Vor 30 Jahren: "Weihnachtsbombardement" und Chemiewaffeneinsatz in Vietnam (1)

ID 2933
 
Vor genau dreißig Jahren fanden die letzten amerikanischen Angriffe des Vietnamkriegs statt, bei denen die USA mehr als einhunderttausend Bomben auf die nordvietnamesischen Großstädte Hanoi und Haiphong abwarfen. Wir erinnern an diese so genannten Weihnachtsbombardements von 1972 und sehen uns an, welche Folgen der US-amerikanische Luftkrieg bis heute für die vietnamesische Bevölkerung hat – genau genommen der US-amerikanische Chemiewaffeneinsatz, der der massivste und folgenreichste gewesen ist, den es nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gegeben hat und der mit aktiver Unterstützung aus der Bundesrepublik vonstatten ging. ........................ WER DIESEN BEITRAG SENDET: EINE KURZE MAIL AN redaktion@salonrouge.de WÄRE NETT! BITTE NENNT IN DER SENDUNG DOCH AUCH UNSERE INTERNETADRESSE WWW.SALONROUGE.DE! DANKE! .....................
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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Salon Rouge
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 20.12.2002
keine Linzenz
Skript
Anmoderation vor dem Beitrag:

Die längste militärische Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts, der Vietnamkrieg, ist für Millionen von Menschen noch nicht vorüber. Sie leiden bis heute an den Folgen des größten Chemiewaffeneinsatzes, den es seit dem Ersten Weltkrieg gegeben hat. Die US-Regierung will von diesen Konsequenzen ihrer Politik nichts wissen. Für sie ist der Krieg zuende, seit die USA vor genau dreißig Jahren ihre letzte Luftoffensive gegen vietnamesische Ziele flogen: die so genannten Weihnachtsbombardements von 1972. An diese Luftangriffe und an die Chemiewaffeneinsätze des Vietnamkriegs erinnert der folgende Beitrag.


„WEIHNACHTSBOMBARDEMENTS“ IN VIETNAM

(O-Ton Vietnam: Straßenszene mit Nachbarschaftsradio) Hanoi, Dezember 2002: Wie jeden Tag mischt sich unter den Lärm der Straße auch der metallene Sound der Blechlautsprecher, die überall in den Bäumen und an Laternenmasten aufgehängt sind. Es sind die Lautsprecher der Nachbarschaftsradios, von denen jedes ein paar Häuserblocks mit Nachrichten versorgt: mit Neuigkeiten aus dem Viertel, aus ganz Vietnam und der internationalen Politik. Mit Klatsch, Propaganda und Musik.

Was sie nicht spielen, ist Weihnachtsmusik – kein Wunder, sind die vietnamesischen Christen in Hanoi doch eine fast verschwindende Minderheit. Das heißt nicht, dass Weihnachten hier unbekannt wäre. „Do you celebrate merry christmas?“: Diese Frage bekommt man als Ausländer durchaus zu hören. Weihnachten ist für Hanoi ein bisschen so wie Helloween für Hamburg – ein US-amerikanisches Fest, zu dem die Kinder sich verkleiden und das die Vermarktungsstrategen großer Konzerne ins Land gebracht haben. Natürlich gehen die vietnamesischen Kinder nicht als Vampire oder Monster: Sie machen sich als Santa Claus zurecht, was wiederum auf westliche Besucher etwas irritierend wirkt.

Die Kinder lieben „merry christmas“, doch für viele erwachsene Bewohner Hanois steht in diesen Tagen ein anderes Ereignis im Mittelpunkt. Um die Weihnachtstage herum gedenken sie der Freunde und Verwandten, die vor 30 Jahren ums Leben kamen – im Dezember 1972, als die USA die größten Luftangriffe jenes Krieges flogen, den man in Vietnam den amerikanischen nennt.

Es sollte die letzte US-amerikanische Militäraktion des Krieges werden, und Präsident Nixon, der gerade in einem erdrutschartigen Sieg seine Wiederwahl errungen hatte, wollte das Schlachtfeld als Sieger verlassen. „Dies ist Ihre Chance, diesen Krieg mit militärischer Gewalt zu gewinnen. Ich werde Sie persönlich haftbar machen, wenn Sie es nicht tun“, so hatte Nixon am Vorabend der Bombardierungen dem verantwortlichen Admiral Moorer gedroht.

Was der Öffentlichkeit schon damals als „chirurgische Operation“ verkauft wurde, war für die Bevölkerung Hanois und Haiphongs ein elftägiger Albtraum nahezu pausenlosen Bombardements. Vom 18. bis zum 29. Dezember luden Hunderte amerikanische Flugzeuge in insgesamt 3000 Angriffen ihre tödliche Fracht über den nordvietnamesischen Großstädten ab, zusammengezählt mehr als 100.000 Bomben. Nur am 25. Dezember unterbrachen die Piloten ihre Angriffe – eine Konzession ans Fest der Liebe, die indes von der Weltöffentlichkeit nicht gewürdigt wurde. Selbst Papst Paul VI protestierte gegen das offensichtliche Kriegsverbrechen, für das nicht einmal an Heiligabend eine Pause angeordnet worden war.

Richard Nixon bestand darauf, dass die Angriffe sich ausschließlich gegen militärische Ziele richteten. Pressefotos zeigten schnell eine andere Wahrheit: Das Bac-Mai-Krankenhaus war zerstört, die dicht besiedelte Umgebung des Bahnhofs dem Erdboden gleich gemacht, ganze Wohnviertel lagen in Trümmern. Am Ende hatten die so genannten Weihnachtsbombardements 2000 Zivilisten das Leben gekostet und ungezählte weitere verwundet. Aus Sicht Nixons und seines Sicherheitsberaters Henry Kissinger waren diese Opfer „Kollateralschäden“, zielten die Angriffe doch nicht auf die Wohngebiete, sondern auf so genannte strategische Ziele: die Rundfunkstation, Eisenbahnanlagen, Flugfelder, Treibstoffdepots, Fahrzeugfabriken.

Es mag dahingestellt bleiben, ob Nixon wirklich hoffte, dem Krieg mit den „Weihnachtsbombardements“ eine entscheidende Wendung geben zu können. Ausgeschlossen ist nicht, gab es doch schon damals eine mächtige Fraktion im US-Militärapparat, die Luftangriffe für das wirkungsvollste Mittel zur Erzwingung politischer Forderungen hielt.

Zumindest Nixons triumphierendes Getöse, er habe das Friedensabkommen herbeigebombt, durchschaute die Öffentlichkeit schon seinerzeit als billige Pose: Die Übereinkunft, die die Kriegsparteien vier Wochen nach Ende der Luftoffensive unterschrieben, hatte bereits seit Oktober in fast wortgleicher Form vorgelegen. Einzig das kapitalistische südvietnamesische Regime hatte bis dato die Unterschrift verweigert. Die Konzessionen, die Nordvietnam nach den Bombardements machte, waren so geringfügig, dass später weder Nixon noch Kissinger sich im Rückblick an Einzelheiten erinnern konnten.

Innenpolitisch bewirkte Richards Nixons Angriff auf die Infrastruktur Nordvietnams wohl kaum das, was er bezweckt hatte: In den Augen weiter Bevölkerungskreise stand der US-Präsident nicht als entschlossener Staatenlenker da, der das Ruder des Krieges herumriss, sondern als eiskalter Killer, der einen längst verlorenen Krieg mit einem sinnlosen Gemetzel beendete.

Spätestens seit 1968 hatte sich die Stimmung in weiten Teilen der US-amerikanischen Öffentlichkeit gegen den Krieg gewendet: Zuerst sahen sich die überraschten amerikanischen Bürger mit Fernsehbildern konfrontiert, die eine von der Tet-Offensive der vietnamesischen Guerilla vollkommen überrumpelte US-Militärmaschine zeigten. Dem CBS-Nachrichtensprecher entfuhr vor laufenden Kameras der Satz: „Was um aller Welt geht dort vor? Ich dachte, wir würden diesen Krieg gewinnen?“ Kurz darauf schockierten erste Fotos des Massakers von My Lai die ganze Welt. US-Soldaten hatten in diesem Dorf erst Frauen vergewaltigt und dann alle 200 Bewohner - Alte, Frauen und Kinder - erschossen.

Immer häufiger veröffentlichte die nordamerikanische Presse in der Folgezeit Belege für systematische Verbrechen des US-Militärs und die ebenso systematischen Täuschungsversuche der Regierung. Deutlich zeigte sich, dass der Anspruch der US-Regierung, den Krieg in Vietnam um jeden Preis zu gewinnen, wörtlich zu nehmen war. Noch im Wahlkampf 1968 versprachen Richard Nixons Gegenkandidat George Wallace und dessen Vizepräsidentenkandidat General Curtis LeMay, sie würden Vietnam „pulverisieren“. Was der Öffentlichkeit damals nicht bewusst war: Das vielleicht größte Kriegsverbrechen hatte Vietnam bereits für immer verändert: der jahrelange massive Einsatz von chemikalischen Waffen, unter dessen Folgen bis heute Millionen von Menschen leiden.

Mehr dazu nach der Musik.

[Musik]

(O-Ton „Apocalypse Now“: „I love the smell of napalm in the morning…“) „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen. Geruch. Nach Treibstoff. Es riecht nach Sieg.“ Längst ist dieses Zynikerwort Legende. Im Film „Apocalypse Now“ ruft Robert Duvall es als durchgeknallter Colonel in den Lärm eines Napalmangriffs hinein.

Bis heute ist Napalm ein Synonym für den Schrecken und die Grausamkeit des Vietnamkriegs. Nicht von ungefähr war es ein Bild von Napalmopfern, das im Juni 1972 ein politisches Beben in den USA auslöste und zu den wichtigsten Pressefotos des 20. Jahrhunderts wurde: die Aufnahme einer Gruppe Kinder, die bei einem Napalmangriff vor Entsetzen schreiend die Straße hinunterlaufen. In ihrer Mitte mit verbrannter Haut die kleine Kim Phuc, sie hat sich ihre brennenden Kleider vom Leib gerissen. Im Rücken der Kinder eine Hand voll teilnahmsloser US-Soldaten.

Napalm ist zweifelsohne die grausamste Chemiewaffe, die die USA in Vietnam eingesetzt haben – 400.000 Tonnen der mörderischen Substanz haben US-Piloten während des Krieges abgeworfen. Die meisten Opfer hat jedoch der Einsatz von viel unspektakuläreren chemischen Waffen gefordert: die Entlaubungsmittel, allen voran das berüchtigte Agent Orange.

Wer heute Vietnam einmal von Norden nach Süden durchquert, dem kann es passieren, dass er unterwegs auf keinerlei Dschungel mehr stößt. Die US-Amerikaner haben mit ihren Herbizideinsätzen ganze Arbeit geleistet: Was sie „Entlaubung“ nannten, führte zwar tatsächlich dazu, dass die Pflanzen binnen kürzester Zeit ihre Blätter verloren. Sie bekamen aber auch keine neuen, die gesamte Vegetation starb ab – ein durchaus gewünschter Effekt, denn das Versprühen von Pflanzenvernichtungsmitteln diente zwei Zielen: Erstens sollte der Sichtschutz verschwinden, den die dichte Vegetation des Regenwalds der Guerilla bot. Und zweitens wollten die Amerikaner die Ernten vernichten, um die Guerilla auszuhungern.

Auf diese Weise zerstörte das US-Militär die gesamte Vegetation gigantischer Areale, darunter gut 50 Prozent der Mangrovenwälder des Landes. Unnötig zu sagen, dass mit den Pflanzen die Tiere starben, die in und von ihnen lebten. Oft war es eine bis dato in Vietnam unbekannte Grasart, die das verwüstete Terrain eroberte. „Amerikanisches Gras“ tauften die Vietnamesen die Pflanze, deren harte, scharfkantige Blätter die Haut zerschneiden. Meist konnten das amerikanische Gras und die Büsche, die nachwuchsen, nicht verhindern, dass der Regen den Boden mitriss: Je geringer die Vegetation, desto größer die Erosion.
Die Erosion aber führt in Vietnam bis heute Jahr für Jahr zu Überschwemmungen mit Millionenschäden, zur Zerstörung von Agrarland und damit zu Nahrungsverlusten.

Und auch während des Vietnamkriegs blieb es nicht dabei, dass die Bevölkerung mitansehen musste, wie um sie herum die gesamte Natur abstarb. Nicht nur die Pflanzen auf den Feldern der Bäuerinnen und Bauern, auch ihre übrige Nahrung, ihr Wasser, ihre Tiere, der Boden, sie selbst – einfach alles war mit Chemikalien getränkt. Wenn sie oft auch wussten, dass es gefährlich war: Welche Wahl blieb ihnen, als die Nahrung zu essen, die sie noch hatten? Oft aßen sie die Feldfrüchte, die gerade erst besprüht worden waren, weil diese kurze Zeit darauf ungenießbar sein würden.

Über Jahre hinweg versuchten Wissenschaftler in den USA, den Chemiewaffeneinsatz zu stoppen – unter ihnen auch 17 Nobelpreisträger und namhafte wissenschaftliche Organisationen. Schon früh protestierten sie gegen eine Kriegsführung, die sie als „barbarisch“ bezeichneten, als gefährlichen Präzendenzfall für den Einsatz biologischer und chemischer Waffen, als Angriff auf die Umwelt und auf die Gesundheit der vietnamesischen Zivilbevölkerung.

Die Regierung ließ sich von solchen Stellungnahmen nicht irritieren. Sie hatte den Chemiewaffeneinsatz kühl kalkuliert. Schon in den vierziger Jahren hatten die US-Streitkräfte mehr als tausend Chemikalien im Hinblick darauf getestet, welche Auswirkungen sie auf die Vegetation hatten. Mit den Ergebnissen dieser Tests entwickelten sie die ersten Kampfstoffe. Die Briten waren es dann, die Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre im heutigen Malaysia erstmals Entlaubungsmittel einsetzten, als sie chinesische Rebellen bekämpften. An diese Vorarbeiten knüpften US-Wissenschaftler an und prüften im Verlauf der sechziger Jahre mehr als 26.000 Chemikalien hinsichtlich ihres militärischen Nutzens. Mit den so gewonnenen Kenntnissen wählten sie jene Kampfstoffe aus, die dann in Massenproduktion für Vietnam hergestellt wurden: Agent Green, Agent Pink, Agent Purple, Agent White, Agent Blue und – am bekanntesten – Agent Orange.

Vor allem Agent Orange, Agent White und Agent Blue wurden über Vietnam versprüht – und übrigens auch über den Nachbarländern Laos und Kambodscha. Agent Orange, das 61 Prozent der ausgebrachten Herbizide stellte, diente der Entlaubung von Wäldern, die beiden anderen Kampfstoffe der Vernichtung von Nutzpflanzen. Vor den Einsätzen hatte die US Army die Chemikalien unter verschiedenen Bedingungen getestet und zu Untersuchungszwecken unter anderem in den Everglades von Florida, in Puerto Rico, Thailand und auch Vietnam versprüht. Wie US-amerikanische Vietnamveteranen Ende der neunziger Jahre aufdeckten, führte das Pentagon außerdem in Panama geheime Tests mit Agent Orange durch. Dabei versprühte sie Hunderte Fässer der hochgiftigen Chemikalie in dichtbesiedelten Gebiete nahe des Panamakanals. Den Berichten der Veteranen zufolge hat das US-Militär diese Tests sogar noch in einer Zeit durchgeführt, als die US-Regierung die Verwendung von Agent Orange in Vietnam bereits gestoppt hatte.

Produziert wurde Agent Orange übrigens mit westdeutscher Unterstützung. Der US-Hersteller Dow Chemicals geriet 1964 in Lieferschwierigkeiten, als immer mehr seiner Arbeiter erkrankten – ironischerweise durch den Kontakt zu den giftigen Chemikalien, die sie herstellten. Der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der damals den deutschen Chemiekonzern Boehringer leitete, handelte aus, dass sein Unternehmen einspringen solle. Die gründlichen Deutschen füllten nicht nur die Produktionslücke, sie entwickelten auch noch ein verbessertes Herstellungsverfahren, das sie den Amerikanern preisgünstig überließen. Nach dem Ende des Krieges bestand Boehringer darauf, niemals an der Agent-Orange-Produktion beteiligt gewesen zu sein.

Seit 1966 sind in den Vereinten Nationen zahlreiche Resolutionen in die Vollversammlung eingebracht worden, die den USA vorwerfen, gegen das Genfer Giftgasprotokoll zu verstoßen. Erstmals verabschiedet wurde eine solche Resolution im Dezember 1969. Einen Monat zuvor hatte sich in den USA ein schwerer Unfall mit dem Nervenkampfstoff „VX“ ereignet. Zudem hatten Wissenschaftler entdeckt, dass Agent Orange erhebliche Mengen des Supergifts Dioxin enthielt, der „giftigsten Substanz, die der Mensch je hergestellt hat“, wie Zeitungen schrieben. Diese Vorkommnisse und der wachsende internationale Druck veranlassten die Regierung Nixon, das Herbizid-Programm zu stoppen – allerdings erst ein volles Jahr später, im Dezember 1970.

Woher kam die Bereitschaft der Nixon-Administration und ihrer Vorgängerinnen, die vietnamesische Zivilbevölkerung über Jahre hinweg systematisch und massiv mit international geächteten Kampfstoffen zu bombardieren? Diese Entscheidung ist nur vor dem Hintergrund der strategischen Ideen der Armeeführung zu verstehen. „Strategy of attrition“: Abnutzungs- oder Zermürbungsstrategie nannten sie ihre Antwort auf die spezifischen Bedingungen, die sie in Vietnam vorfanden. Dem Guerillakrieg ohne klar erkennbare gegnerische Einheiten und einer Bevölkerung, die zu großen Teilen auf Seiten der Guerilla stand, konnten sie nicht dadurch Herr werden, dass sie strategische Punkte eroberten oder Territorium unter ihre Kontrolle brachten. Sie setzten daher darauf, der gegnerischen Guerilla, und damit auch der Zivilbevölkerung, das Leben unter Kriegsbedingungen so unerträglich zu machen, dass ihre Kampfmoral gebrochen würde. General William Depuy, einer der geistigen Väter der Zermürbungsstrategie, fasste es so zusammen: „Die Lösung in Vietnam sind mehr Bomben, mehr Granaten, mehr Napalm, bis der Gegner zusammenbricht und aufgibt.“ General Curtis LeMay kündigte an, Vietnam „in die Steinzeit zurückzubomben“.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die ungezählten vietnamesischen Zivilisten, die mit 72 Millionen Litern hochgiftigen Entlaubungsmitteln übergossen wurden, keineswegs „Kollateralschäden“ waren: Sie sollten bewusst getroffen werden. Die Ergebnisse wirken bis heute nach. Das Vietnamesische Rote Kreuz schätzt, dass etwa eine Million Menschen an den Spätfolgen des Herbizid-Einsatzes leiden, darunter etwa 100.000 Kinder. Dies sind aber nur die unmittelbar körperlich selbst Betroffenen. In einem armen, agrarisch geprägten Land wie Vietnam ist es den Familienangehörigen in aller Regel unmöglich, eine angemessene Pflege und Betreuung von stark behinderten Menschen zu organisieren – von medizinischer Versorgung ganz zu schweigen.

Diejenigen, die mit den Pflanzenvernichtungsmitteln in Berührung kamen, leiden heute unter allen möglichen Krankheiten, vor allem Geschwüren und Schädigungen des Immunsystem. Besonders das stark dioxinhaltige Agent Orange wird verantwortlich gemacht für schockierend hohe Krebsraten in einigen Teilen Vietnams. Aber das Gift wirkt viel weiter: Noch immer werden Tag für Tag Kinder mit den entstellendsten Missbildungen geboren, mittlerweile schon in der zweiten Generation. Entschädigung durch die Verantwortlichen haben sie nie gesehen, Hilfe gibt es so gut wie nie. Dafür bräuchte es politischen Druck auf die USA.

Doch der ist nicht in Sicht. Schon gar nicht in einer Zeit, in der sich die Vereinigten Staaten wieder einmal aufmachen, die Zivilisation zu retten. Das haben sie übrigens auch schon in den sechziger Jahren. Ausgerechnet zu Weihnachten schickte der New Yorker Kardinal Spellman den US-Truppen in Vietnam folgende Sätze: „Dies ist ein Krieg zur Verteidigung der Zivilisation … Eine andere Lösung als der Sieg ist undenkbar … Ich glaube, dass ihr unter diesen Umständen nicht nur eurem Land dient, sondern ihr dient auch Gott, weil ihr die Sache der Gerechtigkeit, die Sache der Zivilisation und die Sache Gottes verteidigt.“