USAControl Ausgabe Februar Teil 1

ID 26181
 
AnhörenDownload
Teil 1: Politischer Nachruf auf einen Gouverneur - Seltsamkeiten bei der Amtsenthebung des Gouverneurs von Illinois, Rod Blagojevich.
Audio
14:18 min, 8308 kB, mp3
mp3, 79 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 05.02.2009 / 19:48

Dateizugriffe: 267

Klassifizierung

Beitragsart: Magazin
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: USAControl
Entstehung

AutorInnen: Hermann Ploppa
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 05.02.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ein politischer Nachruf auf Gouverneur Blagojevich -
oder: warum die Politiker es heutzutage nicht mehr riskieren, für die kleinen Leute einzutreten

Mitten in die allgemeine Begeisterung über die Wahl des Hoffnungsträgers Barak Obama zum neuen Präsidenten der USA fiel ein Politskandal, der in allen amerikanischen Medien zelebriert wurde. Da war der Regierungschef des US-Bundesstaates Illinois, Gouverneur Rod Blagojevich, Anfang Dezember, nur mit Trainingsanzug bekleidet, in Handschellen von Polizisten abgeführt worden. Auf Kaution durfte Blagojevich dann zu hause doch noch seinen 52. Geburtstag feiern, anstatt hinter schwedischen Gardinen zu brüten.
Was war passiert?
Das Telephon des jugendlich-dynamischen Gouverneurs wurde seit Jahren von der US-Bundespolizei FBI abgehört. Dabei hatten die abhörenden Polizisten mitbekommen, wie Blagojevich in derber Sprache immer wieder Wahlkampfspenden für sein Team verlangte, wenn öffentliche Einrichtungen um mehr Staatsgelder nachsuchten. Als Krönung des Korruptionscocktails soll der Gouverneur kürzlich den Posten des Senators für den Bundesstaat Illinois an Interessenten meistbietend zum Kauf angeboten haben. Fast hätte, so die Anklagebehörde, der frühere Präsidentschaftsanwärter Jesse Jackson den Job für eine halbe Million Dollar bekommen.
Der Senatorenposten in dem kalten Nordstaat wurde nämlich frei, weil der vorherige Senator Barak Obama jetzt zum Präsidenten der USA aufgestiegen ist. In den USA steht den Gouverneuren der Bundesstaaten das Recht zu, außerhalb der Wahlperioden freiwerdende Senatorenposten ihres Herrschaftsbereichs nach eigenem Gusto neu zu besetzen. Nebenan im Bundesstaat New York rückte die bisherige Senatorin Hilary Clinton zur neuen Außenministerin auf. Und so hatte der New Yorker Gouverneur Patterson nichts dagegen, daß die einzige Überlebende der Familie des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy, Caroline Kennedy, mal eben zur Senatorin von New York aufsteigen sollte. Solche Ämterschenkungen gemahnen an feudalistische Verhältnisse. Was liegt näher, als solche Pfründe meistbietend zu versteigern? Am besten bei E-Bay, wie manche Amerikaner lästern?
Die alten Lateiner sagten: Do ut des! Ich gebe, damit Du gibst!
Diese Praxis ist in den USA allgemein verbreitet, und es gibt sogar eigene Tätigkeitswörter dafür. "To Pork" ist so ein Verb. Gemeint ist: wenn ein Kongreßabgeordneter einem staatlichen Großauftrag an - sagen wir: einen Rüstungskonzern - im Parlament zustimmt, dann nur unter der Bedingung, daß ein kleines Stück vom Auftragsvolumen an Firmen im Wahlkreis dieses Abgeordneten vergeben wird. Wenn dann am Finanzamt vorbei noch ein kleiner Obulus für den eigenen Wahlkampf abfällt, läuft die politische Maschine noch geschmierter.
Warum also diese Aufregung über Gouverneur Blagojevich? Das fragt auch der afroamerikanische Journalist Mumia Abu Jamal. Der wartet seit über 25 Jahren trotz längst erwiesener Unschuld in einer Todeszelle auf seine Hinrichtung. Im Knast hat Jamal 5 Bücher und hunderte von Artikeln verfaßt. Und weil Jamal über die Affaire Blagojevich so treffend geschrieben hat, sei sein Kommentar hier zitiert.
Mumia Abu Jamal schreibt, nachzulesen in der jungen Welt:

"Wenn man die Medienberichte der letzten Wochen zum Maßstab macht, dann
ist der Gouverneur des US-Bundesstaates Illinois, Rod Blagojevich, der
korrupteste Bürger Chicagos seit dem berüchtigten Gangster Al Capone.
Blagojevichs Gesicht ist rund um die Uhr auf allen Nachrichtenkanälen zu
sehen, seit ihn die Horde der Schlagzeilenjäger zur bevorzugten Beute
erkoren hat. Die Journaille giert sehnsüchtig danach, ihre Berichte
durch Kraftausdrücke ausschmücken zu können. Deshalb wurde so
ausführlich und genüßlich aus den geheimen Abhörprotokollen zitiert, in
denen das FBI festgehalten hat, wie Blagojevich am Telefon
schwadronierte und fluchte wie ein Gefängniswärter. Glaubt denn wirklich
jemand, daß die Telefongespräche anderer US-Politiker sich substantiell
von denen ihres Kollegen Blagojevich unterscheiden?"

Wohlgesprochen.
Doch auch dem scharfsichtigen Mumia Abu Jamal ist eine weitere Seltsamkeit der Affaire Blagojevich nicht aufgefallen.
Denn einen Tag, bevor Blagojevich in Handschellen abgeführt und entehrt wurde, hatte er sich mit Fabrikarbeitern solidarisiert. Die Rede ist von den Arbeitern der Republic Windows and Doors. Eine Fabrik in Chicago, in der Fenster und Türen industriell angefertigt wurden. Der gesamten Belegschaft der Fabrik war am 2. Dezember letzten Jahres ohne Vorwarnung von heute auf morgen gekündigt worden. Weder wurden ausstehende Löhne ausgezahlt, noch die bezahlten Urlaubstage. Und auch nicht der Arbeitgeberanteil an Renten- und Krankenversicherung abgeführt. Das war ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht. Auch hätte die Werkleitung die Fabrikschließung zwei Monate zuvor ankündigen müssen, damit die Arbeiter sich in angemessener Zeit nach einem Ersatz-Arbeitsplatz hätten umsehen können. Das schreibt der sog. WARN-Act vor.
Anstatt sich nun in ihr Schicksal zu ergeben wie das liebe Vieh, beschlossen die aus südamerikanischen Ländern stammenden Arbeiter, um ihr Geld und ihre Rechte zu kämpfen. Ihre Gewerkschaft hatte schon Wind von der geplanten Abwicklung der Fensterfabrik bekommen. Bereits im August waren wichtige Maschinen aus den Fertigungshallen abtransportiert worden. Ein Zeichen, daß hier berufsmäßige Bakrotteure mit der Zerfledderung einer Fabrik Geld verdienen wollten. So hatten die Gewerkschaftler bereits einen Plan für den Fall der Werkschließung ausgearbeitet. Und so wurde die Fabrik in Chicago am 2. Dezember 2008 sofort von den Arbeitern besetzt. Das ist für US-amerikanische Verhältnisse so ungewöhnlich, daß die Presse bundesweit über die Ereignisse berichtete. Und auch der designierte Präsident Obama solidarisierte sich - zumindest in Worten - mit den Fabrikbesetzern.
Gouverneur Rod Blagojevich beließ es nicht bei warmen Worten. Blagojevich ist der Sohn eines serbischen Einwanderers, der als Metallarbeiter in den USA sein Geld verdiente. Blagojevich junior wurde 2003 Gouverneur von Illinois. Seitdem hat er eine Reihe von Reformen im Sozial- und Bildungssystem von Illinois durchgesetzt. Der gesetzliche Mindestlohn wurde unter Blagojevich auf 6.50 Dollar heraufgesetzt. Das ist weit mehr als US-Bundesdurchschnitt. Zudem hat Blagojevich 150.000 neue Arbeitsplätze nach Illinois geholt.
Und Gouverneur Rod Blagojevich ist auch der erste Gouverneur der USA, der die Geschäftsbeziehungen mit einer mächtigen Großbank einseitig aufzukündigen wagte. Und das geschah an jenem 8. Dezember 2008, dem Tag vor seiner spektakulären Verhaftung. Zusammen mit dem Kongreßabgeordneten Louis Gutierrez besuchte Blagojevich die Arbeiter in der besetzten Fenster- und Türenfabrik. Und in ihrer Mitte verkündeten Blagojevich und Gutierrez, daß man jetzt gegen die Bank of America vorgehen werde. Denn die Bank of America sowie die traditionsreiche Bank J.P. Morgan hatten die Kreditlinien der Fensterfabrik unter ihrer Kontrolle. Und sie waren es, die der Fabrik Republic Windows and Doors abrupt den Geldhahn abgedreht hatten. Ohne Rücksicht auf die sozialen Katastrophen, denen damit die Arbeiter ausgesetzt waren. Und darauf bezog sich Blagojevich in seiner Erklärung vor den Chicagoer Fabrikarbeitern.
Die Bank of America hatte nämlich gerade erst im Herbst letzten Jahres aus Bundesmitteln, also aus den Steuerabgaben der einfachen Bürger, die stattliche Summe von 25 Milliarden US-Dollar erhalten, um nicht Konkurs anmelden zu müssen. Und jetzt benahm sich die Bank of America derart sozialschädlich, sagte Blagojevich, und er holt zum Gegenschlag gegen die übermächtige Bank aus, indem er sagt:

"Jetzt ist jede Behörde in Illinois angewiesen, jegliche geschäftliche Verbindung mit der Bank of America auszusetzen. Die Bank of America erhielt 25 Milliarden Dollar Steuergelder als Teil der staatlichen Finanzhilfe. Das ist absolut nicht in Ordnung. Die staatlichen Zuwendungen wurden exakt zu dem Zweck vergeben, damit sie Kreditlinien solchen Betrieben wie diesem hier gewähren; damit Arbeiter Arbeit behalten, und die Leute ihren Job behalten. Und jetzt hat sich die Bank of America gefälligst zu bewegen und zu erklären, daß sie diese Firma unterstützt und diese Arbeiter in Lohn und Brot behalten. Also: so lange die Bank das nicht tut, werden wir, der Staat Illinois, jede Geschäftsverbindung mit der Bank of America aussetzen."

Klare Worte.
Und klare Taten. Gouverneur Blagojevich verhängte eine Kontaktsperre seiner Behörden zur Bank of America. Die Bank of America ist in den Vereinigten Staaten nicht nur allgemein verhaßt, weil sie ohne Kontrollauflagen mal eben 25 Milliarden Dollar Volksvermögen abkassiert hat. Im letzten Sommer hat sich die Bank of America die Hypothekenbank Countrywide einverleibt. Countrywide hat Millionen von einkommensschwachen Bürgern der USA unseriöse Hypotheken aufgeschwatzt. Wobei von vorneherein klar war, daß die neuen Hypothekenkunden die auf Dauer ansteigenden Zinsen niemals aufbringen können. Folge: alleine im letzten Jahr verloren über zwei Millionen Familien in den USA ihr Eigenheim und landeten teilweise direkt in der Obdachlosigkeit. Der dramatische Absturz im Wert von Immobilien ist eine der Ursachen der momentanen Finanzkrise.
In Handschellen abgeführt wurden jedoch nicht die unseriösen Schlepperbanden von Countrywide oder der Bank of America. Gouverneur Blagojevich, der kleine David gegen den Banken-Goliath, durfte von seinem Auftritt bei der Chicagoer Fensterfabrik noch gerade nach hause fahren, und ein bißchen schlafen. Am nächsten Morgen um fünf standen die Herren vom FBI mit den Handschellen vor seiner Tür.
Seitdem läuft eine ebenso heuchlerische wie alberne Pressekampagne gegen Blagojevich, in der viel Heißluft und Klatsch und Tratsch verzapft wird, aber über die Anklagepunkte und juristischen Aspekte der Fehlhandlungen des Gouverneurs herzlich wenig verlautbart wird. Der Pressemeute fiel zum Schluß nichts Intelligenteres mehr ein, als über die langen Haare von Blagojevich herzuziehen.
Daß wir uns nicht mißverstehen: Blagojevich hat gegen Gesetz und gute Sitten verstoßen. Aber, da ist Mumia Abu Jamal zuzustimmen: was hat Blagojevich getan, was nicht sowieso allgemeine Unsitte ist? Der Ämterkauf ist so fest in die politische Folklore der USA eingegraben, daß Blagojevich wohl bis heute in dieser Hinsicht kein Unrechtsbewußtsein entwickelt hat.
Wir begreifen jetzt, warum es unseren Politikern heutzutage fast unmöglich ist, sich für die Interessen der kleinen Leute stark zu machen: jeder Politiker hat ein solches Quantum an kriminellen Handlungen im Gepäck, daß ihn jederzeit die Strafbehörden erledigen können, wenn er doch mal auf den Gedanken kommt, sich mit den wirklich Mächtigen im Lande anzulegen.


Kommentare
10.02.2009 / 10:26 Detlef,
gesendet 1. und 2. Teil am 8.2. und 12.2.09 in Nowosti und Osmose
Danke!
 
10.02.2009 / 10:30 Detlef,
gesendet 1. und 2. Teil am 8.2. und 12.2.09 in Nowosti und Osmose
Danke!