Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Althaus again"

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Da füllt nun Euer Ministerpräsident Dieter Althaus die Zeitungen und schmückt sogar ein Stern-Titelblatt als wahrhaft dramatische Figur in der deutschen Politik,
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Upload vom 19.03.2009 / 09:57

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen:
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 17.03.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
als Mensch, der den Tod eines anderen Menschen verursacht hat, ohne dies auch nur im Entferntesten beabsichtigt zu haben, bei einem Skiunfall, der mit einem Minimum an Glück völlig harmlos verlaufen wäre; aber er hatte dieses Glück eben nicht und die Frau, die gestorben ist, erst recht nicht. Trotzdem wars im Kern ein Unfall, wie er sich zu Tausenden auf den Skipisten ereignet, und dass er nun ausgerechnet beim Ministerpräsidenten von Thüringen die Wende ins Tragische nimmt, ist schon eine ganz außergewöhnliche Sache. Das ganze Land fragt sich, wie unter solchen Umständen die Wahlen in Thüringen verlaufen werden, nachdem Althaus seine Kandidatur bestätigt und die Parteiversammlung sie einstimmig bekräftigt hat. Der Unfall kann selbstverständlich nicht thematisiert werden, und das haben die anderen Parteien auch völlig korrekt bereits klargestellt; und trotzdem werden die Wählerinnen und Wähler in Jahr 2009 nicht einfach nur über Parteien und Personen befinden, sondern auch ihre Einschätzung des menschlichen Schicksals in die Waage werfen; der US-amerikanische Autor Philip Roth, den ich hoffentlich bereits früher wegen krasser Unfähigkeit und Schabloniererei an dieser Stelle kritisiert habe, nannte vor rund 10 Jahren einen Roman «The Human Stain», und genau darüber werden die Thüringerinnen und Thüringer Ende August abstimmen. Dabei habe ich an dieser Stelle nicht nur Philip Roth noch sehr gnädig behandelt, sondern im letzten November auch eine Wahlniederlage der CDU bzw. von Dieter Althaus prophezeit; aber nun, da eine derart neue Dimension dazu gekommen ist, bin ich mir nicht mehr so sicher. Mit der Gewichtung von Schicksalsmächten haben die Meinungsforschungsinstitute wohl noch nicht besonders umfangreiche Erfahrungen.

Und so blättert man denn halt auch im Stern weiter und trifft auf einen Artikel über einen Franzmann, der sowohl als Artikel als auch als Franzmann geeignet ist, sämtliche Vorurteile steinbeinhart zu bestätigen. Dieser Artikel ist effektiv schlimmer als Baguette mit Camembert. Es handelt sich um Herrn Raphaël Enthoven, meiner Treu ein Name, den ich zum ersten Mal hörte und den ich auch möglichst schnell wieder vergessen möchte, er steht ohnehin emblematisch für das ganze Pariser Gesocks an Schwerindustriellen, intellektueller Elite und Spätaristokratie. Kollege Enthoven entspringt laut dem Stern-Artikel einer Großverleger-Familie und hat Philosophie studiert, was sich dann in einer Professur niederschlägt und u.a. in einer Ehe mit einer Tochter von Bernard-Henri Lévy. Diese Ehe dauerte vier Jahre; dann geriet Enthoven an Carla Bruni, die er niemand geringerem ausspannte als seinem eigenen Vater. Die zwo haben zusammen ein Kind. Dass er Frau Bruni anschließend an die Koksnase Louis de Funès bzw. Nicolas Sarkozy abtreten musste, hat er offensichtlich verwunden. Daneben zitiert der Stern Sätze wie «Die Philosophie ist schwierig, weil sie einfach ist. Oft verheimlicht sie es vor sich selbst.», oder «Sich auf jemandes Spur zu begeben heißt zu entdecken, dass man nicht dieselbe Schuhgröße hat». Oder vollends: «Ich mache keinen Unterschied zwischen Philosophie und Leben. Philosophie heißt Herzensarbeit. Die Vernunft ist nur eines der Elemente der Philosophie. Das eigentliche Objekt der Philosophie ist das Einzigartige. Das, was alle konzeptuelle Erkenntnis übersteigt. Es gibt immer einen Moment, wo die Philosophie das Einzigartige in seiner ganzen Fremdheit denken muss». In solchen Momenten wird es mir immer ganz übel. Wenn ich mir vorstelle, dass hunderte von jungen Menschen im aufrichtigen Bemühen, ihren Denkapparat und ihre Erkenntnisfähigkeit zu schulen, sich an solchen hoch bezahlten Idioten und Schaumschlägern orientieren, möchte ich am liebsten sämtliche philosophischen Fakultäten in Paris mit einer dicken Berta zusammenschießen. Was soll ein solcher Schmarrn, der nicht einmal für ein chinesisches Glücksbisquit taugt: Philosophie ist Herzensarbeit, mein lieber Schwan, und das eigentliche Objekt der Philosophie ist das Einzigartige in seiner ganzen Fremdheit. Enthoven versucht im Billigst- und Schnellstverfahren, den Schauer vor dem Transzendentalen herzustellen, damit er als dessen Dompteur gelten kann; dafür eignen sich solche Salbadereien wie maßgeschneidert, nein, im Gegenteil: Es ist Konfektionsarbeit aus der Schneiderei von Lacan und Konsorten. Jedem Menschen, der auch nur halbwegs bei Bewusstsein ist, ist völlig klar, dass das eigentliche bzw. ausschließliche Objekt der Philosophie der Mensch ist, und mit hoher Wahrscheinlichkeit ist es im Zeitalter der Massenproduktion und der Massenmedien eben gerade nicht der Mensch in seiner Einzigart und Fremdheit, sondern der Mensch als Massenindividuum, rundum integriert in eine moderne und halt ebenfalls voll integrierte Gesellschaft. Das Bewusstsein des Menschen stößt sich selbstverständlich an diesem äußerst unangenehmen Umstand und rebelliert dagegen mit der Forderung nach einer eigenen, individuierbaren Persönlichkeit, nach einer unverwechselbaren Individualität; dies ist oder müsste sein ein zentraler Widerspruch der modernen Philosophie. Die Beschäftigung mit diesem Widerspruch würde auch unmittelbare Resultate für die gesellschaftliche Praxis erbringen, wenn ich mir hier mal einen Abstecher in früher etwas stärker verbreitete Denkmuster erlauben darf. Aber der koksbetriebene französische Konfektionsphilosoph muss da natürlich andere Dimensionen ausloten. Ich glaube, bei diesen Typen rappeln möglichst schön kontroverse Begriffe in ihrem Kopfhohlraum wie die Kugeln in den Flipperkästen herum. Aber eben, das würde ja noch gehen, wenn dieses Gesocks nicht die Lehrstühle der französischen Akademien besetzen würde. Und auch dies ginge noch an, wenn wenigstens die französischen Arbeiterinnen und Arbeiter einmal einen Generalstreik gegen solche Idioten ausrufen würden und zum Sturm auf die Sorbonne und all die anderen usurpierten Universitäten ansetzen täten.

Aber dafür ist sich die französische Arbeiterschaft offenbar zu schade. Immerhin bietet sich am Beispiel Enthoven/Lévy/Bruni/Sarkozy ein prächtiges Beispiel eben für meine Vorurteile über die herrschende Klasse in Frankreich. Einige Familien, unter denen mir die Familie Enthoven noch durchaus nicht aufgefallen ist, teilen unter sich die Macht und auch den politischen Einfluss auf, manchmal stellen sie auch weniger bedeutende Personen in den Staatsdienst ab. Die Familien sind zu suchen in den Aufsichtsräten der wichtigsten privaten und halbstaatlichen Unternehmen, z.B. France Télécom, Electricité de France, Suez GDF, Vivendi, Air France-KLM, Lagardère, Lagarde, Bouygues, Areva, Thales, Dassault, die Automobilproduzenten Renault Citroën und Peugeot, Alstom, Danone, PPR, Carrefour, Schneider, BNP Paribas, Sanofi-Aventis, EADS usw. usf. Rund um die Patrons und Patronnes findet sich ein Asteroidengürtel, Halbschlaue Absolventen der staatlichen Eliteschulden und Philosophen-Dampfschwurbler, eben neben den Politikern und den ehemaligen Aristokraten und den alten Aristokraten der Geisteswelt. Was einigermaßen potent ist, vögelt kreuz und quer im Zeugs herum; unter uns gesagt, habe ich mich schon gefragt, ob die Histoire d’O aus den 50-er Jahren nicht vielleicht relativ genau den Verhältnissen in diesen immer noch markant männerbündlerischen Cliquen entspreche. Das wäre doch mal eine gute Vorstellung, dass der Zutritt vor allem von Frauen zu diesen geschlossenen Zirkeln durch ein möglichst abgefucktes perverses Ritual erfolgt...

Damit ist aber auch schon gesagt, dass die französischen Eliten nicht nur eine relativ klar bestimmbare Form haben, wenn sie auch offenbar in der französischen Politik überhaupt keine Rolle spielen, da ganz selbstverständlich die Spitzen der Sozialdemokratie in diese Elite eingebunden sind, während sich die Gewerkschaften mit Vorliebe dem Streik bei staatlichen Unternehmen widmen und nicht ordinären Fragen der politischen Macht im Lande. Sie haben also eine relativ klar bestimmbare Form, obwohl sie niemals beim Namen genannt wird, weil eben den französischen Intellektuellen die Fähigkeit zur Kritik abhanden gekommen ist, und zwar justament im Schatten jener großen kritischen Intellektuellen wie Sartre und Simone de Beauvoir, an deren Größe man allerdings angesichts ihrer Nachkommenschaft zu zweifeln Anlass hat. Dennoch hat die französische Elite eine recht klar umreißbare Gestalt, und es ermangelt ihr auch nicht jene erotische Anziehungskraft, die nach meinem Erachten einfach zur richtigen Macht gehört. Was ich der französischen Elite überhaupt nicht verzeihe, ist nicht ihre Macht; hierbei handelt es sich immer um eine politische Frage, und wenn die Eliten nicht mal im Ansatz politisch in Frage gestellt werden, dann sind sie dafür höchstens zu loben von wegen guter PR-Arbeit usw. Nein, was ich für wirklich unverzeihlich halte, das ist das miserable Gesocks an Intellektuellen, das sie sich an ihren Universitäten hält und reproduziert. Meine Damen und Herren Franzmänner und -frauen, es ginge nämlich auch anders.

Wie auch immer: Wenn ich also durch dieses einzige Interview in der Stern-Ausgabe der letzten Woche wieder mal meine Vorurteile gegenüber dem Frankreich der Französinnen und Franzosen bestätigt sehe, hebt sich davon die Bundesrepublik Deutschland recht massiv ab, unter anderem dadurch, dass die Macht, die es ja bei Euch auch irgendwo geben muss, durchaus nicht mit irgendwelchen Attributen von Erotik konnotiert ist. Ich will jetzt keine billigen Späßchen zulasten Eurer Bundeskanzlerin Merkel machen, auf die ich durchaus gut zu sprechen bin als eine der besseren sozialdemokratischen Politikerinnen der letzten Jahre, einmal abgesehen davon, was ich von der Sozialdemokratie im Allgemeinen und von der deutschen im Speziellen halte. Nein, in Deutschland ist Macht nicht sexy. Macht hat in Deutschland vielmehr sehr viel zu tun mit Verwaltung, und Verwaltung wiederum besteht heutzutage praktisch ausschließlich in ununterbrochenen Reihen von nutzlosen Reformen, Korrekturen, Überprüfungen, Rechenschaftsberichten usw. usf. Was aber an Deutschland ganz besonders auffällt, das ist die absolute Unsichtbarkeit des effektiven Machtzirkels. Ihr meint ja nicht im Ernst, dass es in Deutschland etwa anders wäre als in Frankreich. Meine Damen und Herren – wer besitzt denn nun wirklich Macht und Einfluss in der Deutschen Bank, bei Siemens, bei der Hypo Real Estate, bei Merck, Adidas, BASF, Bayer, Adidas, BMW, Daimler, Allianz, ThyssenKrupp, Deutsche Telekom, Post und Bahn, Munich Re, Linde, MAN, Stada, Fresenius, Porsche und VW usw.? Vor einigen Jahren gabs mal Tabellen über personelle und kapitalmäßige Verflechtungen in Deutschland mit dem internationalen Kontext, logisch. In letzter Zeit aber habe ich einen Ansatz dazu nur gerade einmal gesehen, und das war duchaus keine gewerkschaftliche Veranstaltung, denn auch in Deutschland haben die Gewerkschaften gar kein Interesse daran, dass man die Machtfrage in einer politischen Form stellt, weil sonst sofort nachgehakt würde, weshalb die Gewerkschaften denn in all den Aufsichtsräten mit entscheiden. Nö, die sind daran überhaupt nicht interessiert, sonst wäre das nämlich ein Thema in der Öffentlichkeit, notabene ein Thema, das durchaus interessant wäre in der aktuellen Krisendebatte. Aber das ist durchaus nicht gefragt. Der einzige, der in diese Richtung in meinem Blickfeld mal einen Ansatz dazu unternommen hat, war niemand anders als mein Lieblingskabarettist Erwin Pelzig in seiner schönen Sendung Pelzig unterhält sich.

Kurz: Deutschland ist genau wie Frankreich, bloß ohne Sexappeal – und gottseidank ohne einen Kult an Dampfschwaderern, wenn man mal vom alten Esel Sloterdijk absieht.