen Bereich, wir wären mehr oder weniger die Antimaterie. Dies kann nun zwar durchaus der Fall sein, denn dann wäre ja für uns die Materie die Antimaterie, aber jedenfalls gilt Murphys Gesetz nicht, da es sich ja nur auf den Raum innerhalb der jeweiligen Entwicklung beziehen kann, egal ob Anti- oder Materie. An seiner Stelle gefällt mir das Konzept des Absurden bedeutend besser. Das Konzept des Absurden lässt nämlich dem Konzept des Normalen oder des Ökonomischen im Sinne von vernünftig Sparsamen durchaus den ihm zustehenden Raum, ergänzt es aber durch einen Bereich, in dem wider sämtliches besseres Wissen einerseits, vor allem aber wider sämtliche Logik anderseits gründlich gegen die Vernunft und die Ökonomie und natürlich auch gegen die Vernunft und Ökonomie der Libido und der Emotion verstoßen wird, zum Beispiel eben im Rahmen des Nationalismus bzw. des Nationalstaates.

Ich muss schon sagen, dass so eine tüchtige Weltwirtschaftskrise das Idiotenkonzept des Nationalstaates mächtig befeuert, was eben ganz besonders absurd ist, weil es sich, wie jedermann und jede Frau ganz klar und offen sieht, um eine Weltwirtschaftskrise handelt, um die Krise eines Systems, in dem sämtliche Länder, Regionen, soziale und wirtschaftlichen Bereiche untrennbar miteinander verflochten sind. Dass man sich einer solchen Krise mit jenen Instrumenten nähert, die einem halt zur Verfügung stehen, entbehrt nicht jeglicher Logik, und dass es sich dann halt um die Mittel des Nationalstaates handelt, weil dieser halt eben immer noch das organisatorische Leitprinzip der angeblich modernen Staaten bildet, hat demzufolge seine Notwendigkeit. Das sollte einen nicht daran hindern, neben dieser Notwendigkeit gleichzeitig die andere übergeordnete Notwendigkeit zu erkennen, dieses prämoderne Staatensystem möglichst bald auf eine höhere Stufe hochzufahren, ich meine, wenn man doch diese EU nun doch schon mal sowieso zur Verfügung hat. Warum verweigert Ihr das eigentlich so hartnäckig, liebe Europäerinnen und Europäer? – Stattdessen subventionieren die einzelnen Staaten ihre jeweiligen Leitindustrien, um möglichst besser abzuschneiden als die europäischen Erzfeinde, womit sich die Strukturerhaltung eben aufs Absurdeste bzw. schönstens entfaltet. Gleichzeitig machen die ideologischen Nationalisten und Halbrassisten einen Anspruch sozusagen auf Gleichbehandlung im gesellschaftlichen Leben geltend; hier scheint die Postmoderne wirklich mit voller Wucht ausgebrochen zu sein, sodass man getrost davon ausgehen kann, dass sie jetzt endlich vorbei ist. In der Zwischenzeit erfreuen wir uns noch an besonders ausgefeilten Schmankerl wie z.B. an der Sportberichterstattung im österreichischen Fernsehen, wo der nationale Wahn spätestens seit der Winterolympiade in Turin sämtlichen Anschein von Restrationalität fallen gelassen hat und nur noch in seiner schönen Nacktheit herumwabert. In der Schweiz bildet gegenwärtig die Volksabstimmung über die Ausdehnung der Vereinbarungen mit der EU über die Personenfreizügigkeit auf die beiden neuen Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien den Anlass zur Freisetzung des gesamten fremdenfeindlichen Arsenals. Die geiferspeichelnden Gegner des entsprechenden Gesetzespakets sind wahrscheinlich nicht mal alle wirklich dagegen, sondern spekulieren darauf, ihr politisches Gewicht durch die Kanalisierung dumpfer und düsterer Volksgefühlsschleimmassen in ihre Taschen zu vermehren. Das ist halt auch eine Form des demokratischen Allotrias, wie es für die direkte Demokratie recht typbildend ist. Daneben muss man die Sache ja auch insofern Ernst nehmen, als die Fähigkeit eines einigermaßen definierten Gesellschaftsraums – jawohl, natürlich: eines Nationalstaates, versteht sich – zur Absorption der Zuwanderung nicht unbegrenzt ist, völlig unabhängig vom idiotischen und nationalistischen Geseiere dieser Faulschlämmler. Ich kann keine genauen Angaben machen darüber, wie viel eine Gesellschaft innerhalb welcher Zeiträume erträgt. Für die Schweiz schätze ich die Zuwanderung in den letzten 40 Jahren auf etwa einen Drittel, wobei noch rund 20% als ausländische Wohnbevölkerung ausgewiesen wird. Unter den Bedingungen absoluten Reichtums, wie sie in der Schweiz in diesem Zeitraum gegeben waren, führte dies zu periodischem fremdenfeindlichem Aufstoßen, wie eben jetzt gerade rund um die Abstimmung anfangs Februar; aber insgesamt ging die Integration all der Damen und Herren doch weitgehend problemlos vonstatten, und ich spreche hier nicht von den Steuerflüchtlingen und Millionären wie Michael Schumacher oder Inger Kamprad oder Otto Beisheim. Zwei Einschränkungen muss ich machen: Es ist schon aufreizend genug, wenn in der Straßenbahn oder sonst wo im öffentlichen Raum mit großer Insistenz dumm, saudumm und oberdoof geschwätzt wird; wenn aber besagte Person noch ein affektiertes Hochdeutsch spricht, z.B. eine Flugbegleiterin, welche ihrem Schauspielschüler-Freund sämtliche Zwischenstopps aller Dienst- und Lustreisen mit den weltbewegenden Problemen vom Umbuchen bei Standby-Flügen in Flugbegleiterinnen-Obertönen darlegt – dann ballt sich in der Straßenbahn, mindestens aber in mir eine geiferspeichelnde, dumpfe und düstere Ausländerinnenfeindlichkeit zusammen, die nicht abflaut, bevor die betreffende Person nicht die Notrutsche aus der Straßenbahn genommen hat. Wir beginnen dann untereinander jeweils immer lauter Russisch zu sprechen, um das Gequake zu übertönen, aber so richtig herumgesprochen hat sich der Trick leider noch nicht. Nu schto, Gospodin, chotschisch jest Kuritzu s risam? Sawtrak igrajem v valeybol patamu schta u nas njet Gitarra, und so weiter. Dies ist die erste Gruppe; und die zweite Gruppe, die mir ordentlich auf den Keks geht, sind so ne super gescheite Einwanderer, die einerseits von der Sozialhilfe leben und anderseits flott ihren Geschäften nachgehen. Das sind jetzt nicht besonders viele, und es geht mir nicht mal so sehr drum, dass sie die Behörden bescheißen, das könnte man zur Not noch im Einzelfall begreifen; aber mich ärgert, dass sich diese Vögel so superintelligent finden, während sie gleichzeitig eine der Hauptursachen dafür sind, dass der politische Druck auf die Sozialwerke immer mal wieder hochgefahren wird und dann in der Regel eben justament die falschen trifft, nämlich jene, dies wirklich brauchen. Übrigens gibt es auch für dieses Problem – also für die sogenannten Sozialschmarotzer, nicht für tief fliegende Hostessen – ganz genau eine Lösung, nämlich ein Grundeinkommen. Da muss sich niemand mehr intelligent fühlen und auch niemand mehr aufregen.

Immerhin ist es am Fall der Schweiz, die abgesehen von der Wasserkraft über kein einziges Gran eigener Rohstoffe verfügt, besonders absurd, wenn sich die Nationalisten abschotten wollen. Wenn je irgend ein Land auf Gedeih und Verderb dem internationalen Austausch ausgeliefert war, dann ist es mit Sicherheit diese Alpen-Schaukäserei. Dieses Land ist ohne die Weltwirtschaft nicht mal ein Furz im Wind. Das führt dazu, dass der Schweizer Nationalismus, der ohnehin nur strikt antifaschistisch geraten kann, als einer der Weltgipfel des Absurden gelten kann. Das ist ja wohl bei Euch noch etwas anders; zwar ist Deutschland ebenso in die Weltwirtschaft eingebettet wie jedes andere Land, aber es verfügt doch immer noch über so etwas wie eine kritische Masse, welche eine eigene Volkswirtschaft vorspiegelt, die nicht nur noch ein statistischer, sondern so gut wie ein faktischer Wert ist. Bis sich die Einsicht durchsetzt, dass der Reichtum auf der Welt nur mit der Aufhebung der Grenzen voll zur Blüte kommt, dauert es deshalb bei größeren Ländern etwas länger. Vielleicht.

Wollen mal sehen, wie das jetzt in den Vereinigten Staaten läuft. Die USA sind ja eigentlich nach unseren Maßstäben kein Land, sondern ein halber Kontinent bzw. zusammen mit Kanada ein ganzer. Dementsprechend hat der Nationalismus dort drüben noch eine etwas andere Bedeutung als hier, auch wenn sich die Mechanismen natürlich ähneln. Jedenfalls beginnt in den USA am 20. Januar 2009 ein neues Zeitalter, und dazu schließe ich mich dem praktisch einstimmigen Chor der Glückwunschdarbringer an. Ich hoffe, dass Kollege Obama weder vor noch bei noch nach seiner Amtseinsetzung erschossen wird; ich wiederhole nochmals, dass dieser neue Präsident, ganz unabhängig von den einzelnen Fehlern, die jeder zwangsläufig machen muss und insonderheit als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, ganz grundsätzlich gar keine Fehler machen kann. Das ist aus Sicht der Rechthaber und Satiriker natürlich schade, aber anderseits tut es auch uns gut, wenn wir wieder mal sehen, dass sich die Zeiten wirklich ändern. Das ist bekanntlich auch bei uns möglich.

Albert Jörimann