Neokolonialismus am Beispiel Madagaskar

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Madagaskar im Ausverkauf - wie Großkonzerne ihre Interessen zu Lasten der einheimischen Bevölkerung realisieren.
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Upload vom 25.07.2009 / 12:04

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Julia Legelli und Sebastian Bräuning (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 23.07.2009
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Madagaskar- das klingt nach Traumurlaub, exotischem Urwald und Strand. Vor 160 Millionen Jahren löste sich Madagaskar vom Riesenkontinent Gondwana. In der Folge entwickelte sich ein einzigartiger Lebensraum, der heute 14.000 Arten beherbergt die weitgehend nur hier zu finden sind. Von den ursprünglichen Regenwäldern sind nur noch 4 % erhalten. Eine Wiederaufforstung ist bis jetzt nicht gelungen, eine Naturverjüngung der Brachflächen durch Wald findet so gut wie nicht statt. Der zweitgrößte Inselstaat der Erde ist heute versteppt.

Armut prägt das Land: Zwei Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel ist unterernährt und mehr als eine halbe Million Menschen sind auf Nahrungsmittellieferungen der Weltgemeinschaft angewiesen. Landwirtschaft deckt hauptsächlich den Eigenbedarf und die Infrastruktur ist nicht gut genug ausgebaut um einen funktionierenden Handel zu gewährleisten. Auf der Suche nach neuen Ackerflächen und zur Gewinnung von Brennmaterial werden Regenwälder abgeholzt. Die Kleinbauern haben weder das Geld noch das Know-how um effizient und das Land nachhaltig zu bewirtschaften. Strom ist in Madagaskar sehr teuer, deshalb wird selbst in den Städten Holzkohle zum Kochen genutzt.

Mit dem Wald geht nicht nur Lebensraum verloren: Der Grundwasserspiegel sinkt, viele Pflanzen können nicht mehr wachsen, die freie Fläche ist Regen und Wind schutzlos ausgesetzt. Nährstoffe, die zuvor gebunden waren, werden ausgespült, das Land verödet. Es fehlen die Bäume, die ständig Wasser aus dem Boden über die Blätter als Luftfeuchtigkeit abgeben. Je stärker die Wälder zurück gedrängt werden umso trockener wird die Luft also und umso weniger Regen fällt. Ein Teufelskreis.

Ende 2008 wurde in den Medien von einem Deal zwischen der Madagassischen Regierung und dem südkoreanischen Handels- und Transportunternehmen Daewoo Logistics berichtet, wobei gut die Hälfte des bewirtschaftbaren Landes der Insel für die nächsten 99 Jahre an das Unternehmen verpachtet werden sollte. Laut Daewoo würden über 20 Jahre verteilt 6 Milliarden Dollar in das Projekt investiert werden, wobei ¾ der Fläche zum Maisanbau für den Heimatmarkt geplant seien. Südkorea selbst sieht das Unternehmen als Möglichkeit, etwa die Hälfte des Eigenbedarfes an Mais zu decken und sich eine wertvolle Nahrungsreserve zu sichern. Naheliegend, wenn man sich die empfindlichen Weltmarktspreise vor Augen hält. Madagaskar würde angeblich von all dem profitieren: durch Mehreinnahmen von Steuern, durch den Ausbau der Infrastruktur, die Errichtung von Kraftwerken und durch modernste Agrartechnik.

Der Madagassische Staat legt Wert darauf, dass ein Teil der Nahrungsmittelproduktion ihm als nationale Notreserven zustünde. Fraglich ist jedoch, ob dies allein den chronischen Hunger der Bevölkerung beseitigen wird. Innerhalb der letzten 5 Jahre fanden allein im Süden drei massive Nahrungskrisen statt. Kleinbauern können ihre Ernten selten rechtzeitig auf den Markt bringen, die maroden Straßen und der fehlende Schutz vor Witterung erschweren den Handel ungemein. Durch starke Unwetter werden teilweise ganze Ortschaften für mehrere Monate unerreichbar. Ernten werden zerstört oder verderben weil sie nicht sachgemäß gelagert werden. Viele Bauern befürchten enteignet zu werden. Die versprochenen Arbeitsplätze sind nur ein kleiner Trost. Dies insbesondere deshalb weil vor allem südafrikanische Arbeiter angeheuert werden sollen.

Das Unternehmen plant, vorwiegend an der West- und Ostküste Madagaskars Monokulturen für Mais und Palmöl anzulegen, was den Transport über See erleichtern würde. Dies hätte gravierende Folgen auf die einzigartige Biodiversität besagter Landschaften, zu denen auch die wertvollen Küstenwälder Madagaskars gehören.

Viele Madagassen reagierten entsetzt auf den Daewoo-Deal und fühlten sich von der Regierung des damaligen Präsidenten Marc Ravalomanana hintergangen. Als sich der Präsident überdies einen Privatjet für 60 Millionen Dollar leistete, gingen die Menschen auf die Straße. Ravalomanana ließ den Protest gewaltsam niederschlagen, über 100 Menschen kamen ums Leben. Angesichts dieser Brutalität stellte sich das Militär auf die Seite des Kontrahenten Rajoelina. Dieser erklärte sich daraufhin zum Präsidenten und erließ Haftbefehl gegenüber seinem Vorgänger, der daraufhin nach Südafrika floh. Der neue Übergangspräsident verfolgt keine offizielle Linie und so hat er bisher das Ziel, mit dem er angetreten ist – nämlich die Landverpachtung zu verhindern – nicht umgesetzt. Er hat jedoch, dass er Investoren gegenüber aufgeschlossen wäre.

Erst der Daewoo Deal vermochte die Augen der Welt auf das Geschehen in Madagaskar zu ziehen. Die internationale Gemeinschaft wertete die gewaltsame Vertreibung des alten Präsidenten als Putsch, zumal Rajoelina kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts gezeigt hatte, und belegte das gebeutelte Land mit Sanktionen. Dringend benötigte Hilfsgelder wurden gestrichen. Zu spüren bekommt das die arme Bevölkerung.

Madagaskar machte im Tourismus-Sektor jährlich etwa 400 Millionen Dollar Umsatz. Die Unruhen verschreckte die Touristen. Plötzlich wurde der Schmuggel seltener Tiere, Pflanzen und edlen Holzes zur einzigen Einnahmequelle; den zum Teil bewaffneten Gruppen begegnen Naturschützer machtlos. Das Chaos in den Behörden in Folge des Putsches erleichtert den illegalen Handel zusätzlich. Besonders die Schönheit und Einzigartigkeit der Flora und Fauna Madagaskars ist für die Tourismusbranche wichtig. Es ist zwar vom Umweltschutz her gesehen ein fragwürdiges Vergnügen, um den halben Erdball zu jetten. Jedoch bietet ein sanfter Tourismus, wie er auf Madagaskar betrieben wurde, Vorteile: Die Besucher interessieren sich für die Menschen und die einzigartige Landschaft. Dieses Geld steht zur Verfügung, um der Natur wieder eine Chance zu geben. entsteht ein finanzieller Nutzen aus der Natur also eine Lobby für ihren Erhalt. Für internationale Investoren, die an der Landwirtschaft oder an der Gewinnung von Rohstoffen interessiert sind, spielt das keine Rolle.
Werden die Pläne Daewoos umgesetzt, also ursprüngliche Landschaft zerstört, wird diese ihren Reiz für viele Besucher Madagaskars verlieren. Andernorts, z.B. auf Borneo oder Malaysia ist es bereits so, dass durch die weit verbreiteten Monokulturen immer weniger Touristen einreisen, was wiederum fatal für den Erhalt der verbliebenen Lebensräume ist.

Während der Daewoo Deal große Beachtung fand sollte man auch die zahlreichen anderen Investitionen auf der Insel nicht außer Acht lassen. Beispielsweise wird im nächsten Jahr eine der weltweit größten Nickel-Kobalt Minen entstehen – und damit wird eine Vergiftung des Umlandes wie auch die Zerstörung großer Waldflächen für Zufahrtswege einher gehen. Der große Rohstoffbedarf der Industrienationen macht es notwendig, ständig neue Lagerstätten zu erschließen. Wir müssen uns bewusst werden zu welch hohem Preis wir unser heutiges Wachstum aufrecht erhalten. Vieler der Ressourcen die wir heute verschwenden sind endlich. Die Probleme Madagaskars mögen uns weit entfernt erscheinen, doch sind letztlich WIR die Verantwortlichen für die Auslöschung unzähliger pflanzlicher, tierischer und menschlicher Existenzen. Mit jeder Art, die verschwindet, geht ein Überlebenskonzept auf dieser Erde verloren, mit jedem Menschen eine Geschichte. Woher nehmen wir das Recht die Konsequenzen unseres Lebenswandels anderen aufzubürden?

Kommentare
27.07.2009 / 18:07 sonar aktull, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet in
am 27.7.09