Pogrom auf der Mannheimer Schönau am Vatertag 1992

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Beitrag über das Pogrom auf der Mannheimer Schönau vom 26. bis 31. Mai 1992 (rund um den Vatertag).
Der Beitrag beschreibt die Situation der Flüchtlinge auf der Schönau vor dem Pogrom und die Ereignisse der letzten Maitage 1992.
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Upload vom 23.05.2009 / 15:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: contra funk
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 21.05.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
jedes Jahr aktuell Ende Mai/rund um den Vatertag.

Anmoderation im Beitrag.

Abmoderation braucht es auch nicht.



Der Text des Beitrages:

Das Pogrom auf der Mannheimer Schönau 1992

Es folgt jetzt ein Beitrag, der an die Pogrome auf der Mannheimer Schönau erinnern soll.
Zunächst beschreiben wir die Lebensumstände, der in der Schönauer Unterkunft lebenden Flüchtling und fassen dann die Ereignisse zusammen.

Die Situation der Flüchtling in der Schönauer Unterkunft:

Im September 1991 kam es im sächsischen Hoyerswerda zu einem über einwöchigen Pogrom, bei dem ein Wohnheim für vietnamesische und mosambikanische Arbeiter und eine Flüchtlingsunterkunft von Nazis unter dem Beifall der AnwohnerInnen angriffen und in Brand zu stecken versucht wurde. Die Polizei war während des Pogroms nicht gewillt die Flüchtlinge zu schützen, welche sich selbst verteidigen mussten und später evakuiert wurden.
In den folgenden Monaten stieg die Gewalt gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen sprunghaft an. In den Medien wurde Stimmung gegen Flüchtlinge und so genannte „Scheinasylanten“ gemacht. Das damalige gesellschaftliche Schreckgespenst waren nicht wie heute islamistische Terroristen, sondern angebliche über Deutschland herein brechende „Asylantenströme“ und das Asylrecht missbrauchende so genannte Wirtschaftsflüchtlinge.
Nachdem die US-Armee 1991 die Gendarmeriekaserne auf der Mannheimer Schönau geräumt hatte, wurde dort von der Stadt Mannheim im Winter 1991/92 eine Unterkunft für Flüchtlinge, welche in der BRD Asyl suchten eingerichtet.
Von Beginn an gab es Vorbehalte und Vorurteile innerhalb der Mannheimer Bevölkerung gegen die Nutzung der Kaserne als Flüchtlingsunterkunft.
Es machten die üblichen Vorurteile, die die Flüchtlinge in Zusammenhang mit Drogen und Kriminalität brachten die Runde.
Unter diesen Umständen zogen im Januar 1992 die ersten Flüchtlinge in die Gendarmeriekaserne auf der Schönau ein. Bereits im April war die Unterkunft überbelegt.
Mehr als 200 Menschen lebten auf engstem Raum.
Es standen nur Mehrbettzimmer zur Verfügung, bis zu acht Menschen mussten sich ein Zimmer teilen und jeder Flüchtling hatte nur einen halben Spind für sich zur Verfügung.
Es gab nur wenige sanitäre Einrichtungen, welche zu Beginn noch nicht einmal nach Geschlechtern getrennt waren. Es gab keine Einrichtungen für Kinder, keine Gemeinschaftsräume, keine Informationsmöglichkeiten und kein öffentliches Telefon. Es gab keine Kühlschränke und es waren nur wenige Kochplatten vorhanden. Die Flüchtlinge wurden mit Essen versorgt, das in Heilbronn fertig gekocht und anschließend nach Mannheim transportiert wurde.
Erst im Oktober 1992 wurden die beiden Stellen zur Sozialbetreuung besetzt, solange übernahm ein Mitarbeiter der Caritas provisorisch diese Aufgabe.
Ein Antrag auf Mitnutzung der Turnhalle eines nahe gelegenen Jugendzentrums durch die Flüchtlinge wurde abgelehnt. Begründet wurde diese Ablehnung mit angeblichen, jedoch niemals nachgewiesenen Kontakten der Flüchtlinge zu Drogendealern und der angeblichen Gefährdung der Schönauer Mädchen durch die meist männlichen Flüchtlinge.
Die Flüchtlinge waren also zum Nichtstun verdammt und sahen sich einer ablehnenden Schönauer Bevölkerung gegenüber.
Zusammenfassend kann man sagen, die Flüchtlinge verhungerten nicht und hatten ein Dach über dem Kopf. Ein menschenwürdiges Leben sieht anders aus.

Erste Konflikte um die Unterkunft & die Ereignisse rund um den Vatertag

Nachdem es im Vorfeld der Einrichtung der Flüchtlingsunterkunft zunächst zu großem verbalen Protest von Seiten der SchönauerInnen kam, war es direkt nach dem Einzug der ersten Flüchtlinge noch relativ ruhig.
Es kamen jedoch schnell die ersten Beschwerden über nächtliche Ruhestörungen, über unbefugten Aufenthalt und Verschmutzung des benachbarten Schulhofes. Es gab Beschwerden über angeblich aus dem Fenster geworfene Flaschen und den Flüchtlingen wurde nachgesagt mit der Drogenszene zusammen zuarbeiten, was jedoch nie nachgewiesen wurde. Es gab Vorwürfe über sexuelle Belästigungen und Aufdringlichkeiten, durch welche besonders die Schönauer Mädchen gefährdet seien.
Die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen wurde immer aggressiver. Ende März wurde ein jugoslawischer Flüchtling vor der Unterkunft niedergeschlagen, dies war nicht der einzige Übergriff auf die Flüchtlinge. Pöbeleien von Seiten der AnwohnerInnen nahmen zu und handfeste Auseinadersetzungen zwischen AnwohnerInnen und Flüchtlingen waren keine Seltenheit.
Bei den Landtagswahlen am 5. April 1992 wählten 16,6% der SchönauerInnen die rechtsextremen Republikaner.
Am 23. Mai wurde erneut ein afrikanischer Flüchtling vor der Unterkunft niedergeschlagen.
In den darauf folgenden Tagen machte das nicht zutreffende Gerücht die Runde ein schwarzer Afrikaner hätte ein 16jähriges Schönauer Mädchen vergewaltigt.


Am Abend des 26.Mai zog das erste Mal ein Mob von ca. 150 zum Teil mit Stöcken bewaffnete Jugendliche vor die Unterkunft und versuchte sie zu stürmen. Beim Eintreffen der Polizei verstreute sich die Menge jedoch schnell.

Am darauf folgenden Mittwoch den 27. Mai sammelte sich der Mob erneut vor der Flüchtlingsunterkunft, lies sich jedoch wieder schnell von der Polizei verjagen.

Am Donnerstag den 28. Mai sollte der rassistische Mob aber nicht mehr so schnell von seinen Plänen der Lynchjustiz ablassen.
Nach der Beendigung eines Vatertagsfestes in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingsunterkunft zog gegen 19 Uhr ein besoffener, rassistischer Mob vor die Unterkunft. Der zu Beginn mindestens 150 Personen zählende Mob versuchte das Flüchtlingsheim zu stürmen, was jedoch von der Polizei verhindert wurde. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wuchs die Menge vor dem Heim auf bis zu 400 Personen an. Die Polizei forderte Verstärkung aus den angrenzenden Bundesländern an. Der zwischenzeitlich informierte Oberbürgermeister Widder versuchte, um den Ruf der Stadt besorgt, die Meute zum Verlassen des Ortes zu überreden. Diese versuchte aber weiterhin in Richtung Flüchtlingsunterkunft vorzudringen. Es flogen Flaschen und Böller, während ununterbrochen rassistische Parolen gerufen wurden.
Als die Polizei gegen 22 Uhr begann die Straße vor der Unterkunft zu räumen, blieb Widder demonstrativ unter dem Mob.

Am 29. Mai rottete sich erneut ein Mob von ca. 400 Schönauer BürgerInnen zusammen und belagerte die Unterkunft. Der mit Stöcken und Flaschen bewaffnete Mob skandiert rassistische Parolen unter dem Beifall der Umstehenden. Am späten Abend räumte die Polizei erneut die Straße vor der Unterkunft. In der näheren Umgebung trieben sich aber weiterhin Rassisten in Kleingruppen herum.

Am 30. Mai wiederholten sich die Szenen der Vortage. Mehrere hundert SchönauerInnen zogen vor die Flüchtlingsunterunterkunft und riefen rassistische Parolen und drohten den Flüchtlingen unverhohlen mit Mord. Sie sahen sich aber heute das erste Mal einer Gruppe von 100 bis 150 UnterstützerInnen der Flüchtlinge gegenüber. Die Polizei trennte beide Gruppen.
Nachts wurden zwei Molotow-Cocktails auf das Gelände der Flüchtlingsunterkunft geworfen, die aber glücklicherweise nicht das Haus trafen.

Am 31. Mai und ersten Juni nahm die Zahl der SchönauerInnen ab, welche sich allabendlich vor der Flüchtlingsunterkunft zusammenrotteten. Es wurde auch nicht mehr versucht die Unterkunft zu erstürmen. An beiden Tagen waren auch wieder AntirassistInnen vor Ort um Ihre Solidarität mit den Flüchtlingen zu bekunden.

Am Dienstag den 2. Juni wurden TeilnehmerInnen einer Antirassistischen Mahnwache vor der Flüchtlingsunterkunft von einer Gruppe unter anderem mit Stöcken bewaffneter Schönauer angegriffen. Die Polizei ging einseitig gegen die TeilnehmerInnen der Mahnwache vor, nachdem diese sich gegen den Angriff zur Wehr setzten.

In den folgenden Tagen nahm die Anzahl der an den rassistischen Pöbeleien beteiligten weiter ab. Die Polizei war auf der Schönau weiter stark präsent. Es wurde ein Versammlungsverbot für die Schönau erlassen. Es kam aber weiterhin zu Drohungen gegen die Flüchtlinge.

Eine für Samstag den 6. Juni geplante antirassistische Demonstration wurde wegen der angeblich dadurch gefährdeten öffentlichen Ordnung sowohl auf der Schönau als auch in der Mannheimer Innenstadt verboten. Ca. 200 bis 300 Menschen die sich ihr Recht auf Meinungsäußerung nicht nehmen lassen wollten, und versuchten auf dem Paradeplatz in der Innenstadt zu demonstrieren, wurden von der Polizei brutal geräumt.

Für den folgenden Samstag, den 13. Juni wurde erneut zu einer antirassistischen Demonstration aufgerufen. Zwischen verschiedenen antirassistischen Gruppen bestand Uneinigkeit darin, ob direkt auf der Schönau oder stattdessen in der Mannheim Innenstadt demonstriert werden solle. In den Medien wurde unterdessen Hysterie vor angeblich tausenden anreisenden gewaltbereiten DemonstranInnen verbreitet. Die Morddrohungen und Gewaltätigkeiten der SchönauerInnen gegenüber den Flüchtlingen sorgten jedoch nicht für eine so helle Aufregung.
Eine Demonstration am13. Juni auf der Schönau wurde verboten. Trotzdem demonstrierten 300 bis 400 Menschen in Sandhofen gegen die rassistischen Zustände auf der benachbarten Schönau. In der Mannheimer Innenstadt demonstrierten bis zu 2500 Menschen gegen das Pogrom auf der Schönau.
Auf der Schönau selbst pöbelten wieder zahlreiche SchönauerInnen mit rassistischen Parolen vor der Flüchtlingsunterkunft.

In den Tagen nach dem 13. Juni nahm die Anzahl der sich allabendlich vor der Flüchtlingsunterkunft versammelnden SchönauerInnen weiter ab. Im Verlauf des Sommers kam es aber immer wieder zu Übergriffen. So wurden zum Beispiel im August 1992 Scheiben eingeworfen und im September 1992 gab es einen erneuten Brandanschlag.

Die an den rassistischen Ausschreitungen beteiligten Schönauer BürgerInnen mussten keine juristischen Konsequenzen fürchten. Es gab während des Pogroms zwar zahlreiche in Gewahrsamnahmen, jedoch wurden nur wenige Ermittlungsverfahren eingeleitet, welche jedoch eingestellt wurden.

Bundesweit erhielt das Pogrom auf der Mannheimer Schönau nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie das voran gegangene Pogrom in Hoyerswerda oder das folgende in Rostock-Lichtenhagen. Obwohl auf der Schönau nicht Nazis unter dem Beifall der AnwohnerInnen eine Flüchtlingsunterkunft stürmten, sondern die BewohnnerInnen der Schönau selbst zur Tat schritten. Das Mannheimer Pogrom widerlegt auch die These, dass die Pogrome der 1990er Jahre ein rein ostdeutsches Problem gewesen seien.


Kommentare
22.05.2009 / 18:12 sonar aktuell, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet
am 22.5.2009
 
24.05.2022 / 18:08 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 24.5.. Vielen Dank !
 
26.05.2022 / 18:00 Monika, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
in sonar
am 26.05.. Vielen Dank !