Licence for Mass-Destruction

ID 3245
 
Zur Irak Diskussion: Wer darf Massenvernichtungswaffen besitzen, und wer nicht? Wann ist der Sicherheitsrat gefragt und wann nicht?
(Bei Sendung bitte Mail an gazelle@wtal.de)
Audio
09:02 min, 12 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.02.2003 / 18:02

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: radio gAZelle
Radio: gAZelleWU, Wuppertal im www
Produktionsdatum: 14.02.2003
keine Linzenz
Skript
So manch ein Friedensfreund hat sich wahrscheinlich in den letzten Wochen zwar besorgt, aber irgendwie doch sehr zufrieden in den Fernsehsessel zurückgelehnt und still bei sich gedacht: ich bin stolz, Deutscher zu sein. War es nicht so? Ja, es macht doch irgendwie Spass, die Amis tun alles, um ihr eigenes Klischee zu übertreffen, und der grüne deutsche Ausseminister wie der Kanzler stehen standhaft für den Frieden. Das hat doch was.


Vergessen sind die Zeiten, wo Fischer und Schröder durch das Land gezogen sind und mit aller Inbrunst Bomben auf Jugoslawien gefordert und gerechtfertigt haben. Aber bleibt da nicht doch ein schales Gefühl? Wieso war denn eigentlich der Krieg gegen Milosevics Jugoslawien gut und richtig und der Krieg gegen den Irak nicht? Sicher, Milosevic war ein kriegstreiberischer Nationalist, aber er ist durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen. Und auch was das Vorgehen gegen Minderheiten angeht, übertrifft die Brutalität des Saddam Regimes bei weitem das, was Minderheiten von Seiten der serbischen Staatsmacht ertragen mussten. Dessen ungeachtet bleibt die Flächenbombardierung Jugoslawiens in Fischers Geschichtsbild ein Musterbeispiel eines gerechten Krieges für Menschenrechte. Als Journalisten nach dem Krieg nachgewiesen haben, dass viele der vom damaligen Minister Scharping als Kriegsgrund angeführten Ereignisse Fälschungen waren, hatte dies keine Konsequenzen. Die Erfindung von Hufeisenplan und Konzentrationslagern in Jugoslawien ,die unter Mitwirkung der Public Relation Agentur "Hunzinger" in die Welt gesetzt wurden, blieben folgenlos. Erst als herauskam, dass Scharping von der gleichen Agentur ein paar Anzüge spendiert bekam, musste er zurücktreten.

(...)

Nun also steht der Krieg gegen den Irak auf der Tagesordnung. Fischer und Rumsfeld, der Papst und Bush, Putin und Angelika Beer: in einer Frage sind sich alle einig: der Irak darf keine Massenvernichtungswaffen besitzen. Wer will da schon widersprechen? Natürlich, eigentlich sollte niemand Massenvernichtungswaffen besitzen, und dieser Brutalo Saddam Hussein schon gar nicht. Doch ein Kriterium für internationale Politik und für internationales Recht sucht man trotzdem vergeblich. Wer bestimmt denn, wer in der Welt Massenvernichtungswaffen besitzen darf und wer nicht. Das, so die derzeitige Antwort von Aussenminister Fischer, bleibt dem Sicherheitsrat der UNO vorbehalten. Der Sicherheitsrat, die grosse heilige Kuh der internationalen Politik. Der Sicherheitsrat besteht aus 15 Mitgliedern, wirklich was zu sagen haben aber nur die fünf ständigen Mitglieder, die mit Vetorecht ausgestattet sind. Wie kam es, dass ausgerechnet diese 5 Länder derartige Sonderrechte besitzen? Haben diese Länder besondere moralische Verdienste, sind das demokratische Musterländer ohne menschenrechtliche Tadel? Nichts dergleichen! Die fünf Vetorechtinhaber im Sicherheitsrat genießen diese Sonderstellung deshalb, weil es zum Zeitpunkt der Gründung diejenigen Länder waren, die über Massenvernichtungswaffen in Form von Atombomben verfügten. Das war nämlich der eigentliche Grund für die Einrichtung des Sicherheitsrates: die Atomwaffenmächte der Welt sollten, bevor sie mit diesen Waffen aufeinander losgehen, ein Forum haben, in dem Konflikte deeskaliert werden können. Zugespitzt gesagt ist der Sicherheitsrat nichts anderes als der Club der alteingesessenen Atombombenbesitzer. Und ausgerechnet dieser Club ist, so jedenfalls die aktuelle Politik von Fischer, berechtigt, zur Austellung der Lizenzen für den Besitz von Massenvernichtungswaffen? Ist das logisch?

(...)

Doch auch wenn man der Meinung ist, dass der Sicherheitsrat nur eine sehr fragwürdige Legitimation hat, so kann man dennoch einwenden, dass er immerhin eine Institution der UNO und ein internationales Gremium ist. Insofern hat es durchaus seine Berechtigung, darüber empört zu sein, wenn die US Regierung die Parole herausgibt: Entweder entscheidet der Sicherheitsrat in unserem Sinne – oder er hat seine Bedeutung verspielt. Doch auch hier muss man nüchtern feststellen, dass dieser Umgang mit der UNO bestens erprobt ist. Denn vor der Bombardierung Jugoslawiens 1999 lief es haarscharf nach dem gleichen Muster. Auch damals war die Devise: Wir wollen eine Resolution, die unseren Krieg rechtfertigt, aber wenn wir sie nicht bekommen, ist uns das auch egal. Das war die offizielle Politik der NATO, in Deutschland lautstark von Schröder und Fischer verkündet. Natürlich erntet Fischer heute international nur ein müdes Lächeln, wenn er knapp drei Jahre später Respekt vor den Entscheidungen des Sicherheitsrates fordert. Die UNO und der Sicherheitsrat sind im Jugoslawienkrieg durch die NATO systematisch kaltgestellt worden, und in der Zeit danach ist nichts passiert, was diese oder eine andere Institution als internationales Gremium zur Konfliktbewältigung nach vorne gebracht hätte.


(...)

Es gibt viele Länder mit Armeen, die über Massenvernichtungswaffen verfügen und man kann sie in mehrere Kategorien aufteilen:

1. Die Länder, denen schon bei Verdacht auf Besitz Krieg und Sanktionen angedroht werden, wie es aktuell gegenüber dem Irak der Fall ist.
2. Diejenigen Länder, die für ihren Besitz an Massenvernichtungswaffen getadelt werden, mehr aber auch nicht. Dazu gehören derzeit Pakistan, Indien und Nordkorea.
3. Und schließlich diejenigen Länder, die ganz selbstverständlich über teilweise riesige Kontingente von Massenvernichtungswaffen verfügen. Das sind die schon erwähnten Ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates, also USA, Frankreich, England, Russland und China. Niemand fragt hier nach Abrüstung.

Unter gewissen Umständen kann es für ein Land sehr leicht sein, die Kategorie zu wechseln. Pakistan stand bis 2001 wegen seiner Atomwaffen unter starkem internationalen Druck. Dann kam der 11. September, Pakistan wurde als Aufmarschgebiet für den Krieg gegen Afghanistan gebraucht und niemand findet seitdem die pakistanischen Atombomben besonders problematisch, obwohl kein anderes Land derzeit dermaßen offen mit ihrem Einsatz droht.

"Massenvernichtungswaffen", das ist neuerdings neben "Menschenrechte" der zweite große Gummibegriff der internationalen Politik.

(...)

Krieg und Militäreinsätze sind ein gewöhnliches Mittel der internationalen Politik, das war nie wirklich anders, und Schröder und Fischer haben viel dazu beigetragen, dass das auch für Deutschland gilt. Was sie nicht getan haben und was auch im Moment nicht absehbar ist: dass sie definieren, unter welchen Umständen militärische Gewalt gerechtfertigt ist und welches Gremium darüber entscheidet. Über so etwas gibt es noch nicht einmal eine Diskussion. Somalia, Kosovo, Afghanistan und jetzt der Irak: die Begründungen für Kriege werden von Fall zu Fall zurechtgeschustert. Seit mehr als 10 Jahren wird daran gearbeitet, die Bundeswehr für internationale Einsätze der unterschiedlichsten Art fit zu machen. Aber in der ganzen Zeit ist es nicht gelungen, auch nur ansatzweise zu definieren, welche politischen und völkerrechtlichen Voraussetzungen für einen Einsatz militärischer Gewalt gegeben sein müssen. Jammern über die Arroganz der US Regierung bringt da nicht besonders viel.